"Kollateralschäden"

Die Informationspolitik der NATO gefährdert den öffentlichen Konsens über die Notwendigkeit des Krieges

Kommentar von Felix Steiner

Der Krieg hat seine eigenen Gesetze. Eines der bittersten ist, daß er auch Opfer fordert unter denen, um deretwillen er geführt wird, die er eigentlich befreien oder schützen soll. Das klingt fast zynisch und ist angesichts des Leids der Opfer nur schwer begreiflich. Und die Einsicht, daß der Krieg dennoch seine Berechtigung hat, bricht sich aufgrund der suggestiven Macht von Bildern noch schwerer die Bahn: Nämlich dann, wenn nur Bilder des unbeabsichtigt verursachten Leids gezeigt werden können, nicht aber die des hundert-, ja tausendfachen fachen Tötens, Vergewaltigens und Vertreibens, das Auslöser dieses Krieges war und seine Fortsetzung notwendig macht.

Der Krieg hat seine eigenen Gesetze - auch in westlichen Demokratien und insbesondere in Deutschland. Eines davon ist, daß er jeden Tag neu gerechtfertigt werden muß. Verliert der Krieg die Unterstützung der Öffentlichkeit, dann wird seine Fortsetzung unmöglich - ganz gleich, welche Folgen der vorzeitige Rückzug von den Schlachtfeldern hat.

Vor allem die deutsche Öffentlichkeit ist sensibel. Hurra-Patriotismus US-amerikanischer Prägung mit Parolen wie "Wir ziehen das jetzt durch - koste es was es wolle" ist ihr seit 1945 völlig fremd geworden. Die Einigkeit und Entschlossenheit, die der Deutsche Bundestag in Sachen Kosovo-Krieg am Donnerstag (15.04.) demonstrierte, ist kein Spiegelbild der Gesellschaft. Viele Vorbehalte und viel Nachdenklichkeit mischen sich in die Gespräche zum Thema Kosovo, an denen nahezu jeder Deutsche in diesen Tagen teilhat. Und zumal die Älteren, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, zeigen Sorge und Angst - eben weil sie am eigenen Leib erfahren haben, was Krieg bedeutet. Die Zustimmung, die der Krieg unter der Mehrheit der Deutschen derzeit findet - sie wird nicht von Dauer sein. Sie sinkt, je länger der Krieg dauert und je opferreicher er sein wird.

Die tägliche Rechtfertigung des Krieges wird deshalb immer wichtiger. Sie ist für Militär und Politik eine mindestens ebenso entscheidende Aufgabe wie die Führung des Krieges selbst oder die Suche nach Wegen, ihn schnellstmöglich wieder zu beenden. Grundpfeiler der Rechtfertigung ist Glaubwürdigkeit - doch gerade diese hat seit Mittwoch enormen Schaden geommen. Als serbische Quellen den Beschuß eines Flüchtlingstrecks durch NATO-Bomber meldeten, da reagierte der Westen nach den Regeln des Propagandakrieges: Nein, eine Bombardierung ziviler Fahrzeuge durch die NATO könne gar nicht sein, es handle sich um eine Greueltat serbischer Kräfte, die der NATO in die Schuhe geschoben werden solle, ließen US-Verteidigungsminister Cohen und auch sein deutscher Amtskollege Rudolf Scharping wissen.

Ach hätten sie doch nur geschwiegen! Nachdem die NATO wenige Stunden später einräumen mußte, daß sie eben doch irrtümlicherweise ein Flüchtlings-Fahrzeug unter Feuer genommen hatte, war die Glaubwürdigkeit dahin. Und nicht genug damit. Auch bei ihrer täglichen Pressekonferenz am Donnerstag war die NATO nicht in der Lage, die bestehenden Widersprüche und Ungereimtheiten aufzulösen. In gebrochenem Englisch rang ein italienischer Brigadegeneral um Worte, wo NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark hätte Rede und Antwort stehen müssen. Doch auf die Frage nach dessen Verbleib wie auf die Bitte um die Videoaufzeichnung aus dem Cockpit der fraglichen NATO-Maschine nur der knappe Bescheid: "No information - keine Auskunft".

Mit dieser peinlichen Vorstellung hat die NATO viel Terrain verloren. Eine ernsthafte Diskussion darüber, warum offenbar gemischte Konvois aus Flüchtlings- und Militärfahrzeugen im Kosovo unterwegs sind, ist gar nicht mehr möglich. Auch nicht darüber, ob nicht doch - denn auch dafür gibt es weiterhin Indizien - serbische Truppen einen Flüchtlingstreck beschossen haben. Wer will der NATO jetzt noch glauben? Mit ihrer mangelhaften Informationspolitik spielt sie leichtfertig Slobodan Milosevic in die Hände. Der weiß nämlich, daß die NATO keineswegs so geschlossen ist, wie sie sich nach außen gibt. Und er weiß auch, daß schon mancher Krieg Zuhause verloren wurde, weil die öffentliche Unterstützung wegbrach. Bleibt zu hoffen, daß man das auch im NATO-Hauptquartier weiß und künftig in aller Offenheit zu den eigenen Fehlern steht, die auch in einem gerechtfertigten Krieg leider unvermeidlich sind.

Gegen-Informations-Büro
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