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Die heimliche Agenda

Vom Kosovo-Krieg zur Mazedonien-Krise:
Was bedeutet Joseph Fischers Diktum von der »offenen albanischen Frage«?

von Matthias Küntzel (*)

In Mazedonien steht die Nato vor dem Offenbarungseid. Die Geister, die man einst rief, haben sich selbstständig gemacht. Die Verlegenheit ist groß: Einerseits will man sich nicht erneut hinter die UCK-Nationalisten stellen, weil weit und breit kein »Milosevic« in Sicht ist, dem man die Verantwortung für die Eskalation der Gewalt in die Schuhe schieben könnte. Andererseits will man die großalbanische Untergrundarmee auch nicht wirklich bekämpfen - sei es, um die eigenen Soldaten im Kosovo nicht zu gefährden, sei es, um nicht offenkundig werden zu lassen, welch desaströses Abenteuer der Krieg gegen Jugoslawien von Anfang an gewesen ist, sei es, weil man mit einigen Zielen der UCK klammheimlich sympathisiert. Die Folge ist eine Politik des Sowohl-als-auch: öffentliche Distanzierung von der völkischen Guerilla, ohne deren Bewegungsfreiheit im Kosovo wirklich einzuschränken; demonstrative Solidarisierung mit der Regierung in Mazedonien, ohne ihr eine Bewegungsfreiheit im Kampf gegen die UCK-Kommandos wirklich zuzugestehen.

Die Mazedonien-Krise bringt die Nato jedoch nicht nur in Verlegenheit. Als Katalysator treibt sie zugleich die seit dem Kosovo-Krieg bestehenden Widersprüche voran. Die wichtigste Frage ist der ungeklärte Status des formal noch zu Serbien und Jugoslawien gehörigen Kosovo. Hier kündigt sich eine neue Auseinandersetzung an zwischen den Protagonisten des territorialen Status quo und den Anhängern einer Verschiebung der Grenzen durch Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien.

Im Gegensatz zu den anderen Nato-Mächten hat Deutschland von Anfang an auf die Unabhängigkeit des Kosovo gesetzt. Diese Orientierung bestimmt heute die Mazedonien-Politik der Bundesregierung. Schon warnt mit Blick auf Berlin der mazedonische Außenminister Srgjan Kerim davor, »dass europäische Staaten die Rolle eines Mentors der Albaner oder der Mazedonier übernähmen«. (1) Schon wird gegen Frankreich, Großbritannien und die USA erneut das Feindbild vom »Status-quo-fixierten Westen« (Karl Lamers) mobilisiert. Schon prescht Joseph Fischer als Vizekanzler der größten EU-Macht im Alleingang vor und beschert den albanischen Nationalisten mit seinem Diktum: »Die albanische Frage ist offen« ihren bisher vielleicht größten Triumph. (2)


Deutsche Interessen

Mazedonien-Krise und Kosovo-Konflikt sind untrennbar verquickt. Nur im Kontext der vergangenen Auseinandersetzungen um das Kosovo werden die aktuellen Widersprüche innerhalb der Nato und die deutsche Politik in Bezug auf Mazedonien transparent. Werfen wir zunächst also einen Blick zurück.

1991 wurden Kroatien und Slowenien im deutschen Alleingang anerkannt. Im selben Jahr rückte erstmals auch das Kosovo ins Visier der Bonner Politik. Die besondere deutsche Erwartung an diesen Flecken Erde wurde von Georg Brunner, dem Direktor des Instituts für Ostrecht an der Universität Köln, formuliert. Die im Kosovo, in Mazedonien und Montenegro verstreuten Albaner, schrieb Brunner 1991, »werden wohl als erste die völkerrechtlich (...) umstrittene Frage aufwerfen, ob nationalen Minderheiten wie Völkern das Selbstbestimmungsrecht zusteht und ob dieses Selbstbestimmungsrecht auch das Sezessionsrecht beinhaltet. Das heißt praktisch, ob die albanische Minderheit in Kosovo den Anschluß nach Albanien verlangen kann.« (3)

Dieser Linie folgend, unterzeichnete 1995 die Bundesregierung in Tirana eine deutsch-albanische Grundsatzerklärung, die »zur Lösung der Kosovo-Frage«, wie es dort heißt, ein Selbstbestimmungsrecht für die Kosovo-Albaner und damit de facto deren Recht auf Sezession ausdrücklich propagiert. (4) Vier Jahre nach der Anerkennung eines völkisch definierten Selbstbestimmungsrechts für Kroatien und Slowenien war diese Erklärung die Ankündigung, Jugoslawien noch weiter zu zerstückeln. Warum folgte die Bundesrepublik 1995 dennoch nicht dem Kurs von 1991 und erkannte auch die »Republik Kosova« an? »Das will ich Ihnen sagen«, antwortete der damalige Außenminister Klaus Kinkel. »Sollen wir Deutschen wirklich allein so vorpreschen? Das wäre eine schlechte deutsche Außenpolitik.« (5)

Also wählte man eine andere Taktik. 1996 trat die UCK erstmals öffentlich in Aktion. Von den deutschen Geheimdiensten wurde ihr Aufbau von Anfang an unterstützt. Der BND und der MAD »haben sich beim Training und bei der Ausrüstung der Rebellen engagiert, um deutschen Einfluss in der Balkanregion zu zementieren«, berichtete etwa die Zeitschrift The European. (6) 1997 wurde die latente Krise im Kosovo akut. Nachdem in Albanien das Bankensystem zusammengebrochen war, entlud sich die Wut der Bevölkerung im so genannten Pyramidenaufstand, in dessen Folge sämtliche Waffenlager der albanischen Armee geplündert wurden. Johann Georg Reißmüller, ein Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ahnte in jenen Tagen, »dass sich in Albanien Abenteurer jetzt Waffen beschaffen, die sie ins Kosovo bringen möchten« (7), was in der Tat auch geschah. Nun erhielt die diskrete deutsche Rückendeckung plötzlich neues Gewicht: »Die amerikanische Regierung sieht es ungern, dass sich die deutsche auf dem Kosovo politisch engagiert«, schrieb damals Reißmüller in der FAZ. (8) Die hier bereits angedeutete Differenz zwischen Washington und Bonn gewann in der Folgezeit an Virulenz.

Im März 1998 rückte nach einer blutigen und außer Kontrolle geratenen Vergeltungsaktion serbischer Sondereinheiten - nach jugoslawischen Angaben wurden 67 Kosovo-Albaner getötet - die Kosovo-Krise in die Schlagzeilen der Weltpresse. Die meisten Nato-Staaten verfolgten im Sommer 1998 eine ähnliche Strategie wie derzeit in Mazedonien: Ungeachtet der antiserbischen Rhetorik ihrer Außenministerin setzten die USA auf einen Dialog zwischen gemäßigten kosovo-albanischen Nationalisten und der serbischen Führung. US-Sonderemissär Robert S. Gelbard bezeichnete die UCK im Februar 1998 als »terroristische Gruppe«. Selbst der im Juni 1998 begonnene Versuch, die UCK durch eine jugoslawische Großoffensive zu zerschlagen, wurde von Washington gebilligt und diskret unterstützt: »Jede Nation hat das Recht, ihre Bundesstraßen zu kontrollieren«, erklärte lakonisch ein Regierungsbeamter der USA. (9)

Der Ansatz des politischen Dialogs blieb jedoch so lange zum Scheitern verurteilt, wie die Waffen- und Rekrutenlieferungen an die UCK via Albanien anhielten und der Guerillakampf weiter eskalierte. Schon damals stand - wie heute in Mazedonien - die Frage der Unterbindung der Waffenlieferungen an die UCK an der Spitze der Tagesordnung. Der stellvertretende US-Außenminister unter Clinton, Strobe Talbott, forderte wirksamere Grenzkontrollen in Albanien. Der UN-Sicherheitsrat beschloss ein umfassendes Waffenembargo, das insbesondere auf den Waffenschmuggel zugunsten der UCK zielte. Der damalige albanische Ministerpräsident und UCK-Gegner Fatos Nano bat die Nato »um Unterstützung bei der Unterbindung des Waffenschmuggels sowie bei der Bewachung der Sprengstofflager im Nordosten des Landes«. (10) Und im Mai 1998 zogen schließlich auch die Außenminister der 16 Nato-Staaten die Stationierung von Truppen im albanisch-jugoslawischen Grenzgebiet ernsthaft in Betracht: »Nach Schätzungen von Nato-Militärs wäre für die Sicherung der Grenze Albaniens zum Kosovo der Einsatz von 7 000 bis 20 000 Soldaten erforderlich.« (11)

Angesichts dieser Entwicklung schlug die UCK Alarm und warnte die Nato, Truppen an der albanisch-serbischen Grenze zu stationieren, »weil wir dies als eine zweite Offensive gegen unsere Freiheit (...) betrachten würden«. (12) Während sich die Nato nicht beeindrucken ließ, trat nun aber der stärkste Verbündete der UCK aus seiner Deckung hervor: Gegen die militärische Unterbindung des Waffenschmuggels legte Deutschland sein Veto ein. »Natürlich muss man sich überlegen, ob man von der moralisch-ethischen Seite her die Kosovo-Albaner vom Kauf von Waffen zur Selbstverteidigung abhalten darf«, erläuterte der damalige Außenminister Klaus Kinkel die deutsche Position. (13) Unverblümt ergriff Verteidigungsminister Volker Rühe Partei: »Das Problem Kosovo kann nicht gelöst werden, indem ich Truppen nach Albanien schicke, dort die Grenze zum Kosovo dichtmache und so das Geschäft des Herrn Milosevic betreibe.« (14)

Die deutsche Parteinahme für die UCK war im Juni 1998 von derselben provokativen Qualität wie die Parteinahme für den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman im Dezember 1991. In beiden Fällen war die Bundesregierung ungeachtet der Position der anderen Nato- und EU-Mitgliedsländer im Alleingang vorgeprescht. In beiden Fällen galt die Schützenhilfe einer politischen Bewegung, deren Vorläuferin mit der Politik des Nationalsozialismus verbündet war. (15)

Während es im Sommer 1998 den USA noch um die richtige Methode ging,die UCK zu zerschlagen, stand Deutschland als einflussreiche Schutzmacht der UCK auf der anderen Seite der Front. Damit stießen innerhalb der Nato zwei sich widersprechende Zielvorstellungen aufeinander: Sollte die Nato ein Instrument gegen oder ein Hilfsmittel für die UCK sein? Sollte sie es sich zur Aufgabe machen, die territoriale Ordnung auf dem Balkan aufrechtzuerhalten? Oder sollte sie sich mit denen solidarisieren, die Serbien zu verkleinern und die Grenzen dieser Region zu verändern suchten? Zwischen dem 28. Mai und dem 11. Juni 1998 traf die Nato jene richtungsweisende Entscheidung, die die gegenwärtigen Eskalationen im Kosovo, in Mazedonien und im südlichen Serbien notwendig nach sich zog. Der deutsche Verteidigungsminister hatte in diesen Tagen, so die spätere Laudatio der FAZ, »Deutschlands Bündnisfähigkeit und, dagegen ist nichts einzuwenden, seinen Führungswillen bewiesen«. (16)

Mit einer bloßen Schützenhilfe für die nationalistische Rebellenarmee war es nicht getan. Von Anfang an beabsichtigte die provokatorische Strategie der UCK und ihrer deutschen Helfer, die Nato in den Krieg gegen Milosevic hineinzuziehen. »Kinkel droht mit Eingreifen der Nato im Kosovo«, lautete am 5. Juni die Schlagzeile der FAZ. »Die Vereinigten Staaten lehnen im Gegensatz zu Deutschland eine schnelle Entscheidung über ein militärisches Eingreifen ab«, hieß es dort einen Tag später.

Nicht Washington, sondern Bonn warf damals erstmals und folgerichtig die Frage eines Kosovo-Kriegs auch ohne UN-Sicherheitsmandat auf. Am stärksten drängelte die Opposition. »Letzthin schien es so«, berichtete am 9. Juni Claus Gennrich in der FAZ, »dass die SPD einem Nato-Einsatz (...) auch ohne UN-Mandat zustimmen würde. Damit überholte die SPD sogar die Bereitschaft der Regierung zum Mitwirken.« Doch auch der Spitzenkandidat der Grünen stand dieser Bereitschaft nicht nach. »Fischer fordert Intervention im Kosovo-Konflikt«, lautete am 10. Juni die Schlagzeile der FAZ. Zwar halte er, sagte Fischer, »ein Mandat der Vereinten Nationen (für) unerlässlich«. Er könne sich jedoch auch »eine Situation konstruieren, in der ein UN-Mandat hinfällig wird«. (17) Am Tage dieser Erklärung zitierte die New York Times den Sicherheitsberater der Weißen Hauses, Sandy Berger, mit den Worten: »Eine amerikanische militärische Intervention steht nicht zur Debatte.« (18) Zutreffend konstatiert der ehemalige deutsche Brigadegeneral Heinz Loquai: »In einer Zeit, als die anderen (Nato-) Mitgliedsländer noch nicht daran dachten, machte sich die deutsche Politik zu einer Speerspitze für einen direkten militärischen Einsatz im Kosovo.« (19)

Warum ist trotz dieser Faktenlage die Fama vom gutgläubigen deutschen Michel, der von den Machtmenschen in Washington cowboyhaft überrumpelt wurde und in fünfzehn Minuten zwischen Krieg und Frieden eine Entscheidung fällen musste, unversehrt ins kollektive Gedächtnis eingegangen? Warum halten selbst die wenigen prominenteren Kritiker des Nato-Krieges bis heute beharrlich an der Standardformel fest: »Die deutsche Politik lieferte sich den USA aus«? (20)

Eine wesentliche Ursache ist die euro-chauvinistische Kampagne, die den Aufbau der neuen europäischen Interventionsmacht ideologisch legitimieren soll und die sich aus jener so kolportierten »Erfahrung« mit dem Kosovo-Krieg speist. Parolen wie die Egon Bahrs, wonach Europa, »wenn es eigenbestimmt sein will«, seine Streitkräfte als »das Schild Europas und nicht als das Schwert Amerikas« zu definieren habe, sind in diesem Zusammenhang Legion. (21) Die von Kritikern und Befürwortern des Kosovo-Kriegs geteilte Hoffnung, dass eine EU-Streitmacht unter deutscher Führung ein »Friedensprojekt« und somit zu unterstützen sei, setzt voraus, dass die deutsche Rolle während der Vorgeschichte dieses Krieges ausgeklammert, heruntergespielt oder zum Tabu erklärt wird.

Dessen ungeachtet wirft auch die US-amerikanische Politik zahlreiche Fragen auf. Aus welchem Grund verfolgten die USA und Deutschland zeitweilig eine entgegengesetzte Politik? Warum preschten die USA mit ihrer brachialen Kriegsorientierung und UCK-Unterstützung schließlich vor?


US-Interessen

Die unterschiedliche geostrategische Situation der USA und Deutschlands bedingt eine unterschiedliche Taktik des Machterwerbs und des Machterhalts. Kein Land profitiert von der gegenwärtigen globalen Ordnung mehr als die USA. Daraus resultiert das eher statisch ausgerichtete Interesse, jene Ordnung im Großen und Ganzen so zu erhalten, wie sie ist. Keine andere Nato-Macht hingegen entwickelte sich in den letzten Jahren so dynamisch wie die deutsche, die den mit Abstand größten Nutzen aus dem Zusammenbruch des »realen Sozialismus« zog. Aus diesen Veränderungen resultiert das deutsche Interesse, die vorhandene territoriale Ordnung in Europa aufzubrechen, um auf den Trümmern der Ordnung von Jalta und Versailles zu neuen Einflusszonen zu kommen.

»Als eine wohlhabende Status-quo-Macht sind die Vereinigten Staaten daran interessiert, die internationale Ordnung zu erhalten«, schrieb 1999 der ehemalige stellvertretende US-amerikanische Verteidigungsminister Joseph S. Nye. (22) »Die blinde Befürwortung von Selbstbestimmung hätte in einer Welt mit etwa 200 Staaten und Tausenden sich oftmals überlappenden Volksgruppen, die einen Anspruch auf Nationsgründung erheben könnten, äußerst problematische Konsequenzen.«

Gänzlich entgegengesetzt aber stellt die deutsche Priorität sich dar: »Von allergrößter Gefährlichkeit erscheint die Reklamierung der (bedrohten) Stabilität in Europa«, widersprach der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Rupert Scholz der »westlichen« Orientierung. »Denn wenn einzelne Nationen in ungewollten, widernatürlichen oder aufgezwungenen staatlichen Organisationen festgehalten werden, so schafft dies alles andere als wirkliche (friedensfähige) Stabilität.« Deutschland sei deshalb seit 1990, so noch einmal Scholz, »stets ebenso engagiert wie konsequent für die möglichst allseitige Durchsetzung von Selbstbestimmungsrechten eingetreten«. (23)

Es ist diese Vorgabe, die die deutsche Kosovo-Politik seit 1995 mit größter Konsequenz verfolgt. Nie aber war der Scholzsche Ansatz relevanter als unter Rot-Grün. Ob sich der bereits zitierte Georg Brunner im Jahr 2000 in der Zeitschrift Internationale Politik, dem Zentralorgan der deutschen Außenpolitik, an den »Zeiten eines revolutionären Umbruchs« berauscht, »in denen ein noch bestehender Staat erkennbar dem Untergang geweiht ist, weil sich die zukunftsträchtigen Kräfte auf der Seite der Sezessionisten befinden«, oder das Auswärtige Amt unter Joseph Fischer die »zugespitzte Entscheidungssituation zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem Erhalt der Einheit multiethnischer Staaten« beschwört und »ungelöste territoriale und Minderheitenfragen« als Hauptkrisenursache identifiziert: Es bleibt dasselbe revisionistische Programm. (24)

Die Parteinahme der USA für die UCK war somit von einer anderen Logik als der deutschen bestimmt. Durchaus zutreffend benannte der stellvertretende US-Außenminister Strobe Talbott in einer Rede über die Veränderungen auf dem Balkan und in der Nato Deutschland »als (das) Epizentrum dieser Prozesse - Erweiterung und Expansion, Ausdehnung und Vertiefung«. Auch Henry Kissinger hatte Recht, als er davon sprach, dass die USA »in den Kosovo-Konflikt hineingeschlittert« seien, »ohne alle damit verbundenen Implikationen adäquat zu berücksichtigen«. (25)

Denn niemals war das Kosovo für Washington ein Ort strategischer Priorität. Wem das demonstrative Desinteresse der neuen Bush-Administration noch nicht Indiz genug ist, wird spätestens seit dem Beginn der Mazedonien-Krise die - nicht unberechtigte - Spekulation über eine Pipeline-Connection zwischen der Kaukasus- und der Kosovo-Region als maßgeblichen Kriegsgrund bezweifeln müssen. Eine der Grundvoraussetzungen für die Installation neuer Ölrouten ist politische Stabilität. Wenn es den Großmächten also um die Realisierung wirtschaftlicher Interessen in Mazedonien gegangen wäre, hätten sie die jüngste Destabilisierung der Region durch die UCK eigentlich sofort und im Keim ersticken müssen.

Zweifellos sind es vorrangig die USA, die für die Verbrechen des Bombenkrieges gegen Jugoslawien moralisch, politisch und materiell verantwortlich sind. Ihr strategisches Interesse hatte sich jedoch nicht auf das Kosovo, sondern auf die Nato und den US-amerikanischen Einfluss in Europa mittels der Nato konzentriert.

In dreierlei Hinsicht hing das Schicksal des Kosovo seit dem Sommer 1998 von gewissen Entwicklungen innerhalb der Nato ab. Erstens drohte in Anbetracht der bellizistischen Rhetorik die Glaubwürdigkeit der Nato im Fall, sie verzichtete auf einen Angriff, Schaden zu nehmen. Zweitens bot der deutsche Vorschlag, den Sicherheitsrat notfalls zu ignorieren, den USA die Möglichkeit, ein von der amerikanischen Nato-Politik seit 1993 verfolgtes Ziel zu realisieren. Drittens leiteten Frankreich und Großbritannien eine neue Phase der transatlantischen Beziehungen ein, als sie am 4. Dezember 1998 in St. Malo die historische Entscheidung fällten, künftig eine von den USA unabhängige europäische Interventionsmacht aufzubauen. Mit ihrer Demonstration uneingeschränkter militärischer Macht im Kosovo-Krieg verfolgten die USA nicht zuletzt das Ziel, dem europäischen Rivalen die Zwecklosigkeit der eigenen Ambitionen nachdrücklich vor Augen zu führen.

Erst im Dezember 1998 schwenkte das bis dahin notorisch zerstrittene State Department auf einen klaren Kriegskurs ein, erst im Januar 1999 schloss sich infolge von Racak die US-Administration dem uneingeschränkten Kriegskurs an, erst Anfang Februar 1999 zeigten sich die USA bereit, im Sinne der von Deutschland lange verfolgten Protektoratspolitik das Kosovo auch mit eigenen Truppen zu besetzen. (26)

Die geostrategischen deutsch-amerikanischen Differenzen traten in jener Phase des gemeinsamen Schulterschlusses mit der UCK in den Hintergrund. Sie tauchten jedoch prompt mit der Beendigung des Krieges wieder auf.

So hat Washington seither nicht nur jede großalbanische Konzeption, sondern auch die Unabhängigkeit des Kosovo abgelehnt. Diese Linie wurde nach dem Sturz von Milosevic noch verschärft. Einem hohen US-Diplomaten zufolge bedeute die Wahl von Vojislav Kostunica, »dass jetzt Schluss ist mit dem heimlichen Abgleiten des Kosovo in die Unabhängigkeit, was ebenso für Montenegro gilt, dessen Präsident Milo Djukanovic zur Erringung der Unabhängigkeit darauf gebaut hatte, dass Milosevic an der Macht bleiben würde«. (27) Als Kostunica erklärte, die Rückkehr der Serben in das Kosovo durchsetzen zu wollen, wurde er gerade darin vom neuen US-amerikanischen Gesandten in Belgrad, James C. O'Brien, unterstützt. (28) Um trotz des Sturzes von Milosevic die Unabhängigkeit des Kosovo zu forcieren, setzte sich der Leiter der zivilen Uno-Verwaltung im Kosovo, Tom Koenigs, dafür ein, den Zustand der Vertreibung der Nicht-Albaner zu festigen und noch in diesem Jahr allgemeine Wahlen in der Provinz durchzuführen. (29)

Doch auch Joseph Fischer ließ keinen Zweifel, welche Lösung ihm letztlich vor Augen steht: »Die internationale Gemeinschaft ist im Kosovo und auf dem Balkan«, erklärte er dem Deutschland-Korrespondenten von Le Monde, »um zu zeigen, dass die 'albanische Frage' nach dem Vorbild der 'deutschen Frage' im Jahre 1990 nicht ohne Zustimmung der Nachbarn geregelt werden kann.« (30)

Mit der Mazedonien-Krise spitzt sich der Widerspruch zwischen einer völkisch und einer multiethnisch orientierten Machtpolitik weiter zu. Fischers aktuell ausgegebene Parole von der »offenen albanischen Frage« ist nicht auf den Staat Albanien und dessen Bewohner gemünzt, sondern auf die Staatsbürger albanischer Herkunft im Kosovo, in Mazedonien (23 Prozent der Einwohner), in Montenegro (neun Prozent), im restlichen Serbien (ein Prozent) und in Griechenland (0,5 Prozent).

Es bedarf nun einmal der völkischen Prämisse, um eine »albanische Frage« zusammenzubrauen, die derzeit angeblich ihrer Lösung harrt. Und es zeugt von der Bereitschaft zur Eskalation, wenn diese Losung erstmals im Kontext von kriegerischen Auseinandersetzungen formuliert wird, die die UCK mit dem erklärten Ziel einer territorialen Neuordnung vom Zaum gebrochen hat.

»Die albanische Frage ist offen (...) Dem Kosovo muss Unabhängigkeit zuerkannt werden«, forderte Arben Xhaferi, der Vertreter der Albaner in der mazedonischen Regierung, nach dem Beginn der UCK-Offensive bei Tetovo. (31) »Die albanische Frage ist offen. (...) Einer gewaltsamen Veränderung der Grenzen wird die Staatengemeinschaft nicht zustimmen« (Hervorh. M. K.), zog einen Tag später der deutsche Außenminister nach. (32)

Damit ist das Ziel der deutschen Mazedonien-Politik umrissen: Die Veränderung von Grenzen in einer »nicht-gewaltsamen« Form. Offener, als es einem Regierungsmitglied möglich ist, hat der Unionspolitiker Karl Lamers dieses Anliegen formuliert. Er warf »dem 'Status-quo-fixierten Westen' (...) Angst vor Veränderungen in der Region vor« und erklärte, »dass auf die Dauer eine Verschiebung der Grenzen nicht vermeidbar sei«. (33)

Mit dem Vorbild der deutschen Einheit aber, wie Fischer suggeriert, hat seine neue Revisionspolitik wenig zu tun. 1990 gab es keine Sezession: Die DDR wurde von keinem anderen Staat abgetrennt. Die Sudetenkrise und das Münchener Abkommen von 1938 sind das einzige historische Modell, auf das der Außenminister sich unter dem Motto »Sezession, aber 'gewaltfrei'« berufen kann. Hier wurde, ohne dass ein Schuss gefallen wäre, das von der deutschen Minderheit dominierte Sudetenland der Tschechoslowakei entrissen. Natürlich steckte hinter jenem »Diktat von München« erpresserische Gewalt: Hitler hatte für die Nicht-Abtretung der Sudetengebiete mit Krieg gedroht. (34) Könnte es jetzt der Gewalt der UCK gelingen, eine ebenfalls »gewaltfreie« Sezession des Kosovo zu erzwingen?



Vom Kosovo nach Mazedonien

Der Schlüssel zum Verständnis der mazedonischen Kämpfe ist das Kosovo. »Die Krise in Mazedonien wurde in Pristina erzeugt und von dort aus geleitet«, betont Zoran Lutovac, ein Mitarbeiter des Belgrader Instituts für Sozialwissenschaften. »Die albanische Rebellion zielt nicht auf die Schaffung eines föderalen Staates in Mazedonien. Sondern dies ist der einzige Weg, um durch Anwendung von Druck die beste Lösung für das Kosovo zu erzielen, wo der verfassungsmäßige Rahmen für eine Sezession von Serbien und Jugoslawien und die Errichtung eines albanischen Staats schon in Arbeit ist.« (35)

Der einzige Weg - in der Tat. Denn mit der Beseitigung des »Mythos Milosevic« ist nicht nur der zentrale Vorwand zur Rechtfertigung der Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien entfallen. Sondern es wurden auch bereits mit der Zulassung serbischer Streitkräfte in der südserbischen Pufferzone und der Anbahnung serbisch-albanischer Autonomiegespräche die ersten Schritte für eine Re-Integration des Kosovo in Jugoslawien auf den Weg gebracht. So hat der serbische Vize-Premier Nebojsa Covic die von den USA vermittelten Gespräche im Presevo-Tal zum Modellfall einer künftigen Lösung im Kosovo erklärt. (36)

Der UCK-Aufstand bei Tetovo dient hauptsächlich dem Ziel, diesen Prozess einer schleichenden Normalisierung zu torpedieren. Und da es heute auch dem größten Demagogen schwerfallen würde, die vermeintliche Notwendigkeit eines unabhängigen Kosovo ausgerechnet mit dem Motiv der »Menschenrechte« zu begründen, bleibt den albanischen Nationalisten auch künftig nur die Taktik eines radikalisierten Kriegs: Je gewalttätiger die UCK-Militanten in Mazedonien oder anderswo wüten, desto verheißungsvoller erscheint das verlogene Versprechen, erst wenn das Kosovo unabhängig sei, würden diese Kämpfe aufhören. Oder in den Worten der FAZ: »Manches spricht dafür, dass Gewalt und Gegengewalt dadurch angeheizt werden, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo kategorisch ausgeschlossen wird. Aus pragmatischen Gründen wäre es vermutlich klüger, den Albanern in Aussicht zu stellen, den Willen der Mehrheit in einem Referendum über die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen.« (37) Nach dieser »pragmatischen« Logik sind weitere Massaker, die man nach den bewährten Mustern der mazedonischen Armee in die Schuhe schieben wird, bereits programmiert.

Auch wenn die Medien die Verbindung zwischen Mazedonien- und Kosovo-Krise weitgehend ignorieren, ist sie doch den beteiligten Akteuren bewusst: den Massen der UCK-Sympathisanten im Kosovo, die allein in der zweiten Woche der Auseinandersetzungen von Tetovo vier Großdemonstrationen in Pristina organisierten, der albanischen Diaspora in den Vereinigten Staaten und in der Europäischen Union, die heute mit der Akquisition von Geldern und der Anwerbung zahlloser Rekruten das Szenario des Kosovo-Kriegs wiederholen, den Regierungen der slawischen Nachbarstaaten Mazedoniens, die sich mit Hilfsangeboten an die bedrängte Regierung in Skopje gegenseitig überbieten, und den Großmächten in der Nato, die über den Ausgang dieser Krise letzlich entscheiden werden.

Doch auch auf dem der Großmächte-Diplomatie erleben wir heute ein déjà vu. Als Mazedonien Anfang März dieses Jahres im Nato-Rat die Einrichtung einer Pufferzone an der Kosovo-Grenze zu Mazedonien verlangte, fielen die Reaktionen ebenso widersprüchlich aus wie im Sommer 1998, als die Pufferzone in der albanisch-jugoslawischen Grenzregion auf der Tagesordnung stand. Es habe im Nato-Rat unterschiedliche Sichtweisen und »Differenzen« gegeben, gab der stellvertretende Nato-Generalsekretär Sergio Balanzino nach der Sitzung bekannt. (38) Wie sollte es auch anders sein? Die Rede von »dem« Imperialismus und »dem« globalen Kapital verdunkelt die reale Situation. Denn es sind die aufeinanderprallenden Positionen hinsichtlich der Unabhängigkeit des Kosovo, die die Mazedonien-Politik der Nato-Mächte bestimmen.

Ziemlich eindeutige Signale kommen aus Paris: Eine »entschlossene Aktion« der Kfor gegen die UCK fordert der französische Präsident Jacques Chirac. Außenminister Hubert Védrine nannte den Grund: »Wir können nicht akzeptieren, dass die Methoden einiger Gruppen albanischer Terroristen die Grenzen infrage stellen, denn dann hört das nie auf.« (39)

Auch Großbritannien erklärt sich klar. Wiederholt habe es hinsichtlich des Umgangs mit der UCK »einen zugespitzten Streit« zwischen Washington und London gegeben, betont die International Herald Tribune. Von dem Begehren der britischen Offiziere, die UCK stärker an die Kandare zu nehmen, berichtet auch die Londoner Sunday Times. Britische Medien sind diesmal gegen die UCK bellizistisch gestimmt: Wenn solch ein Krieg »Gefallene aus Nato-Ländern bedeutet, dann ist das immer noch besser als ein größerer Krieg auf dem Balkan«. (40)

Die USA, die noch in der Schlussphase der Amtszeit Milosevics diverse UCK-Kommandos für dessen Sturz trainierten, haben bisher unschlüssig und widersprüchlich reagiert. »Die Lunte ist ein alter Traum namens Groß-Albanien«, erklärt auf der einen Seite der frühere Balkan-Sonderbotschafter Richard Holbrooke. Falls dieser Traum wahr werden sollte, »würden ähnliche Ambitionen anderswo in Zentral- und Osteuropa geschürt, wo die Bevölkerungen ebenso durchmischt sind, etwa in Ungarn oder Rumänien«. (41)

Zwar brüsten sich die USA damit, der UCK in ihrer Kfor-Zone kleinere Gefechte geliefert zu haben und etwa 65 UCK-Rekruten in Gefangenschaft zu halten. Tatsächlich aber werden von den insgesamt 42 000 Nato-Soldaten im Kfor gerade einmal 300 in den USA-kontrollierten Grenzbereichen eingesetzt. (42) Mit dieser Praxis wird der grenzübergreifende Transfer von Rekruten und Material kaum erschwert.

Während die USA insgesamt jedoch einen passiven Part zu spielen scheinen und in erster Linie darauf Wert legen, jeder weiteren militärischen Verwicklung auf dem Balkan aus dem Weg zu gehen, scheint die aktivistisch agierende deutsche Albanien-Politik seit dem Aufflammen der Kämpfe neue Chancen zu sehen.

Schon am dritten Tag der Tetovo-Offensive eilte der deutsche Außenminister in die mazedonische Hauptstadt Skopje, um dort »alle beteiligten Seiten zu einem Gewaltverzicht« aufzurufen. (43) Was den Anschein der Unparteilichkeit erwecken konnte, war im Kontext der vorangegangenen Attacken freilich ein Bekenntnis der Solidarität.

Wenige Tage später wurde der deutsche Diplomat Hansjörg Eiff zum Sonderbeauftragten des Nato-Generalsekretärs ernannt, »der in Skopje für mindestens sechs Monate den Kontakt zur Nato halten soll«. (44) Eiff ist im Balkan nur allzu ungut bekannt: In den ereignisreichen Jahren 1988 und 1992 diente er als deutscher Botschafter in Belgrad. Zunehmend wird in deutschen Medien der Sprachgebrach »UCK-Terroristen« durch die Formel »albanische Rebellen der Nationalen Befreiungsfront« ersetzt, so etwa am 16. März in der FAZ.

Zugleich werden die bekannten antiserbischen Chiffren auf die slawischen Mazedonier übertragen. Da ist dann von den »eher bellenden als sprechenden mazedonischen Polizisten« die Rede, deren zaghafte Gegenreaktionen als »ebenso sinnlose wie schädliche Strafaktionen« charakterisiert werden. (45) Und während bisher die mazedonische Regierung wegen ihres Umgangs mit der albanischsprachigen Minderheit als geradezu vorbildlich galt, wird deren Politik nunmehr nach dem Motto, »die wirklichen Ursachen liegen in Mazedonien«, systematisch delegitimiert. Weil sich »die Albaner« in der derzeitigen staatlichen Ausgestaltung angeblich nicht »wiedererkennen« könnten, heißt es in dem jüngsten Papier des Bundeskanzleramts, »müsse geklärt werden, welche Ausmaße die Diskriminierung der Albaner habe«. (46) Alles, was man unter dieser Rubrik nun zusammentragen wird, dient nur einem einzigen Zweck: Den künftigen Attacken der UCK schon einmal präventiv den Schein von Legitimität zu verleihen. (47)

Und doch will Berlin auch künftig nicht allzu isoliert dastehen: »Der Anschein, daß man die Regierung in Skopje im Stich lasse, müsse vermieden werden«, gab der Tölpel der Bundesregierung, Rudolf Scharping, freimütig bekannt. (48) Der deutsche Sektor im Kosovo grenzt unmittelbar an die am heftigsten umkämpften Gebiete, Tetovo ist vom deutschen Hauptquartier in Prizren kaum mehr als 20 Kilometer Luftlinie entfernt.

Und so wurden in den letzten Tagen tatsächlich einige UCK-Soldaten in der Grenzregion der deutschen Kfor-Zone gestellt. Während man im ersten Fall die Waffentransporteure laufen (»entkommen«) ließ, wurden am 28. März gleich 50 UCK-Kämpfer in Gewahrsam genommen. Anstatt diese den mazedonischen Behörden auszuliefern, ist ihre Freilassung jedoch ebenfalls schon programmiert. »Eine Festsetzung sei bis zu 72 Stunden möglich, dann müsse ein Richter entscheiden, gab der Sprecher der Hardthöhe bekannt.« (49) Im deutschen Sektor, so die Times, gebe es »wenig zu lachen - außer über die Behauptung der Nato, die Grenze für das Kosovo dicht gemacht zu haben. Nachdem ich beobachten konnte, wie Albaner ein halbes Dutzend Mal über die Grenze entkommen sind, erscheint die Vorstellung, daß deutsche Soldaten im Kosovo die Grenze dichtmachen, weit hergeholt.« (50)

Die Krise um Mazedonien hat erst begonnen. Ein neuer Nato-Krieg auf Seiten der UCK oder auf Seiten Mazedoniens scheint derzeit ausgeschlossen zu sein. Und doch wird heute der Kosovo-Krieg mit anderen Mitteln und anderen Koalitionen fortgesetzt. Mehr noch: Diese zweite Phase des Krieges macht die originären Ziele des ersten transparent. Nie war es beim Nato-Überfall auf Jugoslawien vorrangig um die Politik eines Milosevic oder um die Struktur der jugoslawischen Ökonomie gegangen.

Von Anfang an war das Kriegsziel weitaus höher gesteckt. Als Präzedenzfall werfen »die Albaner«, so Georg Brunner 1991, »als erste« die Frage eines Sezessionsrechts auf. Weitere »Völker« etwa in Rumänien oder Ungarn könnten folgen. Werden sich in fernerer Zukunft die deutschsprachigen »Volksgruppen« in Polen und anderswo daran ein Beispiel nehmen? Schon ist in deutschen Medien von einem »Großraumprotektorat« die Rede, das den gesamten westlichen Balkan umfassen soll. In erster Linie aber stand und steht die Durchsetzung eines rassistischen und völkischen Prinzips auf dem Programm. Solange die UCK im Kosovo nicht »als erste« das Recht auf völkische Sezession erkämpft hat, wird für Berlin die »albanische Frage« weiter offen bleiben.

Anmerkungen

(1) FAZ, 29. März 2001
(2) »Keine Aussicht auf Waffenstillstand in Tetovo. Fischer: Die albanische Frage ist offen« lautete am 22. März 2001 die Schlagzeile der FAZ. In der englischen Ausgabe der FAZ wurde dieser Aufmacher - vermutlich wegen seiner großen internationalen Brisanz - vermieden und stattdessen mit der Schlagzeile: »International Community to Support Macedonia Against Rebels, Fischer Says« verfälscht. (Vgl. FAZ-Beilage zur International Herold Tribune, 22. März 2001.)
(3) Georg Brunner, Bericht über die Entwicklung des Minderheitenschutzes in Osteuropa, zit. nach: W. v. Goldenbach, H.-R. Minow, Von Krieg zu Krieg. Die deutsche Außenpolitik und die ethnische Parzellierung Europas, Dritte Auflage, Köln 1999, S.103
(4) Vgl. Archiv der Gegenwart 1995, S.39819f.
(5) Zit. nach: Stichworte zur Sicherheitspolitik, August 1998, S.26
(6) How Germany backed KLA, in: The European, 21. September 1998
(7) FAZ, 15. März 1997
(8) FAZ, 10. März 1997
(9) International Herald Tribune (IHT), 5. August 1998; die Äußerung Gelbhards ist zitiert nach: Foreign Affairs, May/June 1999, S.36.
(10) Österreichische Militärische Zeitschrift, 5/1998, S.577; Vgl. zur Forderung Talbotts: NYT, 18. März 1998; zu Einzelheiten des in deutschen Medien verschwiegenen UN-Sicherheitsratsbeschluss siehe: Der Weg in den Krieg, S.66f.
(11) Österreichische Militärische Zeitschrift, 4/1998, S.444. Der Verweis auf 20 000 Soldaten war weit übertrieben und wurde später im Fachblatt Jane's Defense Weekly (17. Juni 1998, S.3) als »exzessiv und möglicherweise kontraproduktiv« kritisiert.
(12) IHT, 12. August 1998
(13) SZ, 30. Juli 1998
(14) FAZ, 9. Juni 1998
(15) Der Zusammenhang zwischen UCK und der 1944 gegründeten SS-Division »Skanderbeg« ist nicht auf die damals wie heute praktizierte Politik der »ethnischen Säuberung« beschränkt, welche Freiheit im nationalsozialstischen Duktus als »frei von« - judenfrei, romafrei, serbenfrei usw. - definiert. Vgl. hierzu mein Buch: Der Weg in den Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo, Berlin 2000, S.79ff.
(16) FAZ, 26. September 1998
(17) FAZ, 10. Juni 1998
(18) NYT, 9. Juni 1998. Einige Tage später machte Rühe sich als erster Minister eines Nato-Landes diese Position zu Eigen: »Rühe erklärte, das die Nato-Aktion selbst ohne UN-Resolution in Angriff genommen werden könnte«, schrieb am 15. Juni die Londoner Times.
(19) Heinz Loquai, Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg, Baden-Baden 2000, S.96f.
(20) Ich zitiere hier ebenfalls Heinz Loquai, dessen verdienstvolle Studie das komplexe Interessengemenge der unmittelbaren Vorkriegszeit auf eine simple »EU versus USA«-Dichotomie reduziert und folgerichtig auf »eine deutlicher europaorientierte Politik für die Zukuft« (S.126) orientiert.
(21) Hierfür erhielt Bahr bei der letzten (von Phönix teilweise übertragenen) Berliner Bundesversammlung der »Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg« (IPPNW) viel Applaus.
(22) Unter dem Titel »The National Interest« wurde Nyes Analyse kurz nach Beendigung des Kosovo-Kriegs in Foreign Affairs (July/August 1999) publiziert.
(23) Rupert Scholz, Das Festhalten an ungewollten Staaten schafft keine Stabilität, in: Die Welt, 12. Dezember 1991. »Widernatürliche staatliche Organisation« - dieses Wortgebilde kennzeichnet den Kern der völkischen Staatsidee, wonach ein Staat nur dann »naturgemäß« sei, wenn er mit der Natur- bzw. Blutskategorie »Volk« zusammenfalle.
(24) G. Brunner, in: Internationale Politik, 9/1999, S.31; Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland, Ein Stabilitätspakt für Südosteuropa (Entwurf), 9. April 1999, auszugsweise zitiert in: von Goldenbach/Minow, a.a.O., S.212ff.
(25) Kissinger fragte, »how it was possible to slide into the Kosovo conflict ...«, vgl. Newsweek, 31. Mai 1999. Talbotts Rede ist u.a. dokumentiert in: FAZ, 5. Februar 1999.
(26) Siehe hierzu ausführlich: Der Weg in den Krieg, S. 156ff
(27) NYT, 29. Oktober 2000
(28) Ebd.
(29) Jungle World, 45/00
(30) Le Monde, 25. März 2000; ähnlich äußerte sich Fischer später in einer Rede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung.
(31) SZ, 21. März 2001
(32) FAZ, 22. März 2001. Im selben Atemzug forderte Fischer die Belgrader Regierung auf, »alle albanischen politischen Gefangenen freizulassen«, ebd.
(33) FAZ, 29. März 2001
(34) Es gehört zu den Besonderheit der deutschen Politik, dass keine Regierung seit 1949 bereit war, das Münchener Abkommen als von Anbeginn unrechtmäßig und somit als von Anbeginn »null und nichtig« zu verurteilen.Siehe hierzu meinen Aufsatz »Ex nunc oder ex tunc? Die BRD bestreitet weiterhin die Nichtigkeit des Münchner Abkommens von Anfang an«, in junge Welt, 18. Juni 1996.
(35) Pristina epicentre of Macedonian crisis, claims analyst, Radio B92, Daily News Bulletin, 19. März 2001
(36) Press Release des Düsseldorfer Generalkonsulat der Bundesrepublik Jugoslawien, 4. Februar 2001
(37) So Matthias Rüb in der Frühphase des Konflikts, vgl. FAZ, 20. Februar 2001
(38) FAZ und junge Welt, 10. März 2001
(39) FAZ, 19. März 2001; IHT, 24. März 2001
(40) IHT, 17. März 2001; Sunday Times, 18. März 2001; Observer, 18. März 2001, zit. nach dpa
(41) Die Zeit, 22. März 2001
(42) NYT, 21. März 2001
(43) FAZ, 16. März 2001
(44) FAZ, 23. März 2001
(45) FAZ, 16. März 2001
(46) FAZ, 29. März 2001
(47) FAZ, 19. März 2001
(48) FAZ, 19. März 2001
(49) taz, 29. März 2001. Bekanntlich werden die »Richter« in der deutschen Kfor-Zone ausnahmslos von UCK-Sympathisanten gestellt.
(50) Zit. nach junge Welt, 22. März 2001. Darüber hat sich öffentlich auch der mazedonische Außenminister beschwert: »Über den Sektor, in dem die Bundeswehr steht, kommen ja einige Truppen der Terroristen, die bei uns kämpfen«, erklärte Kerim. Zit. nach dpa, 19. März 2001

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(*) Matthias Küntzel ist Autor des Buches:
Der Weg in den Krieg - Deutschland, die NATO und das Kosovo
(Elefantenpress - Berlin 2000)

vom Autor siehe auch im GIB-Archiv:

  • Avantgarde-Krieger - Der Aktivismus der deutschen Politik bei der Vorbereitung des Überfalls auf Jugoslawien
    Stellungnahme des Autors beim 2. Internationalen Hearing des Europäischen Tribunals über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien am 16. April 2000 in Hamburg
    (Sammelband des Hearings: »Die deutsche Verantwortung für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien«
    - Schkeuditzer Buchverlag)
  • Tribunal gegen die Nato - Gladio - Geheimdienste - Infowar

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