So markiert dann das TUNIX-Treffen sowohl das letzte große Sponti-Feuerwerk
in der BRD der 70er Jahre als auch das Festhalten an dem kulturell-politischen
Impuls, gegen die Verhältnisse nicht einfach klein beizugeben.
Und so finden sich spätestens fünf Jahre nach dem dunklen
Loch des »Deutschen Herbstes« und dem TUNIX-Feuerwerk zu Beginn
der 80er Jahre die noch übriggebliebenen Aktivisten der 68er Zeit
in den verschiedensten Projekten der sich im Aufwind befindlichen autonomen
Basisbewegungen, der RAF, der TAZ und der Grünen Partei in neuen Konstellation.
Eine Reise nach TUNIX
Ende Januar 1978 kam es in West-Berlin zum TUNIX-Treffen. Etwas über
drei Monate nach dem »Deutschen Herbst« war es von GenossInnen
aus dem Sponti-Umfeld mit einer politischen Stoßrichtung gegen das
»Modell Deutschland« vorbereitet worden. Das »Modell
Deutschland« war spätestens nach den Ereignissen im Herbst '77
zum Synonym für eine scharfe Repressionspraxis gegen die Linke geworden.
In diesem Zusammenhang wurde sowohl die Frage eines »neues Faschismus«
diskutiert als auch erste Vorbereitungen für die Durchführung
eines »Russell-Tribunals« über die Situation der Menschenrechte
in der BRD getroffen. Die Sponti-Linke veröffentlichte in dieser Situation
einen Aufruf, in dem offensiv der Auszug aus dem »Modell Deutschland«
propagiert wurde:
»Uns langt's jetzt hier! Der Winter ist uns
zu trist, der Frühling zu verseucht und im Sommer ersticken wir hier.
Uns stinkt schon lange der Mief aus den Amtsstuben, den Reaktoren und Fabriken,
von den Stadtautobahnen. Die Maulkörbe schmecken uns nicht mehr und
auch nicht mehr die plastikverschnürte Wurst. Das Bier ist uns zu
schal und auch die spießige Moral. Wir woll'n nicht mehr immer dieselbe
Arbeit tun, immer die gleichen Gesichter zieh'n. Sie haben uns genug kommandiert,
die Gedanken kontrolliert, die Ideen, die Wohnung, die Pässe, die
Fresse poliert. Wir lassen uns nicht mehr einmachen und kleinmachen und
gleichmachen. Wir hauen alle ab! ... zum Strand von
Tunix.«
Die Vorbereitung und der Ablauf des Treffens war Ausdruck mehrerer Entwicklungslinien
der radikalen Sponti-Linken in der BRD, die sich grob mit den Stichworten
»Mescalero-Stadtindianer«, »Krise der Linken« und
»Zwei Kulturen« fassen lassen.
Die Sponti-Linke hatte spätestens ab Mitte der 70er Jahre, nachdem
die Mobilisierungswirkung der studentischen K-Gruppen nachgelassen hatte,
mit sogenannten »Basisgruppen« an großer Attraktivität
gewonnen und in einer Reihe von Unis die Studentenvertretungen gestellt.
In diesem Umfeld entwickelte sich, auch beeinflußt durch die Ereignisse
in Italien, eine Art Stadtindianer-Bewegung, deren markantester Ausdruck
der vom Genossen »Mescalero« aus Göttingen verfaßte
»Buback-Nachruf« im Frühjahr 1977 wurde. Die dort zunächst
ausgedrückte »klammheimliche Freude« über die Hinrichtung
Bubacks wird am Schluß mit der Feststellung relativiert:
»Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt
(wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne
Zwangsarbeit (wenn auch nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz
und Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser:
Empfehlungen), dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur
manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit
Leichen gepflastert sein.«
Obwohl das Pamphlet eine deutliche Kritik an der RAF beinhaltete, löste
es eine massive staatliche Kriminalisierungswelle gegen die undogmatische
Linke in der ganzen BRD aus. Teile der linksradikalen politischen Szene
in Göttingen wurden mit Hausdurchsuchungen überzogen, im Bundesgebiet
kam es zu über 100 Ermittlungsverfahren gegen Herausgeber und Zeitungen,
die den Aufruf aus Solidarität gegen die Repression aus der Göttinger
AStA-Zeitung nachgedruckt hatten. Nachdem eine Reihe von Professoren den
»Buback-Nachruf« unter ihrem Namen neu herausgegeben hatten,
wurden sie sofort disziplinarrechtlich belangt. In Niedersachsen wurde
von den Herausgebern eine »Treue-Erklärung zum Staat«
abverlangt, die Peter Brückner verweigerte, weswegen er u.a. von seinem
Uni-Job suspendiert wurde.
Die Repressionen der staatlichen Instanzen dienten dazu, die politischen
Widersprüche innerhalb der Linksradikalen einzuebnen, um sie an der
»Gewaltfrage« zu polarisieren.
In der Reaktion auf diese Repression entstand in einem Zusammenhang
von Resignation, anarchistischer Revolte und Fluchtwünschen die Idee
des TUNIX-Treffens, das der Sponti-Linken nach dem »deutschen Herbst«
zu neuem Selbstbewußtsein verhalf. Das Autorenkollektiv aus der Vorbereitungsgruppe
Quinn der Eskimo, Frankie Lee und Judas Priest schreibt dazu:
»Die Schwäche der Linken war und ist in ihrer Unfähigkeit
begründet, die Tendenzen zur Herrschaftssicherung begreifbar, faßbar
zu machen, deren subtilen Charakter eine subversive Strategie entgegenzusetzen.
Unzufriedenheit war ein wesentliches Moment für den 'Massenerfolg'
von TUNIX. Aber nicht etwa nur eine Unzufriedenheit mit den Zuständen
und Perspektiven in der BRD, die zumindestens unter der Oberfläche
millionenfach gärt, sondern Unzufriedenheit mit dem, was an Veränderungsstrategien
angeboten wird. Darin war das Bedürfnis, mit gleichermaßen Unzufriedenen
zusammenzukommen, begründet.
Für uns spielte auch die Unzufriedenheit mit unserem eigenen Verhalten
eine große Rolle. Miteinzustimmen in den Chor der Distanzierer oder
Rücksicht zu nehmen auf das allgemeine Klima erschien uns als Verleugnung
unserer Identität. So war es wohl auch eine Trotzreaktion im Stil
von Jetzt-erst-recht-linksradikal, als wir zur Reise nach TUNIX aufriefen.
Unsere Identität ist ausschließlich eine 'linksradikale'. Wenn
wir uns darin verleugnen, bleibt von uns nur noch Zynisches übrig
... Wegen der Befürchtung, unsere Identität würde angeknackst
werden, wenn wir uns der Situation Herbst '77 entziehen würden, wurden
wir initiativ und haben dabei zum Prinzip gemacht, öffentlich und
angreifbar zu dem zu stehen, was wir wollen. Weder von Verfassungsspitzeln
noch von politischen??? wollten wir uns einschüchtern lassen.«
Diese Stimmung drückte sich auch in der zum Abschluß des Treffens
durchgeführten Demonstration aus. Zur Illustration ein Auszug aus
einem Bericht des »Tagesspiegel« vom 29.1.1978:

»Zum erstenmal seit langem kam es gestern in Berlin wieder
zu einer gewaltsamen Demonstration. Aus dem Zug von etwa 5.000 Teilnehmern
an dem dreitägigen 'TUNIX'-Treffen in der Technischen Universität,
die aus Berlin, Westdeutschland und dem westeuropäischen Ausland gekommen
waren darunter sogenannte Spontis und Stadtindianer sowie andere
nicht-organisierte Linke , wurde vor dem Frauengefängnis in der
Lehrter Straße zunächst mit Farbeiern gegen Polizeibeamte und
später dann vor dem Gerichtsgebäude in der Moabiter Turmstraße
bereits mit Pflastersteinen geworfen ... Einzelne Einsatzwagen der Polizei
wurden von den Demonstranten mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert ...
Zu einem regelrechten Steinhagel kam es dann vor dem Amerikahaus in der
Hardenbergstraße. Die Polizeibeamten hatten den Demonstrationszug
durch Schlagstockeinsatz zeitweise geteilt, nachdem die ersten Steine gegen
das Amerikahaus geflogen waren und in dem Zug aufgerufen worden war, zur
Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße zu laufen. Daraufhin
warfen Teilnehmer aus dem abgetrennten Zug einen wahren Steinhagel, so
daß die Polizei zurückweichen mußte und sich der Zug wieder
vereinen konnte. Er zog zum Kurfürstendamm ...
Eine große deutsche Fahne war mit der Aufschrift 'Modell Deutschland'
an einen Lautsprecherwagen der Demonstranten gebunden und durch den Straßenschmutz
gezogen worden. An der Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße
wurde die Fahne dann vor den Augen von Polizisten und Passanten in Brand
gesteckt ... In dem Zug waren von Anarchisten Transparente mit Aufschriften
'Stammheim ist überall' mitgetragen worden und 'Weg mit dem Dreck'
sowie 'Pfui Deibel'. Zahlreiche Häuserwände entlang des Demonstrationszuges
wurden mit Farbaufschriften beschmiert, wie 'Laßt die Agit-Drucker
frei' oder 'Anarchie ist möglich'. Vor den Gefängnissen forderten
die Demonstranten in Sprechchören: 'Laßt die Gefangenen frei'.«
Der Ablauf von TUNIX machte ein Netz von Kommunikations- und Informationszusammenhängen
sichtbar, das innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung des Aufrufes
in der Lage war, 1520.000 Menschen zu einer Teilnahme zu bewegen.
TUNIX war der Höhepunkt, das letzte »Feuerwerk« der bundesdeutschen
Sponti-Bewegung aus den 70er Jahren. Einerseits gelang es den Spontis,
sich vorübergehend als Kommunikationszusammenhang nach dem »Deutschen
Herbst« zu reorganisieren, andererseits führte die auf dem Treffen
propagierte Aussteigerwelle aus dem SPD-»Modell Deutschland«
zu einer nachfolgenden Zersetzung und dem Zerfall der Bewegung in eine
Gesellschaft der »Zwei Kulturen«.
Der Begriff »Zwei Kulturen« kam aus den italienischen Diskussionen
und entstand im Zusammenhang mit den Konflikten der Autonomiabewegung '77
gegenüber der PCI. In der BRD wurde er vom damaligen Berliner SPD-Wissenschaftssenator
Glotz propagandistisch mit dem Ziel aufgenommen, neue Dialog- und Integrationsstrategien
gegen die Linksradikalen zu praktizieren. Die perfide Logik in der Anwendung
des Begriffs durch den Sozialtechnokraten Glotz lag darin, die widerständigen
und autonomistischen Impulse der entstehenden Alternativbewegung im »politischen
Diskurs« zu entpolitisieren. Die »Alternativkultur« sollte
für die »Mehrheitskultur« als eine Art gesellschaftliches
»Soziallaboratorium« und »Experimentierfeld« dienen.
Unter sozialdemokratischer Hegemonie sollten dann die innovativsten und
wettbewerbsträchtigsten Impulse aus der »Alternativkultur«
für eine modernisierte bürgerliche Gesellschaft vereinnahmt werden.
Allerdings wurde die Vorstellung von zwei sich ergänzenden Kulturen
auch von einem Teil der Spontiszene begeistert aufgenommen, da er quasi
von höchster Stelle das eigene Selbstverständnis der Form nach
anerkannte. Darüber wurde zudem die scheinbar praktikable Illusion
verstärkt, sich den kapitalistischen Herrschafts- und Ausbeutungsmechanismen
der »Mehrheitskultur« durch den Aufbau einer »Gegen-
oder Alternativkultur« entziehen zu können.
In den Jahren 197880 kommt es zu der bis dato stärksten Gründungswelle
von ökonomischen Alternativprojekten. Damit setzte sich die bereits
in Frankfurt nach dem Abflauen der Häuserkämpfe abzeichnende
Tendenz bundesweit verstärkt fort. West-Berlin wurde dabei zur »heimlichen
Hauptstadt« der Alternativbewegung. Schätzungen aus dem Jahr
1979 gehen davon aus, daß sich in der Stadt rund 100.000 Menschen
in einem sehr weiten Sinne der Alternativszene zugehörig
fühlten. Die von Linksradikalen diskutierte Befürchtung einer
reibungslosen, selbstzufriedenen und genügsamen Integration dieser
Bewegung in die herrschenden Verhältnisse bestätigte sich zunächst
jedoch nicht. Gerade in West-Berlin wurde die Alternativbewegung zum Mobilisierungsboden
für die in den Jahren 1979/80 entstehenden Ansätze einer Instandbesetzerbewegung.
Um die Jahreswende '80/'81 kam es dort zu einer nicht erwarteten Hausbesetzerbewegung,
in deren Zusammenhang ein sogenannter TUWAT-Kongreß organisiert wurde.
Hier wurde dann ganz selbstverständlich über die Bedeutung der
Theorien aus der italienischen Autonomia für den Häuserkampf
diskutiert. Nicht nur an diesem Beispiel werden Kontinuitäten sichtbar.
http://www.txt.de/id-verlag/BuchTexte/FeuerUndFlamme/FeuerFlamme.html
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