The World at Gunpoint
"A
global era requires global engagement. (Ein globales Zeitalter
braucht globales Engagement)", sagte Generalsekretär Annan
bei seinem Jahresbericht (20.9.99) an die UN-Generalversammlung.
Und wo wird dieses Engagement benötigt? "Von Sierra Leone bis Sudan
bis Angola bis zum Balkan bis Kambodscha und Afghanistan gibt es
eine große Zahl Völker, die von der internationalen Gemeinschaft
mehr brauchen als bloß Worte des Mitleids." Damit Mitleid erst gar
nicht nötig ist, schlägt er vor: "Wenn wir die Zukunft der Intervention
betrachten, müssen wir unsere Bemühungen verdoppeln, unsere Vorbeugungsmaßnahmen
zu erweitern - einschließlich Frühwarnungen, Präventivdiplomatie,
präventive Stationierung und präventive Entwaffnung."
Vor
dem selben Gremium (22.9.99) schließt sich Kriegsaußenminister
Fischer den Drohungen an: "Generalsekretär Kofi Annan hat zu Recht
dazu aufgerufen, eine "Kultur der Prävention" zu entwickeln, um den
Ausbruch von Kriegen und Naturkatastrophen künftig wirksamer zu verhindern.
... Die Nichteinmischung in "innere Angelegenheiten" darf nicht länger
als Schutzschild für Diktatoren und Mörder mißbraucht werden.
... Peacekeeping-Operationen müssen bereits im Vorfeld von Konflikten
stattfinden. ... Die Festsetzung Pinochets und die Anklage Milosevics vor
dem Internationalen Jugoslawien-Tribunal sind Meilensteine auf dem Weg
zur weltweiten Herrschaft des Rechts" Kriege und Naturkatastrophen, zum
Intervenieren sind alle Anlässe recht, in seiner Rede nennt er u.a.:
Bürgerkriege, ethnische Spannungen, Pogrome, Masenvertreibung, Massenmord,
Völkermord, Umweltzerstörung. Und wenns die nicht gibt, kann
man immer noch präventiv eingreifen. Daß das der Heimatfront
möglicherweise nicht so leicht unterzujubeln ist, sieht er selbst:
"Jeder weiß, wie schwierig der Übergang von der "Kultur der
Reaktion" zu einer "Kultur der Prävention" sein wird. Es verlangt
große Überzeugungskraft, um die politische und ökonomische
Bereitschaft für Maßnahmen aufzubringen, die etwas verhindern
sollen, was es hoffentlich niemals geben wird."
Und
wer soll sich an der weltweiten Herrschaft des Recht beteiligen? "Antworten
auf die großen Weltprobleme zu finden, wird im Rahmen der klassischen
Nationalstaaten nicht mehr möglich sein, sondern nur in einer gestärkten
internationalen Struktur und mit einem Machttransfer auf internationale
Organisationen, an ihrer Spitze die Vereinten Nationen, einer Transformation
von klassischer Macht in Recht, einem Interessenausgleich und einer Zivilisierung
des internationalen politischen Systems bei immer stärkerer Einbindung
von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Wirtschaftsunternehmen. ... Ich
unterstütze den Vorschlag von GS Kofi Annan, im Rahmen einer public-private
partnership zwischen den VN und großen Unternehmen einen globalen
Pakt über gemeinsame Werte und Grundsätze abzuschließen,
die dem Gesetz des Marktes ein menschliches Gesicht geben." Ja genau, bei
den Wirtschaftsunternehmen ist die weltweite Herrschaft des Rechtsbestens
aufgehoben, bekannte Beispiele dafür sind Shell in Nigeria, BP, die
sich in Kolumbien gleich eine Privatarmee leistet, Rio Tinto auf Irian
Jaya ... die Aufzählung soll nicht den Eindruck erwecken, als gehe
es jenseits der Multis irgendwie menschenfreundlicher zu. Egal ob Global
Player oder einheimische Klitsche, an der weltweiten Herrschaft des Rechts
auf ungestörte Ausbeutung sind alle gleichermaßen interessiert.
Die
Bitten der Welt, dieses Recht möge durchgesetzt werden, stoßen
beim Minister auf anderthalb nicht-taube Ohren: "Wie Sie wissen, hat Deutschland
schon länger seine Bereitschaft erklärt, in diesem Zusammenhang
dauerhaft mehr Verantwortung zu übernehmen. Hieran halten wir uneingeschränkt
fest. ... Die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder können sich darauf
verlassen, daß sie bei den Bemühungen um eine Stärkung
der UNO keinen verläßlicheren Verbündeten haben werden
als die Deutschen." Ein bißle großmäulig, schon der Einsatz
im Kosovo streßt die Bundeswehr total. Für Osttimor können
gerade noch 100 Sanitäter u.ä. bereitgestellt werden. Nichtsdestotrotz
droht er beim russischen Kriegsaußenminister Iwanow wieder mit dem
Knüppel "Humanitäre Katastrophe", wg. Tschetschenien (15.10.99).
Der kontert: "Kampf gegen den internationalen Terrorismus". Das Argument
hat er wohl second-hand als Entwicklungshilfe aus den USA gekriegt, weil
es dort, wegen der peinlichen Angelegenheit mit der sudanesischen Arzneimittelfabrik,
nicht mehr so gut kommt. In Rußland reicht Propaganda allein aber
nicht aus, dort mußten erst mehrere Wohnhäuser in die Luft gejagt
werden, um die Bevölkerung auf einen neuen Tschetschenienkrieg einzustimmen.
Es
gibt weitere Mitbewerber darum, wer am eifrigsten die weltweite Herrschaft
des Rechts durchsetzt. Der australische Premierminister Howard hat für
Australien die Rolle des Hilfssheriffs der USA in Asien beansprucht. In
einem Zeitschrifteninterview wies er darauf hin, daß Australien dafür
deshalb so geeignet sei, weil es einerseits vor Ort liegt, andererseits
"eine europäische, westliche Zivilistation mit starken Verbindungen
nach Nordamerika" sei.
Daß
für die finsteren Pläne der Weltherrscher militärisches
Eingreifen immer notwendiger erscheint, zeigt wie sehr die Verhältnisse
unter Druck stehen. Sollen diese Gestalten ruhig schwätzen. Zwischen
der Absicht, die Welt nach den Bedürfnissen von Arbeit und Ausbeutung
zu ordnen, und deren Realisierung liegen enorme Schwierigkeiten. Krisen-
und Konfliktherde ohne Ende. Zusätzlich zu den vom GS genannten, fallen
mir ohne Nachdenken ein: Irak, Kolumbien, die Dauerbrenner Sri Lanka, Kaschmir,
Burma. Die verzweifelten Versuche, die Hot-Spots militärisch (egal
ob per internationaler Intervention, einheimischem Militär oder Aufstandsbekämpfungseinheiten)
in den Griff zu kriegen, ähneln mehr und mehr dem Versuch, das Loch
im Damm mit dem Daumen zu stopfen. Bezüglich der militärischen
Effektivität hat die NATO bei der Bombardierung Jugoslawiens nicht
gut ausgesehen, und nicht nur bei der Bundeswehr ist so ziemlich die Luft
raus. Auch die Briten haben signalisiert, daß sie jetzt erst mal
kürzer treten wollen, weil bedeutende Kräfte im Kosovo gebunden
sind. Beruhigend ist das leider nicht. Schon zweimal hat es in diesem Jahrhundert
wegen der für das Kapital blockierten Situation Weltkriege gegeben.
Kein Wunder, daß die USA nicht auf ihre Atomwaffentests verzichten
wollen.
Die
Freunde der Zivilgesellschaft haben ebenfalls Interesse an einer weltweiten
Herrschaft des Recht. Zu Anhängern der "famosen Menschenrechte...,
die nur das Recht auf kapitalistische Ausbeutung sind," (Lafargue)
werden in Zeiten der Klassenkampfflaute auch Linke, keineswegs nur hierzulande
(s.Brief aus Thailand). Viele holen im Kopf nach,
daß sie in ihrer Lebensführung den Frieden mit dem System geschlossen
haben: als Wissenschaftler, Betriebsräte, Vertrauensleute, Rechtsanwälte,
Politkünstler, Zeitungsleute, Mitarbeiter von NGOs, Hilfsorganisationen
oder Beratungsstellen ... (Genossen, die nicht zu dieser
Freakshow gehören, sind zwar auch nicht gefeit, neigen meiner Erfahrung
nach aber eher zum Privatisieren/Sucht/Selbstmord/Wahnsinn, als dazu, direkt
die Seite zu wechseln.) Mal abgesehen davon, daß die von den
Freunden der Zivilgesellschaft favorisierte Variante des Kapitalismus eigene
Schrecken beinhaltet, ist der humanitäre Kapitalismus genauso unmöglich
wie der humanitäre Krieg. Die Zivilgesellschaft hätte so gerne
mehr das demokratische und gutbürgerliche an der Diktatur der Bourgeoisie:
Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, freie Gewerkschaften,
Wohlfahrtsstaat ... Dieses Zuckerbrot ist jedoch nicht von der Peitsche
zu trennen. Und immer wieder beweisen die Freunde der Zivilgesellschaft,
daß sie bereit sind, die Peitsche zu billigen: Zensur? Kein Problem,
wenns gegen Kinderpornographie oder Rechtsradikale ist. Razzien? Kein Problem,
wenns gegen das organisierte Verbrechen ist. Sanktionen? Kein Problem,
im Golfkrieg haben viele Anti-Kriegsaktivisten und Friedensorganisationen
alternativ zur direkten Kriegsführung eine Wirtschaftsblockade gegen
den Irak verlangt. Durch ebensolche jahrelangen Sanktionen kamen und kommen
hunderttausende Iraker um. Militäreinsätze? Kein Problem, wenns
im humanitären Interesse ist. In Somalia haben Hilfsorganisationen
die Intervention herbeigerufen. Die Kriegsführung der NATO in Jugoslawien
wurde durch die Hilfsorganisationen, die sich um die durch die Bombardierungen
erzeugten Flüchtlingsströme kümmerten, abgesichert.
Trotz
alledem ist es immer wieder unfaßbar, wie leicht die Medien manipulieren
können und wie leicht die Linken auf Interventionskurs einschwenken.
Im Fall Kosovo haben zwar nur Leute den Krieg unterstützt, die man
sowieso schon lange nicht mehr als Linke bezeichnen konnte. Im Fall Osttimor
hat es in Australien jedoch eine gewaltige Massenmobilisierung für
die UN-Intervention gegeben, und die Bewegung wurde bis weit in die radikale
Linke mitgetragen. Die humanitäre Demagogie hat voll funktioniert.
Hierzulande wäre es nicht anders, wenn nur die Propagandamaschine
hochtourig genug läuft. Schließlich halten viele die UN für
besser, weil ziviler, als die NATO. Den Koreakrieg haben sie wohl vergessen.
Außerdem hält die UN ja das Völkerrecht ein, ganz wichtig
für einen großen Teil der NATO- Kriegsgegner. Aus den Anfangszitaten
wird klar, daß gerade eine Umdeutung des Völkerrecht im Gange
ist. Genauso wie bei der neuen NATO- Strategie soll auch die UN im Prinzip
die Möglichkeit haben, sich überall einzumischen.
Was
bleibt uns zu tun? In der australischen Diskussion um die Osttimor- Intervention
schlägt einer der Interventionsgegner umfassende weltweite Arbeiteraktion
vor. Leider ist das z.Z. illusorisch, wo sollte die so plötzlich herkommen?
Man muß zugeben, in Australien hat es Gewerkschaftsaktionen gegeben:
Hafenarbeiter haben indonesische Waren nicht mehr ver- und entladen, Post-
und Telekomarbeiter keine Post zum indonesischen Konsulat zugestellt, bzw.
keine Reparaturen durchgeführt, Müllarbeiter dort den Müll
nicht abgeholt, es gab Blockaden/Boykotte bei der indonesischen Fluglinie
Garuda und einiges andere. Die Aktionen waren schon korrekt, und die Forderung,
daß Indonesien sein Militär abziehen soll, auch. Aber da auch
die australische Regierung, bzw. die UN zum Handeln (d.h.
zur Intervention) aufgefordert wurde, war es nur konsequent, daß
der Gewerkschaftsdachverband die Blockaden beim Einmarsch der InterFET
in OT aufhob.
Wir,
und andere Interventionsgegner auch, haben versucht, die wirklichen Interessen
hinter den "humanitären" zu analysieren. Das ist nötig, aber
nicht ausreichend. Denn auf die Frage, wie das Morden gestoppt werden kann,
haben wir keine Antwort. Weder für Osttimor/Indonesien noch für
Tschetschenien noch für die vielen Massaker, die sich demnächst
ereignen werden. Was bleibt ist das Gefühl ohnmächtiger Wut.
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