Die bewegung 2.juni
gespraeche ueber
haschrebellen
lorenz-entfuehrung
knast
Von den Haschrebellen zur Bewegung 2. Juni
Das Interview zu den Entstehungsbedingungen der Bewegung 2.
Juni entstand am 22.11.92 im Zusammenhang einer Ausstellung in
Berlin/Neukölln. Um eine Vorstellung von der mündlich gesprochenen Rede zu
erhalten, sind insbesondere in den Passagen Ralf Reinders' ab und an ein
paar Satzfetzen im Berliner Dialekt stehengeblieben.
Jugendbewegung in den 60er Jahren Rolling Stones, lange Haare und
Vietnam
Klaus Herrmann
Um die Entstehungsbedingungen der Bewegung
2. Juni am persönlichen Beispiel zu verdeutlichen, wäre es schön, wenn ihr
einmal kurz etwas zu eurem Werdegang erzählen könntet.
Ronald Fritzsch
Ich bin 1951 in Hannover geboren und auch
dort aufgewachsen. Volksschule, Handelsschule, dann wollte ich eigentlich
auf's Wirtschaftsgymnasium, aber damals gab's ja leider kein Bafög oder
etwas Vergleichbares. Und da mein Alter keine Knete, dafür aber gute
Verbindungen hatte, bin ich dann als Praktikant für den gehobenen
Verwaltungsdienst bei der Stadtverwaltung Hannover gelandet. Zwei Jahre
und dann wäre ich Beamten- oder Inspektorenanwärter gewesen. Aber nach
eineinhalb Jahren hab ich das abgebrochen, vor allem weil ich nach den zwei
Jahren erst einmal zur Bundeswehr hätte gehen müssen. Als überzeugter
Pazifist hab' ich mir gedacht, nee danke! Aus Hannover wollte ich
eigentlich sowieso weg, weil die ganze Stadt eine Beamtenstadt ist, und
Berlin hat mich einfach gereizt, das war einfach 'ne irre Zeit. In Frage
kamen für mich nur Hamburg oder Berlin, aber allein wegen der Bundeswehr
bin ich dann in Berlin gelandet. Nachdem ich die Ausbildung geschmissen
hatte, bin ich Ende 1970 nach Berlin gegangen und dort ziemlich schnell in
die Anarchoszene reingekommen.
Herrmann
Hattest du zu der bereits vorher persönliche
Kontakte?
Fritzsch
Nein. Ich war allerdings bereits einige Male
vorher in Berlin gewesen. In Hannover gab's ja auch so'ne kleine Subkultur,
relativ begrenzt und überschaubar. Die war ganz witzig und hatte eine
typische Kiffer-Ideologie, also kein Alkohol und einfach etwas anderes
wollen als diese ganze Spießigkeit. Wir waren vor allem durch die
BILD-Zeitung unheimlich agitiert worden. Die hat ja immer gegen die
Kommune 1 gehetzt, freier Sex und jeder bumst mit jedem und was da sonst
noch alles drinstand. Und je größer die Hetze, desto mehr hat uns das
agitiert, weil das genau das war, worauf wir abgefahren sind.
Herrmann
Als deine Berufsbezeichnung wird gelegentlich
Kraftfahrer angegeben?
Fritzsch
In Berlin habe ich zunächst bei verschiedenen
Firmen als Kraftfahrer gearbeitet. Vom Herbst 1971 bis zum Sommer 1974 dann
als Kraftfahrer bei der Reichsbahn. Ein prima Job und für die damaligen
Verhältnisse unheimlich gut bezahlt. Ich hab' bestimmt das Doppelte von dem
verdient, was die Kollegen in der freien Wirtschaft erhielten.
Herrmann
Ralre lang wachsen. Und das
war in der ersten Zeit für mich ziemlich schwierig Nachmittags bist du
langhaarig rumgelaufen und auf der Arbeit haste die dann mit Fett zur
Elvistolle nach hinten gekämmt.
Das wird heute leicht vergessen: Viele Leute haben damals ihre
Arbeitsstellen verloren, sind aus den Lehrstellen rausgeflogen, weil sie
lange Haare hatten.
Herrmann
Aus der Kneipe bist du rausgeflogen, hast kein
Bier gekriegt ...
Reinders
Du hast kein Bier gekriegt, bist verprügelt
worden. Manchmal haben irgendwelche Penner an den Ecken gelauert und
wollten den Leuten die Haare schneiden. Es gab halt dauernd Probleme. Dazu
kam, daß alle meine Kumpels ringsrum auf diese neue Musik standen, die da
aus England kam. die Beatles, die Stones. Es gab 'ne Zeit, wo eine leichte
Rivalität zwischen denjenigen bestand, die auf die Beatles standen und
denjenigen, die Stones-Fans waren.
1965 kamen die Stones das erste Mal nach Berlin, in die
Waldbühne. Und für viele von uns kam damit ein kleiner Durchbruch. Wir
wollten eigentlich nur das Konzert hören, hatten dann aber auf die
Preisliste geguckt. 20, DM sollte der Eintritt kosten. Das war damals ein
Schweinegeld. Wir hatten die Kohle nicht und haben beschlossen, umsonst
reinzugehen. In Tegel versammelten wir uns
Beatlesfans, Stonesfans und
Kinksfans. Es waren etwa 200 bis 250 Leute, die dann losmarschierten. Unter
ihnen waren die späteren Aktivisten des 2. Juni stark vertreten.
Als wir an der Waldbühne aus der S-Bahn kamen, war da gleich die erste
Bullensperre. Eine ganz lockere, die wir zur Seite drückten. Dann kam kurz
vor der Waldbühne eine zweite mit einer berittenen Staffel. Das war schon
ein bißchen komplizierter. Wir sind auch da durchgebrochen. Dann gab es nur
noch eine ganz leichte Sperre direkt an der Waldbühne. Und so waren wir
schließlich mit über 200 Leuten umsonst drinnen, und standen ganz vorne.
Und die Leute, die bezahlt haben, sind nach uns zum Teil gar nicht mehr
reingekommen.
An diesem Abend hat sich dort eine Stimmung entwickelt, wo ich zum ersten
Mal auch ansonsten ganz unpolitische Leute sah, die einen wahnsinnigen Haß
und Frust auf die Bullen hatten. Als dieses Konzert, das ja wirklich
saumäßig war also für den Preis, wenn ich ihn denn bezahlt hätte, wäre
ich, glaub' ich, richtig ausgerastet , zu Ende ging, standen die Leute auf
und wollten eine Zugabe. Da haben die Veranstalter einfach das Licht
ausgedreht. Und im Nu brach das totale Chaos in der Waldbühne aus. Es hat
angefangen fürchterlich zu knacken, und dieses Knacken war so animierend,
daß dann alle sich daran machten, die Bänke auseinanderzunehmen. Dann ging
plötzlich das Licht wieder an, und auf der Bühne zogen die Bullen auf. Sie
hielten mit ihren Wasserwerfern von oben herein, worauf sich die erste
Schlacht hauptsächlich mit uns entwickelte. Jeder kannte jeden und es
gab ein Stück Gemeinsamkeit, ein gemeinsames Gefühl.
Danach wollten wir aus der Waldbühne raus. Bis dahin war alles noch
halbwegs friedlich verlaufen. Der Schaden war auch eher gering. Doch dann
fingen die Bullen an auf eine Gruppe von so 40 bis 50 Mädels einzuschlagen,
die sich an der Bühne versteckt hatten. Das war dann das Signal für alle:
jetzt nochmal zurück. Und dabei ging die Waldbühne dann halt richtig zu
Bruch!
Vier, fünf Stunden hat die Schlacht getobt, auch rundrum auf den Straßen.
Dort hab' ich zum erstenmal Leute richtig ausrasten und auf die Bullen
losschlagen sehen. Das kannte ich noch nicht. Wir sind aus der Waldbühne
raus und in den S-Bahnzügen ging das weiter. Die gehörten dem Osten und
eigentlich war es ja sogar offiziell erlaubt, die kaputt zu machen.
Am nächsten Tag haben wir uns wieder in Tegel getroffen. Zwar nicht alle
200, aber doch ziemlich viele. Und auf einmal kanntest du alle! Darunter
waren viele, wie zum Beispiel der Shorty, Knolle und Bommi Baumann, die
später dann beim 2. Juni waren.
Parallel zu dieser Geschichte liefen auch die ersten Studentensachen ab:
zum Beispiel Vietnamdemos, zu denen ich dann hingegangen bin. Übrigens hat
eine der ersten Demos nach Neukölln geführt. Dort sind wir von den Bürgern
noch fürchterlich in die Enge getrieben worden. Da gab's mehr Regenschirme
auf'n Kopp als Demonstranten da waren. Weißt du, von diesen Berliner
Frontstadtkadavern, die da empört waren wegen der roten Fahnen, wegen der
Kommunisten. Damals waren die SEWler (Sozialistische Einheit Westberlins,
d.R.) ja noch dabei.
Fritzsch
Das gab's in Hannover zu der Zeit ja überhaupt
nicht. Einen größeren Demonstrationszug gab's lediglich zu der Beerdigung
von Benno Ohnesorg, der aus Hannover kam und auch dort beerdigt wurde. Die
ersten roten Fahnen tauchten anläßlich der Roten-Punkt-Aktionen 1968/69
auf. Ich weiß noch die Empörung der Leute, auch der Polizei, als plötzlich
rote Fahnen auftauchten. Das muß so im Zuge der Auflösung des SDS gewesen
sein, als sich die Roten Garden und diese ganzen ML-Grüppchen
bildeten.
Ich war damals in einer Schülerbasisgruppe des SDS, aus der ich
wegen Obstruktion auch prompt wieder rausgeflogen bin. Weil ich dagesessen
bin und bei jedem Fremdwort, und das war praktisch jedes zweite Wort,
gefragt habe, was das heißt und mir das erklären ließ. Nach ein paar
Stunden haben sie mich und meinen Kumpel dann vor die Tür gesetzt.
Das war noch nicht einmal böse Absicht von mir. Ich wollte lediglich
verstehen, worum es geht. Das zumindest hatten wir bis dahin schon gelernt:
frech genug sein und nicht einfach alles runterschlucken und nichts
begreifen. Das kannte ich schon aus der Schule, das brauchte ich da nicht
auch noch. Vor allem hatten sie erst etwas von antiautoritär erzählt, was
dann aber gar nicht so gemeint gewesen war.
Das Zusammenwachsen der Opposition Rocker, Studenten und
Jungproleten
Reinders
In Berlin lief das etwas anders. 1964/65 waren
die Studentenproteste und diese langsam anwachsende Jugendrevolte noch
ziemlich voneinander getrennt.
Herrmann
Ich erinnere mich an die Zeit um 1965. Wir hatten
in einer kleinen Gruppe die ersten kritischen Texte gelesen und sind dann
mit der S-Bahn von Wilmersdorf nach Neukölln gejuckelt zu unseren
proletarischen Freunden. Mit denen hatte ich schon Probleme, die waren ganz
anders drauf, hatten auch weniger Probleme mit körperlicher Gewalt. Das hat
mir schon imponiert. Umgekehrt haben wir halt einige Sachen aufgearbeitet,
wo die dann wieder gestaunt haben. Das war eigentlich eine ganz fruchtbare
solidarische Ebene.
Reinders
Das war wohl auch das Entscheidende, was später
auch zusammengeführt hat auf der einen Seite die Studenten, auf der anderen
die ganzen jungschen Arbeiter. Die haben ihren Protest rausgeschrien,
rausgebrüllt oder was zertrampelt und wußten eigentlich gar nicht, um was
es ging.
Damals ging es auch das erste Mal wirtschaftlich in der
Bundesrepublik ein bißchen bergab. Das war noch nicht richtig spürbar, aber
gerade die Jungschen haben das schon eher gemerkt. Dazu kam der Druck von
denen
Überall hast du Bullen gehabt. Die Studenten haben eins auf den
Kopf gekriegt, weil sie demonstrierten und dann noch gegen die USA, die
doch als Hort der Demokratie galten. Das hat dann jeder begriffen Auf
einmal haut dir der Hort der Demokratie auf den Schädel und bringt andere
Völker um. Und so sind wir auf die Straße gegangen, sahen auch ein wenig
anders aus.
Wir hatten irgendwie auch einen Bezug zu den Schwarzen in den USA. 1965
brannten dort ja ganze Stadtviertel (Watts u.a.). Da haben die Leute
begriffen, was Rassismus ist, als sie selbst was auf den Kopf bekamen. Vom
Gefühl her begriffen: Du kriegst was auf den Kopf, weil du anders
aussiehst. Vollkommen egal, was du machst. Ob du arbeiten gehst oder nicht.
Die hauen dir deshalb auf den Schädel, weil du ihnen nicht gefällst: Du
bist halt kein deutscher Soldat.
Deshalb kriege ich heute immer 'nen Horror, wenn ich diese Kurzhaarigen
sehe. Ich habe diese Haarschnitte so oft gesehen, das drückt so viel aus,
... so ein Soldatentum.
Herrmann
Seid ihr damals in 'ner Kutte
rumgelaufen?
Reinders
Ja, irgendwann hatten wir die auch an. Diese
Parker waren ja unheimlich praktisch, aber auch ziemlich häßlich.
Fritzsch: Sie waren praktisch, waren warm und man konnte sie schön
bemalen.
Peter Hein
Es war ja auch wichtig, daß man die
Atomwaffengegnerzeichen drauf machen konnte.
Reinders
Ja, und vor allem, daß alle ein bißchen gleich
aussahen, daß man sich wiedererkennen konnte. Du konntest dein Gegenüber
erkennen und wußtest, daß du dich auf den ein Stück verlassen kannst. Da
ist einer, der ist gegen die Bullen.
Heute ist das anders. Heute kannst du vom Äußeren nicht mehr so
einfach unterscheiden. Aber damals wußtest du
Wenn einer so aussieht,
dann ...
Herrmann
... dann stehst du nicht alleine da.
Reinders
Ja. Da gab's tatsächlich nur wenige, die so
aussahen wie wir und die dann zu den Bullen übergelaufen sind oder ganz
andere Sachen im Kopf hatten. Es war halt so Wer ein bißchen anders aussah,
der hatte keine Lust mitzuspielen.
Die eigentliche Politisierung kam aber erst mit der Erschießung
Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967. Nach all den Prügeln und Schlägen hatten
wir das Gefühl, daß die Bullen auf uns alle geschossen haben. Gegen Prügel
konntest du dich ja ein stückweit wehren. Daß aber einfach jemand
abgeknallt wird, ging ein Stück weiter. Ich kenne viele, die an diesem Tag
einen Knacks gekriegt haben. Die auf einmal wußten, du mußt auf die Straße,
du mußt Stellung beziehen. Die waren weder für die Studenten noch für sonst
irgendwas. Aber sie waren gegen diese Schüsse.
Danach gab's eine der ersten größeren Demos in Berlin, einen Schweigemarsch
von 30 bis 40 000 Leuten, darunter viele Studenten. Dazu kommt, daß wir in
Berlin ja noch die K 1 hatten. Keener hatt'se ja eijentlich richtich
jesehen, aber alle ham von jehört und fanden det ja irjendwie janz lustich,
weil det wollten wa ja schon alle so ähnlich. Gerade nach der prüden Zeit
der 50er und dem Anfang der 60er Jahre, wo Sexualität hinterm
verschlossenen Vorhang stattfand.
Herrmann
Ralf, du hast doch auch in der Wielandkommune
gelebt ...?
Reinders
Nee, das ist ein Gerücht von den Bullen. Wir,
also auch der Bernie, haben in Berlin/Tegel in der Nimrodstraße gewohnt. Da
gab's einen Hausbesitzer, der hatte ein ziemlich großes Vierfamilienhaus.
Unten wohnten eine alte Frau und ein alter Mann. In den restlichen Etagen
hat er die Zimmer einzeln und ziemlich teuer vermietet. Aber für uns war
das damals ein Freiraum. Wir hatten eineinhalb Etagen und lebten in so
einer Art Kommune. Bloß, daß wir da keine großen politischen Ansprüche
hatten wie die K1. Da war halt 'ne Gemeinschaftsküche und ein
Gemeinschaftsbad, also es war eher eine Wohngemeinschaft.
In dieser Zeit kamen die Bullen häufiger wegen Shit vorbei. Wir
fingen auch an, die ersten Dinger durchzuziehen, das kam ja so langsam auf.
Aber das war alles noch harmlos. Da gab es die drei Bullen vom
Rauschgiftdezernat. Die kannte jeder. Und wenn die in die Straße
reingefahren sind, dann hat meist schon jemand geklopft und gesagt
Jetzt
kommt das RD. Und dann haben sich alle in ein Zimmer gesetzt, wo absolut
nichts zu finden war. Die Bullen haben dann die anderen Zimmer durchsucht
und dann war's wieder gut.
Herrmann
Wie erklärst du dir das Gerücht bezüglich der
Wielandstraße?
Reinders
Die Bullen haben damals nicht so durchgeblickt.
Die konnten Bernie und mich überhaupt nicht einordnen. Die konnten uns
Reinickendorfer eigentlich alle nicht einordnen. Sie haben uns, ob Georg
von Rauch oder Michael Bommi Baumann, alle in einen Topf geschmissen. Ich
weiß auch nicht, ob das von den Bullen kam oder später von den
Medien.
Gewohnt haben wir da jedenfalls nie. Wir sind nur ab und zu
dort baden gegangen. Die hatten eine unheimlich tolle Badewanne.
Fritzsch
Ein wichtiges Kriterium.
Reinders: Eine Badewanne, wo wirklich viele Leute drin baden konnten,
gekachelt, ein Riesending. Sowas hab ich nie wieder gesehen, vorher nicht
und nachher nicht.
Ich bin eigentlich von klein auf mit den politischen
Bedingungen konfrontiert worden. Zum Beispiel bin ich während eines Urlaubs
in der DDR den Jungen Pionieren1 beigetreten. Habe dann auch gelegentlich
an Sachen teilgenommen, wie beispielsweise dem Internationalen Kindertag
und so'ner Scheiße. Wo wir dann auch immer Ärger mit den Bullen hatten. Das
kriegst du als 12-, 13-Jähriger schon im Kopf mit, wenn du mit anderen
Kindern zusammen bist, und die Bullen kommen an und schmeißen dich aus dem
Tegeler Forst raus. Weil halt die Jungen Pioniere mit 'nem Halstuch
rumgelaufen sind und das Tragen von FDJ-Abzeichen verboten war. In Berlin
war das zwar nicht offiziell verboten, aber die Bullen sind trotzdem
dagegen vorgegangen. Sie haben uns da irgendwann einmal beim
Ostereiersuchen gestört. Da kriegst du schon ein Gefühl für Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit. In der Beziehung sind sie ja heute ein wenig schlauer
geworden.
Herrmann
Da du aus dem Berliner Norden stammst, die Frage
Hattet ihr Kontakte zu den Rockern aus dem Märkischen Viertel?
Reinders
Nein, wir hatten keine direkten Kontakte, wir
kannten die nur vom Sehen. Die K1 hatte mit denen zu tun. Das waren
Mopedrocker, die wir aus der Discothek kannten. Die waren ein bißchen wild
und haben auch alte Leute angegriffen. Mit denen wollte eigentlich keiner
etwas zu tun haben. Die haben sich irgendwann einmal mit einer
Altrockertruppe aus dem Wedding angelegt. Die wiederum kannten wir alle, da
war kein Feindschaftsgefühl. Die waren halt Rocker, hatten Motorräder und
haben keinem etwas getan. Jedenfalls haben die Kleinen sich mal mit denen
angelegt, weil sie meinten, die wären zu harmlos und haben fürchterlich
Dresche gekriegt. Von da an haben die sich nicht mehr aus dem Märkischen
Viertel rausgetraut.
Herrmann
Ich erinnere mich, daß wir Anfang bis Mitte der
70er Jahre im Georg von Rauch-Haus hinter verbarrikadierten Türen saßen und
Angriffe von Rockertruppen abzuwehren hatten.
Reinders
Das müssen andere gewesen sein, denn die Rocker
aus dem Märkischen Viertel waren ja schon bei der Schlacht am Tegeler Weg
auf unserer Seite dabei. Da gab es dann diese Diskussionen, ob die nicht
morgen schon wieder auf der anderen Seite stehen würden. Die haben an jenem
Tag viele der Studenten verschreckt, weil sie sehr brutal vorgegangen sind.
Sie kannten halt nichts anderes aus dem Märkischen Viertel als diese Form
der Auseinandersetzung. Sie hatten keine Angst vor den Bullen, die damals
noch mit Tschakos rumgelaufen sind, da gab's noch nicht einmal Helme. Es
gab nur wenige Einheiten, die schon behelmt waren. Richtig Ärger um die
Rocker gab es nicht lange. Nach und nach sind die verschiedenen Gruppen
zusammengewachsen.
Herrmann
Dieses Zusammenwachsen lief weniger über
politische Diskussionen als über ein gemeinsames Lebensgefühl?
Reinders
Das Lebensgefühl, verfolgt zu werden! Die Rocker
hatten ja auch ewig Ärger mit den Bullen. Bei Straßensperren wurden ihnen
die Mopeds abgenommen. Sie sind ständig von allen möglichen Leuten
angemacht worden.
Der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen Smoke-in,
Razzien und Straßenschlachten
Hein
Eine Zwischenfrage. Stichwort umherschweifende
Haschrebellen. Was war damit eigentlich? Das ging doch einen Schritt
weiter, als lediglich Drogen zu nehmen.
Reinders
Ja, das ging einen Schritt weiter. Die
Bullenkontrollen wurden irgendwann immer massiver. Das BKA hatte
Verstärkung gekriegt und auch in Berlin haben sie dann mit Methoden
gearbeitet, die wir vorher nicht kannten. Sie haben Leute richtig
angemacht, 50 Kilo Haschisch ranzuschaffen, um sie dann hochzunehmen.
Natürlich haben wir damals alle ein bißchen gedealt, Shit an die Amis, die
Soldaten verkauft. Die haben halt die besten Preise bezahlt.
Sehr viele sind nicht mehr arbeiten gegangen und wir brauchten
halt ein bißchen Kohle. Wir sind auch Lebensmittel klauen gegangen. Zum
Beispiel haben wir morgens auf den Lieferwagen von Lebensmittel-Bolle
gewartet, sind dem hinterher und haben uns die ganzen Puddings geholt. Weil
alle so zugeraucht waren, mußten sie was Süßes essen, und so haben wir die
Puddings abgekarrt.
Ein wenig haben wir mit Shit gedealt, keine großen Mengen. Aber wir kannten
all die Leute, die merkten, daß das ein Geschäft ist, aus dem du was machen
kannst. Wir kannten Türken, die damals völlig naiv waren. Die wollten auf
einen Schlag ein paar tausend Mark machen und sind auf die Großhändler
reingefallen, die Bullen waren. Ein konkretes Ereignis spielte auch bei uns
draußen in Waidmannslust. Dort haben sie uns einmal aus dem PKW ein paar
hundert Gramm herausgeholt. Das war praktisch die ganze Versorgung für
unser Haus, wo alle von rauchten und lebten. Wir waren mit einem Schlag
praktisch pleite! Irgendjemand sagte: Das kriegen die zurück! Wir werden
heute Nacht einen Bullenwagen in die Luft jagen!
Wir haben dann mit ein paar Leuten gequatscht, die wir aus der
Studentenszene kannten. Die haben uns dann auch was angeschleppt. Wir sind
aber an diesem Abend nicht losgegangen, weil der Bommi damals zu feige war.
Wir haben das Zeug im Haus versteckt und dann vergessen. Damit hätten wir
sowieso keinen Funkwagen in die Luft jagen können. Das war eine
Pattexmischung mit Unkrautex. Das hätte höchstens eine Stichflamme
gegeben.
Mittlerweile fingen aber einige an zu sagen: Wir lassen uns diese dauernden
Razzien in den Lokalen nicht mehr gefallen. Wir schlagen jetzt zurück. Das
betraf vor allem das Zodiak am Halleschen Ufer, das Park in Halensee,
das Sun in der Joachim-Friedrichstraße und das Mr. Go in der
Yorckstraße, wo dann die letzte und wildeste Schlacht der Haschrebellen
stattfand. Dann gab's die erste Schlacht vorm Park, als die Leute sich
gewehrt hatten. Wir wollten einfach durchsetzen, daß wir rauchen können.
Die anderen können schließlich auch saufen. Und so machten wir ein Smoke-In
im Tiergarten. Das war im Juli 1969. Dort tauchten erstmals Flugblätter mit
dem Namen Umherschweifende Haschrebellen auf.
Der Name ist, auch wenn er das heute vielleicht dementieren würde, von
Kunzelmann erfunden worden. Beim Zentralrat der umherschweifenden
Haschrebellen ging's vor allem darum, die Studenten zu ärgern. Weil die
doch damals schon anfingen, Parteien zu gründen und lauter so hochtrabende
Bezeichnungen erfanden. Es war eine Verkackeierung. Eine Antwort darauf
gab's dann auch mit dem Zentralrat der umherschweifenden
Wermutbrüder.
Beim ersten Smoke-in im Tiergarten war ich in Schweden. Bei meiner Rückkehr
hörte ich, daß sie Georg festgenommen hatten. 350-400 Leute hatten sich
versammelt, haben geraucht, und die Bullen haben zugesehen und weiter
nichts gemacht. Als alle Leute weggingen, ist Georg halb ohnmächtig im
Gebüsch liegengeblieben. Er hatte irgendwelche Hasch-Kekse gefressen, die
wohl 'ne Nummer zu groß waren. Die Bullen haben ihn nach Moabit gebracht,
ließen ihm den Magen auspumpen und haben dabei 0,012 Gramm Haschisch
gefunden. Dafür hat er einen Strafantrag und später drei oder vier Monate
Knast gekriegt.
So waren die Anfänge des Zentralrats. Wir haben die Leute, die das
gemacht haben, dann näher kennengelernt. Wir saßen dann einige Male
zusammen und haben gequatscht, was wir machen können, wenn die Bullen
kommen. Wir wollten uns nichts mehr gefallen lassen, haben teilweise Wachen
aufgestellt. Da gab's auch das Pan. Das war neben der Jüdischen Gemeinde,
wo wir einen Warndienst hatten. Das hat gut funktioniert.
Da war auch immer ein junges Mädel. Die hat gefixt. Und die hat uns immer
gewarnt, wenn die Bullen kommen. Und das traf immer zu, so daß die, die
etwas in den Taschen hatten, rechtzeitig abhauen konnten. Wir haben uns
schon gefragt, wer die eigentlich ist, haben uns aber nicht weiter drum
gekümmert. Mein Vater weiß Bescheid, und der ruft immer an, hat sie
gesagt.
Irgendwann ist ihr einmal das Geld ausgegangen und Tommy Weißbecker und ich
haben sie nach Charlottenburg gefahren. Wir gehen mit hoch, die Tür geht
auf, der Vater kommt raus und ein jüngerer Typ hinterher. Tommy kiekt mich
an und sagt: Den kenn' ick doch.
Und zu dem Mädel
Sag mal, Dein Vater, ist der
schwul?
Nee, sagt sie, das ist doch sein Bewacher.
Was für ein Bewacher? Wie heißt Du überhaupt?
Geus, weißt Du das nicht?
Das war also die Tochter vom Richter Geus, der immer vor den Razzien
informiert wurde, weil sie wußten, daß seine Tochter abhängig war. Dann
konnte der seine Tochter anrufen, sie soll sich da langsam verpissen, die
Bullen kommen. Und die hat dann allen Bekannten Bescheid gesagt.
Eines Abends kamen wir zum Park, das vollkommen von den
Bullen umstellt war. Sie haben die Leute mit erhobenen Händen rausgeführt.
Eine Art, die die Bullen vorher nicht so drauf hatten. Wir haben dann bei
einem Wagen den Tankdeckel abgeschraubt, einen Lappen reingesteckt und
versucht, ihn anzustecken. Das hat nicht ganz geklappt, aber es hat dazu
geführt, daß eine ganze Bullenkolonne vor lauter Angst um ihren Wagenpark
aus dem Parkhaus gerannt kam und versuchte, uns zu kriegen. Und das führte
wiederum dazu, daß andere Leute Mut kriegten und eine Straßenschlacht
begannen. Ich glaube, das war das erste Mal, wo die sich so richtig gewehrt
hatten.
In dieser Zeit kam auch das Musical Hair2 nach Berlin. Die Truppe, die
das aufgeführt hatte, war eigentlich gut drauf. Das waren fast alles
Berliner, ein paar Amis und ein paar Westdeutsche zum Singen und Tanzen und
Hopsen und so. Wir kannten viele von denen, weil sie mit uns rauchten oder
von uns kauften. Sie wohnten in einer großen Wohnung am Nollendorfplatz, wo
sich die ganze Künstlerclique traf. Und die fragten uns, ob wir nicht etwas
zur Premiere machen wollten. Es war alles geladen, was in Berlin Rang und
Namen hatte. Tilla Darieux, eine alte, achtzigjährige Schauspielerin, zum
Beispiel. Wir sagten: Gut, wenn ihr uns hinten auf die Bühne laßt, dann
gehen wir mit 'nem Joint hinauf und erklären den Leuten mal, daß es
wirklich Leute gibt, die rauchen, daß das kein Theater ist und daß wir die
Bullen immer am Arsch haben.
Nun kam aber die Meldung, daß einer der Schauspieler den Plan weitergegeben
hatte und nun ein Wachdienst aufpasste, daß die Türen auch immer
verschlossen blieben. Mit den alten Resten von der K1 die hatten damals
gutes Rauchpulver haben wir lauter Knaller und eine Rauchbombe gebaut und
überlegt, wie wir stören könnten. Wie immer vor solchen Anlässen war es
eine ganz komische Atmosphäre: Du willst was machen, weißt aber noch nicht
so richtig, wo du ansetzen sollst.
Jedenfalls strömte an dem Abend dort das Pack rein, so richtig in
Garderobe. Und draußen auf der Straße standen die, die von den Bullen wegen
ein paar Gramm eins über den Schädel kriegten. Und dieses Pack rennt da
rein und guckt sich dieses Musical an und beklatscht das auch noch. Da
wollten wir denen doch mal zeigen, wie die Wirklichkeit ist. Wir haben die
Rauchbombe geworfen, und die ist dann genau zwischen Tür und Angel
hängengeblieben. Der Pförtner konnte sie nicht mehr wegtreten es war ein
Riesenqualm. Tilla Darieux hatte eine Rauchvergiftung, die mußten sie ins
Krankenhaus bringen. Die Bullen kamen. Einer hat die Knarre gezogen und in
die Luft geschossen. Der Bulle war vollkommen am Durchdrehen. Damals waren
sie schnell am Durchdrehen. Sie haben aber niemanden von uns gekriegt.
Das war das erste Mal, daß etwas vom sogenannten Zentralrat militanter und
organisierter lief. Derart organisiert war es auch schon das letzte Mal. Es
gab noch die Sache vorm Zodiac. Anlaß war ein Fotoblitzer der Bullen. Der
stand keine dreißig Meter entfernt vor unserer Nase rum. Das konnten wir
einfach nicht zulassen. Einige gingen raus und haben den Bullenwagen
einfach ein bißchen geschüttelt. Das war lustig, denn es hat ständig
geblitzt. Die Bullen saßen drinnen und hatten höllische Angst, die Türen
verrammelt und über Funk Hilfe geholt. Na, und bevor die Hilfe kommt,
schmeißen wir das Ding um. Da lag der Wagen quer. Die Bullen kamen und vor
dem Zodiac gab's 'ne Schlacht, bei der auch ein paar Leute festgenommen
wurden. In der körperlichen Auseinandersetzung war das aber noch ziemlich
harmlos.
Die letzte Aktion im Zusammenhang mit Shit war dann am Go. Das war
später, da standen wir schon kurz vor der Illegalität. Wir fuhren damals
unter den Yorckbrücken durch, als wir sahen, daß sie am Go eine Razzia
machen. Wir steigen aus, gehen hin und sehen ein ganz seltsames Bild: Die
Bullen stehen nach langer Zeit mal wieder ohne Helm rum. Daneben stand der
Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, der alles überwachte.
Aber es kam einfach keine richtige Stimmung auf. Die Leute kiekten zu, wie
sie ihre Kumpels festnahmen. Wir wollten sie aufhetzen, schafften es aber
nicht. Keiner wollte den Anfang machen. Auf einmal brannte auf der anderen
Straßenseite eine Reklametafel. Und im Nu versuchten alle, ihre Kumpels
wieder aus den Bullenwagen zu holen. Steine flogen und die Bullen sind Hals
über Kopf geflüchtet. Der Bezirksbürgermeister ist blaugehauen worden.
Danach war uns klar, daß die am nächsten Tag wiederkommen. Das würden die
sich bestimmt nicht gefallen lassen.
So sind wir am nächsten Tag wieder hin. Da standen schon etwa 1500 Leute
vor dem Go und warteten. Parallel dazu lief in Amsterdam eine
Straßenschlacht über drei Tage. Die Bullen kamen aber zunächst nicht. Haben
uns den Gefallen erst gar nicht getan. Und wir standen da, die Mollies in
den Ecken plaziert, bestens vorbereitet und wer nicht kam, waren die
Bullen. Da meinte Georg: Das machen wir ganz einfach. Wir gehen rüber zur
Telefonzelle, schmeißen vorher an der Apotheke die Scheiben ein, rufen an
und sagen: Apothekeneinbruch gegenwärtig!
So haben wir es gemacht. Dann kamen die ersten Bullen ganz vorsichtig um
die Ecke gekrochen. Damals hatten sie noch VW-Käfer. Also ein Käfer und ein
Bulli kamen daher. Im Nu waren alle auf die Straße. Mit zehn, zwanzig
Mollies in der Hand und auf die Bullen los. Einer stand in Flammen und sein
Kollege mußte ihn löschen. Aber jetzt hatten wir sie dort, wo wir sie haben
wollten. Alles war nun voller Blaulicht. Das war bis zu der Zeit die
wildeste Schlacht, die ich mitgemacht habe.
Die Bullen hatten eine Taktik, mit der sie ihre Kollegen opferten. So fuhr
ein Kommando, bestehend aus einem Käfer, einem Bulli und einer Wanne herum
und versuchte, die Leute in die Seitenstraßen abzudrängen. Dabei schickten
sie den Käfer vor. Der wurde vollkommen mit Steinen eingedeckt. Dann kamen
die anderen beiden Wagen hinterher und keiner hatte mehr Steine in der
Hand. So konnten sie die Leute endlich jagen. Aber der Käfer war jedesmal
platt.
Und da am Go haben sie auch geschossen. Also, eine Maschinenpistole in
die Luft abgefeuert. Einer ist aus der Wanne rausgesprungen und hat um sich
geschossen. Das wurde damals total totgeschwiegen. Nun, ihre Kollegen
hatten ja auch ganz schön was abgekriegt. Es sind wahnsinnig viele Mollies
geflogen. Wir hatten die mit den damals gerade neu herausgekommenen
Coca-Cola-Literflaschen fabriziert. Wir sind vorher an der Tankstelle
herumgerannt und haben die Laster, die da rumstanden, angezapft und mit
einem Schlauch die ganzen Flaschen abgefüllt. Wir hatten ja kein Geld für
Benzin.
Die ersten tauchen ab Untergrund, kleinere Anschläge,
Verhaftungen
Herrmann
Wann war das?
Reinders
Das muß im Sommer 1970 gewesen sein. Am
nächsten, also am dritten Tag gab es noch eine Schlacht. Zu der sind wir
aber nicht mehr hingekommen, weil wir den ganzen Tag lang observiert wurden
nur Bullen am Arsch gehabt diesen Tag. Vielleicht dachten die, daß, wenn
sie uns fernhalten könnten, dann nichts mehr passieren würde. Damit hatten
sie sich aber verrechnet. Es ging auch ohne uns nochmal wild ab. Das war
die letzte Schlacht der Haschrebellen. Danach, im November '70, sind wir
abgetaucht.
Herrmann
Was sagt ihr zu der Behauptung, daß euer Weg in
den Untergrund eher zufälliger Natur gewesen sei? So soll euch jemand wie
Peter Urbach3 Sprengstoff untergejubelt haben, um euch damit auffliegen zu
lassen?
Reinders
Wir hatten zur Zeit der Haschrebellen Kontakt zu
Urbach, hatten aber eine Warnung von einem alten Reichsbahner gekriegt, daß
der Urbach ein Verfassungsschutzspitzel sei und deswegen bei der Reichsbahn
rausgeflogen wäre. Später hat sich Urbach noch an Bommi herangemacht, wegen
eines Shit-Geschäftes. Er könne ganz billig zehn Kilo Shit besorgen.
Seitdem haben alle, die mit uns zu tun hatten, die Finger von Urbach
gelassen. Daß der später überhaupt wieder aktiv werden konnte, lag an dem
Konkurrenzverhältnis zur RAF. Die RAF glaubte nämlich, daß wir stark an
Urbachs Waffen interessiert wären. Daß wir nur behaupten, er sei ein
Spitzel, um ihn uncool zu machen, damit wir die Waffen kriegen und nicht
sie. Sie waren einwandfrei gewarnt, aber der Mahler* hat das nicht ernst
genommen. Der hat meiner Meinung nach damals entschieden, den Kontakt
weiter zu halten. Das war verhängnisvoll.
Also bei uns war das so
Bernie und ich hatten ja diese
Sprengstoffladung, diese Pattexmischung im Haus versteckt und dann einfach
vergessen. Und dann ging die Bombe im jüdischen Gemeindehaus hoch. Ich fand
das damals total schwachsinnig. Bernies Bruder ist aber auf die Idee
gekommen, daß es die gleiche Mischung sein könnte und hat die Bullen
gerufen. Es waren ja immerhin 50 000 DM Belohnung für Hinweise zur
Aufklärung des Anschlags ausgesetzt. Die Bullen sind bei uns eingeritten
und haben die beiden tennisballgroßen Dinger gefunden. Das war wohl auch
eine ähnliche Mischung. Ich glaub nicht, daß es dieselbe war. Das eine war
wohl eine Pattex-Unkrautex-Mischung, das andere war eine
Puderzucker-Unkrautex-Mischung. Die Bullen haben uns dann jedenfalls
gesucht. Bernies Bruder wußte, daß wir mit Bommi zu tun hatten, und so
suchten sie nun Bommi, Bernie und Bär. Die Bullen wußten zuerst nicht,
wer ich war. Bär war mein Spitzname. Sie fanden dann ein Foto von Bernie
und mir, welches ein befreundeter Fotograf kurz zuvor aufgenommen hatte.
Dieses Foto ging dann durch alle Zeitungen. Nur hatten wir mit der ganzen
Sache nichts zu tun. Bis heute ist ungeklärt, wer das war. Das ist eines
der Dinger, wo ich überhaupt nicht durchblicke. Es war mal im Gespräch,
Mahler* hat das aufgebracht, daß der Urbach die Dinger ins Gemeindehaus
gelegt hätte. Das glaube ich aber nicht. Ich denke, das war eine Ausrede
von Mahler*, um noch etwas zu retten.
Es hätte so sein können: Einige von denen, die damals in Jordanien bei den
Palästinensern waren und dort einen sinnlichen Eindruck von den Verbrechen
Israels mitbekamen, haben einen Knacks bekommen. Und die Linke hier war ja
noch israelfreundlich, israelfreundlich erzogen. Vielleicht haben sie
deshalb diese Schwachsinnsaktion gemacht. So könnte es gewesen sein, aber
wissen tue ich es nicht.
Na, jedenfalls waren wir nun bekannt und die Bullen suchten uns. Und das
Irre war, daß Leute, die mich nachweislich kannten, mit denen ich zur
Schule gegangen bin, vor den Bullen aussagten, sie würden mich nicht
kennen. Damals ist niemand auf die Idee gekommen, den Bullen etwas zu
erzählen. Die Geschichte mit Bernie's Bruder? Nun, das sind halt die paar
Kanaillen, die es immer gibt.
Das war alles im Oktober, November 1969. Und im Februar haben sie uns dann
gekriegt. Wir waren illegal und hatten uns bei Leuten versteckt, die wir
aus dem Park und anderen Kneipen kannten. Im Februar 70 sind wir dann
festgenommen worden. Wir sind nach Moabit in die U-Haft gekommen. Das war
noch eine ganz harmlose Festnahme, wie man sie sich heute kaum noch
vorstellen kann. Da kamen zwei Bullen in die Wohnung und haben gefragt, ob
wir die und die sind. Wir sagten: Nee, und wir haben auch keine Ausweise
dabei.
Na denn kommen 'se mal mit.
Und dann saßen wir auf dem Revier und hätten eigentlich andere Daten
angeben können. Sie waren recht freundlich, bis sie irgendwann
realisierten, wer wir sind. Daraufhin haben sie uns in eine Zelle gesperrt.
Und dann lernten wir den Moabiter Knast kennen. In den Zellen war ein
Lautsprecher an der Wand, der dreimal am Tag angestellt wurde: Morgens zwei
Stunden, mittags eine Stunde und abends von acht bis zehn, soweit ich mich
erinnere.
Herrmann
Und dann haben sie euch den RIAS
reingeschickt?
Reinders
Nee, schlimmer noch. Den Rabbi wie hieß der
noch?
Fritzsch: Estrongo Nachama.
Reinders: Ja, jeden Freitag. In dieser Zeit gab es gerade eine erste
Strafrechtsreform. Da wurden die alten Zuchthäuser abgeschafft. Du durftest
beim Hofgang zum Beispiel jetzt zu zweit im Kreis laufen, während du früher
immer alleine laufen mußtest und nicht mit den Vorder- und Hintermännern
reden durftest. Die Bullen haben dort ein Regiment geführt, mit einer
Sprache ... Ich dachte, das kann überhaupt nicht wahr sein, dieser Ton. Die
ersten drei, vier Tage hab' ich überhaupt nicht kapiert, was da
abläuft.
Fritzsch: Tagsüber durftest du nicht auf dem Bett liegen. Das waren
Klappbetten, die hochgechlossen wurden. Wenn du tagsüber auf dem Bett
gelegen hast, kamen die rein. Du mußtest aufstehen und das Bett wurde mit
einem Vorhängeschloß hochgeschlossen.
Reinders: Wenn die reinkamen, solltest du dich vom Schemel erheben, dich
an die Wand stellen und Namen und Buchnummer sagen.
Herrmann
Was ist eine Buchnummer?
Fritzsch
Das ist die laufende Nummer, die
Registriernummer der Inhaftierten.
Reinders: Die ersten Politischen waren schon drin, Georg zum Beispiel.
Und die Bullen schimpften schon: Die Langhaarigen versauen uns hier die
ganze Ordnung. Die Politischen haben das natürlich alles nicht mehr
mitgemacht.
Drei Tage bevor ich eingefahren bin, gab es so 'ne
Geschicht
Die Gefangenen haben untereinander immer Zeitungen
ausgetauscht. Und die Bullen haben sich wie die Geier drauf gestürzt,
rissen die weg und freuten sich, daß sie die erobert hatten. Das hat Ali
Jansen von der RAF einige Male beobachtet. Dann, als er mal einen Stern
hatte, hat er in den Stern reingeschissen, den zusammengeklappt, auf den
Hof mitgenommen und vor den Augen eines Bullen gezeigt. Der stürzt sich
freudig auf das Ding und fetzt es auseinander. Ali hat dafür dann Bunker
gekriegt, aber die Bullen haben das nie vergessen.
Am Wochenende ist es tot im Knast. Am Samstag ist bloß bis mittags Verkehr,
die Anwälte kommen nur bis zwölf oder eins und dann wird's langsam tot. Da
ist nichts mehr. Kein Radio, nichts. Die ersten Gefangenen fingen an
auszurasten. Und Sonntags war es noch schlimmer. Da haben immer einige ihre
Zellen aufgehauen. Ständig gab es Selbstmordversuche. Und die Bullen liefen
besoffen rum und haben die Leute provoziert. Sie haben zum Beispiel die
Radioanlage unscharf eingestellt, um die Knackis zu ärgern. Und die haben
dann halt gegen die Türen gebummert und dann sind die Bullen rein und haben
die Leute verhauen. So ging das permanent. Und ein Fressen hat's gegeben
ich hab nur Hunger geschoben. So ein miserabler Fraß. Ich war total
schockiert. Der Knast war für mich endgültig der Auslöser für den
Entschluß, militantere Sachen zu machen.
Woher die Waffen nehmen? Diskussionen mit der RAF,
Baader-Befreiung, Penny-Märkte und Piratensender
Bernie und ich kamen nach sechs Wochen wieder raus. Zu der
Zeit gab es noch öfters Haftverschonung. Als meine Mutter damals zum
Staatsanwalt gegangen ist und eine Besuchserlaubnis wollte, meinte der, die
müsse sie sich bei jemand anderem holen, weil er das alles nicht mehr
mitmachen könnte. Der hat damals massiv Druck von Oben bekommen, was darauf
hinauslief, daß aus politischer Opportunität Leute sitzen mußten ob sie
nun damit etwas zu tun hatten, oder nicht. Diesen Druck hatte der
Vorsitzende des Kammergerichts, Meier, auf die Staatsanwaltschaft
weitergegeben. Und dann hat der Staatsanwalt Schepan gesagt, er macht das
nicht mehr mit, er steckt keine Leute in den Knast, die unschuldig sind,
und trat zurück.
Dann kam, wie hieß er noch, dieser Trinker? Krause! Krause, der
hat den Harten gemacht. Der wollte uns nicht rauslassen. Die sind zwar
davon ausgegangen, daß wir mit dem Anschlag nichts zu tun hatten, glaubten
aber, daß wir unter Umständen wüßten, wer das gemacht hat.
Bernie und ich hatten uns abgesprochen, daß wir schon zu den Verhören
gehen, aber nichts zur Sache sagen. Es gab ja keinen Grund, nicht mal einen
Kaffee zu trinken, oder mal rausgeführt zu werden. Da saßen also sechs
Bullen im Raum und machten dieses Spielchen: Zwei waren total aggressiv.
Einer saß nur da und machte mir alles nach. Dann gab es den
Intellektuellen. Der wollte inhaltlich diskutieren, über neue
Gesellschaftsformen. Der muß irgendein Buch gelesen haben und hat Pfeife
geraucht, um sich interessanter zu machen. Der war unheimlich komisch. Und
ein anderer, der machte so den Gleichgültigen und sagte: Laß ihn doch
zufrieden. Oder: Wollen Sie denn nichts essen.
Wir fanden das alles nur zum Lachen. Aber drinnen in Moabit ging's mir
schon ziemlich dreckig. Dreckiger als in den fünfzehn Jahren, die ich dann
später abgesessen habe. Es war dieses vollkommen Unerwartete, dieser ganze
Ablauf, den du nicht kanntest. Dieser Knastalltag mit seiner
Brutalität!
Als wir nach den sechs Wochen rauskamen, haben wir uns erstmal alle wieder
getroffen. Ich lernte Ulrike Meinhof und andere kennen, und es gab die
ersten Diskussionen zwischen uns und der entstehenden RAF.
Die planten, Baader rauszuholen und wollten dafür von uns Leute haben. Das
war im April 70. Das war eine sehr intensive Zeit. Wir haben mit Kunzel5
zusammengesessen und gesagt: Wir müssen andere Sachen machen.
Dafür bot sich der 1. Mai an. Der 1. Mai war damals 'ne Riesensache. Eine
große Demo von etwa 50 000 Leuten lief durch Neukölln. Das war die
Revolutionäre 1. Mai-Demo, also nicht unter der Kontrolle der
Gewerkschaften. Wir planten dazu drei Anschläge: gegen die Amis, gegen eine
Bank die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) und
gegen das Kammergericht.
Der Anschlag aufs Harnack-House gelang nicht richtig. Nur einer der Mollies
flog rein. Die anderen zerschellten an der Hauswand. Wir waren halt nicht
so gut geübt, um in den ersten Stock reinzutreffen. Der Anschlag auf die
BfG am Schillertheater mit einem Molli ging gut. Und dann gab es die Sache
mit dem Kammergericht. Das war der erfolgreichste Anschlag in dieser Nacht.
Es wurden Benzineimer und kanister hingestellt, mit einem an die Steckdose
angeschlossenen Tauchsieder drin. Wir waren alle noch ziemlich unerfahren
damals. Die waren noch gar nicht wieder richtig aus dem Kammergericht raus,
da ist das Zeug schon explodiert. Benzin ist eine höllische Sache. Der
glühende Tauchsieder hat sich sofort durch das Plastik gefressen, das
Benzin lief aus und dann ging alles blitzschnell. Die Druckwelle hat zwei
Leute vom Balkon geschleudert. Aber ein Saal ist völlig ausgebrannt.
Im Mai fand dann die Allierte Truppenparade in Berlin statt. Wir sind dort
hingegangen, als sie gerade die Generalprobe für ihre Parade machten. Zu
dieser Zeit gab's die sogenannten sprechenden Bullen, ein sogenanntes
Diskussionskommando, die Gruppe 47 oder so ähnlich. Die kamen sofort an
und hatten endlich ein paar Opfer und laberten uns voll. Von hinten kamen
aber andere Bullen, zerrten an uns rum und fingen an, auf uns einzuprügeln.
Die Diskussionsbullen waren empört, weil wir ja nichts gemacht hatten, und
schließlich haben die sich fast mit ihren Kollegen gehauen. Es gab eine
regelrechte Rangelei. Die hatten ja nicht mitbekommen können, daß wir kurz
vorher einem englischen Offizier beleidigt hatten. Dieser wollte unsere
Personalien feststellen lassen, weil Georg Pig zu ihm gesagt hatte. Der
hat sich in stolzer englischer Manier erst nichts anmerken lassen, ist bis
zur nächsten Ecke weitergegangen und hat dann gepetzt. Da stand auch noch
ein Zivilbulle rum, der uns fotografierte und dem wir den Film abnehmen
wollten. Und im Nu wurde die Rangelei immer größer.
Die Bullen haben sich untereinander gehauen, die blickten nicht mehr durch.
Ich hatte einen Zivilbullen am Hals, und die dachten, irgendein
wildgewordener Passant greift mich an. Ich hab' nur eine Faust mit einem
grauen Handschuh an meinem Gesicht vorbeisausen sehen, die diesen Bullen so
getroffen hat, daß der über die halbe Straße rutschte. Shorty und Hella
hatten sie schon festgenommen, und mich wollten sie auch in die Wanne
bringen. Da sagte Georg: Den braucht ihr nicht mitnehmen. Den kennt ihr
doch.
Die Bullen sahen sich an: Kennen wir den? Ja. Na gut, dann können Sie
wieder gehen.
Das hat mir sechs Monate Knast erspart. Die beiden anderen haben sechs
Monate gekriegt, auf Bewährung. Bei mir haben sie noch wegen versuchten
schweren Straßenraubes ermittelt, weil wir dem Bullen die Kamera wegnehmen
wollten. Der war übrigens der Sonderbewacher von Klaus Schütz6, wie wir
später mitkriegten. Der brachte noch den üblen Spruch: Wenn du zwanzig
Kugeln verträgst, kannst du dir den Film holen.
Zurück also, zu diesem Reinrutschen in die Stadtguerilla und in militante
Sachen: Es ist schon so, daß du Leute kennen mußt. Ob du die aber
kennenlernst, hängt davon ab, was du vorhast und wie du dich in der Szene
bewegst. Zufälligkeiten können da schon eine Rolle spielen.
Fritzsch
Letztendlich bleibt es aber eine bewußte
Entscheidung.
Reinders: Du rutschst nicht einfach aus dem Nichts da rein.
Fritzsch: Du bist auch aus der engeren, aktiven Szene ganz schnell
wieder draußen, wenn du nicht selber etwas dafür tust. Das heißt, ganz so
zufällig ist das alles nicht.
Herrmann
Wie war denn nun der Schritt vom spontan Aktionen
machen hin zur Stadtguerilla?
Reinders
Wir hatten schon länger diskutiert, mehr machen
zu wollen. Da gab es aber Probleme Wir diskutierten zwar den bewaffneten
Kampf, hatten aber keine Waffen. Keiner hatte Ahnung von Waffen. Die aus
Westdeutschland kamen, so wie Ronnie, waren ja eigentlich Pazifisten, waren
Bundeswehrdrückeberger. Und wir Berliner hatten sowieso keine Ahnung von
Waffen.
Dann hieß es, Waffen kann man da und dort kaufen. Wir kannten
ja viele Kriminelle noch aus unserer Tegeler Zeit. Ein Teil von uns, mit
denen wir in der Jugendzeit zusammen waren, ist halt kriminell geworden.
Das allerdings war eine unsichere Szene. Der Verrat war in der kriminellen
Szene immer sehr groß. Andere sagten, man könne Waffen in Österreich, der
Schweiz, Italien oder Belgien kaufen. Nun ja, wir hatten gerade mal 800
Mark, um damit die ganze Truppe über den Monat zu kriegen und nicht, um
davon eine Knarre zu kaufen.
Abends haben wir immer noch Penny-Märkte aufgemacht und ausgeräumt,
tagsüber sind wir mit Taschen in den Supermärkten klauen gegangen. Zur
gleichen Zeit hat die RAF etwas intensiver und etwas geordneter und
marxistisch-leninistischer den Aufbau der bewaffneten Organisation
betrieben. Wir waren denen in dieser Zeit sowieso zu flippig. Die RAF hatte
vor, Andreas Baader aus dem Knast zu holen. Auch bei uns wurde die Frage
der Gefangenenbefreiung diskutiert. Wir wußten nicht, ob das so gut ist.
Baader hatte nur zwei, drei Jahre abzusitzen. Auf der einen Seite wollten
wir ihn rausholen. Wir kamen selbst gerade aus dem Knast und wußten, was es
bedeutet, hatten ein Gefühl dafür, daß ein Mensch nicht sitzen sollte. Auf
der anderen Seite sagten wir aber: Das ist uns eine Nummer zu groß, wir
wollen das nicht. Die RAF hatte Georg konkret angesprochen. Den kannten
sie, der hatte die meisten Aktionen gemacht, war für sie am
einschätzbarsten und zuverlässigsten. Georg wollten sie unbedingt haben.
Doch der sagte, wenn wir meinen, wir sind nicht soweit, dann macht er auch
nicht mit. Er wollte nur etwas mit unserer Gruppe machen.
Die RAF hat allmählich Waffen angeschleppt: Pistolen, Kleinkalibergewehre
... Und eines Morgens, wir lagen gerade in der Badewanne, kam die Meldung,
Baader befreit!. Da war uns klar: Es wird ernster. Und was wir vermutet
hatten, trat ein. Die Bullen lösten einen wahnsinnigen Apparat aus.
Wir machten derweil die ersten Kontakte zu den Kriminellen. Wir hatten aber
kein Geld. Und wo liegt das Geld? Auf den Banken! Nun ist es aber immer
noch ein weiter Schritt vom Gedanken bis zur Tat. Wir plünderten also immer
noch irgendwelche Läden. Im Einbrechen waren wir ziemlich gut. Wir konnten
ganz gut Schlösser aufmachen und fanden auch immer gute Objekte. Alle
anderen Sachen waren uns noch zu heiß. Im Autoklauen wurden wir auch immer
besser. Davon hatten wir anfangs gar keine Ahnung. Die Studenten kannten
das nicht, die waren aus besserem Hause. Und ich war nie ein Autonarr.
Diejenigen, die ich kannte, konnten auch alle kein Auto klauen. Dann kam
die RAF und sagte: Wir haben doch zwei Autofachleute! Und so haben wir
diskutiert und unser Wissen ausgetauscht.
Wir lernten dann einen technisch sehr versierten Totalanarchisten kennen,
der mit der RAF überhaupt nichts zu tun haben wollte. Nach dem Motto,
eigenständige Anarchisten müssen immer eigenständig bleiben, und ihr liegt
viel näher auf dieser Linie. Der hatte damals zusammen mit Rudi Dutschke
die ersten Radiosender gebaut und hatte zu dieser Zeit einen Fernsehsender.
Wir haben mit dem zusammen Aktionen gemacht, haben was raufgesprochen, sind
dann rumgefahren und haben uns ins Fernsehprogamm reingeschaltet. Leider
konnten wir aber nur Ton senden. Das Ding hatte auch nur eine sehr kurze
Reichweite ein paar hundert Meter, bis zur nächsten Häuserfront. In den
Hinterhäusern war dann nur noch Störung, kein Empfang. Wir haben das
mehrmals von günstigen Stellen aus getestet. Der Hügel am Gesundbrunnen war
sehr gut. Von dort konnten wir mehr Leute erreichen. Ob es ankam, wir auf
Sendung waren, hast du daran gemerkt, daß die Bullen kamen. Das lief ganz
gut.
Daraufhin gab's Streit mit der RAF. Die wollten den Sender haben. Doch der
Anarcho hat gesagt: Nie und nimmer kriegt ein Marxist-Leninist von mir
diesen Sender. Das gibt's nicht!
Der hatte auch nach Italien Verbindungen, zu Leuten die in Genua
operierten. Das war noch vor der Zeit der Roten Brigaden. Die hatten einige
Pistolen und Kleinkalibergewehre rangeschleppt. Wir haben dann abgesägte
Schrotflinten ausprobiert und begannen damit, Rohrbomben zu bauen.
Im Januar 1972 schlossen wir uns zur Bewegung 2. Juni zusammen
Eine Gegenmacht aufbauen, die Fratze des Terrors, drei Banken an einem
Tag
Hein
Gab es nicht in den Anfängen des 2. Juni auch so eine
berühmt-berüchtigte Mailandfahrt ...?
Reinders
Das war früher. Darüber weiß ich nicht viel. Die
sind damals nach Mailand gefahren, bevor ein Teil von ihnen nach Jordanien
gegangen ist. Fritze zum Beispiel ist zurück nach München und hat dort die
Tupamaros München aufgebaut.
Hermann
Im Jahre 1972 trat die Bewegung 2. Juni mit einem
Programm an die Öffentlichkeit ...
Fritzsch
... dieses Programm hat auch wieder eine
Geschichte Das hat irgend jemand als den damaligen Stand der Diskussion
aufgeschrieben, aber wir selbst haben das erst im Knast aus den Akten
kennengelernt. Das kannte bis dahin keiner von uns! (Alle Lachen, d.R.)
Niemand weiß, wer das überhaupt geschrieben hat. Es gibt allerdings schon
den damaligen Diskussionsstand wieder.
Reinders: Da hat jemand die Diskussion zusammengeschrieben und versucht,
ein Programm draus zu machen.
Fritzsch: Es ist als solches aber nie diskutiert worden, das kannte auch
kein Schwein.
Herrmann
Offiziell gilt das Papier aber als Programm des
2.Juni.
Hein: Das habe ich auch als das offizielle Programm des 2. Juni in
meiner Bibliographie angegeben.
Reinders
Auch die Richter wollten das Programm als Beweis
gegen uns heranziehen. Sie haben es im Gericht verlesen. Wir haben uns
bepißt vor Lachen. Irgendwann hat der Geus7 gemerkt, daß da was nicht
stimmt. Jedenfalls wollte er zu gerne wissen, wer das denn geschrieben hat.
Wir auch. Wir haben natürlich intern nachgefragt. Aber wir haben es nicht
herausbekommen.
Herrmann
Wie sah denn nun das Selbstverständnis der
Bewegung 2. Juni im Gegensatz etwa eines lockeren Zusammenschlusses zu
einzelnen Aktionen aus?
Reinders
Bereits vor der offiziellen Deklaration als
Bewegung 2. Juni hatten wir schon drei, vier Mal zusammengesessen. Es
waren etwa 12 Leute aus drei Gruppen vertreten, unter denen relativ große
Übereinstimmung bestand. Das gab's nicht so oft. Es gab ja eine starke
Anarchofraktion, aber auch eine stalinistische Fraktion, die aber nicht so
groß war. Im Januar 1972 schlossen wir uns zur Bewegung 2. Juni zusammen.
Das ist ein Datum, welches alle noch miteinander verband. Die Studenten wie
auch die Jungproleten, denn damals war alles schon etwas am
Auseinanderfliegen. Alle wußten, was der 2. Juni bedeutet. Eine weitere,
für uns noch wichtigere Überlegung war Mit diesem Datum im Namen wird immer
darauf hingewiesen, daß sie zuerst geschossen haben!
Fritzsch: Insgesamt liefen die Diskussionen damals viel offener und
breiter. Ich kannte die ganze Gruppe zu der Zeit noch gar nicht, aber die
gleichen Diskussionen sind auch bei uns geführt worden. Es sind viele
Leute, die gar nicht unmittelbar dabei waren, einbezogen worden.
Reinders: Ja, so war es. Alle egal wo sie herkamen haben die
Diskussion wieder in ihre Gruppen zurückgetragen. Es hat schon so etwas wie
eine breitere Verankerung gegeben.
Zu der Zeit war ich ja schon illegal, wußte aber immer, wo
welche Diskussionen geführt wurden. Die Leute aus Knofus Ecke kannte ich
allerdings nicht. Die sogenannte Zahl-Knofo-Kröcher-Bande hatte ihren
Stützpunkt in Neukölln. Zahl hatte dort seine Druckerei.
Fritzsch
1971 haben wir ja die Yippies8 gegründet,
zusammen mit Knofo. Und bei Zahl haben wir die FIZZ9 gemacht, die
Abspaltung von der 883. Es gab mit der 883 den Konflikt, da die
Militanten dort auf einen Schlag weg waren, weil illegal, daß dort der
reformistische Flügel dominierte. Daraufhin sind die restlichen Radikalen
rausgegangen ...
Reinders: ... Dirk Schneider war auch schon dabei ...
Fritzsch: ... und haben die FIZZ gemacht. Das ging noch nicht einmal
ein halbes Jahr, weil dann Knofo und Zahl abgetaucht sind.
Herrmann
Ronnie, wie bist Du denn nun zum 2. Juni
gekommen? Über Knofo und Zahl?
Fritzsch
Nein, die waren ja schon abgetaucht. Ich war
noch eine Zeitlang beim Anarchistischen Arbeiterbund gewesen, was sich
aber auch ziemlich schnell erledigt hatte. Ich dachte immer, Anarchisten
wären undogmatisch, aber ich hab dort die gegenteilige Erfahrung gemacht.
Die waren alles andere als undogmatisch. Die haben jemanden allein deswegen
rausgeschmissen, weil er einen Kapitalschulungskurs gemacht hat und sich
auf Marx bezogen hat. Das war schon ein bißchen absurd.
Hein
Wie seid ihr denn zu dem Zeichen vom 2. Juni
gekommen? Das gab's doch vorher schon bei der Tricontinental.
Reinders
Das haben wir bei der Lorenz-Entführung erstmals
verwendet. Irgendjemand meinte, wir bräuchten ein Erkennungszeichen und hat
das von der Tricontinental abgemalt. Als Hinweis auf unseren
Internationalismus.
Herrmann
Einige meiner Fragen haben sich durch eure
Schilderungen erübrigt. Gerne würde ich aber noch wissen, was denn nun eure
Ziele waren, auch wenn ihr das Programm der Bewegung 2. Juni nicht selbst
verfaßt habt?
Fritzsch
Wie schon gesagt, der Stand der Diskussion war
dort einigermaßen korrekt wiedergegeben.
Herrmann
In einem Knastinterview sagtet ihr beide, daß
keiner so blind gewesen war, zu glauben, daß in fünf Jahren die Revolution
vor der Tür stünde. Worauf sollte der Kampf denn nun hinauslaufen?
Fritzsch
Es ging schon darum, eine Gegenmacht aufzubauen,
den Widerstand zu stärken. Es ist doch so Wenn da welche operieren, die
notfalls zurückschlagen, dann so hatten wir es überlegt ist die andere
Seite schon vorsichtiger. Daß wir mit zwei Dutzend Leuten den Staat
besiegen können, wäre ja eine absurde Vorstellung gewesen so läuft das ja
nicht.
Wir stellten uns eine Organsierung in Form von Zellen vor. Das
war ein Schritt, zu dem es nicht mehr gekommen ist. Nach Lorenz hatten
wir die Absicht, die Gruppe zu teilen. Daß also jeweils zwei Leute mit
drei, vier neuen Leuten weitere Zellen aufbauen. Das sollte auch in
speziellen Bereichen wie in den Betrieben geschehen. Dort wollten wir
wieder verstärkt einen Schwerpunkt setzen.
Reinders
Wir hatten in einzelnen Betrieben auch früher
schon mal einen praktischen Ansatzpunkt gehabt. So etwa im August 1970 bei
Linnhoff in der Silbersteinstraße. Dort gab es nach langer Zeit wieder die
ersten Massenentlassungen. Wir wollten damals mit der RAF zusammen eine
Aktion dagegen machen. Zum einen wollten wir dort einsteigen und die Reste
an Büroeinrichtung und -material herausholen, Parolen schmieren und die
Chefsessel zerstören. Wir planten, die Büromaterialien zu verkaufen, damit
ein wenig Geld für die Arbeiter bleibt.
Gleichzeitig hatten wir vor, dem Chef von Linhoff das Auto
anzustecken und ihm eine Bombe in die Garage zu schmeißen. Das Problem war
aber, daß die RAF, die immer groß von Arbeitermacht geredet hat, vom
Marxismus-Leninismus, den sie uns in langen Diskussionen gut erklärte, zu
dieser Aktion irgendwie nicht zu bewegen war. Wir hatten vorher bereits
eingeteilt, daß die RAF die Fabrik macht, weil sie technisch besser waren
als wir und die besseren Materialien hatten, und wir die Garage und das
Auto. Das Ende vom Lied war, daß die RAF nichts gemacht hat und wir
trotzdem beschlossen, den Wagen von Linhoff zu machen. Aus drei Leuten
bestand der Trupp. Einer saß im Auto, zwei gingen zur offenen Garage,
kippten fünf Liter Benzin rein und stellten eine Rohrbombe mit kurzem
Zeitzünder in die Ecke. Beim Verlassen der Garage stellten die beiden sich
die Frag
Was ist, wenn die Bombe nicht hochgeht? Um sicherzugehen,
entzündete einer einen ZIP-Kohlenanzünder und warf ihn in Richtung Garage.
Und schon entstand Die Fratze des Terrors, wie es später in den Zeitungen
hieß. Die beiden fanden sich im Zaun wieder. Einer hatte Plastikklamotten
an. Die waren auf ein Drittel, nein, auf ein Zehntel reduziert. An seiner
verschmorten Sonnenbrille hat sich ein anderer das Gesicht total verbrannt.
Die sind dann mit dem im Auto durch die Stadt gejagt, und der hat seine
Fresse zum Kühlen in den Fahrtwind gehalten. An der erstbesten Wasserstelle
hat er seine Wunden gekühlt.
Bei dieser Aktion hatten wir nun wiedermal festgestellt, daß Benzin ein
höllisches Zeug ist. Es gab auch einmal in München einen Anschlag auf einen
Richter, wo die Bullen danach einen Toten gesucht haben. Die waren der
Meinung, daß der nicht mehr leben konnte. Die Kollegen hatten dem Richter
dort fünf Liter Benzin in den Keller gekippt und auch mit einem
Kohlenanzünder entzündet. Die Hand war noch nicht einmal wieder am Fenster,
da flog der ganze Keller schon auseinander. Aber glücklicherweise ist dem
Attentäter nichts passiert, weil er hinter einem Mauervorsprung stand. Nach
diesen Geschichten waren wir sehr vorsichtig mit Benzin und Benzin
auskippen.
Fritzsch
Zurück zur Fratze des Terrors Als sie den
einen festnahmen, war sein ganzes Gesicht noch total vernarbt und die Haare
abgesengt. Im Bayernkurier erschien ein großes Foto mit der besagten
Schlagzeile.
Reinders: Aber sie nahmen ihn nicht in diesem Zusammenhang fest. Die
Bullen wußten nicht genau, was da eigentlich passiert war. Danach plante
die RAF drei Banken auf einen Schlag zu machen. Eine vierte sollten wir
übernehmen. Sie hätten genug Waffen und Material, um das durchführen zu
können.
Wir hatten Diskussionen und Treffen, auf denen wir unsere
Bedenken äußerten. Für uns war es zu früh, denn vier Banken bedeutete, daß
es ziemlichen Ärger geben würde. Die Bullen würden mit Sicherheit einen
riesigen Fahndungsapparat auslösen. Letztlich beschlossen wir aber nach
vielen Diskussionen
Scheißegal, wir machen mit!
Wir hatten schon lange über Banken diskutiert, und der Augenblick schien
günstig, um loszuschlagen. Zudem bedeuteten vier Banken gleichzeitig auch
einen gewissen Schutz. Es ist dann doch nur zu drei Banküberfällen
gekommen, damals im September 1970. Vor der vierten arbeiteten gerade
Bauarbeiter und deswegen gab es Bedenken. Auch war geplant, in eine Bank
einfach eine Rauchbombe reinzuwerfen. Doch die, die mit der Rauchbombe
losfuhren, haben das bleiben lassen, als sie sahen, daß eine Frau mit
Kinderwagen in die Bank gegangen ist.
Zusätzlich ist einer rumgefahren und hat den Polizeifunk gestört. Und zwar
wurde der so gestört, daß die Zentrale zwar die Wagen erreichen konnte,
nicht aber die Wagen die Zentrale.
Ecke Haupt- und Rheinstraße war der erste Überfall. Es gab Alarm und die
ganzen Bullen sind dorthin gefahren. Ein zweiter Alarm wegen der Altonaer
Straße folgte. Die Bullen machten kehrt. Sie dachten, der erste sei eine
Fehlmeldung. Und dann kam der dritte Alarm aus Steglitz, Breitenbachplatz
Ecke Südwestkorso. Das ist alles unheimlich gut gegangen.
Herrmann
Haben sie Euch wegen dieser Sache jemals etwas
angehängt?
Reinders
Nee ganz im Gegenteil!
Fritzsch: Die Sachen vor 1974 haben sie alle wegen Geringfügigkeit
eingestellt.
Reinders: Das ist auch eine interessante Geschichte bezüglich der
Verfolgung der RAF und den Lügen der Bullen. Einige Zeit später sprach uns
eine Stern-Journalistin darauf an. Sie sagte, die Bullen gingen davon
aus, daß eine der Banken von uns gemacht wurde. Sie würden das wissen,
hätten aber in diesem Zusammenhang kein Interesse an uns. Sie wollten das
lieber der RAF anhängen. Wir waren damals noch legal. Im Gegensatz zur RAF.
In unserem Verfahren erklärte ich einmal im Zusammenhang mit dem Kronzeugen
Hochstein10, es ging mir darum zu zeigen, wie Kronzeugen aufgebaut werden
daß wir damals die Bank in der Altonaerstraße gemacht hätten. Das Ende
vom Lied war, daß anderntags in der Zeitung stand, ich hätte ein Geständnis
zu einem Banküberfall abgelegt. Es wurde aber kein Wort darüber verloren,
daß damals der Ruhland11 glatt gelogen hat und die Bullen ihn so präpariert
haben, damit sie die entsprechenden Leute verurteilen konnten.
Die Banküberfälle Geschlossene Kassenräume, Fluchtwege,
Schoko-Küsse für die Kunden
Herrmann
Was hatten denn nun Banküberfälle für eine
Funktion für euch?
Reinders
Wir brauchten Kohle für Waffen und Logistik. Und
es war eine gute Gelegenheit wie zuvor schon bei den kleineren Aktionen
, Leute mit der Waffe in der Hand zu beobachten. Wie verhalten die sich in
einer Situation, die schon ein bißchen stressiger ist, als nachts einen
Molli irgendwo reinzuwerfen. Wir diskutierten auch, ob wir vielleicht Leute
bei haben, die mit 'ner Knarre in der Hand Machtgefühle kriegen. Ob Leute
einfach durchdrehen oder auch zuviel Angst haben. Dieser Aspekt hat sich
nach und nach stärker für uns herausgestellt. Einerseits brauchten wir
Kohle wir hatten ja dauernd Kohleprobleme, vor allem nachdem die ersten
illegal waren. Die mußten versorgt werden. Dann mußte auch die
Verwandtschaft von denen, die einsaßen, versorgt werden. Andererseits wurde
immer wichtiger, klar zu erkennen, wie sich Leute in einer Aktion
verhalten. Ob die cool und ruhig sind, oder ob die durchdrehen.
Herrmann
Wie habt ihr den Fall diskutiert, daß einer der
Bankangestellten den Chef markiert, das Geld nicht rausrücken will oder
sich ein Kunde querstellt?
Reinders
Das war eindeutig! Zuerst kriegt er eins vor den
Schädel, und nur im allerschlimmsten Fall wird ihm ins Bein
geschossen.
Fritzsch: Wir haben das aber immer so diskutiert, daß wir für Geld auf
keinen Fall schießen.
Reinders: Die Waffen selbst waren meistens gesichert. Wir hatten sie nur
für den Fall, daß es zur Konfrontation mit den Bullen kommt. Auf keinen
Fall zur Benutzung drinnen. Nur im Notfall, wenn zum Beispiel ein Hüne
anfängt, Faxen zu machen, daß der dann was in die Beine kriegt. Wir haben
aber ziemlich schnell mitgekriegt, daß dadurch, daß wir eine Übermacht
haben, und daß unsere Funktionen klar aufgeteilt sind, die Leute eigentlich
nie angriffslustig geworden sind.
Es hat bei uns nur einmal eine Geschichte gegeben, in
Lichterfelde, wo ein Kassierer das Geld nicht rausrücken wollte und da
gab's halt einen Warnschuß in den Kasten (Kassenraum). Das hat den aber
auch nicht irritiert! Daraufhin wurde eine Sekretärin bedroht, in der
Hoffnung, daß er dann aus seinem Kasten rauskommt. Aber auch das hat er
nicht gemacht. Nun standen alle vor der verzweifelten Frag
Was tun?
Wir wollten eigentlich schon wieder abhauen, da haben wir gesehen, daß der
Kassierer die Schlüssel hinten in der Kassenbox außen stecken gelassen
hatte. Damit war die Situation gerettet. Wir wären an diesem Tag sonst
einfach wieder rausgegangen.
Herrmann
Was ist das für ein Gefühl, eine Bank zu
überfallen? Hattet ihr keinen Schiß?
Fritzsch
Nun, wir hatten damals schon vorher angefangen
zu trainieren. Der Vorteil einer Bank ist, daß das etwas unglaublich
statisches ist, du also gut planen kannst. Du kannst alle denkbaren
Möglichkeiten im Planspiel durchchecken. Was passieren könnte, was wäre
wenn ...? Es ist ziemlich viel kalkulierbar, und so haben wir alles vorher
durchgespielt. Wie verhältst du dich, wenn jetzt einer durchdreht oder ein
alter Opa auf einmal mit dem Krückstock auf dich zukommt? Es kann ja immer
passieren, daß da einer durchdreht, es gibt ja genug Verrückte.
Reinders: Beispielsweise haben wir meist jemanden ausgesucht, der sehr
kräftig war. Der hatte die Aufgabe, in der Mitte vom Raum oder an der Tür
zu stehen, die Kunden im Auge zu behalten und die wieder reinzuziehen, wenn
sie rausrennen wollten. Wir haben aber bald gemerkt, daß die Leute nicht
bockig sind, sondern starr vor Schreck. Die hatten eher so einen
Schockzustand. Du konntest die gar nicht ansprechen. Die waren einfach
nicht ansprechbar, die bewegten sich nicht. Die mußtest du einfach ruhig
stehen lassen.
Fritzsch: Es gibt auch so kleine psychologische Kniffe. Zum Beispiel: Du
stehst vor der Kassenbox und kommst ja nicht durch so'n Loch durch. Einer
muß aber von hinten in den Kasten reinkommen. Und die Kassiererin sitzt da
und starrt wie gelähmt auf die Pistole. Die bewegt sich nicht. Und da
genügt es manchmal wenn du einfach sagst: Komm raus! Und wenn sie sich
immer noch nicht rührt, spannst du den Hahn und sie ist ganz schnell
draußen.
Das sind so Kleinigkeiten, die wir vorab diskutierten
Am
wenigsten passiert, je massiver du auftrittst. Das heißt, von Anfang an
ganz klare Verhältnisse schaffen! Das klingt zwar brutal, beziehungsweise
ist es auch. Aber so passiert eben auch am wenigsten, weil dann keiner mehr
auf dumme Gedanken kommt.
Reinders
Es hat sich auch nie jemand beschwert, ganz im
Gegenteil. Die haben uns in den Prozessen immer in den höchsten Tönen
gelobt, wie freundlich und nett wir gewesen wären. Es hat ja auch keine
größeren Zwischenfälle gegeben.
Herrmann
Nach welchen Kriterien habt ihr eine Bank,
beispielsweise die am Grünen Weg, ausgesucht?
Reinders
Es war damals so, daß wir fünf, sechs Leute
hatten, die praktisch jede Bank in Berlin kannten. Bei mir war das damals
ganz irre Ich hab mich nur noch an Banken orientiert und nicht mehr nach
den Straßen. Wir haben wirklich fast alle gekannt, die Sparkassen, Berliner
Banken, Banken für Handel und Industrie. Die Commerzbanken haben wir nicht
gemacht, weil die damals schon geschlossene Kassenboxen
hatten.
Fritzsch: Ansonsten sind wir halt danach gegangen, wo das meiste Geld
lag.
Reinders: Als ich angefangen hab, gab's noch sieben, acht Banken in
Berlin ohne Kasten, da war nur ein Gitter vor. Nach dem Dreierschlag gab's
in Berlin bald keine Bank mehr ohne Kasten. Aber die Sparkasse, die
Berliner Bank und zum Teil die BHI hatten unten eine Durchreiche, so daß du
den Kassierer auch bedrohen konntest. Die Commerzbank und andere hatten
geschlossene Kästen, du bist also an den Kassierer gar nicht mehr
herangekommen. Doch da passierte etwas für uns günstiges in Berlin:
Irgendein Knacki hat 'ne Bank überfallen, wo der Kassierer sich weigerte
herauszukommen. Daraufhin hat er dessen Chef herangeholt und ihm in die
Kniescheibe geschossen. Danach sind alle immer schön aus den Kästen
rausgekommem, keiner hat mehr Faxen gemacht.
Überhaupt gab es öfter Sachen, die die Knackis für uns ein
bißchen vorbereitet haben. Einmal hatten wir sogar die Dienstanweisung
einer Bank in den Händen, in der drinstand, daß alle Anweisungen bei
Banküberfällen zu befolgen seien. Es ist wohl für die Bank teurer, einem
angeschossenen Kunden lebenslänglich Rente zu bezahlen, als einmalig Geld
zu verlieren, was sie durch die Versicherung sowieso wieder
zurückkriegt.
Fritzsch
Das erste Kriterium waren die Fluchtwege. Wie
kommst du aus der betreffenden Ecke wieder weg? Du kannst in der
Wilmersdorfer Straße keinen Bankraub machen. Heute sowieso nicht mehr du
kommst vielleicht noch raus und stehst dann im Stau.
Reinders: Wir haben die Lage der Banken auch daraufhin untersucht, daß
wir bei der Flucht an eine Stelle kommen, an der ein Verfolger, also
irgendeiner, der uns mit dem Auto hinterherfährt, nicht weiter kommt. Das
war auch wichtig, um nicht schießen zu müssen. Also eine Stelle, wo wir zu
Fuß rüber sind und wo wir einen zweiten Fluchtwagen hatten und der
Verfolger dumm dasteht, weil er halt nicht über den Bürgersteig fahren kann
oder der Durchgang zu eng ist. Das machten wir immer aus
Sicherheitsgründen, denn keiner wollte auf der Straße auf einen schießen,
der hinterherfährt.
Es ist auch nur einmal passiert, daß uns jemand verfolgte. Dem
haben wir die Knarre gezeigt, und dann ist er rechts rangefahren. Ein
anderes Mal gab's in einer Bank einen Alarm, den wir selbst ausgelöst
hatten. Das war eine total schlampige Bank. Der Kassierer hatte das Geld an
tausend Ecken rumliegen gehabt und überall zusammengesammelt. Und beim
Öffnen der Schubladen hat irgendjemand die Alarmanlage nicht gesehen und
ist draufgelatscht. Es klingelte draußen, und als wir ins Auto stiegen, kam
von der anderen Straßenseite ein Straßenkehrer daher. Dem haben wir auch
die Knarre gezeigt, doch der hat sich hinten aufs Auto draufgeschmissen und
ist dann auf die Straße geflogen.
Den Bullen hat er 'ne Heldengeschichte erzählt. Er hätte versucht, sich
aufs Auto zu schmeißen, wir hätten ihn aber einfach umgefahren und hätten
dann noch auf ihn geschossen. Aber selbst die Bullen haben dann gesagt, daß
sie ganz stark daran zweifelten, daß da überhaupt geschossen wurde.
Herrmann
Wie kamt ihr denn nun auf die berühmte
Negerkuß-Idee?
Reinders
Die Bank Grüner Weg war für uns günstig. Wir
hatten sie zwei Jahre vorher schon einmal gemacht, und da war viel Geld
drin. 230 000 DM waren es. Deswegen hatten wir die im Auge, und es hatte
sich auch nichts verändert. Und diese Negerkuß-Idee kam durch die
Geschichte in Stockholm12.
Nach Lorenz war eigentlich eine positive Stimmung für uns da
gewesen. Aber nach Stockholm ist alles ein wenig ins Kippen gekommen. Durch
diese Propaganda, daß wir auch gegen einfache Leute vorgehen würden, wurde
eine Stimmung erzeugt, in der sich die Leute bedroht fühlten. Es hieß doch
immer
Blumenfrau Heike wird jetzt als nächste entführt, und das ist das
gleiche wie bei Lorenz. Und so haben wir überlegt, dieser Propaganda etwas
entgegenzusetzen. Wir wollten damit auch demonstrieren, daß wir noch da
sind, und daß die Kunden von uns eigentlich nichts zu befürchten haben. Die
Leute haben die Negerküsse nicht gegessen. Das war vielleicht auch ganz
gut, denn das waren ganz miese Dinger. Das war ein Blitzeinkauf bei
Woolworth. Die waren total alt.
Wir brauchten damals ziemlich dringend Geld, weil wir einige Verluste
hatten. Ronnie war schon festgenommen, und ein Teil der Infrastruktur war
weg. Es sollten eigentlich auch zwei Banken an einem Tag gemacht werden,
aber aus technischen Gründen hat das nicht geklappt. Erst ist einer
ausgefallen und dann gab's Probleme mit einem Auto. Wir mußten noch einen
Wagen besorgen und haben deshalb die Bank in Schmargendorf erst am nächsten
Tag gemacht.
Herrmann
Wie haben die Leute denn auf die Negerküsse
reagiert?
Reinders
Einmal wurden sie von einer Frau verteilt
(Grüner Weg). Da kam hinzu, daß ein Kind beruhigt werden mußte, eine
Zwölfjährige, die fürchterlich geheult hatte. Auf die haben wir ein bißchen
eingeredet, bis sie ruhig war. In Schmargendorf haben sie die zwar auch
genommen. Aber die Leute blieben trotzdem starr vor Schreck, das ist ja das
Problem, die sind ja erstmal total verschreckt.
Wir sind von RAF-Seite für diese Sachen ziemlich heftig
kritisiert worden. Ab diesem Tag waren wir die populistische Fraktion. Es
würde uns nur noch auf Populismus ankommen, wir würden die Sache nicht mehr
ernst nehmen.
Herrmann
Und wie seid ihr darauf gekommen, ein Flugblatt
mit eurem Konjunkturprogramm zu verteilen?
Reinders
Ja, wir dachten, es reicht nicht, einfach
Negerküsse zu verteilen. Wir wollten nach den ganzen Festnahmen auch
zeigen, daß wir noch da sind. Die Stimmung in der Linken war schwankend,
ein hin und her, hoch und tief. Und nach den Festnahmen dachten viele, es
lohnt sich alles sowieso nicht, es werden ja doch alle festgenommen. Darum
mußten wir zeigen, daß wir noch da sind. Es war auch schon eher ironisch
gemeint.
Herrmann
Was hat in eurem Flugblatt der Satz, hoffentlich
gehts gut, zu bedeuten?
Reinders
Na, genau das eben. Man darf eines nicht
vergessen Selbst die Bankangestellten haben eine höllische Angst, daß die
Bullen zu früh kommen. Die Kunden wissen nicht genau Bescheid, aber die
Bankangestellten wissen, daß die größte Gefahr von den Bullen ausgeht. Wenn
die kommen, sind sie nämlich eingeschlossen!
Herrmann
Woher weißt du das? Hast du mit denen
geredet?
Reinders
Nein, aber das weißt du, das merkst du. Die
wollen dich wieder raus haben. Die machen eigentlich alles, damit du Geld
kriegst und wieder abhaust.
Fritzsch: Es gibt doch auch Bullen, die Schiß haben zu früh zu kommen.
In einem Fall ist das ganz deutlich geworden. Es hat ja immer einer von uns
zu Hause gesessen und den Bullenfunk zum späteren Auswerten aufgenommen.
Einmal ist ein Bulle an einer gerade überfallenen Bank vorbeigefahren und
hat Alarm gekriegt. Der sagte dann einfach immer: Ich bitte um Einweisung!
Ja wo ist das denn? Ich bitte um Einweisung.
Reinders: Der stand direkt neben der Bank, der brauchte bloß um die Ecke
fahren. Der hatte aber keine Lust dazu. Als wir später auf der Flucht in
den zweiten Wagen umstiegen, sind sie alle mit Blaulicht zur Bank gefahren,
und der wollte immer noch eingewiesen werden. Manche hatten echt keine
Lust!
Fritzsch: Die waren aber auch schlau!
Reinders: Ausschlaggebend war die Geschichte in München, wo der
Rammelmeier beim Banküberfall eine Bankangestellte als Geisel genommen hat,
die dann erschossen wurde. Wie es hieß, habe er sie erschossen, aber es
waren die Bullen. Danach war in den Banken die Stimmung absolut so:
Hoffentlich kommen die Bullen nicht! Das meinte ich vorhin, als ich sagte,
daß die Kriminellen uns auch ein wenig den Weg bereitet haben, weil die
Sachen gemacht haben, die wir nie gemacht hätten. Insofern hatten die Leute
mehr Angst. Und dann stehen auf einmal fünfe drinnen! Da blicken die nicht
mehr durch. Sonst werden sie ja in der Regel von einem überfallen,
höchstens von zweien. Und bei fünfen springt plötzlich einer hinten in den
Kassenraum, der andere steht hinten am Fenster, sichert das Fenster
...
Legale und illegale Linke Soziale Verankerung, Meinungsaustausch,
Finanzierung
Herrmann
Was auf der begrifflichen Ebene auffällig ist Ihr
grenzt euch gegenüber Kriminellen ab, in der Presse werdet ihr als
Terroristen bezeichnet. Als was habt ihr euch denn begriffen?
Fritzsch
Terroristen? Den Begriff würd' ich mir
verbitten. Terroristen, die sind auf der anderen Seite. Terror ist
undifferenzierte Gewalt, und undifferenziert haben wir Gewalt nie
eingesetzt.
Reinders: Und wir haben ja keine kriminellen Sachen für uns gemacht. Das
ist der Unterschied zu den Kriminellen. Die machen halt 'ne Bank, weil sie
schön leben wollen und wir brauchten halt Knete, um politisch weiter
arbeiten zu können. Was bezüglich der Banküberfälle heute oft untergeht,
ist, daß wir damit viele legale Projekte finanziert haben. Zum Beispiel ist
die Chile-Kampagne nach dem Pinochet-Putsch fast ausschließlich von uns
finanziert worden. Wir waren die einzigen, die schnell Geld zur Verfügung
hatten und haben die Zeitungen und all diese Betriebsgruppen und
Flugblätter finanziert. Also nicht alle, aber die größeren Projekte. Davon
gibt's genug Beispiele. Die Leute, die das Geld entgegennahmen und die
Zeitungen machten, waren dann später oftmals unsere erbittertsten Feinde,
die die bösesten Sachen über uns erzählt haben.
Herrmann
Wie lief der Austausch mit der legalen Linken?
Hattet ihr angesichts des logistischen Apparates, der einen full-time-job
erforderte, überhaupt noch Zeit politisch zu diskutieren?
Reinders
Wir hatten ja nicht nur Illegale, sondern auch
Legale und wir haben untereinander diskutiert.
Fritzsch: Bei uns war das etwas anders als bei der RAF. Die hatten den
Anspruch, du mußt die Brücken hinter dir abbrechen, dir selbst praktisch
den Rückweg versperren und mit falscher Pappe in die Illegalität gehen. Bei
uns war es so: Solange dich die Bullen nicht auf der Rolle hatten, war es
klar, daß du legal bleibst. Auch deshalb, weil es weniger Aufwand macht.
Für jeden Illegalen brauchst du Leute, die eine Pappe zur Verfügung
stellen, brauchst eine Wohnung, ein enormer zusätzlicher Aufwand. Das
hätten wir allein als Illegale gar nicht alles leisten können.
Reinders: Und es war auch wichtig, um die Kontakte zu legalen Gruppen
halten zu können.
Fritzsch: Ich war ja bis kurz vor meiner Verhaftung noch legal. Und wir
waren alle noch in anderen Gruppen mit drin.
Reinders: Manchmal sind die Illegalen auch mit Leuten, die sie kannten,
diskutieren gegangen und manchmal haben sie auch als Gäste an irgendwelchen
Gruppentreffen teilgenommen. Aber auch wenn wir nicht immer groß mitreden
konnten, bekamen wir schon immer ein wenig von der Stimmung mit. Wir haben
das eigentlich zu wenig gemacht, wie wir später im Knast feststellten. Wir
hätten es öfters machen sollen.
Fritzsch: Ich meine, wir haben schon eine ganze Menge mitdiskutiert.
Zumindest unter den Leuten, die auch etwas gemacht haben. Ich erinnere zum
Beispiel an die Flugblattaktion nach der Lorenzentführung. Geplant war, 50
000 Flugblätter zu verteilen, 30 000 sind dann verteilt worden. Wir hatten
kalkuliert: In einer halben Stunde kann man soundsoviele Briefkästen
bestücken etwa 200 bis 250 pro Person. Danach muß man einfach damit
rechnen, daß das erste gefunden wurde und jemand sofort die Bullen gerufen
hat. Die ganze Aktion mußte also in einer halben Stunde über die Bühne
gehen. Und so war's dann auch. An jenem Abend wurden zwischen 19.30 und
20.00 Uhr 30 000 Flugblätter in ganz Berlin verteilt. Du kannst dir selbst
ausrechnen, wieviele Leute daran beteiligt waren. Und das hat die Bullen am
meisten geschockt!
Reinders: Das hat sie irgendwie beeindruckt. Auch deshalb, weil sie
selbst in dieser Zeit die dickste Präsenz auf den Straßen hatten. Sie
standen ja an jeder Ecke.
Mit der Waffe in der Hand Revolutionäre Gewalt, Macht und
Befreiung
Herrmann
Nochmals eine Frage zu den Gruppenstrukturen. Die
Knarre in der Hand setzt ja die Bereitschaft voraus, unter Umständen auch
einmal abzudrücken. Besteht nicht die Gefahr, daß derartige
Gewaltbereitschaft sich irgendwann in der Gruppe oder auch in den privaten
Beziehungen niederschlägt? Wie habt ihr das erlebt?
Reinders
Wir haben darüber ziemlich oft diskutiert. Es
war ja so, daß wir ein paar Leute dabei hatten, die damit Erfahrungen aus
der Anfangszeit hatten. Ein konkreter Fall eine Geschichte bei der RAF
Gerd Müller, der später den Kronzeugen machte, hat in Hamburg einen Bullen
erschossen. Daraufhin gab's 'ne Diskussion in Hamburg zwischen Teilen der
RAF und Rolf Pohle, Ina und mir. Wir sind entsetzt gewesen, weil der so
etwas wie eine Freude, eine Begeisterung darüber hatte. Nun gut, es gibt
eine Schießerei, der Bulle ist tot, und wir heulen auch nicht, denn der
Kollege hat genauso geschossen, und er hätte auch einen von uns treffen
können. Aber es gibt keinen Grund, sich darüber zu freuen, gar stolz darauf
zu sein. Diese Diskussion hat sich so verschärft, daß wir gegangen
sind.
Wir hatten von Anfang an Diskussionen über den Einsatz von
Waffen.
Fritzsch
Du hast schon gemerkt, wie sich teilweise
Charakterzüge verändern. Wenn manche Leute eine Waffe in die Hand gekriegt
haben, sind sie doch etwas anders aufgetreten. Da hat die Waffe etwas
bedeutet.
Herrmann
Ein Machtgefühl?
Fritzsch
Ich denke schon. Wir hatten da zwei Leute, deren
Verhalten schon zu heftigen Diskussionen geführt hat. Einer der beiden ist
ja mit mir zusammen verhaftet worden. Daß der überhaupt verhaftet wurde,
war Zufall, weil gegen ihn nichts vorlag. Der sollte wieder legalisiert
werden. Der war praktisch schon draußen. Wenn die Bullen einen Tag später
dagestanden hätten, wär' der nicht mehr aufgeflogen.
Hein
Gab's das, daß ihr bei bestimmten Leuten gesagt habt,
das ist nicht so gut, wenn der mit 'ner Knarre rumläuft?
Fritzsch
... na, gerade bei dem einen war das ein
entscheidender Punkt. Letztendlich hatte das nach langen Diskussionen dazu
geführt, daß er wieder legalisiert werden sollte. Er sagte schließlich, er
wolle dann Betriebsarbeit machen.
Reinders: Der Waffengebrauch war immer in der Diskussion. Und es war
klar, daß keiner aus der Gruppe rausgeflogen wäre, der gesagt hätte, er
schießt bei einer Auseinandersetzung nicht. Was natürlich schon komisch
ist, wenn du mit einem losgehst und dich nicht auf ihn verlassen kannst,
denn dann kann's erst recht gefährlich werden.
Fritzsch: Es gab ständig Auseinandersetzungen, weniger über Waffen
allgemein, aber speziell über den Einsatz von Schußwaffen. Wie verhältst du
dich in bestimmten Situationen, zum Beispiel auf der Straße, wenn auf
einmal Bullen auftreten? Eine eventuelle Gefährdung von Unbeteiligten
sollte immer vermieden werden. Wenn einer dabei gewesen wäre, der den
Standpunkt vertreten hätte, das ist mir alles scheißegal, Hauptsache, ich
komme weg, der hätte keine Schnitte gemacht.
Nicht umsonst einmal abgesehen von Georg13, aber das war eine
andere Situation hat es ja nie Schießereien gegeben. Es ist ja von
vornherein eine Überlegung, wie du an die Sachen herangehst. Gehst du da so
ran
Wenn der Bulle mir entgegenkommt, hat er Pech gehabt; oder überlegst
du dir Was könnte passieren und wie kannst du so eine Situation
umgehen?
Reinders
Die Diskussion drehte sich nicht nur um
Unbeteiligte, sondern auch um den kleinen Bullen. Wie können wir einer
Konfrontation mit denen aus dem Weg gehen? Die wollen ja auch abends nach
Hause gehen. Die Stimmung muß so sein, daß diejenigen Bullen, die an einer
Bank vorbeifahren, immer mehr werden, weil sie wissen, wenn sie
vorbeifahren passiert gar nichts. Aber in dem Augenblick, wo einer denkt,
jetzt wird mein Kollege erschossen, wird der wild. Und fühlen sie sich
erstmal selbst bedroht, sind sie viel stärker motiviert, nach Leuten zu
suchen.
Herrmann
Die Konsequenz ist doch aber manchmal
unvermeidlich entweder auf den Bullen anzulegen oder selbst
...?
Reinders
In Notfällen jederzeit! Aber nicht wenn du in
eine Polizeikontrolle fährst, weil dein Auto keine Beleuchtung hat. Da
denkst du nicht Hat der Bulle Pech gehabt. Wir haben gesagt, wir haben gute
Papiere und können die vorzeigen.
Herrmann
Ist euch der Verfassungsschützer Grünhagen mal
begegnet?
Fritzsch
Bei uns beiden ist er seltsamerweise nicht
aufgetaucht, ansonsten hat er ja alle Leute, die verhaftet wurden, im Knast
besucht. Nur bei drei Leuten ist er nie gewesen bei Fritze und bei uns
beiden.
Reinders: Das erste Mal aufgetaucht ist Grünhagen nach dem Dreier-Schlag
1970. Da hatten die Bullen bei einer Hausdurchsuchung Ina Siepmann
mitgenommen. Nach dem Verhör quatschte er mit Ina und gab zu erkennen, daß
er kein Bulle ist. Wir tippten darauf, daß er Psychologe ist. Das war
gerade die Zeit, wo sie mit den Polizeipsychologen anfingen. Er tauchte
dann erst später wieder bei Schmükker14 auf.
Hermann
Haben sie euch nachdem ihr beide 1975 eingefahren
seid überhaupt Andeutungen zur Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz
gemacht? Haben sie euch irgendetwas angeboten?
Reinders
Ein halbes Jahr habe ich überhaupt keinen Bullen
gesehen. Danach sind sie fünf-, sechsmal hintereinander angekommen. Das war
kurz vor der Festnahme von Andreas Vogel im Februar 1976.
Herrmann
Und wie sieht es bezüglich des Kollegen
Möllenbrock15 aus? Der tauchte doch immer im Zusammenhang mit Grünhagen
auf?
Reinders
Ich habe von Möllenbrock nicht viel
gesehen.
Fritzsch: Bei mir sind die Bullen anfangs gekommen und wollten mich zum
Sprechen bringen. Nach einigen Wochen haben sie das gelassen. Sie sind dann
aber nochmal gekommen, als Ralf und die anderen verhaftet wurden. Das war
noch gar nicht durch die Medien bekannt, da kamen sie schon freudestrahlend
an, der Przytarski16, Möllenbrock und zwei Bullen. Kennste die?, fragten
sie mich und legten mir die Fotos der gerade Verhafteten auf den Tisch.
Das ist deine letzte Chance, einer von denen singt schon, sagten sie, und
da mußte ich loslachen.
Möllenbrock, mein ganz spezieller Freund, kam eine Woche später
nochmal und fing damit an dazu muß man wissen, daß mein Vater zu dieser
Zeit schon ziemlich alt war und fing also damit an
Dein Vater ist
schwerkrank, der liegt im Sterben. Wenn du ihn noch einmal sehen willst,
mußt du jetzt reden. Du brauchst nur eine Kleinigkeit zu sagen, aber du
mußt etwas sagen, sonst siehst du ihn nie wieder.
Da wäre ich ihm beinahe an die Kehle gegangen. Das hat überhaupt nicht
gestimmt, nix davon. Allein diese miese Tour ... Das war schon
schweinisch.
Dabei fällt mir ein: Möllenbruck war vorher schonmal gekommen und hatte mir
angeboten, wenn ich schon nicht öffentlich als Kronzeuge auftreten wolle,
so könne er dennoch den Kontakt zu einer Behörde herstellen, die nicht der
Strafverfolgung verpflichtet sei ...
Fußnoten
1 Kinderorganisation der SED
2 Das Musical Hair thematisierte und kommerzialisierte die
Lebensvorstellungen der Hippies
3 Peter Urbach Verfassungschutz-Spitzel, der sich auch als agent
provocateur betätigte
* ACHTUNG: FASCHIST!!! Horst Mahler, frueher renommierter Rechtsanwalt, später ein Sprecher und
Anwalt der APO. Mitbegründer der RAF, wurde 1972 zu 15 Jahren Haft
verurteilt und nach 10 Jahren entlassen. Mit Hilfe des späteren Kanzlers Schröder wieder als Anwalt
tätig. Mittlerweile für die NPD - faschistische Partei in Deutschland.
5 Dieter Kunzelmann, Rebell der 1. Stunde. Von der Subversiven Aktion
über u. a. die K1 und die KPD/AO fast überall dabei. Zuletzt für die
Alternativen Liste in Berlin als Abgeordneter im Landesparlament.
6 Klaus Schütz, SPD, von 1967 bis 1979 Regierender Bürgermeister von
West-Berlin.
7 Vorsitzender Richter des 1. Strafsenats beim Berliner
Kammergericht
8 Yippies, Youth International Party, siehe die Chronologie im Anhang
unter 1. Mai 1971
9 FIZZ und agit 883, Untergrundzeitschriften der revolutionären
Linken
10 Rainer Hochstein, Hamburger Anarchist, der sich der Bewegung 2.Juni
andiente, aber nicht genommen wurde. Aus Ärger darüber bewarb er sich
später als Kronzeuge bei der Bundesanwaltschaft.
11 Karl-Heinz Ruhland machte den ersten Kronzeuge gegen die RAF
12 siehe in der Chronologie unter 24. April 1975.
13 Georg von Rauch hatte eine Schießerei mit einem Bullen am
Studenten-Wohnheim Sigmundshof. Bei einem weiteren Schußwechsel wird Georg
von Rauch erschossen siehe Chronologie unter 4. Dezember 1971.
14 Ulrich Schmücker, siehe Chronologie unter 4. Juni 1974
15 Möllenbrock, Staatsanwalt in der politischen Abteilung in Berlin;
beteiligt an den Ermittlungen gegen die Bewegung 2. Juni. Arbeitete illegal
dem Verfassungsschutz zu. Später Staatssekretär beim Senator für Inneres
und damit zuständig für den Berliner Verfassungsschutz.
16 Przytarski, Staatsanwalt in der politischen Abteilung in Berlin,
beteiligt an den Ermittlungen gegen die Bewegung 2. Juni. Später
stellvertretender Leiter des Berliner Verfassungsschutzes.
Zu den Interviewern: Klaus Herrmann bearbeitete im Rahmen der
Ausstellung in Berlin/Neukölln das Kapitel über die Aktionen der Bewegung
2.Juni in Neukölln. Peter Hein arbeitet seit Jahren an einem Archiv linker
Veröffentlichungen und hat die Bibliographie Stadtguerilla Bewaffneter
Kampf in der BRD und West-Berlin in der Edtion ID-Archiv
herausgegeben.
aus:
die bewegung 2.juni
gespraeche ueber haschrebellen, lorentz-entfuehrung und knast
edition id-archiv
Als PDF
Inhalt
von den haschrebellen zur bewegung 2.juni
die lorenzentfuehrung teil 1
die lorenzentfuehrung teil 2
ralf reinders, ronald fritzsch
die unbeugsamen von der spree
fritz teufel, gerald kloepper, ralf reinders, ronald fritzsch
die jahre im knast
ralf reinders
chronologische eckdaten
von vietnam bis berlin-moabit