Eulenspiegel 10/99, das Monatsmagazin
für Satire, Humor, Nonsens plus ultra * Unbestechlich aber käuflich

Rudis Traum kurz vor der Erfüllung 

OST-TIMOR ­ WIR KOMMEN!

[Friedenstreiber]»Wir können tun und lassen, was wir wollen«, lautet eine alte phönizische Astrologenweisheit, »aber Vorwände müssen wir dafür haben.« Ohne Schweiß kein Preis, ohne diplomatische Intrige kein Krieg. So kidnappten die Trojaner die Naddel-Ahnin Helena, um den Kriech mit den Griechen zu provozieren; die Russen ließen Husak um Hilfe gegen die CSSR rufen; und wie die Nato zu ihrer Kosovo-Intervention kam, ist noch in guter Erinnerung.

Vor allem der oberste Friedenstreiber, Rudi Scharping, wurde nicht müde, den Frieden gegen die Serben zu predigen, weil es ein gerechter und heiliger Frieden sei.

Rein zwangsläufig fiel uns sein Tagebuch in die Hände. Die folgenden Einträge bitten wir vertraulich zu behandeln und nicht im PC zu speichern, schon gar nicht unter Kennwörtern wie »Stalingrad«, »Ardennenoffensive« oder »Waterloo«! 
 

Donnerstag, Kabinettsdinner. Ewiger Streit über Eichels Geiz-Orgie. Arbeitslager für Ausländer, Euthanasie für Rentner ab 70? Meinetwegen, aber Pfoten weg von meiner Friedensknete! An der Truppe knausern ­ mit dieser Einstellung wäre Rommel nicht mal bis Königs-Wusterhausen gekommen. Wenn sich nicht bald was tut, bin ich überflüssig wie immer. Ein Friedensminister, der nicht Frieden führt, ist wie ein EU-Kommissar ohne Nebenverdienst.
 
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Montag, nach der Tagesschau: Wieder mal Erdbeben im Orient. Was gucken die mich dabei so blöde an? Wollen die etwa einen Katastropheneinsatz à la Oderbruch? Zum Aufräumen nach so 'nem bißchen Unwetter sollen die sich nubische Putzfrauen nehmen. Haben wir die Berufssoldaten etwa unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Bund gelockt?
 
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Donnerstag, Hometrainer, km 0,4: Ost-Timor. Klingt vielversprechend. Gehört von Natur aus ebensowenig zu Indonesien wie Schlesien zu Polen oder das Elsaß zu Frankreich. Annan faselt was von ðandere Saiten aufziehenÐ gegen Djakarta und sucht Freiwillige aus der Region, wie Australien. Wieso nicht gleich die Pfadfinder? Aber das UNO-Gesülze gehört eben zum Ritual wie das Gebet vor dem Essen oder der Händedruck vor dem Schlammcatchen.
 
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Samstag, beim Rasenmähen: Clinton ist erwacht! Ultimatum an Habibie, die Menschenrechte etceterapepe, sonst bla, bla... Alles geht seinen kosovarischen Gang: Rußland und China im Sicherheitsrat dagegen, also machen wir¹s wieder allein. Aber ist Habibie so zuverlässig wie Milosevic?
 
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Dienstag, am PC: Joschka deutet an, ich soll mir ab Januar nichts vornehmen. Gleich nach dem Silvesterkater lassen wir die Sau raus. Karneval auf Indonesisch. Kameraden: Packt die Badehosen ein und laßt die Tornados warmlaufen! Selbst das beste Computerspiel kann den Duft von verbrannten Gebäuden und Kollateralschäden nicht ersetzen, das Ganze untermalt von Südsee-Meeresrauschen! Wenn¹s nicht so gefährlich wäre, würde ich mich diesmal nicht vor dem Barras drücken.
 
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Freitag, Solarium: Solana gibt mir die Anweisungen von Gates und Henkel. Aber ich stelle klar: Diesmal wollen wir nicht nur Schmiere fliegen, und die Amis kassieren die Trefferprämien. Ein paar militärische Ziele sind das mindeste, und militärisches Ziel ist bekanntlich alles, was sich bewegt oder getroffen wird. Die russische Botschaft zum Beispiel und ein Irrläufer auf Tokio, das wär was! Oder das Goethe-Institut ­ wenn Gerhard zu Besuch ist.
 
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Dienstag, bei »Bild«: Vorfreude ist die schönste Freude. Vorgehen wie gehabt: Eskalieren, zuschlagen, aufbauen. Aber erst Vv (Volk vorbereiten): Milizen vergewaltigen Ost-Timors Thaimodels, KZs, Folter, Meuchel und alles, was empört. Wie im Kosovo. Nur daß die Moslems jetzt endlich wieder die Bösen sind.
 
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Donnerstag, gegen Mittag: Der Dax sprengt die 7000er-Grenze. Insider Müntefering legt sein gesamtes Abgezweigtes in Daimler-Aktien an. Die Medien kaufen ihre Frontreporter von der »Nationalzeitung« zurück. »Wochenschau«-Rentner Brebeck will von der ARD 500 Deutschmark Agitprop-Zulage. Einladung bei Gottschalk: »Wetten, daß Sie sich nicht trauen, das Ost-Timor-Regiment in ðLeibstandarte Gerhard SchröderÐ umzutaufen?«
 
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Samstag: Der Vietnam-Oldie »No one can stop us now« stürmt die Hitparaden. Toni Feld-Marschall plant die Landser-CD »Schöne Maid aus Java«: Schröder kündigt seine Sportpalastrede für die Max-Schmeling-Halle an. Trittin bestellt sich bei Armani eine Ausgeh-Uniform. Klimmt lernt heimlich Indonesisch. Kein Zweifel: Bald geht¹s los.
 
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Donnerstag, unter der Dusche: Wenn alles gutgeht, sind wir im Herbst 2000 in Sambia oder Gambia oder in... na ja, egal. Diese Bimbostaaten wissen die kostenlose PR gar nicht zu schätzen. Bis '93 hatten doch alle so ein Kackland wie Ruanda noch für ein Parfum aus der Sabatini-Linie gehalten. Und heute? Wenn wir denen das richtig schön aufbauen, werden die sogar für die TUI interessant. Und 2001 vielleicht Mallorca. Die Zivilisation gegen die Eingeborenen verteidigen. Das wär¹n Ding! Und dann sind ja schon wieder Wahlen. Kinder, wie die Zeit vergeht.
 
 
Thomas Wieczorek
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