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High-Tech-Krieg

Florian Rötzer   28.06.99

Der Sieg der NATO über Attrappen 

Als die serbischen Streitkräfte nach dem NATO-Luftkrieg von 78 Tagen aus dem Kosovo abzogen, verließen 250 Panzer, über 400 gepanzerte Fahrzeuge, über 300 Artilleriegeschütze und mehr als 45000 Soldaten die Kampfzone. Die serbische Armee war weitgehend intakt und machte keineswegs den Eindruck, besiegt worden zu sein. Das serbische Fernsehen zeigte Bilder von der im Triumph abrückenden Armee. Das alles stand ganz im Gegensatz zur NATO-Propaganda, daß die Bombardierung der serbischen Armee große Verluste beschert und letztlich dazu begetragen habe, Milosevich zum Einlenken zu bewegen.

In den 78 Tagen flogen 720 Flugzeuge an die 36000 Einsätze und warfen 200000 Bomben ab, darunter 2000 "smart bombs". NATOs Oberkammandierender Wesley Clark sagte noch letzte Woche, daß die Luftangriffe 110 der 300 serbischen Panzer im Kosovo zerstört hätten. Die NATO behauptete, daß 60 Prozent der serbischen Artillerie und 40 Prozent der Panzer beschädigt oder zerstört worden seien. Und 5000 Soldaten seien getötet und viele weitere verletzt worden. Als weitere Propaganda wurden Berichte der serbischen Armee abgetan, daß lediglich 13 Panzer zerstört und 500 Soldaten getötet worden seien.

Nach dem Einmarsch der KFOR wird nicht nur zur Rechtfertigung des Bomardments im humanbitären Auftrag nach Massengräbern und Beweisen für Massaker gesucht, sondern auch nach zerstörten militärischen Zielen. Damit aber hat die NATO offenbar Schwierigkeiten, während die Schäden an der Infrastruktur, also bei Brücken, Erdölraffinerien, Stromwerken, militärischen Gebäuden oder Fabriken unübersehbar sind und die NATO-Angriffe in keiner Weise die ethnische Säuberung reduzieren oder gar stoppen konnten. Bislang jedenfalls wurden von den über 100 angeblich zerstörten Panzern gerade einmal drei gefunden.

Man habe nichts gefunden, zitiert die  New York Times Dietmar Jeserick, der Sprecher der deutschen Friedenstruppen. Man habe zwar Stellungen des serbischen Militärs und dort auch Bombenschäden entdeckt, aber keine zerstörten Fahrzeuge oder Panzer. Man fand allerdings viele Unterstände, wo sich die serbische Armee versteckte - und eine ganze Menge von Attrappen, beispielsweise Panzer aus Holz und Plastik oder alte Fahrzeuge, die man so umgebaut hatte, daß wie Panzer aussahen. Haben die NATO-Flieger, von Wesley Clark erst unlängst zu "Helden" verklärt, die gegen das Böse in den Krieg zogen, also vor allem zivile Objekte und Zivilisten getroffen - und ansonsten mit ihrer modernsten technischen Ausstattung Jagd auf Attrappen gemacht?

Zum Ziel wurden sogar Brückenattrappen, zu denen Streifen aus schwarzem Plastik über die Felder gezogen wurden, um Straßen vorzutäuschen. Die NATO schweigt allerdings über solche Mißerfolge, die trotz oder wegen der eingesetzten High-Tech entstanden. Mit der großen Geschwindigkeit und aus der großen Höhe, in der die Flugzeuge flogen, lassen sich womöglich Attrappen nicht von wirklichen Panzern und Flugzeugen unterscheiden. Angeblich haben die Serben beim Abzug eine Menge zerstörter Panzer mitgenommen, um sie für Ersatzteile auszuschlachten. Die militärischen Erfolgsmeldungen während des Krieges gleichen jedenfalls denen des serbischen Militärs, die auch ja auch behauptet haben, Dutzende von feindlichen Flugzeugen abgeschossen zu haben.

So wie es derzeit aussieht, hat der Krieg auf beiden Seiten dasselbe Ziel gehabt: Schonung der eigenen Soldaten und Ausrüstung, Zerstörung ziviler Ziele und Tötung von Zivilisten. Schätzungen gehen davon aus, daß der Wiederaufbau des Landes zwischen 20 und 100 Milliarden Dollar kosten werde und 40 Jahre dauern könnte. Ist der Kosovo-Krieg ein Vorschein künftiger High-Tech-Kriege, bei denen das Verhältnis von zivilen und militärischen Opfern nur bis ins Extrem getrieben wird? So gesehen könnte man nur empfehlen, möglichst in den Militärdienst einzutreten, um vom Krieg verschont zu bleiben und trotzdem als Held gefeiert zu werden.

Verlag Heinz Heise, Hannover
 
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