Anklage beim Internationalen Europäischen (inoffiziellen) Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien

I. Sachverhalt

1. Die Vorbereitung des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien

1. 1 Die Entwicklung der NATO von einem Verteidigungsbündnis zu einem globalen Interventionsbündnis

Nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages stellte die NATO seit ihrer Gründung im Jahre 1949 funktionell und ausschließlich ein Verteidigungsbündnis dar. Die Vertragsparteien verpflichteten sich für den Fall eines bewaffneten Angriffs durch eine Nichtvertragspartei zur gegenseitigen Beistandsleistung, und zwar ausschließlich in Ausübung des in Artikel 51 der UN-Charta anerkannten Rechts der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung. Dieser ausschließliche Verteidigungscharakter der NATO wurde de facto mit Kriegsbeginn und während des Krieges mit der Verabschiedung des neuen strategischen Konzeptes auch definitiv aufgegeben.

Dem liegt eine lange Entwicklung zugrunde, die verbunden ist mit dem Konzept der 1991 von George Bush verkündeten Neuen Weltordnung. In seiner Rede zur Amtseinführung am 20. Januar 1993 erklärte William Clinton als neugewählter Präsident der USA: »Ganz sicher muß Amerika auch weiterhin die Welt anführen, in deren Gestaltung wir so viel investiert haben. ... Wenn jemand unsere vitalen Interessen bedroht oder sich über den Willen oder das Gewissen der internationalen Gemeinschaft hinwegsetzt, werden wir handeln - wenn möglich mit friedlichen diplomatischen Mitteln, wenn nötig mit militärischer Gewalt.« (1)

Im selben Jahr hatte der ehemalige Außenminister Warren Christopher vor dem zuständigen Senatsausschuß das zukünftige außenpolitische Programm Clintons erläutert. Es sei erforderlich, militärische Gewalt auch für Zwecke einzusetzen, »die sich maßgeblich vom herkömmlichen Auftrag unserer Streitkräfte unterscheiden«. (2)

US-Verteidigungsminister Cohen erklärte später und an anderem Ort, die künftige Strategie des Bündnisses müsse stärker auf »Machtprojektion« statt auf »starre Verteidigung« ausgerichtet sein. (3)

Bereits 1993 lag der US Regierung ein geheimes Papier vor, das den Titel trug: »Mit den Vereinten Nationen, wenn möglich, ohne sie, wenn nötig.«

Die neokolonialen Hintergründe und Bestrebungen der USA-Politik kommen bei Zbigniew Brzezinski, der als anerkannter Impulsgeber und Interpret der amerikanischen Außenpolitik gilt, zum Ausdruck, wenn er die amerikanische Außenpolitik - auch in bezug auf den Krieg gegen Jugoslawien folgendermaßen kennzeichnete: »Vor allen Dingen aber ist Europa Amerikas unverzichtbarer geopolitischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent.« Dahinter stehen ökonomische Interessen, die er ungeschminkt darstellt. »Der weltweite Energieverbrauch wird sich in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten enorm erhöhen. Schätzungen des US-Departement of Energy zufolge steigt die globale Nachfrage zwischen 1993 und 2015 um voraussichtlich mehr als 50 Prozent ... Es ist bekannt, daß die zentralasiatische Region und das Kaspische Becken über Erdgas- und Erdölvorräte verfügen, die jene Kuwaits, des Golfs von Mexiko und der Nordsee in den Schatten stellen.« (4)

Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der NATO in Madrid im Juli 1997 wurde der Auftrag zur Erarbeitung eines neuen Strategiekonzeptes erteilt. Nach weniger als drei Jahren wurde auf dem Gipfeltreffen des Nordatlantikrates anläßlich des 50. Jahrestages der NATO am 24. April 1999 in Washington D.C. das Neue Strategische Konzept unterzeichnet. (5)

In einer dazu abgegebenen Erklärung der NATO-Staaten wurde bekanntgegeben, daß das Neue Strategische Konzept dem Zweck dient, »... den Kurs der NATO für das 21. Jahrhundert (festzulegen)..., um das ganze Spektrum der Bündnisaufgaben des 21. Jahrhunderts erfüllen zu können«. (6)

Dem Konzept vorangestellt ist eine Analyse der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der ehemaligen sozialistischen Staatengemeinschaft und der Auflösung ihres Verteidigungsbündnisses (Warschauer Vertragsstaaten). Dazu heißt es: »In den letzten 10 Jahren sind jedoch auch komplexe neue Risiken für den euroatlantischen Frieden und die Stabilität aufgetreten, einschließlich Unterdrückung, ethnischer Konflikte, wirtschaftlicher Not, des Zusammenbruchs politischer Ordnungen sowie der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen... Zu diesen Risiken gehören Ungewißheit und Instabilität im und um den euroatlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung nationaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses, die sich rasch entwickeln könnten. Einige Länder im und um den euroatlantischen Raum sehen sich ernsten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schwierigkeiten gegenüber. Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzungen von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen.«

Aus dieser Einschätzung wird in dem Konzept auf eine neue Bedrohung der Mitgliedsstaaten der NATO durch andere Staaten geschlossen, die konkret in der Gefahr vor Gewaltakten auf dem Territorium der NATO-Staaten, vor dem Verlust des Zugangs zu den Naturrohstoffen außerhalb ihres Territoriums und einer Überflutung durch ausländische Flüchtlinge gesehen wird. In dem Konzept wird dazu ausgeführt: »Die ... Spannungen (in den Nichtmitgliedsstaaten der NATO) können zu Krisen führen, die die euroatlantische Stabilität berühren, sowie zu menschlichem Leid und bewaffneten Konflikten. Solche Konflikte könnten, indem sie auf benachbarte Staaten einschließlich NATO-Staaten übergreifen, oder in anderer Weise auch die Sicherheit des Bündnisses oder anderer Staaten berühren... Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassender Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen.«

Zum Schutz vor diesen äußeren Bedrohungen ist der NATO mit dem Neuen Strategische Konzept - über die bisherige ausschließliche Aufgabe der Verteidigung nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages hinaus - die qualitativ neue und vom Nordatlantikvertrag nicht gedeckte Aufgabe der sogenannten »Krisenreaktionseinsätze« außerhalb des Staatsterritoriums der Mitgliedsstaaten zugewiesen worden. In dem Neuen Strategischen Konzept wird dazu ausgeführt: »Militärische Fähigkeiten, die für das gesamte Spektrum vorhersehbarer Umstände wirksam sind, stellen auch die Grundlage für die Fähigkeit des Bündnisses dar, durch nicht unter Artikel 5 fallende Krisenreaktionseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beizutragen.«

Im Teil IV der Streitkräfterichtlinien werden die erweiterten Aufgaben der NATO unter den Überschriften »Grundsätze der Bündnisstrategie« und »Das Streitkräftedispositiv des Bündnisses« definiert: »Die Aufgaben der Streitkräfte des Bündnisses: Sie (die Mitgliedsstaaten) müssen auch bereit sein, einen Beitrag zur Konfliktverhütung zu leisten und nicht unter Artikel 5 fallende Krisenreaktionseinsätze durchzuführen... Diese Vorkehrungen ermöglichen es den NATO-Streitkräften ferner, nicht unter Artikel 5 fallende Krisenreaktionseinsätze durchzuführen, und stellen eine Voraussetzung für eine kohärente Reaktion des Bündnisses auf alle möglichen Eventualfälle dar... Die NATO-Streitkräfte müssen auch weiterhin fähig sein, die kollektive Verteidigung zu gewährleisten und gleichzeitig wirksame Krisenreaktionseinsätze, die nicht unter Artikel 5 fallen, durchzuführen... Indem sie ihren Beitrag zur Bewältigung von Krisen durch militärische Einsätze leisten, werden sich die Streitkräfte des Bündnisses mit einem komplexen und vielfältigen Spektrum von Akteuren, Risiken, Situationen und Anforderungen auseinanderzusetzen haben, darunter auch humanitäre Notfälle... Einige Krisenreaktionseinsätze, die nicht unter Artikel 5 fallen, können ebenso hohe Anforderungen stellen wie einige kollektive Verteidigungsaufgaben... Umfang, Bereitschaftsgrad, Verfügbarkeit und Dislozierung der Streitkräfte des Bündnisses werden sein Bekenntnis zur kollektiven Verteidigung und zu Durchführung von Krisenreaktionseinsätzen widerspiegeln. Dies kann manchmal kurzfristig, weit vom Heimatdorf und auch jenseits des Bündnisgebiets erfolgen... Multinationale Streitkräfte, insbesondere diejenigen, die rasch für die kollektive Verteidigung oder für nicht unter Artikel 5 fallende Krisenreaktionseinsätze disloziert (also: räumlich verteilt) werden können, stärken die Solidarität.«

Diese Aufgabenerweiterung der NATO beinhaltet im Kern den Übergang von der Verteidigung der Staatsgebiete ihrer Mitgliedsstaaten zu einer weltweiten (sogenannten euroatlantischen) Interessendurchsetzung mit militärischen Mitteln.

Die Anklage kommt deshalb zu dem Schluß, daß der Grund für den Militäreinsatz der NATO-Mitgliedsstaaten gegen Jugoslawien keineswegs in dem öffentlich erklärten Ziel der Verhinderung einer humanitären Katastrophe zu sehen ist, sondern vielmehr der Präzedenzfall für eine weltweite Kriegspolitik des 21. Jahrhunderts geschaffen wurde, mit der zukünftig auf dem Rücken der Völkergemeinschaft die im Konzept definierten Interessen der NATO-Staatengemeinschaft durchgesetzt werden soll.

Auch der ehemalige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Horst Grabert ist zu der Überzeugung gelangt, daß es im Krieg gegen Jugoslawien gar »nicht um das Kosovo« ging. »Gewollt war die Vorführung der neuen Doktrin. »Man wußte, daß die neue Doktrin Diskussionen u.a. in den europäischen Ländern auslösen würde. Daher sollte sich die NATO in diesem Konflikt als Ordnungsmacht präsentieren.« »Erneut war Jugoslawien die Bühne, auf der jede Menge fremder Stücke gespielt wurden. Deshalb war in Rambouillet Vorsatz im Spiel. Und nach wie vor ist Vorsatz im Spiel.« Mit dem Krieg habe Jugoslawien nur als eine Art Camouflage zur Verschleierung der eigentlichen Absichten der USA gedient, einen weiteren Schritt zur Durchsetzung ihrer Neuen Weltordnung zu gehen. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist dabei, daß die Interessendurchsetzung im Rahmen der Neuen Weltordnung nicht mehr im Einklang steht mit den grundlegenden Prinzipien des geltenden Völkerrechts zur Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens, wie an anderer Stelle noch auszuführen sein wird. (7)

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte auf einer Pressekonferenz am 25. April unmittelbar nach Unterzeichnung des Neuen Strategischen Konzepts: »Wir waren uns einig, daß es auch in Zukunft nur dann Interventionen geben kann, wenn im Prinzip ein Sicherheitsratsbeschluß vorliegt. Eng begrenzte Ausnahmen können zugelassen werden, dürfen aber nicht die Regel werden und können überhaupt nur in Frage kommen, wenn sich zeigt, und zwar nachweisbar, daß der Sicherheitsrat nicht handlungsfähig ist.« (8)

Auch mit dieser eindeutigen Äußerung des Bundeskanzlers wird unter Beweis gestellt, daß die NATO-Staaten im Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und zukünftig nach dem Prinzip handeln: mit der UNO, wenn möglich, ohne UNO, wenn nötig. (9)

1.2 Die langfristige Ausrichtung der deutschen Außenpolitik auf eine Militärintervention in der Bundesrepublik Jugoslawien

Die deutsche Außenpolitik gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien war spätestens ab 1991 auf die Zerschlagung der nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus gegründeten jugoslawischen Föderation gerichtet, wobei die in deren Inneren entstandenen schwerwiegenden nationalen und politischen Konflikte genutzt und geschürt wurden. Verdeckt begann zum gleichen Zeitpunkt die Unterstützung der separatistischen Kräfte in dem zur Republik Serbien gehörenden autonomen Gebiet Kosovo und Metohien mit dem Ziel, das Gebiet aus der Republik und damit aus der jugoslawischen Föderation herauszubrechen. Ein Beweis dafür sind Schreiben des ehemaligen Generalsekretärs der UNO an den damaligen Außenminister der Bundesrepublik Deutschland:

Die Bundesrepublik Deutschland wurde durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Javier Perez de Cuellar, in seinen Schreiben vom 10. Dezember und 14. Dezember 1991 an den damaligen deutschen Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, eindringlich davor gewarnt, die Unabhängigkeit einzelner Teilrepubliken der Bundesrepublik Jugoslawien anzuerkennen, ohne gleichzeitig eine gesamte Regelung für alle sechs Teilrepubliken herbeizuführen. In dem Schreiben vom 10. Dezember 1991 warnte er vor den Folgen: »Damit ich richtig verstanden werde: ich will auf keine Weise das Prinzip der Selbstbestimmung in Frage stellen, das in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist. Doch ich bin tief beunruhigt darüber, daß eine verfrühte, selektive Anerkennung den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation hervorrufen könnte, besonders in Bosnien-Herzegowina und auch in Mazedonien; tatsächlich könnten schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion daraus entstehen. Ich glaube daher, daß unkoordinierte Handlungen vermieden werden sollten.« (10)

Ungeachtet der Warnungen vor den Folgen eines deutschen Alleingangs erkannte die Bundesrepublik Deutschland am 19. Dezember 1991 die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens an und heizte auf diese Weise die inneren Auseinandersetzungen auf dem Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien zusätzlich an. Es liegt in der Konsequenz der damit eingeleiteten historischen Entwicklung, daß das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts den Balkan zum Spielball unterschiedlicher Großmachtinteressen machte, zum Schauplatz von Kriegen und Bürgerkriegen, in denen auch Deutschland seinen Part spielte.

Am 16. August 1998 erklärte der damalige deutsche Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, daß er sich ein Eingreifen der NATO im Kosovo auch ohne UNO-Mandat vorstellen könne. Am gleichen Tag sprach sich ebenso der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe für einen militärischen NATO-Einsatz gegen Jugoslawien auch ohne Zustimmung Rußlands, also ohne ein Mandat des Sicherheitsrates, aus. 1997 bezeichnete Zbigniew Brezinski die Bundesrepublik Deutschland als den »geostrategischen Hauptakteur« und als »umtriebige, von einer ehrgeizigen Vision beflügelte Großmacht«.

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte der stellvertretende Außenminister der USA am 5. Februar 1999, das Agieren der Bundesrepublik Deutschland sei gegenwärtig das Zentrum eines die NATO ebenso wie den Balkan erschütternden geopolitischen Erdbebens, Deutschland sei »Epizentrum dieser Prozesse - Erweiterung und Expansion, Ausdehnung und Vertiefung«. (11)

Die Bundesrepublik Deutschland spielte - neben den USA - bei der unmittelbaren Vorbereitung des Krieges eine Sonderrolle. Der frühere deutsche General Heinz Loquai, während des Krieges bei der OSZE in Wien tätig, schätzte ein, daß bei einem Außenministertreffen in Luxemburg vom 28. Mai 1998, »die Deutschen erhebliches Aufsehen erregten mit dem Argument, man müsse dem Kosovo-Problem dort begegnen, wo die Ursachen liegen.« Damit »schien Deutschland eine direkte Intervention im Kosovo zu befürworten.« »Zu einer Zeit, als die anderen Mitgliedsländer noch nicht daran dachten, machte sich die deutsche Politik zu einer Speerspitze für einen direkten militärischen Einsatz der NATO im Kosovo.« (12)

Eine die USA wegen ihrer zunächst unentschiedenen Rolle bedrängende Funktion übernahm neben Deutschland auch Großbritannien. Der britische Außenminister Cook rief am 29. September 1998 die amerikanische Außenministerin Albright zu einem härteren Vorgehen auf. Am 8. Oktober 1998 gab der Präsident der USA, Clinton, bekannt, »er habe die amerikanische Vertretung bei der NATO angewiesen, für die Autorisierung von Luftangriffen gegen Serbien zu stimmen, falls Präsident Milosevic fortfahre, sich der internationalen Gemeinschaft zu widersetzen«.

Aus der Tatsache, daß der Sicherheitsrat der UNO noch zwei Wochen zuvor in seiner Resolution Nr. 1199 am 23. September 1998 dabei blieb, die in der Bundesrepublik Jugoslawien bestehenden Konflikte ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen, und die USA nunmehr ungeachtet dessen mit einem militärischen Eingreifen drohten, leitet sich der Schluß her, daß spätestens zu diesem Zeitpunkt die NATO zur militärischen Intervention entschlossen war.

Zusätzlich wird das dadurch belegt, daß, obwohl die Gespräche zwischen dem Unterhändler der USA und der jugoslawischen Führung nach Holbrookes Bericht im NATO-Rat am 13. Oktober 1998 »deutliche Fortschritte« erbracht hatten und obwohl am 13. Oktober 1998 eine Vereinbarung zwischen Holbrooke und Milosevic zur Überwachung des jugoslawischen Truppenrückzuges und zur Stationierung von 2000 OSZE- Beobachtern zustande kam, die NATO-Staaten weitere entscheidende Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung trafen:

Am 12. Oktober 1998 beantragte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Deutschen Bundestag die Zustimmung zur deutschen Beteiligung an den von der NATO geplanten, begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt.

Am 16. Oktober 1998 stimmte die Mehrzahl der Mitglieder des Deutschen Bundestags dem Antrag zu. (13)

Am 13.November erklärte der Außenminister Joseph Fischer im Deutschen Bundestag, der »Rückzug der jugoslawischen Truppen und Sondereinheiten« sei »weitestgehend« durchgeführt.

Auch der ranghöchste Offizier der NATO und Leiter des Militärausschusses, General Klaus Naumann, bestätigte, daß Milosevic seine Zusagen im Großen und Ganzen eingehalten habe. Außerdem haben nicht wenige für die Umsetzung des Abkommens Verantwortliche im Rahmen der OSZE ihre Aufgaben nicht erfüllt, eine entsprechende Anzahl von OSZE-Beobachtern zu entsenden. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ischinger, erklärte rückblickend zur Vereinbarung zwischen Hoolbroke und Milosevic offen, dass man in ihr keine Alternative zur Kriegführung sah. » Eigentlich war vielen von uns schon im Herbst 1998 klar, daß dies nur eine Maßnahme war, mit der man vielleicht ein bißchen Zeit gewinnen konnte. Wir wußten, (Hervorh.: Die Anklage) ohne militärische, ohne effektive militärische Drohung, wahrscheinlich sogar ohne Anwendung militärischer Gewalt würde Milosevic nicht nachgeben. Keiner wußte das besser als Dick Holbrooke selbst...« (14)

Für diese Kriegsbereitschaft spricht auch die Tatsache, daß unmittelbar nach dem bis zum heutigen Zeitpunkt nicht aufgeklärten, angeblichen Massaker von Racak am 15./16.Januar - nach Aussagen des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland, Ludger Volmer - die Amerikaner sofort »auf der Basis des noch gültigen "ACTORD" (activation order) mit den bombardierungen der volksrepublik jugoslawien beginnen« wollten. »dabei erwarteten sie die beteiligung der anderen nato-staaten, auch deutschlands. ein anderes politisches ziel außer dem der bestrafung war nicht erkennbar). (15)

Loquai sagte dazu aus: »Man muß hier hinzufügen, daß eine objektive, unparteiische Untersuchung des Sachverhalts noch gar nicht stattgefunden hatte, sondern die Bestrafung der BRJ durch einen Krieg aufgrund eines Anfangsverdachts erfolgen sollte. Dies könnte man auch als internationale Lynchjustiz bezeichnen.« »Die USA verzichteten zunächst auf einen Bestrafungskrieg für eine Tat, für die es noch kein objektives Urteil gab. Sie erhielten dafür die Blankovollmacht für einen zukünftigen Bestrafungskrieg, dessen Straftat sie selbst herbeiführen konnten. Doch völkerrechtliche Kriterien spielten für die USA beim Einsatz ihrer Streitkräfte ohnehin keine besondere Rolle. Sie entschieden und entscheiden nach politischen Gesichtspunkten ihrer Interessenlage. Das Völkerrecht wird allenfalls bemüht, um den politisch motivierten Einsatz vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Und auf diesem Kurs fanden die USA viele Gefolgsleute.« Nach einer Reise der Generale Clark und Naumann nach Belgrad fand am 20. Januar 1999 eine NATO-Ratstagung statt, die trotz widersprüchlicher Standpunkte und insbesondere Bedenken Frankreichs mit einem Sieg der amerikanischen Linie endete. Sie autorisierte nach den Worten M. Albrights Luftangriffe, »falls Belgrad die Forderungen der internationalen Gemeinschaft nicht erfüllt«.

Der NATO-Generalsekretär Solana wurde autorisiert, Luftangriffe gegen das »Gebiet der BRJ« anzuordnen. Das war vor dem Treffen in Rambouillet, dem am 23.Februar ein Abkommenstext vorlag, der Jugoslawien vor die Alternative kampfloser Kapitulation und Errichtung eines NATO-Protektorats im Kosovo oder Luftkrieg gegen die BRJ stellte. (16) Augstein machte mit der folgenden Bemerkung auf die fehlende Seriosität und Ernsthaftigkeit des Verhandlungswillens der USA aufmerksam: »Die USA hatten in Rambouillet militärische Bedingungen gestellt, die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können.« (17)

Michael Mandelbaum, ein Vertreter einer Anklage gegen die NATO am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, würdigt die Geschehnisse in Rambouillet wie folgt: »Geführt von der amerikanischen Außenministerin Madeleine K. Albright, lud die NATO die Serben und die UCK in das französische Schloß Rambouillet vor, präsentierte ihnen einen detaillierten Plan für politische Autonomie im Kosovo unter NATO- Schirmherrschaft, forderte beide auf, dem zuzustimmen und drohte mit militärischer Vergeltung, wenn einer von beiden sich weigerte. Die Amerikaner verhandelten darüber mit der UCK, erhielten ihre Zustimmung zum Rambouillet-Plan, und als die Serben auf ihrer Weigerung beharrten, warteten die Amerikaner den Abzug der OSZE-Beobachter ab und begannen dann zu bomben.« (18)

Am 22. Februar 1999 beantragte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland beim Deutschen Bundestag im Anschluß an die Beschlüsse vom 16. Oktober 1998, den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte entsprechend dem von der Bundesregierung am 22. Februar 1999 beschlossenen Beitrag zur militärischen Umsetzung eines Rambouillet-Abkommens für den Kosovo sowie zu NATO-Operationen im Rahmen der Notfalltruppe (Extraction Force) zuzustimmen. Mit Beschluß vom 25. Februar 1999 stimmte die Mehrheit der Mitglieder des deutschen Bundestages dem Antrag zu. Damit war der Weg der deutschen Kriegsbeteiligung an dem geplanten Kriegseinsatz der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien frei. (19)

Nach einer vierzigminütigen Sitzung des NATO-Rats am 23. März 1999 gab der Generalsekretär der NATO, Javier Solana, die Anweisung an den Oberkommandierenden der NATO- Streitkräfte in Europa, Wesley Clark, mit Luftangriffen gegen die BRJ zu beginnen.

Am 24. März erklärte der Präsident der USA vor dem Pressekorps des Weißen Hauses, »Streitkräfte der Vereinigten Staaten haben gemeinsam mit unseren Bündnispartnern in der NATO mit Luftangriffen auf serbische Militärziele im ehemaligen Jugoslawien begonnen... unsere Bündnispartner unterstützen diese Aktion einstimmig. « (20)

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder begründete am 24. März 1999 die Bombardierungen durch die NATO in einer öffentlichen Ansprache wie folgt: »Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern. Der jugoslawische Präsident Milosevic führt dort einen erbarmungslosen Krieg. Die jugoslawischen Sicherheitskräfte haben ihren Terror gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo allen Warnungen zum Trotz verschärft. Die internationale Staatengemeinschaft kann der dadurch verursachten menschlichen Tragödie in diesem Teil Europas nicht tatenlos zusehen. Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Die Militäraktion richtet sich nicht gegen das serbische Volk.« (21)

Rechtliche Würdigung zum Sachverhalt Teil I.

1. Rechtsverstöße der betreffenden NATO-Mitgliedsstaaten

Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verstößt gegen das Völkerrecht. Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich bei der UNO. Gem. Artikel 42 der UNO-Charta kann ausschließlich der UNO-Sicherheitsrat »... mit Luft-, See- oder Landstreitkräften Maßnahmen durchführen, die er zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für notwendig erachtet. Sie können Demonstrationen, Blockademaßnahmen und andere Operationen der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nation umfassen.«

Nach Artikel 43 der UNO-Charta ist die Mandatierung rechtsverbindlich vorgeschrieben: »Jedoch dürfen keine Zwangsmaßnahmen... ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat ergriffen werden.« Den NATO-Mitgliedsstaaten ist kein Mandat des Sicherheitsrates für Zwangsmaßnahmen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien erteilt worden.

Demnach haben die NATO-Mitgliedsstaaten gegen das völkerrechtlich zwingende Gewaltverbot gemäß Artikel 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen verstoßen, in der sich alle Mitglieder der Vereinten Nationen zum Verzicht auf Gewaltandrohung und Gewaltanwendung verpflichtet haben. In Artikel 2 Nr. 4 der UN-Charta heißt es: »Alle Mitglieder enthalten sich in ihren internationalen Beziehungen der Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung, die gegen die territoriale Unverletzlichkeit oder politische Unverletzlichkeit oder politische Unabhängigkeit irgendeines Staates gerichtet ist.«

Fehlt ein ausdrückliches Mandat des UN-Sicherheitsrates, so verstößt eine militärische Intervention gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot.

Die NATO-Staaten haben versucht, die Militärschläge gegen die Bundesrepublik Jugoslawien mit der sogenannten »humanitären Intervention« zu begründen. Darunter wird der Einsatz bewaffneter Gewalt zur Verhinderung und Beseitigung blutiger Unterdrückung und massiver Menschenrechtsverletzungen in einem Drittstaat verstanden.

Die völkerrechtswidrigen Interventionen der USA, wie zum Beispiel die Einrichtung der Flugverbotszonen über dem Irak und ihre ständige Bombardierung, die Angriffe auf eine Pharmafabrik im Sudan und ein Camp in Afghanistan, die (erneute) Bombardierung Bagdads im Dezember 1998 und schließlich die Bombardierung Jugoslawiens seit März 1999, aber auch die Einrichtung einer Schutzzone im Nordirak durch den UN-Sicherheitsrat im Jahre 1991 sind versucht worden, mit der sogenannten »humanitären Intervention« zu rechtfertigen. Diese Argumentation kann jedoch nicht greifen.

Im Briand-Kellog-Pakt wurde 1928 erstmals der Angriffskrieg geächtet. Rechtsqualitativ wurde mit der UN-Charta das Kriegsverbot zu einem generellen Gewaltverbot gemäß Artikel 2 Nr. 4 ausgestaltet und entzog damit jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten die rechtliche Legitimation. Das Prinzip der Nichteinmischung ist in Artikel 2 Nr. 7 der UN-Charta verankert worden: »Durch die Bestimmungen der vorliegenden Charta sind weder die Vereinten Nationen berechtigt, sich in Angelegenheiten einzumischen, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines jeden Staates gehören, noch die Mitglieder verpflichtet, solche Angelegenheiten der in der vorliegenden Charta vorgesehenen Regelung zu unterwerfen.«

Mit der »Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen« vom 24. Oktober 1970 wurde durch die UNO-Mitgliedsstaaten das absolute völkerrechtliche Verbot einer militärischen Intervention, aus welchen Gründen auch immer, nochmals ausdrücklich bekräftigt. Dazu heißt es in der Deklaration: »Jeder Staat hat die Pflicht, in seinen internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Eine solche Androhung oder Anwendung von Gewalt stellt eine Verletzung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen dar und darf niemals als Mittel zur Beilegung internationaler Streitfragen angewandt werden. Der Angriffskrieg stellt ein Verbrechen gegen den Frieden dar, das die Verantwortlichkeit aufgrund des Völkerrechts nach sich zieht.«

Aus Artikel 5 der Deklaration ergibt sich eindeutig, daß eine »humanitäre Intervention« kein Rechtfertigungsgrund für die Bombardierung Jugoslawiens sein kann. Dort heißt es: »Keine Erwägungen, seien sie nun politischer, wirtschaftlicher, militärischer oder anderer Art, dürfen als Rechtfertigung für eine Aggression dienen.«

Unbestritten ist das Hauptziel und die zentrale Aufgabe der UNO die Friedenssicherung. Gerade deshalb ist der zentrale Mittelpunkt der UN-Charta das Verbot der Gewaltandrohung und Gewaltanwendung. Der Schutz der Menschenrechte, der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 zu den beiden Pakten über bürgerliche und politische sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geregelt ist und in zahlreichen Sonderkonventionen zum Schutz zum Beispiel gegen Folter, Völkermord, Apartheid und Rassendiskriminierung seine der UN-Charta: »Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus der Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus der Charta Vorrang.«

Damit wurde klargestellt, daß für den Fall einer Kollision zwischen Gewaltverbot gemäß UN-Charta und einer Verpflichtung aus den Menschenrechtspakten und -konventionen auftritt, dem Gewaltverbot Vorrang einzuräumen ist. Auch aus diesem Blickwinkel ist kein Raum für die Annahme, daß der Krieg der NATO-Staaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien unter dem Gesichtspunkt einer »humanitären Intervention« gerechtfertigt sein könnte.

Auch der Internationale Gerichtshof hat in seinem Urteil aus dem Jahre 1986 in dem Rechtsstreit Nikaraguas gegen die USA klargestellt, daß die Sicherung der Menschenrechte keine Ausnahme vom Gewaltverbot zuläßt. In der Entscheidung heißt es: »Die Vereinigten Staaten mögen ihre eigene Einschätzung hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte in Nikaragua haben, jedoch kann die Anwendung von Gewalt keine geeignete Methode sein, die Achtung der Menschenrechte zu überwachen oder zu sichern. Hinsichtlich der angegriffenen Maßnahmen (ist festzustellen), daß der Schutz der Menschenrechte, ein strikt humanitäres Ziel, unvereinbar ist mit der Verminung von Häfen, der Zerstörung von Ölraffinerien, oder ... mit der Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung von Contras. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, daß das Argument, daß von der Wahrung der Menschenrechte in Nikaragua hergeleitet wird, keine juristische Rechtfertigung für das Verhalten der USA liefern kann.«

Eine Mandatierung der NATO-Mitgliedsstaaten zu Zwangsmaßnahmen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ist auch nicht aus den Sicherheitsratsresolutionen Nr. 1160 vom 31. März 1998 und Nr. 1199 vom 23. September 1998 herzuleiten.

Beide Sicherheitsresolutionen sind auf das Kapitel VII - »Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen« gestützt, enthalten jedoch gerade keine Festlegungen von militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Artikel 42 der UN-Charta, sondern beinhalten unzweideutig und ausschließlich Maßnahmen nach Artikel 41 der UN-Charta, also Maßnahmen zur Konfliktbewältigung mit friedlichen, diplomatischen und politischen Mitteln.

Der Sicherheitsrat hat in der Resolution Nr. 1199 ausdrücklich beschlossen, »weitere Schritte und zusätzliche Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens und der Stabilität in der Region zu prüfen, falls die in dieser Resolution sowie in Resolution 1160 geforderten konkreten Maßnahmen nicht getroffen werden.« Somit konnte keiner der NATO-Mitgliedsstaaten aus diesen eindeutigen Resolutionen nur im entferntesten schlußfolgern, daß militärische Zwangsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat beschlossen wurden. Hinzu kommt außerdem, daß der Sicherheitsrat die NATO nicht in seiner Autorität gemäß Artikel 53 der UN-Charta in Anspruch genommen hat. In dieser Regelung heißt es ausdrücklich: »Jedoch dürfen keine Zwangsmaßnahmen aufgrund regionaler Vereinbarungen oder durch regionale Organe ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat ergriffen werden.«

Auch eine solche Ermächtigung ergibt sich nicht aus den vorgenannten Sicherheitsresolutionen.

Die Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien durch die NATO-Mitgliedsstaaten findet ebenso keine Rechtfertigung in Artikel 51 der UN-Charta, die jedem Staat ein individuelles und kollektives Selbstverteidigungsrecht im Falle eines rechtswidrigen, bewaffneten Angriffs eines anderen Staates einräumt. Denn keiner der NATO-Mitgliedsstaaten wurde durch die Bundesrepublik Jugoslawien bedroht, so daß von daher sowohl ein Präventivkrieg als auch ein Verteidigungskrieg auszuschließen war.

Letztlich ist festzustellen, daß es sich bei der Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien zweifellos um einen Aggressionskrieg handelt. Alle Tatbestandsmerkmale eines Aggressionskrieges, wie sie in den entsprechenden Definitionen der Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen (Resolution Nr. 2625 vom 24. Oktober 1970) enthalten sind, liegen vor. Aggression wird dort in Artikel 1 wie folgt definiert: »Aggression ist bewaffnete Gewalt, die ein Staat gegen die Souveränität, territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates anwendet oder die in irgendeiner anderen Weise mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar ist, wie in dieser Definition festgelegt wird.«

In Artikel 3 der Resolution werden in Konkretisierung des Artikel 1 die Aggressionshandlungen konkret bezeichnet: »Jede der nachstehenden Handlungen gilt vorbehaltlich der und in Übereinstimmung mit den Bestimmungen von Artikel2 als Aggressionshandlung, ganz gleich, ob eine Kriegserklärung vorliegt oder nicht:

a) der Überfall auf oder der Angriff gegen das Territorium eines Staates oder jede militärische Besetzung, wenn auch zeitweilig, als Ergebnis solch eines Überfalls oder Angriffs oder jede Annexion des Territoriums oder eines Teils eines anderen Staates durch Gewaltanwendung;

b) Bombardierung des Territoriums eines anderen Staates durch die Streitkräfte eines Staates oder der Einsatz jeglicher Waffen durch einen Staat gegen das Territorium eines anderen Staates; (...)

d) ein Angriff durch die Streitkräfte eines Staates auf die Land-, Luft- und die Seestreitkräfte oder die See- und Luftflotten eines anderen Staates; (...)

f) die Erlaubnis eines Staates, sein Territorium, das er einem anderen Staat zu Verfügung gestellt hat, durch diesen für Aggressionshandlungen gegen einen dritten Staat verwenden zu lassen.« Danach haben die NATO-Staaten zweifellos einen völkerrechtlich geächteten Aggressionskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ohne Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes geführt.

Dabei haben die NATO-Mitgliedsstaaten außerdem gegen Artikel 5 des NATO-Vertrages verstoßen. Dieser Artikel lautet: »Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehenen würde; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.«

2. Rechtsverstöße von Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland

2. 1 Rechtsverstöße des Deutschen Bundestages

Der Deutsche Bundestag und somit dessen Mitglieder unterliegen den vom Völkerrecht selbst begründeten Rechtsbindungen. Die Verpflichtung auf die Einhaltung der »allgemeinen Regeln« des Völkerrechts ergeben sich unmittelbar aus Artikel 25 Grundgesetz: »Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.«

Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört zweifellos das völkerrechtliche Aggressionsverbot. Darüber hinaus findet das Aggressionsverbot in Artikel 26 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland nochmals gesondert seine konkrete Ausgestaltung: »(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.«

Aus dem Verbot der Vorbereitung der Führung eines Angriffskrieges leitet sich im Umkehrschluß unmittelbar die verfassungsrechtliche Pflicht an alle Normadressaten ab, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene alles zu unterlassen, was die Führung eines Angriffskrieges ermöglicht.

Mit den Beschlüssen vom 16. Oktober 1998 und vom 25. Februar 1999 hat der Deutsche Bundestag dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte der deutschen Bundeswehr unter Führung der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zugestimmt und somit die Voraussetzungen der Führung eines Angriffskrieges unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland geschaffen. Diese Zustimmungsbeschlüsse waren die Grundvoraussetzung für die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an dem Aggressionskrieg gegen Jugoslawien und sind deshalb eine verfassungswidrige Vorbereitungshandlung im Sinne des Artikel 26 Grundgesetz. Zugleich erfüllen diese Zustimmungsbeschlüsse die Tatbestandsvoraussetzungen des õ80 StGB der Bundesrepublik Deutschland: »Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren bestraft.«

Gegen diese Strafrechtsnorm haben sich alle diejenigen Mitglieder des Deutschen Bundestages vergangen, die den Beschlüssen vom 16. Oktober 1998 und 25. Februar 1999 ihre Zustimmung gegeben haben.

Die betreffenden Bundestagsabgeordneten haben auch vorsätzlich gehandelt. Nach der definitiven Regelung des Artikel 87a Abs. 2 Grundgesetz dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, »soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt«. Diese ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Ermächtigungen (Artikel 87 a Absatz 3 und 4 sowie Artikel 35 Absatz 2 und õ Grundgesetz) lagen für die Bundestagsabgeordneten ersichtlich nicht vor.

Außerdem war für die Bundestagsabgeordneten erkennbar, daß ihre Beschlüsse zur Beteiligung an Luftangriffen gegen Jugoslawien keinesfalls als »Verteidigung« zu werten sind. Auch hat niemand jemals behauptet, daß die Bundesrepublik Jugoslawien einen anderen Staat angegriffen hätte und damit Militäreinsätze nach Artikel 51 der UN-Charta oder auch nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu rechtfertigen gewesen wären.

Der Strafausschließungsgrund gemäß õ36 StGB, wonach Mitglieder des Bundestages wegen ihrer Abstimmung, die sie in der Körperschaft getan haben, außerhalb der Körperschaft nicht zur Verantwortung gezogen werden können, greift im vorliegenden Falle nicht:

Die schärfste Form der Störung des »friedlichen Zusammenlebens der Völker« ist, wie das Grundgesetz durch das Wort »insbesondere« in Artikel 26 klarstellt, der Angriffskrieg. Und der Gesetzgeber wollte mit õ 36 StGB Abstimmungsverhalten, das als solches eine Straftat im Sinne der Vorbereitung eines Angriffskrieges darstellt, nicht straffrei stellen.

2. 2 Rechtsverstöße der Bundesregierung und ihrer Repräsentanten

Aus der Verfassungswidrigkeit der Bundestagsbeschlüsse vom 16. Oktober 1998 und vom 25. Februar 1999 ergibt sich in der Rechtsfolge ihre Nichtigkeit. Somit ist die Bundesregierung nicht wirksam legitimiert worden, Streitkräfte an dem Aggressionskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu beteiligen. Verfassungskonformes Verhalten der Verantwortlichen der Bundesregierung hätte zwingend vorausgesetzt, die vorgenannten Beschlüsse des Bundestages nicht umzusetzen. Neben den bereits unter Ziffer 1 genannten, unmittelbaren Normenverletzungen aus der UN-Charta und dem NATO-Vertrag hat die Bundesrepublik Deutschland zusätzlich gegen die Artikel 25, 26 und 87 a Grundgesetz verstoßen.

Mit der Beteiligung an der Bombardierung Jugoslawiens hat die Bundesrepublik Deutschland außerdem gegen den am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten und nach Abschluß des Ratifizierungsverfahrens am 15. März 1991 in Kraft getretenen Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (sogenannter »2+ 4-Vertrag«) verstoßen. Artikel 2 dieses Vertrages enthält folgende Verpflichtung: » Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.«

Die verantwortlichen Regierungsmitglieder der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Außenminister Joseph Fischer und der Verteidigungsminister Rudolf Scharping haben sich aus den bereits unter Ziffer 2.1 erörterten Gründen gemäß õ80 StGB strafbar gemacht.

3. Funktionsträger der NATO

Die benannten Funktionsträger der NATO haben durch die Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien aus den bereits unter Ziffer 1 erörterten Gründen gegen Artikel 5 des NATO-Vertrages und gegen Artikel 53 der UN-Charta verstoßen.

4. Verantwortlichkeit der deutschen Soldaten

Als Offiziere der Deutschen Bundeswehr haben sie als unmittelbar an der Vorbereitung und Durchführung des Aggressionskrieges Beteiligte neben Artikel 26 Grundgesetz und õ 80 StGB insbesondere gegen das Soldatenrecht der Bundesrepublik Deutschland verstoßen:

So liegt ein Verstoß gegen õ 10 Abs. 4 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten vor: »Er (der Soldat) darf Befehle nur zu dienstlichen Zwecken und nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.«

Außerdem hätten die betroffenen Soldaten und Offiziere ihnen im Zusammenhang mit der Kriegsvorbereitung und Kriegsdurchführung erteilte Befehle nicht befolgen dürfen, da ihnen dies durch õ 11 Abs. 2 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten verboten ist: »Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgt der Untergebene den Befehl trotzdem, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umstände offensichtlich ist, daß dadurch eine Straftat begangen wird.«

Indem die betroffenen Soldaten durch ihr Verhalten auch gegen Artikel 26 Grundgesetz erkennbar verstoßen haben, sind sie auch ihrer Pflicht zum Eintreten für die demokratische Grundordnung gemäß õ8 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten nicht gerecht geworden: »Der Soldat muß die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.«

5. Die Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens der Völker durch das Neue Strategische Konzept der NATO aus rechtlicher Sicht

Mit dem Neuen Strategischen Konzept hat sich die NATO die Möglichkeit geschaffen, bei einem geplanten militärischen Einsatz dann auf ein Mandat des UN-Sicherheitsrates nach Artikel 39, 42 UN-Charta zu verzichten, wenn dieses durch ein Veto eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrates verhindert wird, oder die Aussichten auf ein Mandat der UNO von vornherein negativ beurteilt werden.

Zwar wird diese Möglichkeit - UN-Mandat, wenn möglich, ohne Mandat, wenn nötig - nicht ausdrücklich im Neuen Strategischen Konzept ausformuliert. Allerdings ergibt sich diese gegen die UNO-Charta verstoßende Möglichkeit aus dem Zusammenhang und der historischen Situation, in der das Konzept entwickelt und verabschiedet wurde. Im Konzept wurde mehrfach betont, daß Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung »in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen« zu erfolgen hätten. Gleichzeitig wird das angeblich völkerrechtskonforme Verhalten mit dem Hinweis auf das von der NATO auf »dem Balkan gezeigte Eintreten für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung« durch den gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführten Aggressionskrieg widerlegt, denn dieser wurde unbestritten ohne Mandat der UNO geführt. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien stellt sich somit faktisch als Umsetzung der Kriegführung ohne Mandat der UNO dar. Der Kriegseinsatz gegen Jugoslawien wurde, wie an anderer Stelle ausgeführt, von den Politikern als ein Beispiel für zukünftige Kriegseinsätze vorgeführt. Dem Strategiekonzept ist zu entnehmen, daß Einsätze der NATO zur Krisenbewältigung zukünftig gerade neben und außerhalb von Einsätzen nach Artikel 5 NATO-Vertrag vorgenommen werden.

Demzufolge ist das Bekenntnis zum Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen nicht identisch mit dem Bekenntnis zu einem UN- Mandat im Falle militärischer Einsätze der NATO.

Die NATO ist somit zu einem Militärbündnis entwickelt worden, das durch seine Abkopplung von einem UN-Mandat im Einsatzfall das friedliche Zusammenleben der Völker gefährden kann.

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