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NATO-Sprecher Jamie Shea:
Die Erziehung eines Kriegspropagandisten
Von Ann Talbot - 22. Juni 1999 - aus dem Englischen (17.
Juni 1999)
" ... der Konflikt zwischen Wahrheit und Wahrheit verbirgt in
Wirklichkeit den Kampf zweier Formen von Propaganda." - (
Französische Intellektuelle und der Große Krieg 1914-1920,
Dissertation von Jamie Shea).
Der NATO-Sprecher Jamie Shea ist so etwas wie ein Medienstar geworden. In ITV
wurde vor kurzem eine Sendung über sein Privatleben gemacht, in der
er als normaler, wenn auch höchst erfolgreicher Familienvater dargestellt
wurde, der sich darauf freut, nach Ende des Balkankriegs wieder mit seinem
Sohn Fußball zu spielen. Es war eine wohlwollende Darstellung eines
Menschen, dessen tägliches Brot es ist, den Medien über die Bombardierungen
zu berichten, die ein kleines Balkanland verwüsteten und Tausende
von Zivilpersonen töteten, darunter selbst die Flüchtlinge aus
dem Kosovo, die sie doch angeblich schützen sollten. Es war eine bemerkenswerte
Sendung, nicht nur weil sie so verlogen war, sondern weil sie das öffentliche
Ansehen eines Funktionärstyps erhöhte, dessen Name normalerweise
höchstens den Reportern bekannt und dessen Privatleben absolut uninteressant
ist.
Aber Jamie Shea ist ein neuartiger Sprechertyp. Er ist ein Mann, dafür
ausgebildet, den Medienkrieg zu führen, genau so wie ein militärischer
Spezialist in der todbringenden Technologie der modernen Kriegführung
ausgebildet ist. Seine Vorbereitung auf diese Rolle reicht bis in seine
Universitätszeit am Lincoln-College von Oxford zurück, wo Shea
seinen Doktor machte. Er erhielt die Doktorwürde für seine Thesen
mit dem Namen Französische Intellektuelle und der Große Krieg
1914-1920, die sich auf literarische Arbeiten über den Weltkrieg
stützten. Diese Thesen werfen ein interessantes Licht auf die Entwicklung
Sheas zum Kriegspropagandisten.
Das Ziel von Sheas Thesen ist nicht, das Problem der Darstellung des Kriegs
in der Literatur objektiv zu behandeln. Diese Darstellung hat eine lange
und hervorragende Geschichte, die bis zu Stendhals Darstellung der Schlacht
von Waterloo in seinem Stück Die Kartause von Parma (La chartreuse
de Parme)zurückgeht. Darin entdeckt der junge Held, daß
die persönliche Erfahrung des Krieges nichts Ruhmreiches, sondern
chaotisch und sinnlos ist. Das war eine Sichtweise des Krieges, die Tolstoj
in Krieg und Frieden und alle spätere Kriegsliteratur beeinflußt
hat. Aber Shea ist nicht an wirklicher Literaturkritik interessiert. Er
greift in seinen Thesen die Schriftsteller an, die den ersten Weltkrieg
kritisierten, die Generale, die Tausende Soldaten in den Tod schickten,
satirisch verzerrten und die Ideologie des Nationalismus in Frage stellten.
Er vergleicht Presseberichte über den Krieg mit Berichten von Soldaten
und kommentiert: "Patriotische Literatur, die den damaligen Bedürfnissen
Frankreichs entsprach, rief bittere, sarkastische Reaktionen hervor, die
aus den Schützengräben durchsickerten. Der Konflikt von Wahrheit
und Wahrheit verbarg so in Wirklichkeit einen Kampf zwischen zwei Formen
von Propaganda." Für Shea gibt es keine Wahrheit, sondern nur verschiedene
Formen von Propaganda.
Sheas Auswahl an Literatur, die er in seinen Thesen behandelt, ist recht
begrenzt, weil er sich auf Autoren beschränkt, die persönliche
Erfahrung im Kampf gesammelt hatten. Diese Entscheidung schließt
zum Beispiel Marcel Proust aus, einen der größten Schriftsteller
seiner Zeit, der die französische Gesellschaft von 1870 bis 1920 mit
gnadenlosem Blick beobachtet hat. Die Tatsache, daß 2.000 französische
Schriftsteller im ersten Weltkrieg starben, und zahllose andere psychisch
geschädigt aus dem Krieg zurückkamen, ist vielleicht der wichtigste
Auswahlmechanismus. Aber Shea sieht keine Veranlassung, darauf hinzuweisen.
Shea hat es besonders auf die Kriegsnovelle Le Feu (Das Feuer)von
Henry Barbusse mit seiner anschaulichen Darstellung des Stellungskrieges
in den Schützengräben abgesehen. Das Feuer weist alle
Attribute auf, die Shea an der Literatur des Ersten Weltkriegs anstößig
findet. Er beschwert sich: "Die Auszeichnung dieser Novelle durch den Goncourt-Preis
von 1916, ihr Erscheinen als einmalige Flammarion-Ausgabe und ihre schnelle
Übersetzung ins Englische und Deutsche ermöglichten es diesem
Werk, den ideologischen ‘Krieg um die Wahrheit' während des Kriegs
selbst zu gewinnen." Er fährt fort: " Das Feuer ist zur allgemein
anerkannten Geschichte des Großen Kriegs geworden. Sie ist zu Wahrheit
geworden."
"Das Bild des unendlichen Leidens, der geopferten poilus(die einfachen
französischen Soldaten), die durch skrupellos Herrschende in die Sklaverei
gezwungen wurden", lehnt er als Propaganda ab. "Inwieweit repräsentiert
denn diese sentimentale, pazifistische Strömung in der Kriegsliteratur,
die noch durch die vollkommen pazifistischen Texte der Dreißiger
Jahre verstärkt und durch ausländische Bestseller wie Im Westen
nichts Neues und Der brave Soldat Schwejk und Kriegsgedichte
wie zum Beispiel von Winfried Owen unterstützt wurden, tatsächlich
die ‘Wahrheit'?"
Shea hat ein Problem mit der Wahrheit. Dieses Wort kommt in seiner Dissertation
selten ohne Anführungszeichen vor. Stendhal und Tolstoj waren bemüht,
die Wahrheit des Kriegs zu vermitteln, und das bleibt das Ziel aller ernsthaften
Künstler. Die Dichter und die Schriftsteller des Ersten Weltkriegs
waren mit einem neuen Phänomen konfrontiert, dem totalen Krieg. Sie
waren bemüht, passende literarische Mittel zu finden, um ihn zu beschreiben
und die Erfahrung der Soldaten, die ihn erlitten, zu erfassen. Shea wird
von ihrer Ehrlichkeit abgestoßen. Er bringt keine Beweise, wie man
es von einer Dissertation erwarten könnte, um die Kriegsschilderungen,
die er so sehr verabscheut, zu widerlegen. Er bestreitet ganz einfach ihre
Wahrheit.
Er schreibt, daß eine Schilderung eines Massakers an deutschen Kriegsgefangenen
in der späteren Novelle von Barbusse, Enchainements (Die
Kette) "als unwahr abgetan werden" kann, "solange der Beweis
nicht erbracht wird, daß es sich um eine historische Tatsache handelt.
Und selbst wenn es wahr wäre - und wir dürfen nicht zulassen,
daß unser Wissen um die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs unser
Verständnis über den Ersten verdunkelt - würde ein solches
Beispiel Gefahr laufen, verallgemeinert zu werden, obwohl es sich doch
um einen Einzelfall und eine einmalige Ausnahme handelt."
Hier erkennen wir schon den Jamie Shea von den NATO-Pressekonferenzen,
der heute bestreitet, daß eine NATO-Bombe Zivilisten getötet
hat, morgen erklärt, es sei ein seltener Fehler unterlaufen, und es
übermorgen rechtfertigt. Wie Pilatus fragt er: "Was ist Wahrheit?"
und wäscht seine Hände öffentlich in Unschuld, während
die NATO-Bomben Krankenhäuser, Eisenbahnzüge und Flüchtlingskolonnen
treffen.
Zu ihren besten Zeiten brachten die Schriftsteller des Ersten Weltkriegs
Werke hervor, die einen bleibenden künstlerischen Wert besitzen. Man
kann Im Westen nichts Neues, die Kriegsgedichte von Wilfried Owen
oder Barbusses Das Feuer nicht ohne innere Anteilnahme lesen. Shea
ist nicht in der Lage, literarische Werke von vergleichbarem Wert anzuführen,
die den Krieg befürworten oder verherrlichen. Er ist gezwungen, Unterstützung
bei dem Literaturkritiker Jean Norton Cru zu suchen, der in seinem 1929
erschienenen Buch Témoins (Zeugen), Frontberichte wie die
von Barbusse kritisiert und behauptet, daß sie nicht aus eigener
Erfahrung stammen würden. Nebenbei gesagt hat Barbusse sieben Monate
schwerste Kämpfe in der Artois und in der Picardie mitgemacht, und
wurde in dieser Zeit in verschiedenen Depeschen erwähnt. Als er krank
wurde, blieb er als Krankenträger bei seiner Einheit, was in vielerlei
Hinsicht sogar noch gefährlicher war als die Lage eines Soldaten an
der Front. Er kam dreimal ins Lazarett und kehrte dreimal an die Front
zurück, bevor er 1917 als Invalide entlassen wurde. Das Feuer wurde
sowohl in den Schützengräben, als auch im Lazarett geschrieben.
Shea erwähnt in seiner Doktorarbeit weder das eine noch das andere.
Cru teilt die Schriftsteller des Ersten Weltkriegs in Kategorien ein, je
nachdem, wie er sie als Augenzeugen einschätzt. Seine A-Liste beinhaltet
keine bekannten Autoren. Aber Shea bezieht sich auf ihn, um Das Feuer
als "makabre Literatur" abzuschreiben, "als Literatur, die völlig
aus der Luft gegriffen, ohne die geringste Grundlage in der Realität"
sei. ("Littérature macabre, mais littérature
pensée à vide, sans le moindre fondement du réel.")
Der Bezug auf Norton Cru's Buch bescherte Shea noch den zusätzlichen
Vorteil, daß es damals in den britischen Universitätsbüchereien
buchstäblich nicht erhältlich war, was es beinahe unmöglich
machte, nachzuprüfen, wieviel seiner eigenen Arbeit er in Wirklichkeit
von Cru übernommen hatte. Dieser ist einer von nur zwei Kapazitäten,
die Shea als Bezugsquelle nennt. Das ist eine bemerkenswert dünne
Bibliographie für eine Doktorarbeit von normalem akademischem Standard.
Sheas Begeisterung für Massenschlächtereien und seine Antipathie
gegen die Kriegsgegner müssen wohl Gehör und Anerkennung in den
höchsten akademischen Kreisen gefunden haben.
Sheas wichtigste Anleihe von Cru ist die simple Auffassung, daß ein
Augenzeugenbericht in der Literatur das einzig Gültige sei, und daß,
je mehr Fronterfahrung der Schriftsteller habe, er das Wesen des Kriegs
desto besser verstehen könne. Dies ist lachhaft oberflächlich.
Seit Stendhal haben die Schriftsteller verstanden, daß der Augenzeuge,
der an den Ereignissen selbst teilgenommen hat, am wenigsten in der Lage
war, den Verlauf einer einzelnen Schlacht zu verstehen, geschweige denn
den gesamten Krieg. Das Verständnis einer Schlacht oder eines Kriegs
kann nur aus der Synthese vieler Informationsquellen stammen. Soll das
Buch erfolgreich sein, gibt es für einen Schriftsteller immer einen
Konflikt zwischen diesem Verständnis des Ganzen und der wahrhaftigen
Darstellung der zwangsläufig fragmentarischen Erfahrung der Teilnehmer,
der produktiv gelöst werden muß.
Shea kritisiert die Schriftsteller des Ersten Weltkriegs, daß sie
ideologisch motiviert seien, weil sie versuchen, ihre persönliche
Kampferfahrung in den Zusammenhang einer bedeutungsvollen Kriegsanalyse
zu stellen. Dennoch macht er keinen Versuch, nachzuweisen, welche ideologischen
Strömungen die französischen Schriftsteller von 1914 beeinflußten.
Er verurteilt sie bloß, weil sie nicht nur die nackten Tatsachen
ihrer Erfahrungen aus dem Schützengraben berichten. Hätten sie
das getan, dann wäre das, was sie schrieben, sicherlich keine Literatur,
noch wäre es wahr gewesen, denn die Wahrheit des Kriegs besteht aus
mehr als einem Bericht der tagtäglichen Schlachterfahrung.
Die auffallendste Auslassung in Sheas Thesen ist das völlige Fehlen
jeglicher Erwähnung der Dreyfus-Affäre, die beim Ausbruch des
Ersten Weltkriegs immer noch das wichtigste Thema war, das die französische
Literatur beeinflußte. Hauptmann Alfred Dreyfus war fälschlicherweise
beschuldigt worden, 1895 Geheimnisse an die Deutschen verkauft zu haben,
und war zu lebenslänglicher Haft auf der Teufelsinsel verurteilt worden.
Zu einer Zeit, als rechtsextreme, monarchistische und christliche Parteien
Antisemitismus kultivierten, wurde Dreyfus zum Sündenbock für
das Scheitern der Militärs, weil er jüdischer Abstammung war.
Als Beweise für seine Unschuld auftauchten, unterdrückten die
Militärs diese und schützten den wahren Täter. Der Schriftsteller
Emile Zola verteidigte Dreyfus öffentlich. In einem offenen Brief
an den Präsidenten beschuldigte Zola die führenden Generäle
und das Kriegsministerium, wissentlich einen unschuldigen Mann im Gefängnis
zu halten. Er wurde der Verleumdung angeklagt und mußte das Land
verlassen. Dreyfus wurde schließlich erst 1906 rehabilitiert.
Die Dreyfus-Affäre spaltete die französische Gesellschaft und
die französische Literatur. Einige Schriftsteller wie Anatole France,
der sich sonst immer von der Politik fernhielt, schlossen sich Zola an.
An Zolas Begräbnis beschrieb France Zolas Position als "einen Augenblick
im Bewußtsein der Menschheit". Unter anderen zirkulierte auch Marcel
Proust einen Tag nach dem Erscheinen von Zolas offenem Brief die Petition
der Intellektuellen zur Unterstützung von Dreyfus. Dreyfus-Unterstützer
erkannten, daß die Prinzipien, auf denen die Erste französische
Republik ruhte, in Frage gestellt wurden, wenn ein Mensch wegen seiner
religiösen Herkunft verfolgt und zum Sündenbock gemacht wurde.
Die französische Revolution von 1789 hatte festgelegt, daß jedermann,
unabhängig von Herkunft und Glauben, Bürger von Frankreich sein
konnte, vorausgesetzt er respektierte die Verfassung. Andere Literaten
wie Maurice Barrès und Leon Daudet waren vehement dagegen, sich
für Dreyfus' Freiheit einzusetzen. Für Barrès war das
Schicksal eines unschuldigen Individuums von viel geringerer Bedeutung
als der Ruf und das Prestige der Generalität Frankreichs.
Es ist nicht möglich, die französische Literatur des zwanzigsten
Jahrhunderts zu verstehen, ohne diesen Hintergrund zu erwähnen. Obwohl
Sheas Dissertation sich mit den Jahren zwischen 1914 und 1920 befaßt,
fanden die prägenden Erfahrungen der meisten Männer, die an der
Front kämpften und darüber schrieben, gerade in den Jahren statt,
als die Dreyfus-Affäre auf ihrem Höhepunkt war. Von 1914 an erfuhren
sie am eigenen Leib die Unfähigkeit und den tiefen Klassenhaß
der Generäle, die derselben militärischen Elite angehörten
wie diejenigen, die Dreyfus verurteilt hatten. Mehr als jeder vierte der
französischen Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren
starben im Ersten Weltkrieg.
Die Dreyfus-Affäre ist Teil der Wahrheit des Ersten Weltkriegs, und
das gilt auch für den Sozialismus. In Barbusses Das Feuer sagt
ein Soldat: "Es gibt eine Person, die über den Krieg hinaus ragt und
in der Schönheit und Kraft ihres Mutes erstrahlt ... das ist Liebknecht!"
Karl Liebknecht war ein Führer des marxistischen Flügels der
Sozialdemokratischen Partei in Deutschland. Er weigerte sich, den Kriegskrediten
im Parlament zuzustimmen und wurde für seine Reden gegen den Krieg
ins Gefängnis geworfen. Er gehörte zu einer Minderheit von Sozialdemokraten,
unter ihnen Rosa Luxemburg, Lenin und Trotzki, die eine prinzipielle Opposition
gegen den Krieg beibehielten.
Für Shea ist jede Opposition gegen den oder Kritik des Ersten Weltkriegs
sentimentaler Pazifismus. Er ignoriert das Ausmaß der Opposition,
die existierte und in der Literatur ihren Ausdruck fand. In Das Feuer
gibt Barbusse ein viel objektiveres Bild. Er versucht nicht, jeden
Soldaten als Marxisten sprechen zu lassen. Seine Soldaten sind eine realistische
Auswahl von Menschen, die verschiedenartige Ansichten vertreten. Aber zu
glauben, daß Liebknechts Position keinen Einfluß auf die französischen
Soldaten gehabt hätte, wäre völlig unrealistisch.
Auch wenn Shea so durch und durch Banause wäre, daß die Feinheiten
der Literatur ihn überfordert hätten, wäre es nicht schwer
gewesen, die literarischen Berichte des Ersten Weltkrieges mit denen der
Historiker zu vergleichen. In Sheas Dissertation kommen keine Historiker
zu Wort. Der Grund dafür ist einfach zu finden. Sie bestätigen
im allgemeinen das Bild des sinnlosen Abschlachtens, das von den Schriftstellern
und Dichtern jener Periode vermittelt wird.
Ein Historiker schrieb über den Ersten Weltkrieg: "Die wiederholten
Versuche, einen Durchbruch im Bodenkrieg zu erzielen, bestätigten
lediglich die Zwecklosigkeit, ungeschütztes Menschenmaterial der zerstörenden
Feuerkraft der Maschinengewehre und Kanonen entgegen zu schleudern. Die
Zahlen der Gefallenen der abgebrochenen Offensiven erreichten fast selbstmörderische
Ausmaße. In der Schlacht an der Somme vom 1. Juli bis 18. November
1916 verloren die Deutschen und die Briten je 400.000 und die Franzosen
200.000 Mann. Die Belohnung für die gesamten anglo-französischen
Verluste von über 600.000 Gefallenen entsprach einem Vormarsch von
maximal 12 km. Im gleichen Jahr belagerten die Deutschen zehn Monate lang
die französische Festung von Verdun und opferten 336.000 Mann, während
die erfolgreiche Verteidigung von der französischen Armee mit 350.000
Gefallenen bezahlt wurde. 1917 starben in Passchendaele 370.000 britische
Soldaten, um ein Gebiet von 130 km2 voller Schlamm und Granatlöchern
zu erobern."*
Das Feuer beschreibt dieses sinnlose Schlachten um schmale Landstreifen
als Erfahrung einer kleinen Gruppe von Soldaten. Barbusse beschreibt den
individuellen Tod: "Der kleine Godefroy - hast Du ihn gekannt? — der halbe
Körper weggerissen. Er verblutete auf der Stelle, in einem Augenblick,
wie ein umgekippter Eimer", von "Wäldern, niedergemäht wie Kornfelder"
bei Verdun, von Toten, "aufgestapelt wie Holzstöße". Ein Historiker
muß die nackten Verluste aufzählen. Jede Herangehensweise ist
auf ihre Art gleich schockierend und wahr.
Die Lektüre von Jamie Shea's Dissertation ist eine ernüchternde
Erfahrung. Normalerweise würde man annehmen, daß keine gebildete
Person die Schrecken des Kriegs im zwanzigsten Jahrhundert bezweifeln könnte.
Es ist das Leitmotiv unserer Epoche, auf Erfahrung gegründet, durch
historische Forschung nachgewiesen und von begabten Künstlern zu tiefem
literarischen Ausdruck gebracht. Aber hier stoßen wir auf einen Studenten,
der untersucht, wie man die Wahrheit über den Krieg verstecken kann.
Seine akademischen Bemühungen sicherten ihm einen Arbeitsplatz bei
der NATO, wo er die Theorie, daß die Wahrheit nur eine andere Form
der Propaganda sei, in die Praxis umsetzen kann. Seine Dissertation beweist,
daß Dr. Shea ein Kriegspropagandist sowohl der Berufung,
als auch dem Beruf nach ist.
* William R. Keylor, Dhe Twenthieth Century World: An International Historiy, Oxford University Press, 1996, S. 56
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