Gedanken zum Krieg gegen JugoslawienErster Weltkrieg 1915, zweiter Weltkrieg 1941 und nun 1999 die dritte militärische Intervention auf dem Balkan in diesem Jahrhundert mit der Beteiligung deutscher Truppen.Vergessen die Schwüre nach der Beendigung des Nationalsozialismus, daß nie wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen darf. Vergessen die Kämpfe derer, die in den 50er und 60er Jahren aktiv gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands auf die Straße gegangen sind. Vergessen auch die Losungen der Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluß und die Stationierung atombestückter Raketen in der BRD und auf der ganzen Welt. Nicht gerade wenige dieser letzten großen Bewegungen sind heute die, die lechtzend der deutschen Hegemonie auf dem Balken per militärischer Intervention den Mund reden. Zeigt es sich nicht deutlich wie linke Politik und Widerstandskonzepte der 70er und 8Oer Jahre zum Teil vereinbar sind mit diesem 'Krieg der Friedenstauben'. Es handelt sich leider nicht nur um fast identische Rhethorik, sondern um inhaltliche Affinitäten. Wie oft wurde und wird politisches Handeln mit einer Verhinderung des Schlimmsten, in diesem Fall, dem Faschismus, legitimiert? Teile der Intellektuellen und liberalen Linken, die für uns immer auch potentielle BündnispartnerInnen waren und zum Teil auch noch sind, schwören sich auf den gerechten und 'Menschenrechte' sicherden Kriegskurs ein. Sie versuchen dabei immer noch als 'gute Menschen' durchzugehen, denen keine Wahl gelassen wurde. Daß ein Teil der Alt-68er aus ihrer 'Auseinandersetzung' mit dem Nationalsozialismus heraus die Konsequenz zieht, scheinbar vergleichbares im Kosovo verhindern zu wollen, zeugt von einer verqueren Auseinandersetzung mit dem NS und einer stattgefundenen Mutation zu herrschaftstragenden Realpolitikern. Diese können aus ihrer persönlichen Geschichte heraus nicht anders, als ihre Macht-Interessen hinter einer "Nie-wieder-Auschwitz"-Parole zu verbergen. Daraus leitet sich unweigerlich die Frage ab: Wie weit griff die Friedensbewegung wirklich, mit welcher Ernsthaftigkeit griffen die Losungen und Positionen in den Herzen und Köpfen all jener, die sich damals aufmachten, um zu demonstrieren? Und was ist davon heute noch übrig? Wo ist die Linke, wo die radikale Linke? Wenig ist derzeit zu sehen vom Widerstand gegen die militärischen Bestrebungen der Nato-Länder, zumindest hierzulande. Wenn es als Erfolg verbucht wird, daß auf den Ostermärschen bundesweit ca. 30.000 Menschen erschienen - dann gute Nacht! Auch ca 15.000 Menschen auf der sog. revolutionären 1. Mai-Demo in Berlin haben dazu nicht viel zu sagen gehabt. Wie paralysiert glotzen alle auf die 20.00-Uhr Nachrichten, unfähig sich zu verhalten. Oder sitzt der Schock zu tief, daß die Kriegstreiber im eigenen Land nicht mehr Kohl, Rühe und Konsorten heißen, sondern Schröder, Fischer und Scharping? Dabei zeichnete sich das Dilemma im Kosovo nicht erst mit dem Beginn des Angriffskrieges ab. Schon im April 98 drohten Mitglieder des Natobündnisses dem jugoslawischen Ministerpräsidenten Slobodan Milosevic erstmals mit einer militärischen Intervention. Diese Drohung wurde bis März 99 immer wieder aktualisiert und durch militärische "Übungen" an der Grenze zu Serbien untermauert. Den Übergriffen durch nationalistische Freiheitsscherler der UCK auf die serbische Bevölkerung im Kosovo wurde und wird wenig Aufmerksamkeit zugemessen. Im Gegenteil: Laut wird darüber nachgedacht, ob eine weitere Stärkung der UCK durch westliche Waffenlieferungen nicht in Betracht gezogen werden sollte. Der BND hat's vorgemacht. So warb er schon im Vorfeld des Ramboulliet-Vertrages durch eine Waffenlieferung an die UCK um deren Unterschrift. Ein Vertrag, der die Souveränität des restjugoslawischen Staates per Unterschrift für null und nichtig erklärt und an dessen Stelle eine militärisch diktierte Kontrollinstanz (Protektorat) setzt, die sich in keinster weise an das geltende Recht des Landes zu halten braucht, bzw. sich nicht vor eben dieser Rechtsprechung zu verantworten hat. Dies würde selbstredend auch die zu erwartenden Zwischenfälle der 'Liquidierungen' in den Verhörstuben, Vergewaltigungen und Bereicherungen an fremden Eigentum einschließen. Serbische "Greueltaten" und eine systematische ethnische Säuberung des Kosovo halten nach Abzug der sog. Friedenstruppen heute als moralische Rechtfertigung für den Nato - Krieg, gegen die Bevölkerung ganz Serbiens und teilweise auch gegen die Teilrepublik Montenegro her. Flüchtlingsströme, Berichte über Hinrichtungen und Massenvergewaltigungen schüren immer wieder die Flamme der Kriegsherren und ihrer Propaganda in den Medien. Kritische Stimmen werden so gut wie gar nicht gehört. Ausnahmen waren bislang die wenigen Stimmen der PDS-Opposition und einiger weniger "Privater", allen voran Oskar Lafontaine (1. Mai auf DGB-Kundgebung in Saabrücken). Ein völlig kriegsgeifernder Scharping gibt zu Kriegsanfang die Order raus, endlich die Beweise für den Völkermord und die Existenz von Konzentrationslagern zu erbringen, bisher ohne Erfolg. Statt dessen wird Milosevic mit Hitler, und die Verfolgung mit Auschwitz gleichgesetzt. Damit wird eine einmalige geschichtliche Ungeheuerlichkeit aus ihrem Kontext gerissen und langfristig relativiert. Sehr zum Wohlwollen der neuen politischen Mitte unter der rot-grünen Regierung, welche die deutsche Geschichte als Nachkriegsgenerationen größtenteils als abgeschlossen erachtet. Was aber sind die Interessen der Nato-Staaten an einem Land, welches keine wirtschaftsstrategischen Ziele aufweisen kann? Auf den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Nato in Washington wurden die Interessen mehr als deutlich. So profilieren sich die europäischen Kriegstreiberstaaten, Deutschland allen voran, damit, daß der Angriffskrieg gegen Jugoslawien nur eine Ausnahme bleibt, um Europa vor einer neuerlichen Flüchtlingsschwemme zu bewahren. Denn der Balkan ist schließlich weit näher als z.B. Ruanda oder gar Indonesien. Aus dieser Logik ergibt sich auch das schnelle Ausweiten der Angriffsziele auf die Infrastruktur des Landes und somit auch auf die Zivilbevölkenmg und die Flüchtlinge. Zerstörte Brücken hindern nicht nur den Versorgungsfluß des Militärs, sondern auch Menschen bei ihrer Flucht. Die sogenannten Binnenflüchtlinge sind vom ersten Kriegstag an wohlkalkulierter Spielball aller Kriegsparteien geworden. Mit Einstellung des Flugverkehrs ist auch der letzte Weg in ein sicheres Exil verhindert. Obwohl die Kosovo-Albaner in der BRD zur Zeit wieder Asyl bzw. einen geduldeten Aufenthalt genießen können, bleiben die Bedingungen an den europäischen Grenzen bestehen: Die Verstärkung der Grenze durch den BGS ermöglicht ein schnelles Aufgreifen derer, die es alleine oder per Schlepper nach Deutschland geschafft haben. Hier droht ihnen die Abschiebung, denn Europa ist nicht zur Aufnahme verpflichtet, wenn die Flüchtlinge über ein Drittstaat eingereist sind. Die Perversion hat von Anfang an System. Die anfänglich errichteten Flüchtlingslager waren nicht ansatzweise darauf vorbereitet, solche Massen an Menschen aufzunehmen. Betrachtet mensch die Zeitspanne, in der die Nato sich auf diesen Krieg vorbereitet hat, so maßt es sich merkwürdig an, wenn aus den Erfahrungen des Bosnienkonflikts und den Einschätzungen der UN-Beobachter nicht abzusehen gewesen sein soll, mit welchen Massen an Flüchtlingen zu rechnen war. Wo doch auch noch behauptet wurde, daß aus Geheimdienstquellen schon länger bekannt war, daß Milosevic schlimme Dinge plane. Auch jetzt ist eine minimale Versorgung der Flüchtlinge in den Lagern immer noch nicht gewährleistet. Zudem wird ein neues Problem sichtbar. Die Anrainerstaaten und die Teilrepublik Montenegro befürchten, wegen der nationalistisch/separatistischen Bestrebungen, des jahrelang andauernden Konfliktes auf dem gesamten Balkan und der aktuellen Flüchtlingsströme in ihre Länder, nun ebenfalls Unruhen. Der Jubiläumskonvent der Nato-Mitgliedsstaaten zementierte des weiteren auch die in den letzten Jahren praktizierten militärischen Interventionen weltweit. Die Tendenz weg vom reinen Verteidigungsbündnis hin zur willkürlichen Ein- und Angriffspolitik (die sog. weltweite Krisen-lntervention) auch ohne Mandate des UN-Sicherheitsrats wurden in Washington besiegelt. Die Rolle Deutschlands, das sich innerhalb Europas zur Führungsrolle berufen fühlt, gibt ein zweischneidiges Bild in der Eskalation auf dem Balkan ab. Zum einen mag es um die Erweiterung der Einflußsphären gen Osten gehen, auch mit militärischen Mitteln. Wobei klar ist, daß solch ein Konflikt ohne die Präsenz der USA nicht möglich wäre. Zum anderen mögen auch die oben beschriebenen Interessen in der Flüchtlingsfrage eine Rolle spielen. Außerdem gäbe es auch noch andere Optionen für Europa unter der Schirmherrschaft der BRD. Eine wirtschaftliche kontinentale Alternative ohne die US-Amerikaner dafür aber mit Rußland durch eine Achse Moskau-Berlin-Paris. Diese Option ist nicht neu, gewinnt aber zunehmend wieder offene Ohren, denn geographisch hört Europa nicht an den Grenzen der EU auf. Daß das der Clinton-Albright-Riege nicht paßt, ist klar. So sehen amerikanische Wirtschaftsexperten in einem geeinten Europa mit eigener Währung einen ernsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt und damit einen potentiellen Gegner bei der Diktierung der zukünftigen Handelsbestimmungen. Die Interessen der amerikanischen Wirtschaft lassen sich mit denen Europas nicht vereinbaren. Das Beispiel des Bananenkrieg, welcher zu Gunsten Amerikas entschieden wurde und auch die Überlegungen zu einem Fleischboykott gegen die geplanten Einfuhrbestimmungen nach Europa, lassen vermuten, was ums in den nächsten Jahren noch erwartet. Das amerikanische Interesse an einem stabilen Europa, beinhaltet einen Fuß in der Tür, um weiterhin im europäischen Gewirr eine Politik der Stärke und Abhängigkeit zu verfestigen. Der Besuch Schröders und Fischers in Washington kurz nach ihrer Wahl zum Regierungsbündnis, und ihr Treueschwur zum großen Bruder spricht Bände. Und dennoch gibt es die ständigen Bemühungen deutscher und französischer Politiker, Rußland mit ins Boot zu holen und sich somit die Möglichkeit der Zusammenarbeit für die Zukunft nicht zu verscherzen. Diese Zweischneidigkeit steht sich aber nicht zwangsläufig gegenüber. Die deutschen Interessen als erstarkende politisch-wirtschaftliche Macht in Europa mit der Tendenz, auch militärisch alsbald zu einer eigenen Größe emporzusteigen, nimmt immer konkretere Formen an. Wie gesagt, militärisch ist die BRD noch nicht vom großen Bruder USA zu trennen und geifert an seiner Seite zu neuen Ufern. Der geplante Ölboykott, welcher ebenfalls in Washington beschlossen wurde, hat schon im Vorfeld hierzulande klare Zusagen aus allen Reihen der Politik und Bevölkerung erhalten. Daß mit dem Embargo ein weiterer Schritt in Richtung Eskalation, auch in Bezug auf Rußland, vorangetrieben wurde, scheint vom militärischen Standpunkt aus sekundär. Auf der anderen Seite lassen die Bemühungen, Rußland als Mittler zu funktionalisieren, erkennen, daß man Rußland trotz der enormen Zwangsleine von IWF und Weltbank als westliches Militärbündnis nicht unbedingt traut. Wirtschaftlich ist aber zu vermuten, daß sich die BRD mit ihren jetzigen Kontakten nach Moskau bei einem Gelingen einer "friedlichen" Lösung unter Einbeziehung Rußlands neue Chancen auf Zusammenarbeit und weiterreichende wirtschaftliche Übereinkünfte erhofft. Denn ein wirtschaftlich erstarktes Europa wird langfristig bemüht sein, den USA die Stirn zu bieten. Daß dieses nicht durch die Bank weg auf gleich großes Interesse innerhalb Europas stößt, dürfte auch klar sein. Ein Tony Blair verfolgt dabei noch ganz eigene Interessen. Wie schon im Golfkrieg behauptet sich die militärische Entschlossenheit Großbritaniens auch diesmal als wichtigste amerikanische Stütze in Europa. Insofern wird Amerika in jedem Fall einer der Kriegsgewinnler sein. Durch den Krieg vor der eigenen Haustür wird Europa finanziell geschwächt, und durch einen Aufbau des zerstörten Jugoslawien per Marshallplan ist auch weiterhin nicht von einer wirtschaftlichen Stabilisierung Europas auszugehen. Eure radikal radikal 156, 6/99, Seite 20-23 radikal: Der Krieg und die deutsche Linke oder: "Wir hassen den Krieg, deshalb bomben wir" |