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Radikal

Radikal ist und bleibt fuer mich ein positiver und hoffnungsvoller Begriff, der es nicht verdient, einer rechtsextremen oder gar militant-faschistischen Organisation zugeschrieben zu werden. Denn der lateinische Begriffsursprung "radix" oder "radicalis" erinnert daran, dass das Radikale "bis in die Wurzel" dringt und nicht identisch ist mit dem Extremen (extremus = der aeusserste bzw. letzte Teil).

Das ist keine Wortklauberei, sondern soll zur Orientierungshilfe und Wertefindung beitragen. Oft wird geklagt, rechtsextreme Einstellungen seien ein Ergebnis von Orientierungslosigkeit und Werteverfall. Nun, so fuege ich hinzu, dann lasst uns das im Umgang mit Schuelern schnellstens aendern, indem wir mit ihnen gemeinsam gruendlich "bis in die Wurzel" der politischen Erscheinungen vordringen.

Eine radikale Sicht auf aktuelle Erscheinungsformen von personaler, struktureller und institutioneller Gewalt hat Erinnerungs-, Erkenntnis- und Aufklaerungs- arbeit zur Konsequenz und eroeffnet perspektivische Handlungsmoeglichkeiten.

Sie verhindert unreflektierte Anpassung oder Unterordnung und foerdert das Beduerfnis von Schuelern, die normierte Erwachsenenwelt zu hinterfragen und andere als vorgegebene Beduerfnisse bei sich zu entdecken. Wenn wir uns daraufeinlassen, uns mit unseren Schuelern radikal gegen Gewalt und Rechtsextremismus zu verhalten, dann tragen wir gleichzeitig zu einem couragierten Denken und Handeln bei, das seinerseits wiederum gegen einen Untertanengeist immunisiert, der besonders in rechtsorientierten Kreisen anzutreffen ist.
Was ist eigentlich ... ?

Warum wir aufhören

Die RAF löst sich nach 28 Jahren des bewaffneten Kampfes gegen den Staat selbst auf. Der Grund: Der Versuch, die RAF-Politik in den 90er Jahren fortzuführen, war unrealistisch. Es fehlte der Ansatz, wirklich radikal über das Alte hinauszugehen

Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF: Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.

Wir, das sind alle, die bis zuletzt in der RAF organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Ab jetzt sind wir - wie alle anderen aus diesem Zusammenhang - ehemalige Militante der RAF.

Wir stehen zu unserer Geschichte. Die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit - entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft -, zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen. Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein.

Das Ende dieses Projekts zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte. Die RAF ist unsere Entscheidung gewesen, uns auf die Seite derer zu stellen, die überall auf der Welt gegen Herrschaft und für Befreiung kämpfen. Für uns ist diese Entscheidung richtig gewesen.

Zusammengenommen Hunderte von Jahren Gefängnis gegen die Gefangenen aus der RAF haben uns ebensowenig auslöschen können wie alle Versuche, die Guerilla zu zerschlagen. Wir haben die Konfrontation gegen die Macht gewollt. Wir sind Subjekt gewesen, uns vor 27 Jahren für die RAF zu entscheiden. Wir sind Subjekt geblieben, sie heute in die Geschichte zu entlassen.

Das Ergebnis kritisiert uns. Aber die RAF - ebenso wie die gesamte bisherige Linke - ist nichts als ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Befreiung.

Nach Faschismus und Krieg hat die RAF etwas Neues in die Gesellschaft gebracht: das Moment des Bruchs mit dem System und das historische Aufblitzen von entschiedener Feindschaft gegen Verhältnisse, in denen Menschen strukturell unterworfen und ausgebeutet werden und die eine Gesellschaft hervorgebracht haben, in der sich die Menschen selbst gegeneinander stellen. Der Kampf im gesellschaftlichen Riß, den unsere Feindschaft markierte, griff einer wirklich gesellschaftlich werdenden Befreiung nur voraus: der Riß zwischen einem System - in dem der Profit das Subjekt, der Mensch das Objekt ist - und der Sehnsucht nach einem Leben ohne den Lug und Trug dieser sich sinnentleerenden Gesellschaft. Die Schnauze voll vom Buckeln, Funktionieren, Treten und Getretenwerden. Von der Ablehnung, zum Angriff, zur Befreiung.

Die RAF entstand aus der Hoffnung auf Befreiung

Mit dem Mut im Rücken, der von den Guerillas des Südens bis in die reichen Länder des Nordens ausstrahlte, entstand am Anfang der siebziger Jahre die RAF, um aus der Solidarität mit den Befreiungsbewegungen einen gemeinsamen Kampf aufzunehmen. Millionen entdeckten in den Kämpfen des Widerstands und der Befreiung rund um den Globus auch eine Chance für sich selbst. Der bewaffnete Kampf war in vielen Teilen der Welt die Hoffnung auf Befreiung. Auch in der BRD sind es Zehntausende gewesen, die mit dem Kampf der militanten Organisationen des 2. Juni, der RZ, der RAF und später der Roten Zora solidarisch waren. Die RAF entstand als Konsequenz aus den Diskussionen Tausender, die sich in der BRD am Ende der sechziger und den beginnenden siebziger Jahren mit dem bewaffneten Kampf als Weg zur Befreiung auseinandersetzten.

Die RAF nahm den Kampf gegen einen Staat auf, der nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht gebrochen hatte. Der bewaffnete Kampf war die Rebellion gegen eine autoritäre Gesellschaftsform, gegen Vereinzelung und Konkurrenz. Er war die Rebellion für eine andere soziale und kulturelle Realität. Im Aufwind der weltweiten Befreiungsversuche war die Zeit reif für einen entschiedenen Kampf, der die pseudonatürliche Legitimation des Systems nicht mehr akzeptiert und dessen Überwindung ernsthaft wollte.

1975-77

Mit der Besetzung der deutschen Botschaft 1975 in Stockholm begann eine Etappe, in der die RAF alles einsetzte, um ihre Gefangenen aus den Knästen zu befreien.

Es kam die Offensive 1977, in deren Verlauf die RAF Schleyer entführte. Die RAF stellte die Machtfrage. Es begann ein radikaler und entschiedener Versuch, gegen die Macht eine offensive Position für die revolutionäre Linke durchzusetzen. Der Staat wollte genau das verhindern. Das Explosive - die Eskalation dieser Auseinandersetzung - kam aber auch aus dem Hintergrund der deutschen Geschichte: der Kontinuität des Nazi-Nachfolgestaates, auf die die RAF mit der Offensive traf.

Schleyer, während des Naziregimes Mitglied der SS, war wie viele Nazis aller gesellschaftlichen Ebenen wieder in Amt und Würden gekommen. Karrieren, die von den Nazis bis in die Regierungsämter der BRD, die Justiz, in den Polizeiapparat, in die Bundeswehr, die Medien und in die Konzernspitze führten. [...]

Der absolute Zwang zur Zustimmung zu allen Maßnahmen des Krisenstabes und die Verfolgung jeder kritischen Stimme bis zum Versuch, den politischen Gegner auszulöschen - das waren die gleichen Reaktionsmuster, in denen schon die Nazis handelten

Die Aktionen der Offensive 1977 machten deutlich, daß es in der Gesellschaft Orte gibt, die in keiner Weise vom System einzubinden und kontrollierbar sind. Nach der Ausmerzung des Widerstandes durch die Nazis, ist mit den Aktionen der Stadtguerillagruppen nach '68 ein von der Macht nicht mehr zu integrierendes Moment des Klassenkampfes in das postfaschistische Westdeutschland zurückgekehrt. Die Entführung Schleyers spitzte diesen Aspekt des Kampfes wesentlich zu.

Der Staat antwortete keineswegs panisch, wie es heute oft gesagt wird. Er reagierte mit der Unterdrückung aller Äußerungen, die die Maßnahmen des Staates im Ausnahmezustand nicht voll unterstützten. Der Staat forderte die Unterordnung der gesamten Medien unter die Linie des Krisenstabs, woran diese sich zum größten Teil freiwillig hielten. Allen, die sich dem nicht unterordneten, drohte die Konfrontation mit dem System. Intellektuelle, von denen jede/r wissen konnte, daß sie nicht mit der RAF sympathisierten, aber dem staatlich verhängten Ausnahmezustand widersprachen, waren vor Hetze und Repression nicht mehr sicher.

Die zum Teil wehrmachtserfahrenen Mitglieder des Krisenstabs reagierten '77 im selben Muster, wie es auch die Nazis - wenn auch in weitaus barbarischerem Ausmaß - getan hatten, um antikapitalistische und antifaschistische Kämpfe nicht aufkommen zu lassen oder auszumerzen. Im NS-Faschismus wie auch 1977 zielte die staatliche Politik darauf ab, in der Gesellschaft keinen Raum mehr zwischen gehorchender Loyalität zum Staat im Ausnahmezustand auf der einen und Repression auf der anderen Seite zu lassen.

Nachdem sich immer deutlicher zeigte, daß der Staat Schleyer fallen lassen wurde, kam es durch die Zustimmung der RAF für die Entführung eines zivilen Flugzeugs innerhalb der eigenen Offensive zu einer Guerilla-Aktion, die nur so verstanden werden konnte, als würde die RAF nicht mehr zwischen oben und unten in dieser Gesellschaft unterscheiden. Damit war im berechtigten Versuch, die Gefangenen aus der Folter zu befreien, die sozialrevolutionäre Dimension des Kampfes nicht mehr identifizierbar. Aus dem Bruch mit dem System und der Ablehnung der Verhältnisse in dieser Gesellschaft - was die Bedingung für jede revolutionäre Bewegung ist - war der Bruch mit der Gesellschaft geworden.

Von den siebziger zu den achtziger Jahren

Die RAF hatte alles in die Waagschale geworfen und eine große Niederlage erlitten. Im Kampfprozeß bis zum Ende der siebziger Jahre hatte sich herausgestellt, daß die RAF aus dem 68er Aufbruch mit nur wenigen anderen übriggeblieben war. Viele aus der 68er Bewegung hatten sich zurückgezogen und nutzten ihre Chancen zur Karriere im System.

Die RAF hatte als Teil der weltweiten antiimperialistischen Kämpfe den Befreiungskrieg in der Bundesrepublik aufgenommen. 1977 zeigte sich, daß sie weder die politische noch die militärische Kraft hatte, um die Situation auch nach der hervorgerufenen Reaktion - dem inneren Krieg - noch bestimmen zu können.

Es war berechtigt, die historische Situation am Anfang der siebziger Jahre zu nutzen und ein neues und in der Metropole unbekanntes Kapitel in der Auseinandersetzung zwischen Imperialismus und Befreiung aufzuschlagen. Die Erfahrung der Niederlage von 1977 zeigte die Grenzen des alten Konzepts Stadtguerilla der RAF auf. Es konnte nur um ein neues Befreiungskonzept gehen.

Die Frontkonzeption der achtziger Jahre war der Versuch, dies zu erreichen. Die RAF wollte neue Verbindungen und die Grundlage für einen gemeinsamen Kampf mit radikalen Teilen der seit Ende der siebziger Jahre entstandenen Widerstandsbewegungen schaffen. Doch das Front-Konzept hielt im wesentlichen an den Grundzügen des alten Projektes aus den siebziger Jahren fest. Die bewaffnete Aktion blieb das zentrale und bestimmende Moment des gesamten als Befreiungskrieg bestimmten revolutionären Prozesses.

Die antiimperialistische Front der achtziger Jahre

Am Anfang der achtziger Jahre gab es viele Kämpfe, die sich gegen menschenfeindliche Projekte des Systems richteten, aber auch Ausdruck der Suche nach freien Lebensformen waren. Ein sozialer Aufbruch, der bereits im Jetzt nach dem Anfang einer anderen gesellschaftlichen Wirklichkeit suchte. Tausende aus den verschiedenen Bewegungen gingen in den Achtzigern gegen das auf die Straße, was auch die RAF seit '79 angreifen wollte: die Militarisierung der Politik der NATO-Staaten, die dem Westen "anderthalb" Kriege gleichzeitig ermöglichen sollte - Krieg gegen die Sowjetunion und gleichzeitig die Kriegsinterventionen gegen Befreiungsbewegungen und Revolutionen wie in Nicaragua, die einen Schritt der Befreiung von den westlichen Diktaturen erkämpft hatten.

Die RAF ging davon aus, daß sie in dieser neuen Etappe nicht alleine bleiben würde. Das Konzept war von der Hoffnung getragen, daß sich militante Teile der verschiedenen Bewegungen in die gemeinsame Front stellen würden. Doch dieses Konzept enthielt keinen Ansatz, der damit umging, daß in dieser gesellschaftlichen Situation nur die wenigsten einen Sinn des Befreiungskampfes auf dem Niveau des Krieges sahen. Der Befreiungskampf, dessen zentrales Moment das des Krieges ist, macht nur Sinn, wenn es eine Chance gibt, daß Kräfte in der Gesellschaft bereit sind, ihn aufzunehmen; wenn es eine Chance gibt, daß er sich ausweitet - und wenn es wenigstens auf den radikaleren Teil der Bewegungen ist.

Aber selbst die, die solidarisch waren - und das waren nicht wenige -, haben den Kampf mit dieser Vorstellung nicht aufgenommen. Der Guerillakrieg braucht die Perspektive auf die Ausweitung auf eine neue Ebene des Kampfes. Diese für den Kampf der Guerilla existentielle Entwicklung haben wir nie erreichen können.

Die Vorstellung der RAF, die die bewaffnete Aktion zum Mittelpunkt des Kampfes bestimmte, unterbewertete die politischen und gegenkulturellen Prozesse außerhalb des politisch-militärischen Kampfes. Die Überwindung dieser strategischen Richtung, die in der Grundstruktur nicht über das Konzept der siebziger Jahre hinauskam, wäre die Voraussetzung für ein neues revolutionäres Projekt gewesen. Die Front konnte das neue Befreiungsprojekt, das die Trennungen zwischen den Bewegungen und der Guerilla aufhob, nicht sein.

Die RAF ging in den achtziger Jahren davon aus, daß der sozialrevolutionäre Ansatz im Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus enthalten sei. Mit dieser Vorstellung wurde die Politik immer abstrakter. Es führte zur Aufspaltung von dem, was zusammengehört: Antiimperialismus und soziale Revolution. Der sozialrevolutionäre Ansatz verschwand aus Theorie und Praxis der RAF. Die auf die antiimperialistische Linie beschränkte Orientierung der antiimperialistischen Front war die Konsequenz. Die RAF ist an der sozialen Frage nicht identifizierbar gewesen. Ein Grundfehler.

Die Subsumierung jedes sozialen und politischen Inhalts unter den antiimperialistischen Angriff gegen das "Gesamtsystem" produzierte falsche Trennungen statt einen Prozeß der Einheit; und es führte zu einer Unidentifizierbarkeit an konkreten Fragen und Inhalten des Kampfes.

Die Wirkung in die Gesellschaft blieb begrenzt, denn die Vorstellung durchzukommen, indem gesellschaftliches Bewußtsein geschaffen wird und so der Konsens zwischen Staat und Gesellschaft aufgebrochen werden kann - ein zentrales Moment jedes revolutionären Prozesses - verschwand zunehmend. Statt dessen versuchte die RAF, durch die Schärfe des Angriffs das Herrschaftsgefüge des Staates zu zerrütten. Die Priorität verschob sich zugunsten des militärischen Moments. Diese Gewichtung im Kampfprozeß blieb durch die ganzen achtziger Jahre hindurch erhalten und prägte unseren Kampf. [...]

Wir, die wir uns zum großen Teil erst spät in der RAF organisierten...

...sind in der Hoffnung hierhergekommen, unseren Kampf in den sich verändernden Bedingungen nach den weltweiten Umbrüchen neu einbringen zu können. Wir suchten nach Veränderungen für den Befreiungskampf, nach einem neuen Weg, auf dem wir uns mit anderen würden verbinden können. Und wir meinten, in denen etwas wiederzuerkennen, die diesen Kampf vor uns aufgenommen hatten, gestorben sind oder in den Knästen waren. Auf uns hatte der Kampf in der Illegalität eine große Anziehungskraft gehabt. Wir wollten unsere Grenzen durchbrechen und frei sein von allem, was uns im System hält.

Der bewaffnete Kampf war für uns nicht mehr das einzig Mögliche und Notwendige des Befreiungsprozesses. Trotzdem wollten wir gerade angesichts der Krise der Linken überall auf der Welt die Stadtguerilla als Möglichkeit und die Illegalität als ein Terrain des Befreiungsprozesses weiterentwickeln. Aber wir sahen damals, daß das allein nicht ausreichen würde. Auch die Guerilla würde sich verändern müssen.

Unsere Hoffnung war eine neue Verbindung der Guerilla und anderen Orten des Widerstands in der Gesellschaft. Dafür suchten wir nach einem neuen Entwurf, in dem die Kämpfe von den Stadtteilen bis zur Guerilla würden zusammenstehen können.

Es war uns wichtig, nach dem Zusammenbruch der DDR unseren Kampf in ein Verhältnis zur neuentstandenen gesellschaftlichen Situation zu bringen

Wir wollten unsere Schritte in Beziehung zu allen denen setzen, deren Träume mit dem Ende der DDR und ihrer Übernahme in die BRD untergegangen waren. Sei es, weil sie erkennen mußten, daß der Realsozialismus nicht wirklich Befreiung geschaffen hatte. Oder andere, die manchmal schon zu Zeiten der DDR in Opposition zum Realsozialismus waren und davon geträumt hatten, etwas jenseits von Realsozialismus und Kapitalismus erreichen zu können.

Die meisten von denen, die in der DDR gelebt hatten und 1989 den Anschluß an die BRD gefordert hatten, erahnten die neue depressive gesellschaftliche Situation, die sie mit hervorgerufen hatten, und den massenweisen Entzug sozialer Sicherheiten damals noch nicht. Wir wollten in dieser für alle unbekannten historischen Situation zwischen denen, die in der Konfrontation mit dem BRD- Staat um Befreiung kämpften und anderen, die in der damals nicht mehr existierenden DDR mit der rassistischen und insgesamt reaktionären Entwicklung längst unglücklich waren, einen Bezug herstellen. Wir wollten das Feld weder der Resignation noch der Rechten überlassen.

Später sahen wir, daß der Dimension des Umbruchs nur ein neues und internationalistisches Befreiungsprojekt gerecht werden kann, dem die neue Realität aus Ost und West zugrunde liegt. Die RAF mit der Verwurzelung allein in der Widerstandsgeschichte der alten BRD konnte dem nicht gerecht werden.

Der Versuch, die RAF noch in den Neunzigern neu einzubinden, war ein unrealistisches Vorhaben

Wir wollten eine Transformation der aus der 68er Bewegung entstandenen Konzeption zu einem neuen sozialrevolutionären und internationalistischen Konzept der Neunziger. Es war eine Zeit, in der wir nach Neuem suchten, aber - behaftet von den Dogmen der vorangegangenen Jahre - nicht radikal genug über das Alte hinausgingen. Und so machten wir den Fehler, den alle von uns nach '77 machten: Wir überschätzten das Halten der Kontinuität unserer Konzeption für den Kampf. Aber grundsätzlich besteht die Gefahr, den bewaffneten Kampf zu diskreditieren, wenn er aufrechterhalten wird, ohne daß geklärt ist, wie er den revolutionären Prozeß spürbar voranbringt und zur Stärkung des Befreiungskampfes führt. Damit verantwortlich umzugehen, ist wichtig, denn sonst ist der bewaffnete Kampf nachhaltig diskreditiert - auch für eine andere Situation, in der er wieder gebraucht wird.

Die Krise, in der die Linke der achtziger Jahre an ihre Grenzen kam und sich bereits in Auflösung befand, machten unseren Versuch, die RAF in ein neues Projekt einzubinden, zu einer unrealistischen Sache. Wir waren viel zu spät - auch dafür, um die RAF nach einem Prozeß der Reflektion zu transformieren. Kritik und Selbstkritik haben ja nicht das Ziel, etwas zu beenden, sondern etwas weiterzuentwickeln. Das Ende der RAF ist letztlich keine Folge unseres Prozesses der (Selbst-)Kritik und Reflektion, sondern es ist notwendig, weil die Konzeption der RAF nicht das enthält, woraus jetzt etwas Neues entstehen kann. [...]

Nach unserer Niederlage von 1993 wußten wir, daß wir nicht alles einfach genauso weitermachen können, wie wir es mit dem Einschnitt in unserem Kampf 1992 begonnen hatten. Wir waren uns sicher, daß wir unsere Ziele richtig bestimmt, jedoch schwere taktische Fehler gemacht hatten. Wir wollten noch einmal mit denen, die noch in den Knästen waren, alles zusammen durchdenken und gemeinsam eine neue Etappe beginnen. Doch am Ende zeigte sich in der für uns schmerzlichen Spaltung eines Teils der Gefangenen von uns, in der wir zu Feinden erklärt waren, daß die Entstehungsbedingungen der RAF - Solidarität und Kampf um Kollektivität - bereits vollständig verraucht waren.

Unser Prozeß der eigenen Befreiung...

...ist uns wichtig gewesen und dennoch immer wieder stagniert. Wir wollten Kollektivität genauso wie die gemeinsame Überwindung jeglicher Entfremdung. Aber der Widerspruch zwischen Krieg und Befreiung ist bei uns oft verdrängt und weggeredet worden. Auch der revolutionäre Krieg produziert Entfremdungen und Autoritätsstrukturen, was Befreiung widerspricht. Damit umzugehen, so daß es sich nicht als Struktur festsetzt, ist nur möglich, wenn es ein Bewußtsein darüber gibt. Ansonsten verselbstständigen sich neue Autoritätstrukturen und Verhärtungen - sowohl in der Politik als auch in den Verhältnissen. Das zeigte sich unter anderem in den oft wechselseitig hierarchischen Strukturen der Front der achtziger Jahre und in den autoritären Zügen der Spaltung des Jahres '93. Und es zeigt sich in der Rückkehr zur Verbürgerlichung der Wahrnehmung und des Denkens, was in der Geschichte der RAF dahin führte, daß zu viele, die hier kämpften, die Berechtigung des gesamten Aufbruchs nicht mehr sehen können.

Es war ein strategischer Fehler, neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Olganisation aufzubauen

In keiner Phase unserer Geschichte ist eine über den politisch- militärischen Kampf hinausgehende politische Organisierung verwirklicht worden. Das Konzept der RAF kannte letztlich nur den bewaffneten Kampf - mit dem politisch-militärischen Angriff im Zentrum.

In den grundlegenden Erklärungen der RAF bis Mitte der siebziger Jahre war diese wichtige Frage noch nicht geklärt, was kaum anders hätte sein können. Es gab in der Metropole kaum und in der BRD überhaupt keine Erfahrungen mit der Stadtguerilla. Es war notwendig, vieles erst herauszufinden und sich praktisch als richtig oder falsch erweisen zu lassen. Trotzdem gab es eine Richtung an der entscheidenden Frage, ob das Befreiungsprojekt von einer illegalen Organisation für den bewaffneten Kampf ausgefüllt werden kann - oder aber, ob der Aufbau der Guerilla Hand in Hand gehen muß mit dem Aufbau von politischen Strukturen, die in Basisprozessen wachsen können. Unsere gefangenen GenossInnen schrieben dazu im Januar 1976, daß der bewaffnete Kampf aus der Illegalität die einzige Möglichkeit zu praktisch-kritischer Tätigkeit im Imperialismus sei.

Auch das Konzept vom Mai 1982 hielt trotz aller Widersprüchlichkeiten und obwohl es ein Versuch war, einen neuen politischen Zusammenhang mit anderen zu finden, an dieser fehlerhaften Vorstellung fest. Denn auch dieses Konzept brach nicht mit der Zentralität des bewaffneten Kampfes in der Metropole. Die politischen Aktivitäten, die aus dem Frontprozeß kamen, erstreckten sich meist auf die Vermittlung des Angriffs innerhalb der Strukturen der radikalen Linken.

Das Ausbleiben einer politischen Organisierung über mehr als zwanzig Jahre hinweg hatte zu jeder Zeit einen insgesamt schwachen politischen Prozeß zum Ergebnis. Die Überschätzung der Wirkung politisch-militärischer Aktionen in der Metropole der letzten Jahrzehnte ist für dieses Konzept Voraussetzung gewesen.

Die RAF setzte ihre Strategie des bewaffneten Kampfes in den verschiedenen Phasen unterschiedlich um und kam dabei zu keinem Zeitpunkt in das Stadium, in dem der militante Angriff dahinkommt, wo er hingehört: zur taktischen Option einer umfassenden Befreiungsstrategie. Diese Schwäche hat auch dazu beigetragen, daß unsere Organisation am Ende der über mehr als zwei jahrzehntelangen Etappe nicht mehr transformiert werden konnte. Die Voraussetzungen, um den Schwerpunkt des Kampfes auf die politische Ebene zu heben - wie wir es 1992 wollten -, waren nicht vorhanden. Aber das war letztlich auch nur eine Folge des zugrunde liegenden strategischen Fehlers.

Die ausbleibende politisch-soziale Organisierung ist ein entscheidender Fehler der RAF gewesen. Es ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Grund, weshalb die RAF kein stärkeres Befreiungsprojekt aufbauen konnte und letztlich die entscheidende Vorraussetzung fehlte, im Aufbau einer nach Befreiung suchenden und kämpfenden Gegenbewegung einen stärkeren Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Fehler des Konzepts wie dieser, der die RAF in ihrer gesamten Zeit begleitete, zeigen, daß das Konzept der RAF in den Befreiungsprozessen der Zukunft keine Gültigkeit mehr haben kann. [...]

Die RAF stand immer im Widerspruch zu den Bewußtseinsmentalitäten eines Großteils dieser Gesellschaft. Das ist ein notwendiges Moment des Befreiungsprozesses, denn nicht nur die Verhältnisse sind reaktionär, sondern die Verhältnisse produzieren das Reaktionäre in den Menschen, das ihre Fähigkeit zur Befreiung immer wieder neu unterdrückt. Ohne Zweifel ist es existentiell, Rassismus und jeglicher Form von Unterdrückung entschieden entgegenzutreten und sie zu bekämpfen. Befreiungsentwürfe der Zukunft werden sich aber auch daran messen lassen müssen, einen Schlüssel zu dem reaktionär eingeschlossenen Bewußtsein zu finden und das Bedürfnis nach Emanzipation und Befreiung zu wecken.

Die Realität der Welt zeigt heute, daß es besser gewesen wäre, der weltweite Aufbruch, aus dem auch die RAF kam, wäre durchgekommen

Der weltweite Aufbruch, aus dem auch die RAF kam, ist nicht durchgekommen, was bedeutet, daß die zerstörerische und ungerechte Entwicklung bis jetzt noch nicht umgedreht werden konnte. Schwerer als Fehler, die wir gemacht haben, wiegt für uns, daß wir noch keine ausreichenden Antworten auf diese Entwicklung sehen. Die RAF kommt aus dem Aufbruch der letzten Jahrzehnte, der die Entwicklung des Systems zwar nicht genau hat vorhersagen können, doch die Bedrohung, die in ihr liegt, erahnt hat. Wir wußten, daß dieses System weltweit immer weniger Menschen eine Möglichkeit für ein Leben in Würde lassen wird. Und wir wußten, daß dieses System den totalen Zugriff auf die Menschen will, so daß diese sich den Werten des Systems selbst unterwerfen und sie zu den eigenen machen. Aus dieser Ahnung kam unsere Radikalität. Für uns gab es mit diesem System nichts zu verlieren.

Unser Kampf - die Gewalt, mit der wir uns gegen die Verhältnisse stellten - hat eine schwierige, eine schwerwiegende Seite. Auch der Befreiungskrieg hat seine Schatten. Menschen in ihrer Funktion für das System anzugreifen, ist für alle Revolutionäre auf der Welt ein Widerspruch zu ihrem Denken und Fühlen - zu ihrer Vorstellung von Befreiung. Auch wenn es im Befreiungsprozeß Phasen gibt, in denen das als etwas Notwendiges gesehen wird, weil es diejenigen gibt, die die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung wollen und die Macht, die sie oder andere haben, verteidigen. Revolutionäre sehnen sich nach einer Welt, in der niemand darüber entscheidet, wer ein Recht auf Leben und wer es nicht hat. Trotzdem hat die Aufregung über unsere Gewalt auch irrationale Züge. Denn der tatsächliche Terror besteht im Normalzustand des ökonomischen Systems.

Die RAF ist die Antwort für die Befreiung noch nicht gewesen - vielleicht ein Aspekt von ihr

Auch wenn heute noch so viele Fragen offen sind, sind wir uns sicher, daß aus der Befreiungsidee der Zukunft nur dann der Kern freier Verhältnisse entstehen kann, wenn sie die tatsächliche Vielfalt in sich trägt, an denen die Verhältnisse umgeworfen werden müssen. "Die richtige Linie", die Aspekte des Lebens außer acht läßt, weil sie dafür nicht effizient zu sein scheinen, ist ebenso unbrauchbar wie die Suche nach dem revolutionären Subjekt.

Das Befreiungsprojekt der Zukunft kennt viele Subjekte und eine Vielfalt von Aspekten und Inhalten, was mit Beliebigkeit nichts zu tun haben muß. Wir brauchen eine neue Vorstellung, in der die vielleicht unterschiedlichsten einzelnen oder soziale Gruppen Subjekte sein können, und die sie trotzdem zusammenbringt. Insofern kann das Befreiungsprojekt der Zukunft in keinem der alten Konzepte der BRD-Linken seit '68 - weder in dem der RAF noch in anderen - gefunden werden.

Die Freude, ein umfassendes, ein antiautoritäres und dennoch verbindlich organisiertes Projekt der Befreiung aufzubauen, liegt noch unverbraucht und vor allem noch wenig versucht vor uns.

Wir sehen, daß es auch in diesem Teil der Welt überall diejenigen gibt, die versuchen, Wege aus der Sackgasse zu finden. Uns machen auch die Hoffnung, die überall bis in die abgelegensten Winkel dieses Landes - wo die kulturelle Hegemonie der faschistischen Rechten heute keine Seltenheit ist - den Mut haben, sich gegen Rassismus und Neonazis zusammenzutun, sich und andere zu verteidigen und kämpfen.

Es ist notwendig, zu sehen, daß wir uns in einer Sackgasse befinden, um Wege aus ihr heraus zu finden. Da kann es auch völlig richtig sein, etwas, was man theoretisch auch weiterführen könnte, loszulassen. Unsere Entscheidung, etwas zu beenden, ist Ausdruck der Suche nach neuen Antworten. Wir wissen, daß uns diese Suche mit vielen auf der ganzen Welt verbindet. Es wird noch viele Diskussionen geben, bis alle Erfahrungen zusammen ein realistisches Bild der Geschichte ergeben. Wir wollen Teil der gemeinsamen Befreiung sein. Wir wollen an unseren eigenen Prozessen etwas wiedererkennbar machen und von anderen lernen. Auch das schließt alte Konzeptionen von Avantgarden, die die Kämpfe führen, aus. Wenn auch "Avantgarde" seit vielen Jahren nichts mehr mit unserem Verständnis vom Kampf zu tun hatte, so läßt die alte Konzeption der RAF die tatsächliche Aufhebung davon nicht zu. Auch deswegen können wir dieses Konzept loslassen.

Die Guerillas der Metropolen haben den Krieg, den die imperialistischen Staaten außerhalb der Zentren der Macht führen, in das Herz der Bestie zurückgetragen

Trotz allem, was wir besser anders gemacht hätten, ist es grundsätzlich richtig gewesen, sich gegen die Verhältnisse in der BRD zu stellen und zu versuchen, die Kontinuitäten der deutschen Geschichte mit Widerstand zu durchkreuzen. Wir wollten dem revolutionären Kampf auch in der Metropole eine Chance eröffnen.

Die RAF hat auf einem gesellschaftlichen Terrain den Kampf aufgenommen und mehr als zwei Jahrzehnte zu entwickeln versucht, das historisch von wenig Widerstand und dem Ausbleiben einer Bewegung gegen den Faschismus dafür um so mehr von einer zu Faschismus und Barbarei loyalen Bevölkerung geprägt war.

Die Befreiung vom Faschismus mußte anders als in anderen Ländern von außen kommen. Einen selbstbestimmten Bruch "von unten" mit dem Faschismus gab es hier nicht. Es sind in diesem Land wenige gewesen, die sich gegen den Faschismus stellten; zu wenige, die die Spur der Menschlichkeit legten. Sie, die im jüdischen, im kommunistischen - und in welchem antifaschistischen Widerstand auch immer - kämpften, sind uns wichtig gewesen. Und das werden sie immer sein. Sie waren die wenigen Lichtblicke in der Geschichte dieses Landes, seitdem der Faschismus '33 begonnen hatte, alles Soziale in dieser Gesellschaft abzutöten.

Im Gegensatz zu ihnen hat der Trend dieser Gesellschaft so gut wie immer akzeptiert, was die Mächtigen sagen; die Autorität bestimmt, was legitim ist. In der sozialen Zerstörung dieser Gesellschaft, die eine Voraussetzung für den Völkermord der Nazis war, ist bis heute die Gleichgültigkeit gegen den/die andere/n ein wesentliches Moment. Die RAF hat nach dem Nazi-Faschismus mit diesen deutschen Traditionen gebrochen und ihnen jegliche Zustimmung entzogen. Sie kam aus dem Aufbruch dagegen. Sie hat nicht nur diese nationalen und gesellschaftlichen Kontinuitäten abgelehnt, sondern an die Stelle dieser Negation einen internationalistischen Kampf gesetzt, dessen Praxis den deutschen Staat und die Herrschaftsverhältnisse in der Bundesrepublik ebenso ablehnte und angriff wie auch Militärstrukturen ihrer NATO-Verbündeten.

Überall auf der Welt versuchte dieses Bündnis, in dessen Hierarchie der US-Staat die treibende Kraft und die unangefochtene Führung war, die sozialen Rebellionen und die Befreiungsbewegungen mit Militärs und Krieg niederzuschlagen. Die Guerillas der Metropolen haben den Krieg, den sie außerhalb der Zentren der Macht führten, in das Herz der Bestie zurückgetragen.

Wir haben gewalttätige Verhältnisse mit der Gewalt der Revolte beantwortet.

Es ist uns nicht möglich, auf eine glatte und fehlerlose Geschichte zurückzublicken. Aber wir haben etwas versucht und dabei viele von den Herrschenden gesetzte und von der bürgerlichen Gesellschaft verinnerlichten Grenzen überschritten. Die RAF konnte keinen Weg zur Befreiung aufzeigen. Aber sie hat mehr als zwei Jahrzehnte dazu beigetragen, daß es den Gedanken an Befreiung heute gibt. Die Systemfrage zu stellen, war und ist legitim, solange es Herrschaft und Unterdrückung an Stelle von Freiheit, Emanzipation und Würde für alle auf der Welt gibt.

Aus dem Kampf der RAF sind immer noch neun frühere Militante im Gefängnis. Wenn auch der Kampf um Befreiung noch lange nicht vorbei ist, so ist diese Auseinandersetzung historisch geworden. Wir unterstützen alle Bemühungen, die dazu führen, daß die Gefangenen aus dieser Auseinandersetzung aufrecht aus dem Knast rauskommen.

Wir möchten in diesem Moment unserer Geschichte alle grüßen und ihnen danken, von denen wir auf dem Weg der letzten 28 Jahre Solidarität bekommen haben, die uns in verschiedenster Weise unterstützt haben, und die von ihrer Grundlage aus mit uns zusammen gekämpft haben. Die RAF hat entschieden zum Kampf um Befreiung beitragen wollen.

Diese revolutionäre Intervention in diesem Land und in dieser Geschichte hätte es nie geben können, wenn nicht viele, die sich nicht selbst in der RAF organisierten, etwas von sich in diesen Kampf gegeben hätten. Hinter uns allen liegt ein gemeinsamer Weg. Wir wünschen uns, daß wir uns alle auf den unbekannten und verschlungenen Pfaden der Befreiung zusammen mit vielen anderen wiederfinden.

Wir denken an alle, die überall auf der Welt im Kampf gegen Herrschaft und für Befreiung gestorben sind. Die Ziele, für die sie sich einsetzten, sind die Ziele von heute und morgen - bis alle Verhältnisse umgeworfen sind, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Ihr Tod ist schmerzlich, aber niemals umsonst. Sie leben in den Kämpfen und der Befreiung der Zukunft weiter.

Wir werden die GenossInnen der palästinensischen Befreiungsfront PFLP nie vergessen, die im Herbst 1977 in internationaler Solidarität beim Versuch, die politischen Gefangenen zu befreien, ihr Leben ließen. Wir wollen heute besonders an alle erinnern, die sich hier dafür entschieden, im bewaffneten Kampf alles zu geben und in ihm gestorben sind. Unsere Erinnerung und unsere ganze Achtung gilt denen, deren Namen wir nicht nennen können, weil wir sie nicht kennen, und

Petra Schelm, Georg von Rauch, Thomas Weißbecker, Holger Meins, Katharina Hammerschmidt, Ulrich Wessel, Siegfried Hausner, Werner Sauber, Brigitte Kuhlmann, Wilfried Böse, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Ingrid Schubert, Willi-Peter Stoll, Michael Knoll, Elisabeth van Dyck, Juliane Plambeck, Wolfgang Beer, Sigurd Debus, Johannes Timme, Jürgen Peemöller, Ina Siepmann, Gerd Albartus, Wolfgang Grams

Die Revolution sagt: ich war ich bin ich werde sein

Rote Armee Fraktion

März 1998

Aus: TAZ Nr. 5513 vom 22.04.1998 Seite 13-14 Hintergrund 1074 Zeilen

Daß ein politischer Radikalismus nötig ist, daran gibt es für Fromm keinen Zweifel.

Schauen wir uns nun genauer an, wie Fromm selbst zur politischen Radikalität steht. Er hatte sich mit dieser Frage ausführlich in einem Kapitel zu dem Buch Die Revolution der Hoffnung (1968a) beschäftigt, das über den politischen Radikalismus in den Vereinigten Staaten handelt. Die Gründe sind mir unbekannt, warum er dieses Kapitel wieder aus dem Manuskript zu diesem Buch herausgenommen hatte; da die Frage des politischen Radikalismus in den letzten zwei Jahrzehnten durch den weltweiten Terrorismus an Aktualität gewonnen hat, habe ich dieses Kapitel im vierten Nachlaßband veröffentlicht und werde ich mich bei den folgenden Ausführungen vor allem auf dieses Kapitel stützen.

Für Fromm gibt es keinerlei Zweifel daran, daß der Mensch der kybernetischen Industriegesellschaft zugrunde gehen wird, wenn es nicht zu einer radikalen, das heißt an die Wurzeln gehenden, Änderung seiner ökonomischen, sozialen, kulturellen und psychischen Situation kommt. Eine solche umfassende und alle Lebensbereiche zugleich betreffende Veränderung ist nur mit einem radikalen politischen Programm erreichbar. Ohne politische Radikalität ist angesichts der bestehenden Machtstrukturen und des Widerstands der herrschenden Kräfte gegen eine Veränderung keine wirkliche Überlebenschance.

Die größte Gefährdung geht deshalb von jenen politischen und gesellschaftlichen Kräften aus, die die Notwendigkeit radikaler Änderungen verleugnen. "Sie verleugnen einfach, daß es jenseits des rein technischen Wandels überhaupt eine große Veränderung auf der Welt gibt. Den technischen Wandel begreifen sie als eine einseitige Gnade. Sie behaupten mit Nachdruck überholte Ansichten zur nationalen Überlegenheit und sprechen vom Krieg (auch von Atomkrieg) als einer Fortführung der Politik mit anderen Mitteln... Gegen alle Vernunft kleben sie an dem Glauben, daß sich grundsätzlich nichts geändert hat und daß noch immer Macht alle Probleme lösen kann." Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben ist in Wirklichkeit eine Feindseligkeit gegen das Leben.
 
der Politiker Erich Fromm

Uns langt's jetzt hier! ­ Der Winter ist uns zu trist, der Frühling zu verseucht und im Sommer ersticken wir hier. Uns stinkt schon lange der Mief aus den Amtsstuben, den Reaktoren und Fabriken, von den Stadtautobahnen. Die Maulkörbe schmecken uns nicht mehr und auch nicht mehr die plastikverschnürte Wurst. Das Bier ist uns zu schal und auch die spießige Moral. Wir woll'n nicht mehr immer dieselbe Arbeit tun, immer die gleichen Gesichter zieh'n. Sie haben uns genug kommandiert, die Gedanken kontrolliert, die Ideen, die Wohnung, die Pässe, die Fresse poliert. Wir lassen uns nicht mehr einmachen und kleinmachen und gleichmachen. ­ Wir hauen alle ab! ­ ... zum Strand von Tunix.«

»Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit (wenn auch nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz und Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen), dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert sein.«
Obwohl das Pamphlet eine deutliche Kritik an der RAF beinhaltete, löste es eine massive staatliche Kriminalisierungswelle gegen die undogmatische Linke in der ganzen BRD aus. Teile der linksradikalen politischen Szene in Göttingen wurden mit Hausdurchsuchungen überzogen, im Bundesgebiet kam es zu über 100 Ermittlungsverfahren gegen Herausgeber und Zeitungen, die den Aufruf aus Solidarität gegen die Repression aus der Göttinger AStA-Zeitung nachgedruckt hatten. Nachdem eine Reihe von Professoren den »Buback-Nachruf« unter ihrem Namen neu herausgegeben hatten, wurden sie sofort disziplinarrechtlich belangt. In Niedersachsen wurde von den Herausgebern eine »Treue-Erklärung zum Staat« abverlangt, die Peter Brückner verweigerte, weswegen er u.a. von seinem Uni-Job suspendiert wurde.

Die Repressionen der staatlichen Instanzen dienten dazu, die politischen Widersprüche innerhalb der Linksradikalen einzuebnen, um sie an der »Gewaltfrage« zu polarisieren.

In der Reaktion auf diese Repression entstand in einem Zusammenhang von Resignation, anarchistischer Revolte und Fluchtwünschen die Idee des TUNIX-Treffens, das der Sponti-Linken nach dem »deutschen Herbst« zu neuem Selbstbewußtsein verhalf.
Eine Reise nach TUNIX


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