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Noam Chomsky |
The Attack - Hintergründe und Folgen |
- Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt Inhalt I.Der Angriff und seine Ursachen II.Ideologische Begleitmusik III.Staatsverbrechen IV.Usama Bin Ladin und die USA V.Terrorismus und Zivilisation VI.Der Angriff und seine Folgen V. Terrorismus und Zivilisation Staatliche Gewalt im Zeichen des »Kriegs gegen den Terrorismus« An einem konkreten Beispiel will ich zeigen, was die Ausweitung staatlicher Gewaltmaßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus bedeuten kann. Am 21. September druckte die New York Times einen Kommentar von Michael Walzer, einem geachteten Intellektuellen, der als moralische Instanz gilt.1 Er rief zu einem »ideologischen Feldzug auf, bei dem alle Argumente und Entschuldigungen für den Terrorismus aufgeboten und widerlegt« werden sollten. Da er weiß, daß es für den von ihm gemeinten Terrorismus keine vernünftigen Argumente und Entschuldigungen gibt, läuft seine Aufforderung eigentlich darauf hinaus, die Ursachen für die Terrorakte gegen die von ihm unterstützten Staaten nicht näher zu erforschen. Dann schließt er sich auf konventionelle Weise denen an, die »Argumente und Entschuldigungen für den Terrorismus « vortragen, wobei er den politischen Mord stillschweigend billigt, genauer, den politischen Mord von Israelis an Palästinensern, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt werden, ohne daß Beweise vorgelegt oder für notwendig befunden werden und in vielen Fällen der Verdacht selbst unbegründet erscheint. Auch die unvermeidlichen »Kollateralschäden« - Frauen, Kinder, Nachbarn - werden in gewohnter Manier abgehakt. Von den USA zur Verfügung gestellte Angriffshubschrauber werden seit zehn Monaten für solche Morde benutzt. Walzer setzt den Ausdruck »politischer Mord« in Anführungszeichen, weil er seiner Meinung nach in den Rahmen der »von Leidenschaft getrübten und höchst verzerrten Berichte über die Blockade des Irak und den Konflikt zwischen Israel und Palästina« gehört. Er bezieht sich dabei auf kritische Äußerungen über die von den USA gedeckten isralischen Greueltaten in den Gebieten, die seit 35 Jahren unter einer brutalen Besatzung zu leiden haben, sowie auf Kritik an der Politik gegenüber dem Iran, die Saddam Hussein stärkte, aber die irakische Zivilgesellschaft zerstörte. Derlei Kritik ist in den USA nicht gerade sehr verbreitet, aber für Walzer offenbar schon zu viel. Mit den »verzerrten Berichten« meint er vielleicht gelegentliche Hinweise auf die Äußerung der damaligen Außenministerin, Madeleine Albright, die im öffentlichen Fernsehen gefragt wurde, was sie von Schätzungen halte, denen zufolge aufgrund der amerikanischen Sanktionspolitik eine halbe Million Kinder im Irak sterben müßten. Das sei zwar hart, meinte sie, »aber wir glauben, es ist den Preis wert«. Daran läßt sich erläutern, was die »Lockerung staatlicher Gewaltmaßnahmen« tatsächlich bedeutet. Viele mörderische Staaten haben ihre Handlungen mit dem »Kampf gegen den Terrorismus« gerechtfertigt, wie etwa die Nationalsozialisten ihr Vorgehen gegen die Partisanen. Und es finden sich immer wieder respektable Intellektuelle, die solche Verbrechen rechtfertigen. Ein weiteres Beispiel stammt aus der jüngsten Geschichte. Im Dezember 1987, als die Besorgnis über den internationalen Terrorismus ihren Höhepunkt erreichte, nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine grundlegende Resolution zu diesem Thema an, in der sie den Terrorismus umstandslos verurteilte und die Nationen dazu aufrief, ihn mit aller Macht zu bekämpfen. Die Resolution erhielt 153 Ja-Stimmen; Honduras enthielt sich, und nur die Vereinigten Staaten und Israel stimmten dagegen, weil sie eine Passage beanstandeten, in der es hieß, daß »das aus der UN-Charta abgeleitete Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von den Bestimmungen dieser Resolution unberührt bleibt, und Völker, denen dieses Recht gewaltsam vorenthalten wird... insbesondere Völker unter kolonialen und rassistischen Regimes und fremder Besatzung oder anderen Formen kolonialer Herrschaft... das Recht haben, darum [in Übereinstimmung mit der Charta und anderen internationalen Rechtsprinzipien] zu kämpfen und Unterstützung zu fordern und zu erhalten«. Das wurde von den USA und Israel ebensowenig akzeptiert wie von ihrem damaligen Verbündeten Südafrika. Für Washington war der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) eine »terroristische Organisation«, aber Südafrika galt natürlich nicht (wie zum Beispiel Kuba) als »terroristischer Staat«. Natürlich zeitigt Washingtons Interpretation von »Terrorismus« in der Praxis Folgen, unter denen die Menschen zu leiden haben. Im Augenblick ist häufig davon die Rede, eine umfassende Konvention gegen den Terrorismus zu formulieren, was keine leichte Aufgabe sein dürfte. Der Grund, der in den Berichten meist verschwiegen wird, liegt darin, daß die USA und ihre Verbündeten eine Passage wie die eben zitierte zu akzeptieren nicht bereit sind, wenn die Definition von Terrorismus mit den offiziellen Definitionen im USStrafgesetzbuch oder in den Armeehandbüchern übereinstimmt. Sie muß also so umformuliert werden, daß sie den Terrorismus der Mächtigen und ihrer Satelliten ausschließt. Der Terror und die »internationale Staatengemeinschaft« Die »internationale Staatengemeinschaft« wendet sich gegen den Terror der Mächtigen ebenso wie gegen die schrecklichen Verbrechen vom 11. September. Aber die »internationale Staatengemeinschaft« handelt nicht. Wenn westliche Staaten und Intellektuelle sich dieses Ausdrucks bedienen, meinen sie die westliche Staatengemeinschaft. Ihrer Rhetorik zufolge wurde die Bombardierung Serbiens durch Nato-Streitkräfte von der »internationalen Staatengemeinschaft« durchgeführt, obwohl alle, die nicht ihren Kopf in den Sand gesteckt hatten, wußten, daß diese Bombardierung von den meisten Staaten, oftmals ganz explizit, abgelehnt wurde. Wer die Aktionen der reichen und mächtigen Nationen nicht unterstützt, gehört ebr Suche nach Verbündeten nachahmen und die islamischen Staaten um Unterstützung bitten. Sie dürften allerdings sehr viel weniger Erfolg haben. Selbst wenn sie von der übrigen Welt wenig wissen, wird den Taliban durchaus bekannt sein, daß die islamischen Staaten ihnen alles andere als freundlich gesonnen sind, waren sie doch wiederholt terroristischen Angriffen seitens jener radikal-islamistischen Streitkräfte ausgesetzt, die vor zwanzig Jahren für den Heiligen Krieg gegen die Sowjetunion organisiert und ausgebildet wurden und schon bald danach ihre eigenen terroristischen Ziele zu verfolgen begannen. Kampf zwischen zwei Zivilisationen? Das ist eine modische, aber wenig sinnvolle Redeweise. Nehmen wir einige vertraute historische Beispiele. Der bevölkerungsreichste islamistische Staat ist Indonesien, ein von den USA gehätschelter Liebling, seit Suharto 1965 dort die Macht übernahm und mit US-amerikanischer Unterstützung ein riesiges Blutbad anrichtete, was im Westen eine Euphorie auslöste, die sich im nachhinein so verwirrend ausnimmt, daß sie aus der Erinnerung gelöscht wurde. Suharto blieb auch »unser Typ«, wie ihn die Regierung Clinton nannte, als er Verbrechen beging, deren Ausmaß im späten zwanzigsten Jahrhundert kaum eine Parallele finden. Der fundamentalistischste aller Islam-Staaten neben den Taliban ist Saudi-Arabien, seit seiner Gründung ein Satellit der USA. In den achtziger Jahren bildeten die Vereinigten Staaten, unterstützt vom pakistanischen Geheimdienst sowie Saudi-Arabien, Großbritannien und anderen, die extremistischsten islamischen Fundamentalisten aus, die sie finden konnten, um den Sowjets in Afghanistan den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Diese Bemühungen, so Simon Jenkins in der Londoner Times, »zerstörten ein gemäßigtes Regime und führten zu einem fanatischen, das aus Gruppen bestand, die rücksichtslos von den Amerikanern finanziert wurden« (wobei die meisten Gelder vermutlich aus saudi-arabischen Quellen stammten). Zu denen, die indirekt davon profitierten, gehörte Usama Bin Ladin. Ebenfalls in den achtziger Jahren unterstützten die USA und Großbritannien ihren Freund und Verbündeten Saddam Hussein, der zwar nicht sonderlich religiös war, aber, trotz seiner diversen Greueltaten, doch auf der »islamischen « Seite des »Kampfes der Kulturen« stand. Und genau zu jener Zeit trugen die Amerikaner einen Krieg in Mittelamerika aus, der an die 200 000 gefolterte und verstümmelte Leichen sowie Millionen von Waisen und Flüchtlingen hervorbrachte. Ein Hauptangriffsziel der USA war die katholische Kirche, die dazu aufrief, sich für die Armen einzusetzen. Zu Beginn der neunziger Jahre machten die USA, vor allem aus zynischen Machterwägungen heraus, bosnische Muslime zu ihren Satelliten, was diesen indes nicht gut bekam. Wo also finden wir den »Clash«, den »Kampf der Kulturen«? Müssen wir folgern, daß es einen »Zusammenstoß « mit der katholischen Kirche in Lateinamerika auf der einen und den USA samt der islamischen Welt und ihren radikalsten Elementen auf der anderen Seite gibt? Natürlich ziehe ich eine solche Absurdität nicht in Erwägung. Aber was müssen wir aus den Bündniskonstellationen vernünftigerweise folgern? Für die von der CIA mobilisierten radikalen Islamisten und ihre Verbündeten ist klar, wen sie hassen. Die USA haben ihren Haß und ihre Gewalt unterstützt, solange sie sich gegen die Feinde der Vereinigten Staaten richteten. Jetzt erkennen sie mit Schrecken, daß das, was sie nährten, sich nun gegen sie selbst richtet. Zwar sind die Angriffe vom 11. September keine »direkte « Folge der US-amerikanischen Politik, indirekt, das ist unbestritten, aber schon. Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß die Täter aus dem terroristischen Netzwerk kommen, dessen Wurzeln in den Söldnerarmeen liegen, die von den USA und anderen Ländern für den Kampf gegen die sowjetische Besatzung ausgebildet wurden. Die Hintergründe dieser ganzen Sache sind nach wie vor etwas dunkel. Dem ehemaligen Sicherheitsberater von Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski, zufolge, begann der Aufbau dieser Streitkräfte 1979. Jedenfalls behauptet er, Mitte jenes Jahres für die geheime Unterstützung von Mudschahedin-Kämpfern gegen die afghanische Regierung gesorgt zu haben, um die Sowjets zum Einmarsch in Afghanistan zu verleiten. Tatsächlich schickte die Regierung der UdSSR sechs Monate später Truppen in das Land, um die Regierung zu stützen. Die Folgen sind bekannt. Die Vereinigten Staaten bauten ein riesiges Söldnerheer aus radikalen Islamisten auf, die zumeist nicht aus Afghanistan stammten, sondern, wie Bin Ladin, aus anderen Ländern der Region kamen. Bin Ladin schloß sich den Kämpfern in den achtziger Jahren an. Er war an der Gründung der Terrororganisationen beteiligt, die wahrscheinlich noch heute existieren. Sie kämpften gegen die sowjetische Besatzungsmacht, trugen den Terror in das Gebiet der UdSSR und gewannen den Krieg, um dann ihren Aktionsradius zu erweitern. 1981 ermordeten sie Anwar el-Sadat, und 1983 vertrieben sie mit einem Selbstmordattentat das US-Militär aus dem Libanon. 1989 hatten sie ihren Heiligen Krieg in Afghanistan gewonnen. Als die USA in Saudi-Arabien militärische Stützpunkte errichteten, war das nach Meinung dieser Krieger mit der sowjetischen Besetzung von Afghanistan zu vergleichen, und so wurden die Vereinigten Staaten, zusammen mit Ägypten und Saudi-Arabien zu ihrem Hauptfeind. 1997 ermordeten sie in Ägypten an die sechzig Touristen und brachten die dortige Fremdenverkehrsindustrie an den Rand des Abgrunds. Seit Jahren erstrecken sich ihre Aktivitäten auch auf andere Regionen und Länder. Das ist eine Folge des Kriegs gegen die Sowjets und die von ihnen gestützte Regierung Afghanistans. Ihr Haß auf die Amerikaner wird, wie erwähnt, von vielen Bewohnern der arabischen Länder geteilt. Die »Kultur des Terrorismus« Die USA bleiben vorerst das einzige Land, das vom Internationalen Gerichtshof des internationalen Terrorismus beschuldigt und wegen »ungesetzlicher Anwendung von Gewalt« zu politischen Zwecken - so die Begründung - verurteilt wurde. Die Vereinigten Staaten scherten sich nicht darum und eskalierten den Krieg gegen Nicaragua weiter, wobei die offizielle Politik darin bestand, »weiche Ziele« wie Landwirtschaftskollektive und Krankenhäuser anzugreifen, nicht aber die nicaraguanische Armee. Die Terroristen konnten diese Instruktionen durchführen, weil die US-Luftwaffe den Luftraum über Nicaragua beherrschte und die Gegner der Sandinisten über hervorragende Kommunikationsnetze verfügten. Die terroristischen Aktionen fanden in den US-Medien breite Zustimmung. Ein bekannter Kommentator aus dem liberalen Lager, Michael Kinsley, meinte, wir sollten die Begründungen des Außenministeriums für terroristische Angriffe auf »weiche Ziele« nicht einfach verwerfen: eine »sensible Politik« müsse »den Test der Kosten-Nutzen-Analyse bestehen«, das heißt »das Ausmaß von Blut und Elend« abwägen gegen »die Wahrscheinlichkeit, daß am Ende die Demokratie steht« - »Demokratie« im Sinne der USA, natürlich. Daß die US-Eliten das Recht haben, die Analyse durchzuführen und das Projekt umzusetzen, falls der Test positiv ausfällt, wird für selbstverständlich gehalten. Darüber hinaus hielt man die Vorstellung, daß Nicaragua ein Recht darauf habe, sich selbst zu verteidigen, für skandalös. Die USA übten Druck auf die Verbündeten aus, Nicaragua nicht weiter mit Waffen zu beliefern, um das Land in die Arme der Sowjetunion zu treiben, was dann auch passierte und propagandistisch ausgeschlachtet werden konnte. Die Regierung Reagan setzte wiederholt Gerüchte in Umlauf, denen zufolge Nicaragua russische Kampfjets erhalte - die die Sandinisten auch durchaus für die Verteidigung des Luftraums gegen Angriffe auf »weiche Ziele« hätten brauchen können. Die Gerüchte waren falsch, aber die Reaktion sehr bezeichnend. Liberale Pazifisten bezweifelten zwar die Kolportage, meinten aber, falls sie doch zuträfe, müsse Nicaragua bombardiert werden, weil sonst unsere Sicherheit bedroht sei. Datengestützte Nachforschungen würden kaum Hinweise darauf ergeben, daß Nicaragua das Recht besitze, sich zu verteidigen. Das besagt eine Menge über die im Westen tief verwurzelte »Kultur des Terrorismus«. Ebenfalls in den achtziger Jahren führten die USA auch im Mittleren Osten terroristische Aktionen großen Umfangs durch, wie etwa die (bereits erwähnte) Zündung einer Autobombe vor einer Moschee in Beirut, die zwar viele Zivilisten tötete, ihr eigentliches Ziel, einen muslimischen Geistlichen, jedoch verfehlte. Und die Vereinigten Staaten unterstützten den Terror Israels gegen die Palästinenser. Die Invasion im Libanon forderte an die 18 000 Opfer, zumeist palästinensische und libanesische Zivilisten, und sie geschah, wie sogleich zugegeben wurde, nicht aus Gründen der Selbstverteidigung. In den darauffolgenden Jahren kam es zu weiteren Greueltaten, als Israel gegen »terroristische Dorfbewohner« vorging. Auch die Invasionen von 1993 und 1996 wurden von den USA unterstützt, bis die internationalen Reaktionen auf das Massaker von Qana 1996 Clinton zu einer Kehrtwendung zwangen. Allein im Libanon sind nach 1982 womöglich an die 20 000 Zivilisten umgekommen. In den neunziger Jahren lieferten die USA achtzig Prozent der Waffen, die von der Türkei in ihrem Feldzug gegen die Kurden im Südosten einsetzten. Zehntausende starben dabei, bis zu drei Millionen Menschen wurden vertrieben, 3500 Dörfer zerstört (zehnmal so viel wie von den Bomben der Nato im Kosovo). Der Umfang der Waffenlieferungen nahm 1984, als die Türkei mit den Angriffen begann, dramatisch zu und ging erst 1999, als die Greueltaten ihr Ziel erreicht hatten, wieder zurück. Danach wurde Kolumbien, in den neunziger Jahren der lateinamerikanische Staat mit dem größten Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen, zum führenden Empfänger US-amerikanischer Waffenlieferungen. In Ost-Timor wurden die indonesischen Aggressoren auch weiterhin von den USA (und Großbritannien) unterstützt. Sie hatten bereits ein Drittel der Bevölkerung ausgerottet und setzten Anfang September 1999 zu einem entscheidenden Schlag an, der 85 Prozent der Bevölkerung aus ihren Häusern vertrieb und das Land zu 70 Prozent zerstörte, während die Regierung Clinton an ihrer Position festhielt, das Ganze liege »in der Verantwortung der indonesischen Regierung, die wir ihr nicht abnehmen wollen«. Kurz danach jedoch geriet Clinton unter erheblichen innen- und außenpolitischen Druck (vor allem durch Australien), die Kämpfe in Ost-Timor zu beenden. Schließlich signalisierte er den indonesischen Generälen, das jetzt Schluß gemacht werden müsse. Sie änderten ihren Kurs sofort. Zunächst hatten sie noch darauf bestanden, sich nicht aus Ost-Timor zurückzuziehen und richteten im indonesischen West-Timor Verteidigungsanlagen (bestückt mit britischen Kampfbombern, die weiterhin geliefert wurden) ein, um gegen eine eventuelle Interventionsstreitmacht gerüstet zu sein. Aber dann wichen sie dem Druck der amerikanischen Regierung und kündigten den Rückzug an. Ein UN-Friedenskorps unter australischer Führung konnte ungehindert in Ost-Timor landen. Das zeigt sehr deutlich, daß die USA ihren Einfluß schon sehr viel eher hätten geltend machen und der seit fünfundzwanzig Jahren betriebenen Ausrottungspolitik Einhalt gebieten können. Statt dessen leisteten sie 1978, als der Krieg eskalierte, den Mördern entscheidende militärische und diplomatische Hilfe. Wir lernen sehr viel über die westliche Zivilisation, wenn wir sehen, daß diese schändlichen Vorgänge als Beweis für unsere neue Entschlossenheit zu einer »humanitären Intervention« und als Rechtfertigung für die Bombardierung Serbiens herhalten müssen. Was unter »Terrorismus« zu verstehen ist Ich verstehe den Begriff »Terrorismus« so, wie ihn die offiziellen US-Dokumente definieren, nämlich als »kalkulierte Anwendung oder Androhung von Gewalt, um Ziele zu erreichen, die ihrem Wesen nach politisch, religiös oder ideologisch sind. Das geschieht durch Einschüchterung, Zwang oder die Verbreitung von Furcht.« In Übereinstimmung mit dieser - völlig angemessenen — Definition ist der Angriff vom 11. September zweifellos ein terroristischer Akt, besser gesagt: ein schreckenerregendes terroristisches Verbrechen. Darüber herrscht weltweit Einigkeit und sollte es auch. Aber neben dieser wörtlichen Bedeutung gibt es noch eine propagandistische, die unglücklicherweise die Norm ist: Hier wird der Begriff »Terrorismus« benutzt, um terroristische Handlungen zu bezeichnen, die von Feinden gegen uns oder unsere Verbündeten begangen werden. Diese propagandistische Bedeutung ist nahezu universell. Dieser »Terrorismus« wird von allen verurteilt. Auch die Nationalsozialisten wandten sich gegen ihn und lancierten »gegen-terroristische« Angriffe, um die Partisanen abzuwehren. Die Vereinigten Staaten verfuhren nach dem Zweiten Weltkrieg kaum anders, als sie in vielen Ländern »Gegen- Terrorismus« (counter-terrorism) betrieben. Ihre Programme beriefen sich ganz explizit auf nationalsozialistische Vorbilder: Offiziere der deutschen Wehrmacht wurden um Rat gefragt und ihre Handbücher genutzt, um weltweit aufständische und rebellierende Gruppen mittels counterinsttrgency zu bekämpfen. In der propagandistischen Verwendung des Begriffs »Terrorismus« können dieselben Menschen und Handlungen sehr schnell von »Terroristen« zu »Freiheitskämpfern« (und umgekehrt) werden. Ein Beispiel ist das Kosovo. Hier wurden die Truppen der »Kosovo-Befreiungsarmee« (KLA-UCK) 1998 von der US-Regierung offiziell als »Terroristen« bezeichnet, weil sie serbische Polizisten und Zivilisten angriffen, um, wie sie selbst erklärten, eine übermäßig brutale Reaktion Serbiens zu provozieren. Noch im Januar 1999 meinten die Briten — in dieser Angelegenheit die schärfsten Falken in der Nato —, daß die KLA-UCK mehr Personen getötet habe als die serbischen Streitkräfte. Das ist zwar schwer vorstellbar, sagt uns aber etwas über die Wahrnehmungsmuster in hohen Nato-Kreisen. Den umfangreichen Dokumentationen zufolge, die vom US-Außenministerium, der Nato und der OSZE vorgelegt wurden, änderte sich an der Lage bis zum Abzug der OSZE-Überwacher und den Bombardements von Ende März 1999 substantiell nichts. Aber die Politik änderte sich: Die USA und Großbritannien entschlossen sich zu einem Angriff auf Serbien, und damit wurden die »Terroristen« der KLA-UCK zu »Friedenskämpfern«. Als sie nach dem Krieg in Mazedonien, einem US-Verbündeten, aus (wie sie meinten) ähnlichen Gründen ähnlich handelten, waren sie wieder »Terroristen«, »Verbrecher« und »Mörder«. Alle verurteilen den Terrorismus, aber man muß wissen, was darunter jeweils verstanden wird. Ich habe zu diesem Thema in den letzten Jahrzehnten viel geschrieben, dabei den Begriff aber immer im wörtlichen Sinn gebraucht. Insofern verurteile ich alle terroristischen Aktionen, nicht nur die, welche aus propagandistischen Gründen so genannt werden. Anmerkung l Anm. d. Üb.: Michael Walzer ist Professor für Sozialwissenschaften in Princeton und gilt in der Politischen Philosophie als Vertreter des Kommunitarismus. Viele seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt, wie etwa Exodus und Revolution, Sphären der Gerechtigkeit, Kritik und Gemeinsinn. <
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VI. Der Angriff und seine Folgen Die Lage in Afghanistan Fünf Tage nach den Anschlägen auf New York und Washington berichtete John Burns, Korrespondent der New York Times, aus Islamabad: »Washington hat [von Pakistan] die Einstellung der Versorgung mit Brennstoffen... und den Stopp von Lastwagenkonvois, die Afghanistans Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln und anderen Gütern versorgen, gefordert.«1 Bemerkenswerterweise rief der Bericht im Westen keinerlei Reaktionen hervor; ein weiterer Hinweis auf den Charakter der westlichen Zivilisation, die deren Politiker und intellektuellen Eliten beanspruchen aufrechtzuerhalten. Pakistans Regierung kam den Forderungen Washingtons nach. Am 27. September berichtete Burns, Regierungsbeamte in Pakistan hätten gesagt, »sie würden ihre Entscheidung, die etwa 2000 km lange Grenze zu Afghanistan abzuriegeln, in die Tat umsetzen. Die Regierung Bush habe diese Vorgehensweise gefordert, um sicherzugehen, daß sich unter den Flüchtlingsmassen keine Leute aus Bin Ladins Organisation versteckt hielten. « Drei Tage später schreibt ein anderer Korrespondent: »Die Drohung eines Militärschlags beschleunigte den Abzug von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen, wodurch die Weiterführung entsprechender Programme und Aktionen stark gefährdet ist.« Flüchtlinge, die Pakistan »nach vielen Strapazen erreichen, beschreiben Szenen der Verzweiflung und Furcht, weil die Drohung eines Militärschlags unter amerikanischer Führung ihr langwährendes Elend in eine Katastrophe münden lassen könnte«.2 »Das Leben im Land hing an einem seidenen Faden«, berichtet ein evakuierter Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, »den wir gerade durchgeschnitten haben.«3 Der führenden Zeitschrift der Welt zufolge handelte Washington sofort, wobei Tod und Leiden ungezählter Afghanen in Kauf genommen wurden, von denen Millionen ohnehin schon dem Hungertod nahe waren. Darauf nämlich laufen die eben zitierten Worte hinaus. Nach Washingtons Drohung, Afghanistan zu bombardieren und die Nordallianz in eine schwerbewaffnete Streitmacht zu verwandeln, haben sich große Menschenmengen auf den Weg zu den Grenzen gemacht. Natürlich fürchten sie, daß diese Streitkräfte, wenn sie erst einmal losschlagen können, jene Greueltaten wiederholen, die das Land damals zerrissen und einen Großteil der Bevölkerung dazu brachten, die Taliban als Befreiung zu erfahren, weil diese Kriegsparteien, die Washington und Moskau jetzt für ihre eigenen Zwecke dienstbar machen wollen, von den radikal- islamistischen Milizen vertrieben wurden. Die Führer der Nordallianz haben sich nicht mit Ruhm bedeckt, im Gegenteil. Joost Hiltermann, leitender Manager der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, hält ihre Herrschaft über Afghanistan, die von 1992 bis 1995 währte, für »die schlimmste Epoche in der afghanischen Geschichte«. Damals wurden Zehntausende Zivilisten getötet; es gab Massenvergewaltigungen und andere Verbrechen. 1997 ermordeten, Human Rights Watch zufolge, Truppen der Nordallianz 3000 Kriegsgefangene und führten auch in Gegenden, wo sie Taliban-Sympathisanten vermuteten, massive »ethnische Säuberungen« durch, wobei sie viele niedergebrannte Dörfer zurückließen.4 Zudem dürfte der Terror der Taliban-Milizen, der schon schlimm genug wütete, als Reaktion auf eben die Erwartungen, die zu den Flüchtlingsströmen führte, noch stärker geworden sein. Wenn die Flüchtlinge die geschlossenen Grenzen erreichen, sitzen sie in der Falle. Nur wenige können über abgelegene Gebirgspässe entkommen. Keiner weiß, wie viele bereits auf der Flucht gestorben sind. Schon bald setzt der harte Winter ein. In den Flüchtlingslagern jenseits der Grenze gibt es einige Reporter und Angehörige von Hilfsorganisationen. Was sie beschreiben, ist schrecklich genug, aber sie (und wir) wissen, daß sie diejenigen sehen, die in der Lage waren, zu entkommen, und die der Hoffnung Ausdruck geben, »daß selbst die grausamen Amerikaner ein bißchen Mitleid mit unserem zerstörten Land haben« und diesen in aller Stille sich vollziehenden Völkermord beenden.5 Das World Food Program (WFP) der UNO konnte Anfang Oktober einige hundert Tonnen Lebensmittel mit Lastwagen nach Afghanistan bringen, obwohl Schätzungen zufolge damit nach dem Abzug der internationalen Hilfsorganisationen und dem dreiwöchigen Lieferungsstopp nach dem 11. September bestenfalls fünfzehn Prozent des Gesamtbedarfs abgedeckt werden konnten. Dann aber verkündete das WFP die Einstellung aller Konvois und der Verteilung von Lebensmitteln aufgrund der Luftangriffe vom 7. Oktober. Danach sei »das alptraumhafte Szenario von bis zu eineinhalb Millionen Flüchtlingen der Realität einen Schritt näher gekommen«, berichtete AFP unter Berufung auf Angehörige von Hilfsorganisationen. Ein Manager des WFP meinte, daß nun eine humanitäre Katastrophe drohe, »deren Umfang ich mir nicht vorzustellen wage«. Ein Sprecher des UNHCR warnte: »Wir stehen in Afghanistan vor einer humanitären Krise allergrößten Ausmaßes. Siebeneinhalb Millionen Menschen sind unzureichend mit Nahrungsmitteln versorgt und müssen befürchten, Hungers zu sterben.« Alle Hilfsorganisationen halten die Versorgung aus der Luft für den letzten Notanker und ziehen Lkw- Transporte vor, die fast das gesamte Land erreichen könnten. Hochrangige NGO-Vertreter äußerten die Ansicht, daß die geplanten Abwürfe von Lebensmitteln eher ein »Propagandainstrument als eine wirkliche Hilfe für die Afghanen« seien, weil hier »humanitäre Hilfe für zynische Propagandazwecke ausgeschlachtet« werde, während die Bombardements das einzig wirksame Mittel, große Mengen an Nahrung nach Afghanistan zu schaffen - Lkw-Konvois -, zum Erliegen gebracht hätten.6 Die Hilfsorganisationen übten »schneidende Kritik an den nächtlichen Lebensmittelabwürfen«. »Sie könnten ebensogut Flugblätter abwerfen«, kommentierte ein britischer Helfer und spielte damit auf die Propagandabotschaften auf den Paketen an. WFP-Manager wiesen darauf hin, daß diese Abwürfe »Hilfskräfte am Boden [erforderten], die die Pakete aufsammeln« und verteilen, was »am Tage geschehen muß« und mit angemessener Vorwarnung.7 Wenn diese Angaben richtig sind, hatten die mit Lebensmittelabwürfen kombinierten Bombardements den Effekt, die hungernde Bevölkerung gerade nicht mit dem zu versorgen, was sie am dringendsten benötigte. Man kann nur hoffen, daß sich die schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich Hungersnot und Massenflucht nicht bewahrheiten. Allzu optimistisch darf man jedoch nicht sein. Ein im Innenteil der New York Times abgedruckter Bericht erwähnt beiläufig, daß es »Berechnungen der Vereinten Nationen zufolge bald siebeneinhalb Millionen Afghanen geben wird, die dringend wenigstens Brot benötigen... während Bomben fallen«. Die Lieferungen durch Lkws sind um die Hälfte reduziert worden, und der bevorstehende Wintereinbruch wird die Verteilung von Lebensmitteln noch komplizieren.8 Weitere Berechnungen werden nicht angestellt, dürften aber nicht zu schwierig sein. Es ist, was immer auch geschehen mag, bezeichnend, daß diese Fakten offensichtlich als Marginalien in der Planung auftauchen. Die humanitäre Katastrophe ist bereits eingetreten und dürfte sich noch verschlimmern. Die bereits erwähnte indische Schriftstellerin Arundhati Roy hat die Situation auf höchst angemessene Weise beschrieben, als sie zur Operation »Unendliche Gerechtigkeit« (Infinite Justice) - so die zunächst von der Regierung Bush gewählte Bezeichnung - bemerkte: »Wir sind Zeugen der unendlichen Gerechtigkeit dieses neuen Jahrhunderts. Zivilisten verhungern, während sie darauf warten, getötet zu werden.«9 Ihr Urteil verliert nichts an Schärfe, nachdem PR-Spezialisten der Regierung erkannten, daß diese »Unendliche Gerechtigkeit« wohl doch zu sehr an Gott gemahnte. Es war ebenso ein Fehler, wie die Verwendung des Begriffs »Kreuzzug«. Also änderte man den Namen der Operation in »Dauerhafte Freiheit« (Enduring Freedom). Auch dazu erübrigt sich jeglicher Kommentar. Am 25. September vermerkte die New York Times in einer Randnotiz, daß an die sechs Millionen Afghanen auf Lebensmittellieferungen von UN-Organisationen angewiesen seien; hinzu kämen noch dreieinhalb Millionen in Flüchtlingslagern außerhalb Afghanistans, die offensichtlich versorgt werden müssen. Natürlich erkennen die Strategen, daß sie sich als humanitäre Helfer präsentieren müssen, denen daran gelegen ist, die schreckliche Tragödie abzuwenden, die sich nach den Angriffsdrohungen und der von den USA geforderten Schließung der Grenzen abzeichnete. »Experten drängen die Vereinigten Staaten, ihr Image zu verbessern, indem sie die Hilfe für afghanische Flüchtlinge verstärken und den Wiederaufbau der Wirtschaft unterstützen.«10 Selbst ohne PR-Spe-zialisten sollten die Regierungsbeamten begreifen, daß sie die Flüchtlinge wie auch die hungernde Bevölkerung in Afghanistan unterstützen müssen, nicht nur, »um Leben zu retten«, sondern »um bei der Suche nach Terrorgruppen Hilfe zu bekommen«.11 Die Hilfsleistungen müssen so umfassend wie möglich sein, damit die Tragödie nicht in ein paar Wochen Wirklichkeit wird. Was kommt nach den Taliban? Die US-Regierung könnte den Prozeß des stillschweigenden Völkermords, der jetzt im Gange ist, weiterführen und ihn durch humanitäre Gesten ergänzen, um den Beifall derer zu erlangen, die angetreten sind, das Loblied der edlen politischen Führer zu singen, weil diese zum ersten Mal in der Geschichte »Grundsätzen und Werten« verpflichtet sind und die Welt in eine »neue Epoche« voller Idealismus führen, in der überall der »Unmenschlichkeit ein Ende« bereitet wird. Die Türkei schließt sich Washingtons »Krieg gegen den Terrorismus« nur allzu gern an und ist sogar bereit, Bodentruppen zu entsenden, denn die Türken sind, wie Premierminister Ecevit betonte, den USA »besonderen Dank« schuldig, weil Washington, im Gegensatz zu den europäischen Ländern, »Ankara in seinem Kampf gegen den Terrorismus« unterstützt hat. Er meinte damit den bereits erwähnten Völkermord an den Kurden. Zudem lobte Washington die Türkei, weil sie sich den humanitären Bemühungen im Kosovo angeschlossen hatte, wo sie die gleichen von den USA gelieferten F-16-Kampfbomber einsetzte, die sie bei ihren eigenen »ethnischen Säuberungsaktionen« verwendet hatte. Außerdem könnte die Regierung versuchen, die Nordallianz in eine lebensfähige Streitmacht zu verwandeln und noch andere, ihr feindlich gesonnene warlords einbeziehen, wie Washingtons früheren Favoriten Gulbuddin Hekmatyar, der sich jetzt im iranischen Exil aufhält. Wahrscheinlich werden britische und US-amerikanische Kommandos in Afghanistan auf Terroristenjagd gehen und dabei die Bombardements so herunterschrauben, daß die Radikalislamisten nicht noch weiteren Zulauf erhalten. Die jetzigen Aktionen sind allerdings mit der fehlgeschlagenen sowjetischen Invasion der achtziger Jahre nur bedingt vergleichbar. Die Sowjets sahen sich einer schlagkräftigen Armee von etwa 100 000 Soldaten gegenüber, die von der CIA und ihren Verbündeten ausgebildet und bewaffnet worden waren. Die US-Armee trifft auf einen zusammengewürfelten Haufen in einem Land, das seit mehr als zwanzig Jahren systematisch zerstört wurde, wofür ein nicht geringer Teil der Verantwortung bei uns liegt. Die Taliban-Milizen können, abgesehen von einem harten Kern, sehr schnell zusammenbrechen. Zu erwarten ist, daß die Bevölkerung Afghanistans eine Invasionsmacht begrüßt, sofern diese nicht allzu offensichtlich mit den mörderischen Banden verquickt ist, die das Land vor der Machtergreifung der Taliban an den Abgrund gewirtschaftet haben. Viele sind vielleicht schon so weit, daß sie selbst Dschingis Khan willkommen heißen würden. Und was dann? Exilierte Afghanen und, wie es scheint, auch einige Personen, die nicht dem inneren Kreis der Taliban angehören, haben an die Vereinten Nationen appelliert, eine Übergangsregierung einzusetzen, damit das Land wieder stabilisiert wird. Das kann nur mit einer umfangreichen Aufbauhilfe gelingen, die über unabhängige und glaubwürdige Organisationen laufen muß. Die Verantwortung dafür liegt bei denen, die dieses verarmte Land zu dem gemacht haben, was es heute ist. Der Wiederaufbau ist nur möglich, wenn die reichen und mächtigen Nationen entsprechende Anstrengungen unternehmen. Gegenwärtig hat die Regierung Bush dergleichen ausgeschlossen und verkündet, die USA würden sich nicht am »nationalen Wiederaufbau« beteiligen — oder, so jedenfalls sah es am 30. September aus -, den sehr viel ehrenwerteren und humaneren Weg einschlagen, ohne sich einzumischen, substantielle Hilfe für einen Wiederaufbau durch andere Kräfte leisten, die dieses Unternehmen mit einiger Aussicht auf Erfolg in Angriff nehmen könnten. Aber diese Ablehnung muß ja keinen Ewigkeitswert besitzen. Was in anderen Regionen geschieht, hängt von den jeweiligen politischen Konstellationen (bei denen die USA aus ersichtlichen Gründen eine Hauptrolle spielen) und von den weiteren Geschehnissen in Afghanistan ab. Um wirklich gültige Aussagen zu treffen, gibt es allzu viele Möglichkeiten, die abzuwägen hier nicht der Ort ist. Mögliche geopolitische Entwicklungen Washington bewegt sich im Mittleren Osten und in der Golfregion auf höchst unsicherem Terrain. Wir müssen bedenken, um was es geht - nämlich um die größten Energiereserven der Welt, die sich vor allem in Saudi-Arabien, aber auch in der übrigen Golfregion und, in nicht unbeträchtlichem Maße, in Zentralasien befinden. Afghanistan spielt da keine vordringliche Rolle, ist aber seit Jahren als mögliches Transitland für Pipelines im Gespräch, was den USA bei dem schwierigen Prozeß helfen könnte, die Kontrolle über zentralasiatische Ressourcen zu gewinnen. Im Norden Afghanistans liegen Staaten, die von innerer Gewalt zerrissen werden; Usbekistan ist der wichtigste von ihnen. Das Land kämpft gegen islamische Rebellen und ist von Human Rights Watch wegen Menschenrechtsverletzungen angeprangert worden. Tadschikistan, wo die Situation vergleichbar ist, gilt als Relais für den Drogentransfer nach Europa. Es arbeitet eng mit der Nordallianz zusammen, die einen Großteil der afghanisch- tadschikischen Grenze kontrolliert und eine der Hauptquellen für den Drogenhandel war, bis die Taliban dem Mohnanbau ein Ende setzten. Die Flucht von Afghanen in den Norden könnte zu allen möglichen innenpolitischen Problemen führen. Pakistan, bislang der hauptsächliche Unterstützer der Taliban, ist in seiner Stabilität von einer starken radikal-islamistischen Bewegung bedroht. Die Entwicklung dort ist kaum vorhersehbar und kann gefährlich werden, wenn das Land offensichtlich als Stützpunkt für US-amerikanische Operationen in Afghanistan genutzt wird. Außerdem bereitet die Tatsache, daß Pakistan über Kernwaffen verfügt, berechtigte Kopfschmerzen. Das pakistanische Militär erhofft sich zwar Hilfe seitens der USA (die bereits versprochen ist), hat aber die recht stürmischen Beziehungen der letzten Jahre nicht vergessen und fürchtet auch ein möglicherweise feindseliges Afghanistan, das sich mit Indien, Pakistans Feind im Osten, verbündet. Die Pakistani sind nicht erfreut darüber, daß die Nordallianz von Tadschiken, Usbeken und anderen afghanischen Minderheiten, die Pakistan feindlich gesonnen sind, angeführt und von Indien, dem Iran und Rußland (und jetzt auch den USA) unterstützt wird. In der Golfregion herrscht allgemeine Verbitterung über die Nahost-Politik der USA. Bin Ladin wird zwar von vielen abgelehnt, aber insgeheim als »Gewissen des Islam« bezeichnet.12 Insgeheim, weil die dortigen Regierungen keine Meinungsfreiheit kennen; die Menschen sind auch deshalb verbittert, weil die Vereinigten Staaten die repressiven Regimes unterstützen. Innere Konflikte könnten sich sehr schnell ausweiten, mit unvorhersehbaren Folgen, falls die US-amerikanische Kontrolle über die Energiereserven bedroht wird. Ähnliche Probleme stellen sich in Nordafrika und Südostasien, hier in erster Linie Indonesien. Wenn in die Länder dieser Regionen mehr und mehr Waffen fließen, werden militärische Konflikte wahrscheinlicher; überdies profitieren davon auch Terrororganisationen und Drogenhändler. Die Regierungen wiederum schließen sich Washingtons »Krieg gegen den Terrorismus« an, um, wie Rußland und die Türkei, ihre eigenen terroristischen Kriege führen zu können. Eine weitere Gefahr stellt der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan dar. Indien gibt vor, in Kaschmir den islamischen Terrorismus zu bekämpfen, während Pakistan behauptet, Indien verweigere Kaschmir die Selbstbestimmung und habe dort selbst terroristische Aktionen größeren Umfangs durchgeführt. Unglücklicherweise sind alle diese Behauptungen grundsätzlich richtig. Um Kaschmir wurden schon diverse Kriege geführt, zuletzt 1999, als beide Staaten bereits über Atomwaffen verfügten. Bis heute konnte das Ganze unter Kontrolle gehalten werden, aber es gibt keine Garantie dafür, daß das auch in Zukunft so sein wird. Die Gefahr eines nuklearen Krieges wächst, wenn die Vereinigten Staaten auf ihrem Raketenabwehrprogramm bestehen. Die Pläne dafür sehen die Unterstützung für den Ausbau von Chinas Nuklearkapazitäten vor, damit China der Militarisierung des Weltraums zustimmt. Indien und Pakistan werden dann versuchen nachzuziehen. Indiens Kernwaffenarsenal wird von dem ehemaligen Leiter des U.S. Strategie Command als »äußerst gefährlich« und eine der größten Gefahrenquellen in der Region bezeichnet. Außenpolitische Wende in den USA? Präsident Bushs strikt »unilateralistische Haltung« (besonders deutlich in seiner Weigerung, das Protokoll von Kyoto zur Begrenzung von Schadstoffemissionen zu unterzeichnen) ist nur die Fortsetzung bzw. Ausweitung einer schon vor ihm geübten Praxis. 1993 setzte Clinton die Vereinten Nationen davon in Kenntnis, daß die USA auch weiterhin »multilateral handeln werden, wenn es möglich, aber unilateral, wenn es nötig ist«. Und so verfuhr er dann auch. Diese Haltung wurde von der UN-Botschafterin Madeleine Albright und 1999 von Verteidigungsminister William Cohen bekräftigt, der sogar erklärte, die Vereinigten Staaten seien zum »unilateralen Einsatz militärischer Macht« verpflichtet, um lebenswichtige Interessen zu verteidigen, wozu er »den ungehinderten Zugang zu Schlüsselmärkten, Energievorräten und strategischen Ressourcen« rechnete. De facto fällt darunter alles, was Washington zufolge dem Bereich der eigenen Rechtsprechung subsumiert werden kann. Allerdings ging Bush noch darüber hinaus und löste damit unter den Verbündeten beträchtliche Besorgnis aus. Die augenblickliche Notwendigkeit, ein breites Bündnis herzustellen, wird die unilateralistische Rhetorik abschwächen, jedoch kaum die Politik ändern. Die Mitglieder des Bündnisses sollen die Sache der USA stillschweigend und gehorsam unterstützen, ohne gleichberechtigte Partner zu sein. Das Recht auf eigenständiges Handeln bleibt den Vereinigten Staaten vorbehalten, die es im übrigen sorgsam vermeiden, sich, wie es das Völkerrecht erfordert, an internationale Institutionen zu wenden. Manche Gesten scheinen das Gegenteil zu bekunden, doch fehlt ihnen jegliche Glaubwürdigkeit. Die Regierungen der anderen Staaten werden, wie üblich, das Spiel mitspielen und haben dafür ihre jeweils eigenen Gründe. Ebensowenig wird es eine neue Palästina-Politik geben, obwohl Außenminister Colin Powell so etwas angekündigt hat. In der New York Times dazu zitierte Quellen weisen darauf hin, daß Bush und Powell noch nicht einmal so weit gehen werden wie Clinton mit seinen Vorschlägen von Camp David. Doch auch die waren schon völlig inakzeptabel, wie man sich leicht begreiflich machen kann, wenn man eine Landkarte betrachtet. Bürgerbewegungen und internationale Politik Wenn die Bürgerbewegungen in dieser Situation sich mit Kritik und Aktionen zurückhalten, werden sie den Kreislauf der Gewalt nur verstärken und die Wahrscheinlichkeit weiterer Greueltaten, die vielleicht noch schlimmer ausfallen als die Anschläge vom 11. September, erhöhen. Außerdem helfen sie damit den reaktionärsten Gruppen im politisch-ökonomischen Machtsystem, Pläne durchzusetzen, die der Bevölkerung hier und im Ausland großen Schaden zufügen und sogar das Überleben der Menschheit bedrohen können. Wenn sie das Gegenteil erreichen und Freiheit, Menschenrechte und Demokratie befördern wollen, müssen sie ihre Bemühungen, die Hintergründe dieser und anderer Verbrechen aufzudecken, noch verstärken und die gerechte Sache, der sie sich bislang verpflichtet fühlten, energisch weiter betreiben. Sie sollten zuhören, wenn der Bischof der südmexikanischen Stadt San Cristobal de las Casas, der genug Elend und Unterdrückung gesehen hat, die Nordamerikaner drängt, »darüber nachzudenken, warum sie so verhaßt sind«, nachdem die USA »ihre wirtschaftlichen Interessen mit Gewalt geschützt haben«.13 Sicher ist es schmeichelhafter, liberalen Kommentatoren zuzuhören, die uns versichern, daß »sie uns hassen, weil wir für eine »neue Weltordnung« kapitalistischer, individualistischer, säkularisierter und demokratischer Provenienz eintreten, die überall zur Norm werden sollte«.14 Oder wir folgen Anthony Lewis, der uns glauben machen will, die von den USA in der Vergangenheit betriebene Politik sei nur insoweit von Bedeutung, als sie »die Einstellung der Öffentlichkeit in der arabischen Welt gegenüber den Bestrebungen der Antiterror-Koalition negativ beeinflußt« habe.15 Ansonsten, so erklärt er im Brustton der Überzeugung, hat unsere Politik mit den Zielen der Terroristen nichts zu tun. Was sie sagen, ist so nebensächlich, daß man es ignorieren kann. Ebenso können wir die Übereinstimmung zwischen ihren Worten und ihren Taten, die seit zwanzig Jahren terroristischer Aktionen bekannt ist und über die seriöse Journalisten und Wissenschaftler informiert haben, ignorieren. Es ist eben einfach wahr und keines Beweises bedürftig, daß die Terroristen »eine unheilbar sündhafte und ungerechte Welt mit Gewalt verändern wollen« und lediglich für einen »apokalyptischen Nihilismus« stehen (hier zitiert Lewis zustimmend Michael Ignatieff). Die Ziele und Aktionen, zu denen sich die Terroristen bekennen, sind uns ebenso gleichgültig wie die Einstellungen der Bevölkerung in der Golfregion, selbst wenn es sich dabei um pro-amerikanische Kuwaiter handelt. Wir sind an solchen Reaktionen ganz und gar unschuldig. Solche Vorstellungen sind angenehm, aber nicht besonders klug, wenn es um die Zukunft geht. Neue Möglichkeiten, immerhin, tun sich auf. Der Schock über die grauenhaften Anschläge hat auch in den intellektuellen Eliten zu einem Umdenkungsprozeß geführt, der noch vor kurzer Zeit nicht vorstellbar gewesen wäre, und das gilt in noch höherem Maße für die breite Öffentlichkeit. Kritik und Dissidenz werden, wie ich aus persönlicher Erfahrung berichten kann, nicht nur in Europa stärker wahrgenommen, sondern finden sogar Eingang in die Mainstream-Medien der Vereinigten Staaten. Natürlich gibt es auch diejenigen, die stillschweigenden Gehorsam fordern. Das kennen wir von den Ultrarechten, aber in Ansehung der Geschichte müssen wir es auch von einigen Linksintellektuellen erwarten. Aber es ist wichtig, sich nicht von hysterischen Phrasen und Lügen einschüchtern zu lassen, sondern so weit wie möglich wahrhaftig und aufrichtig zu sein und die Folgen dessen, was man tut oder zu tun unterläßt, zu bedenken. Binsenweisheiten, an die wir uns hin und wieder erinnern sollten. Darüber hinaus müssen wir uns den spezifischen Problemen zuwenden, um zu wissen, was wir erforschen und wie wir handeln sollen. Anmerkungen 1 John Burns, New York Times vom 16. September 2001. 2 Douglas Frantz, New York Times vom 30. September 2001. 3 John Sifton, New York Times Magazine vom 30. September 2001. 4 Vgl. dazu u. a. Charles Sennott, Boston Globe vom 6. Oktober 2001. 5 Boston Globe vom 27. September 2001, Titelseite. 6 Zitate aus der Financial Times vom 9. Oktober 2001. Der Bericht beruft sich auf Oxfam, Ärzte ohne Grenzen, Christian Aid, Save the Children Fund und UN-Vertreter. 7 Financial Times vom 10. Oktober 2001. 8 Barry Bearak in der New York Times vom 15. Oktober 2001. 9 Guardian vom 29. September 2001. 10 Christian Science Monitor vom 28. September 2001. 11 So zitiert der Boston Globe vom 27. September 2001 einen Beamten des Pentagon, der damit »die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen will«. 12 Vgl. New York Times vom 5. Oktober 2001, die einen in den USA ausgebildeten Anwalt für internationales Wirtschaftsrecht zitiert. 13 Marion Lloyd aus Mexiko City im Boston Globe vom 30. September 2001. 14 Ronald Steel in der New York Times vom 14. September 2001. 15 New York Times vom 6. Oktober 2001. <
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Anhang Außenministerium Bericht über ausländische Terroristenorganisationen Freigegeben vom Office of the Coordinator for Counterterrorism 5. Oktober 2001 Hintergrund Der Außenminister kennzeichnet ausländische Terroristenorganisationen (Foreign Terrorist Organizations, FTOs) in Absprache mit dem Justizminister und dem Finanzminister. Diese Kennzeichnungen erfolgen gemäß dem Gesetz zur Einwanderung und Staatsbürgerschaft und seiner Ergänzung durch das Gesetz zum Antiterrorismus und zur Todesstrafe von 1996. FTO-Kennzeichnungen gelten für einen Zeitraum von zwei Jahren, wonach sie erneuert werden müssen oder automatisch verfallen. Die Neukennzeichnung nach zwei Jahren ist eine positive Maßnahme und stellt eine Entscheidung des Außenministers dar, derzufolge die Organisation weiterhin terroristische Aktivitäten ausführt und den gesetzlich festgelegten Kriterien entspricht. Im Oktober 1997 stimmte die ehemalige Außenministerin Madeleine K. Albright der Kennzeichnung der ersten 30 Gruppen als ausländische Terroristenorganisationen zu. Im Oktober 1999 bestätigte Ministerin Albright 27 dieser Kennzeichnungen, ließ jedoch drei Organisationen aus der Liste streichen, weil sie nicht mehr in terroristische Aktivitäten involviert waren und den Kennzeichnungskriterien nicht mehr entsprachen. Ministerin Albright kennzeichnete 1999 eine neue FTO (al-Qaida) und 2000 eine weitere (die Islamische Bewegung Usbekistans). Außenminister Colin L. Powell hat 2001 zwei neue FTOs gekennzeichnet (die Wahre IRA und die AUC). Im Oktober 2001 bestätigte Minister Powell die Kennzeichnung von 26 der 28 FTOs nach dem festgelegten Zeitraum von zwei Jahren und schloß zwei zuvor gekennzeichnete Gruppen (Kahane Chai und Kach) zu einer zusammen. Gegenwärtige Liste gekennzeichneter ausländischer Terroristenorganisationen (vom 5. Oktober 2001): 1. Organisation Abu Nidal 2. Abu Sayyaf 3. Bewaffnete Islamische Gruppe 4. Aum Shinrikyo (Japan) 5. ETA (Baskenland/Spanien) 6. Gama'a al-lslamiyya (Islamische Gruppe) 7. Hamas (Islamische Widerstandsbewegung) 8. Harakat ul-Mudschahedin 9. Hisbollah (Gottespartei) 10. Islamische Bewegung Usbekistans 11. AI-Dschihad (Ägypten) 12. Kahane Chai (Israel) 13. Kurdische Arbeiterpartei (PKK; Türkei) 14. Tamilische Befreiungsbewegung (Sri Lanka) 15. Organisation Mudschahedin-e Kalq 16. Nationale Befreiungsarmee 17. Palästinensischer islamischer Dschihad 18. Palästinensische Befreiungsfront (PLO) 19. Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 20. PFLP-Hauptkommando 21.AI-Qaida Anhang 85 22. Wahre IRA (Nordirland) 23. Revolutionäre Bewaffnete Streitkräfte Kolumbiens (FARC) 24. Revolutionäre Zellen (früher ELA) 25. Revolutionäre Organisation 17. November 26. Revolutionäre Volksbefreiungsarmee/-front 27. Leuchtender Pfad (Sendero Luminoso; Peru) 28. Vereinigte Selbstverteidigungsstreitkräfte Kolumbiens Hinweis: Beschreibungen dieser FTOs finden sich in »Patterns of Global Terrorism: 2000«. Rechtliche Kriterien für die Kennzeichnung 1. Die Organisation muß ausländisch sein. 2. Die Organisation muß gemäß der Definition in Abschnitt 212 (a)(3)(B) des Gesetzes zur Einwanderung und Staatsbürgerschaft terroristische Aktivitäten durchführen.* (siehe unten) 3. Die Aktivitäten der Organisation müssen die Sicherheit USamerikanischer Staatsbürger oder die nationale Sicherheit (Verteidigung, Außenpolitik oder Wirtschaftsinteressen) der Vereinigten Staaten bedrohen. Folgen der Kennzeichnung Rechtliche: 1. Eine Person oder ein der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten unterstelltes Rechtssubjekt handelt ungesetzlich, wenn diese Person oder dieses Subjekt einer gekennzeichneten FTO Geldmittel oder andere materielle Unterstützung gewährt. 2. Repräsentanten und bestimmten Mitgliedern einer gekennzeichneten FTO können, wenn sie Ausländer sind, Visa verwehrt oder aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen werden. 3. US-amerikanische Finanzinstitutionen müssen Kapitalvermögen gekennzeichneter FTOs und ihrer Agenten sperren und diese Sperrung dem Büro für die Kontrolle ausländischer Geldanlagen (Office of Foreign Assets Control) im US-Finanzministerium mitteilen. Andere: 1. Verhinderung von Geschenken und Beiträgen an gekennzeichnete Organisationen 2. Erhöhung der öffentlichen Aufmerksamkeit für terroristische Organisationen 3. Mitteilung unserer Besorgnis über gekennzeichnete Organisationen an andere Regierungen 4. Internationale Stigmatisierung und Isolierung gekennzeichneter Organisationen Das Procedere Nach einer erschöpfenden Sichtung geheimdienstlicher und anderer Erkenntnisse, in der alle Beweise aus geheimen und öffentlich zugänglichen Quellen für die Aktivitäten einer Gruppe geprüft werden, trifft der Außenminister eine Entscheidung hinsichtlich der Kennzeichnung oder Neukennzeichnung von FTOs. Das Außenministerium verfertigt, in Zusammenarbeit mit dem Justiz- und Finanzministerium und den Geheimdiensten, eine detaillierte »Regierungsvorlage « (administrative record), in der die terroristischen Aktivitäten der gekennzeichneten FTO dokumentiert sind. Sieben Tage, bevor eine FTO-Kennzeichnung im Bundesregister veröffentlicht wird, erhält der Kongreß vom Außenministerium diesbezüglich eine geheime Mitteilung. Den gesetzlichen Bestimmungen zufolge können Kennzeichnungen juristisch überprüft werden. Wird gegen eine Kennzeichnung vor einem Bundesgericht Einspruch erhoben, verläßt sich die US-Regierung auf die Vorlage, um die Entscheidung des Ministers zu verteidigen. Da diese Vorlagen geheimdienstliche Materialien enthalten, sind sie als geheim eingestuft. FTO-Kennzeichnungen verfallen nach zwei Jahren, sofern sie nicht erneuert werden. Laut Gesetz kann der Außenminister in Absprache mit dem Justiz- und dem Finanzminister jederzeit weitere Gruppen hinzufügen. Der Minister kann auch, wenn er dies für begründet hält, Kennzeichnungen widerrufen, nachdem er den Kongreß davon in Kenntnis gesetzt hat. * Das Gesetz zur Einwanderung und Staatsbürgerschaft definiert den Begriff »terroristische Aktivität« wie folgt: Terroristisch ist jegliche Aktivität, die hinsichtlich der Gesetze des Ortes, an dem sie ausgeführt wird, ungesetzlich ist (oder die, falls sie in den Vereinigten Staaten ausgeführt wird, hinsichtlich der Gesetze der Vereinigten Staaten oder jedes einzelnen Staates, ungesetzlich wäre) und mindestens eine der folgenden Handlungen einschließt: (I) Die Entführung oder Sabotage jeglicher Beförderungsmittel (eingeschlossen Flugzeuge, Wasserfahrzeuge oder Landfahrzeuge). (II) Die Ergreifung oder Festsetzung eines anderen Individuums, verbunden mit der Drohung, dieses Individuum zu töten, zu verletzen oder weiter festzuhalten, mit der Absicht, dadurch eine dritte Person (einschließlich Regierungsorganisationen) zu zwingen, als explizite oder implizite Bedingung für die Freilassung des ergriffenen oder festgesetzten Individuums eine Handlung zu vollziehen oder zu unterlassen. (III) Ein gewaltsamer Angriff auf eine international geschützte Person (gemäß der Bestimmung in Abschnitt 1116(b)(4) von Titel 18, US-Strafgesetzbuch) oder auf die Freiheit einer solchen Person. (IV) Ein politischer Mord. (V) Die Verwendung von jeglichen a) biologischen oder chemischen Agentien oder nuklearen Waffen oder Einrichtungen, oder b) Explosivstoffen oder Feuerwaffen (außer zum rein persönlichen Gelderwerb), mit der Absicht, die Sicherheit von einem oder mehreren Individuen direkt oder indirekt zu gefährden oder Eigentum substantiell zu beschädigen. (VI) Die Drohung, der Versuch oder die Verschwörung, eine dieser Handlungen auszuführen. Der Begriff »eine terroristische Aktivität ausführen« bedeutet, als Individuum oder als Mitglied einer Organisation eine terroristische Handlung auszuführen oder eine Handlung auszuführen, von der der Handelnde weiß oder vernünftigerweise wissen sollte, daß sie einem Individuum, einer Organisation oder einer Regierung materielle Unterstützung bei der Durchführung einer terroristischen Aktivität zu einer beliebigen Zeit gewährt, wobei diese Aktivität zumindest eine der folgenden Handlungen einschließt: (I) Die Vorbereitung oder Planung einer terroristischen Aktivität. (II) Das Sammeln von Informationen über mögliche Ziele für eine terroristische Aktivität. (III) Die Bereitstellung jeglicher Art von materieller Unterstützung, einschließlich einer sicheren Unterkunft, Transport- und Kommunikationsmittel, Vermögen, falsche Dokumente oder Personalpapiere, Waffen, Explosivstoffe oder Ausbildung, für ein Individuum, von dem der Handelnde weiß oder Grund hat, anzunehmen, daß es eine terroristische Aktivität ausgeführt hat oder eine solche auszuführen plant. (IV) Das Anwerben von Vermögenswerten oder anderen wertvollen Gegenständen für terroristische Aktivitäten oder eine terroristische Organisation. (V) Das Anwerben eines Individuums für die Mitgliedschaft in einerterroristischen Vereinigung, terroristischen Regierung oder für die Ausführung einer terroristischen Aktivität. <
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Literaturempfehlungen Noam Chomsky, A New Generation Draws the Line. Kosovo, East Timor and the Standards of the West, Verso 2000 (dt.: People Without Rights. Kosovo, Ost-Timor und der Westen, ab Frühjahr 2002 im Europa Verlag). Noam Chomsky, Culture ofTerrorism, South End Press 1988. Noam Chomsky, Necessary Illusions, Stoddart Publishing 1991. Noam Chomsky, Pirates and Emperors, Claremont Research & Publishing 1986. Noam Chomsky & E. S. Herman, Political Economy of Human Rights, South End Press 1979. John Cooley, Unboly Wars: Afghanistan, America and International Terrorism, Pluto Press 1999. Alex George (Ed.), Western State Terrorism, Polity-Blackwell 1991. E. S. Herman, Real Terror Network, South End Press 1982. E. S. Herman & Noam Chomsky, Manufacturing Consent, Pantheon 1998. E. S. Herman & Gerry O'Sullivan, The »Terrorism« Industry, Pantheon 1990. Walter Laqueur, Age of Terrorism, Little, Brown and Co. 1987 (dt.: Terrorismus: die globale Herausforderung, Ullstein 1987). Michael McClintock, Instruments of Statecraft, Pantheon 1992. Paul Wllkinson, Terrorism and the Liberal State, NYU Press 1986. <
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Zum Autor Noam Chomsky, geboren am 7. Dezember 1928, politischer Aktivist, Sprachtheoretiker und seit 1961 Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ist Träger von zehn Ehrendoktorwürden und etlicher anderer hoher Auszeichnungen und Preise, Mitglied der American Academy of Art and Sciences und der National Academy of Science und Autor mehrerer Bestseller über Linguistik, Philosophie und Politik. Zuletzt erschienen auf deutsch »Profit Over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung«, eine alarmierende und vernichtende Kritik an der »Logik des freien Markts«, sowie »War Against People. Menschenrechte und Schurkenstaaten«, eine hochaktuelle und überfällige Analyse der USAußenpolitik und -Propaganda. Im Europa Verlag sind weitere Übersetzungen von Werken Noam Chomskys in Vorbereitung. Chomsky im Europa Verlag Noam Chomsky Profit Over People Neoliberalismus und globale Weltordnung Broschur, 3-203-76010-X Eine alarmierende und vernichtende Kritik an der »Logik des freien Marktes« »Noam Chomskys Analysen und Argumente sind einfach bestechend. Ein Pessimist, der Mut macht.« THE GUARDIAN Noam Chomsky War Against People Menschenrechte und Schurkenstaaten Broschur, 3-203-76011-8 Schurkenstaaten sind die USA und ihre Verbündeten, und die Menschenrechte sind ihr Vorwand, Gegenspieler und Opfer, lautet die Grundthese dieses brandaktuellen Buchs. »Chomsky hat eben einfach Recht.« MARK TERKESSIDIS Standardwerke zur NS-Zeit Wolfgang Mönninghoff Enteignung der Juden Wunder der Wirtschaft - Erbe der Deutschen Gebunden, 3-203-80075-6 Die Enteignung von Juden und ihre Ausschaltung aus der Wirtschaft und allen möglichen Ämtern wurde jahrzehntelang verleugnet - aber profitiert wird von der »Arisierung« heute noch. Wolfgang Mönninghoff nennt Täter wie auch Opfer und stellt das Wunder der Wirtschaft und das Erbe der Deutschen in Frage. Ulrich Völklein Geschäfte mit dem Feind Die geheime Allianz des großen Geldes während des Zweiten Weltkriegs auf beiden Seiten der Front Gebunden, 3-203-83700-5 Erst jetzt hat das Nationalarchiv in Washington bislang gesperrte Bestände über die Kollaboration der Kriegsgewinner freigegeben. Auf Grundlage der Archivalien legt Ulrich Völklein die erste Dokumentation dieses speziellen Kapitels deutsch-amerikanischer Freundschaft vor. |
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"The Attack - Hintergründe und Folgen" by Noam
Chomsky |