[Ein Tribunal klagt an]
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Die moralische Rechtfertigung für den NATO-Angriff bröckelt.

Von Rainer Rupp

Robin Cook, der britische Außenminister, gerät auch aus den Reihen der eigenen Labour-Party unter zunehmenden Druck. Ihm wird vorgeworfen, die Öffentlichkeit mit seinen Behauptungen vom serbischen Genozid an Kosovo-Albanern wissentlich belogen zu haben, um so die öffentliche Meinung für den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu gewinnen.

Mitglieder der parlamentarischen All-Parteienausschusses in Westminster wollen nach einem Bericht der Sunday Times vom 31.10. noch diese Woche vom britischen Außenministerium Antwort auf die Frage, warum die Zahl der tatsächlich gefundenen toten Kosovo-Albaner nur einen kleinen Bruchteil der vom Foreign Office vor und während des Krieges verbreiteten Zahlen ausmacht.

Auch in England hat die Analyse des amerikanischen Stratfor Intelligence Center Aufmerksamkeit erregt. Das Stratfor-Papier wurde in deutscher Übersetzung am 28.und 29. Okt. in der jungen Welt veröffentlicht. Hier sei kurz daran erinnert, daß die im Kosovo eingesetzten gerichtsmedizinischen Teams - u.a. auch das FBI - gegenüber Stratfor bestätigt hatten, daß in den vielen leer vorgefundenen angeblichen Massengräbern niemals Leichen gelegen hatten. In anderen, groß angekündigten "Massengräbern" seien nur wenige Tote gefunden worden. Auch liege die Zahl der tatsächlich gefundenen Toten um etliche Größenordnungen unter den von der NATO propagierten Zahlen. ("Hunderte, nicht Tausende")

In der alt-ehrwürdigen Sunday Times of London setzte sich Jon Swain und Nicholas Rufford letztes Wochenende mit der Stratfor-Analyse und weiteren Berichten, die Stratfor untermauern, in zwei längeren Artikeln auseinander. Da Swain während des Krieges selbst zu dessen eifrigen Befürwortern gehört hatte, vollführt er nun einen wahren Eiertanz. Einerseits stellt Swain die Ergebnisse von Stratfor nicht in Zweifel. Andererseits versuchte er verzweifelt, den NATO-Bombenterror gegen jugoslawische Zivilisten doch noch zu rechtfertigen.

In diesem Zusammenhang sind die mittlerweile Europa weit verbreiteten Kommentare von Emilio Perez Pujol, Patologe und Leiter des spanischen gerichtsmedizinischen Teams im Kosovo, aus seinem Interview mit der spanischen Tageszeitung "El Pais" besonders interessant. Senor Emilio Pujol ist kürzlich aus dem Kosovo nach Spanien zurückgekehrt, anscheinend total desillusioniert, was seinen Arbeitsauftrag betrifft. Er schätzt, daß im Kosovo nicht mehr als 2500 Zivilisten während des gesamten Krieges umgekommen sind, und daß diese Zahl "viele Todesfälle enthält, für die niemand persönlich schuldig gemacht werden kann", also Resultat des Krieges sind.

In seinem freimütigen Interview beschwerte sich Pujol über den Einsatz seines Teams von Gerichtsmedizinern und Polizeiexperten im nördlichen Kosovo. Es dauerte nämlich nicht lange, bis er erkannte, daß das, was der Öffentlichkeit als "Suche nach Massengräbern" verkauft wurde in Wirklichkeit nichts anderes war als "eine semantische Pirouette der Propagandamaschinen des Krieges". "Wir haben kein - nicht ein einziges - Massengrab gefunden", erregte sich Senor Pujol, der darauf vorbereitet worden war, mindestens 2000 Leichen zu exhumieren. Er hatte damit gerechnet, dafür etwa zwei einhalb Monate zu brauchen. Aber Mitte September, nachdem er an einem Ort 97 Leichen ausgegraben hatte, die keinerlei Zeichen von Verstümmelungen oder von Folterung zeigten, sondern deren Tod durch Granat- und Bombensplitter oder Gewehrkugeln verursacht worden war, fuhr er nach Hause.

"Ich rief meine Leute zusammen und sagte: > Wir sind hier fertig. < Ich informierte meine Regierung und erklärte ihnen die tatsächliche Situation. Wir hatten insgesamt 187 Leichen gefunden, davon 97 in an einem Platz, acht an einem anderen, vier weitere wieder woanders und so weiter. Vier oder fünf waren an natürlichen Ursachen gestorben." Er fügte hinzu: "Militärische Aktionen verfärben die Wahrheit und -ich möchte betonen, daß es niemanden wirklich hilft, ein internationales Gericht zu manipulieren".

Die eigene Nachforschungen der Sunday Times Reporter scheinen dieses eher ernüchternde Bild zu bestätigen. So berichtet Mr. Rufford z.B., daß das britische gerichtsmedizinische Team die bisher meisten Tote gefunden habe. Insgesamt nur 505 Leichen in einer Gegend, wo angeblich die "schlimmsten Massenmorde passiert sein sollen." Wieviele absichtlich getötet worden sind, und wie viele Opfer des Krieges, auch der NATO-Bomben sind, bleibt leider offen. Sicherlich mit Absicht. Denn so fällt es Apologethen wir Swain leichter, auf den Greuelgeschichten zu beharren, die von den Flüchtlingen "so anschaulich" erzählt worden seien. Deren Zeugenaussagen scheinen "eindrücklicher" als alle Angaben über tatsächlich gefundene oder nicht gefundene Leichen zu sein. Daraus schließt Mr. Swain, daß die serbischen Sicherheitskräfte trotzdem "Greueltaten in einer Größenordnung verübt hätten, die nur durch einen militärischen Eingriff hätten gestoppt werden können."

Die "Qualität und die Art und Weise der serbischen Angriffe" sei wichtiger (für den NATO-Krieg) gewesen, als die Zahl der Toten, meint Mr. Swain. Davon dürften auch die "Revisionisten" unter den Leichenzählern nicht ablenken, die niedrigere Zahlen mit einander vergleichen. Das sollte wohl ein Seitenhieb gegen das Stratfor-Papier sein, für das die Frage nach der Anzahl der Toten von zentraler Bedeutung ist. Denn - so Stratfor - es gäbe schon einen qualitativen Unterschied zwischen Hunderten von Toten, die im Rahmen einer Repressionsmaßnahme (zur Terroristenbekämpfung) sterben und einem genozidartigen tausendfachen Massenmord.

"Schade" sei es nur, so Swain in einer Meisterleitung der Apologethik, daß die NATO und westliche Politiker "mit ihren leidenschaftlichen Rechtfertigungen für den Krieg gegen Serbien zu Beendigung der Greueltaten etwa zu weit gegangen sind". Um von seinen eigenen Fehlern und seinem Mangel an kritischer Neugier als Journalist abzulenken, beklagt er die "Hyperbole", die maßlosen Übertreibungen der NATO in ihrer Kosovo-Berichterstattung. Besonders sei da die Tendenz gewesen, von "einem systematischen Genozid Im Kosovo zu sprechen." Swain stellt statt dessen fest: "Es gab aber keinen Genozid im Kosov. Es war unehrlich und falsch von den westlichen Politikern, diesen Begriff zur Untermauerung der moralischen Autorität ihres Unternehmens zu benutzen." Dies habe "den Ruf der NATO, für Wahrheit und Gerechtigkeit zu stehen, beschädigt".

Alice Mahon, linke britische Labour-Abgeordnete in Westminster und Vorsitzende des All-Parteienausschusses für den Balkan wird als ausgesprochene Kritikerin des NATO-Krieges sicherlich weniger behutsam mit den Kriegverbrechern in der NATO und ihrer Regierung umgehen. Sie hatte bereits während des Krieges Belgrad besuchte und letzten Samstag sagte sie, daß die zivilen Toten im Kosovo zwar eine Tragödie darstellten, aber keineswegs den NATO-Angriff rechtfertigten könnten. "Wenn man bedenkt, daß 1.500 Zivilisten durch NATO-Bomben getötet worden sind, dann muß man sich fragen, ob die Intervention gerechtfertigt war." Es wird Zeit, daß auch in Deutschland dem Kriegstagebuchschreiber Scharping und dem Greuelpropagandisten Fischer und ihren Mittätern jemand kritische Fragen stellt.

Mittwoch, 3. November 1999

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