Florian Schneider, 14.10.1999 - telepolis

EU baut Festung Europa weiter aus

Internationaler Protest organisiert sich anlässlich des Gipfeltreffens in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999.

[cross the border]Unter finnischer Präsidentschaft findet am 15. und 16. Oktober in Tampere ein Sondergipfel der EU zum Bereich "Justiz und Inneres" statt. Zentrales Thema ist die Asyl- und Migrationspolitik, wenn sich die Regierungschefs höchstpersönlich sowie ihre Außenminister treffen, um ein neues Kapitel europäischer Vereinheitlichung in Angriff zu nehmen: den schrittweisen Aufbau eines sogenannten Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. So wurde es im Amsterdamer Vertrag, der seit 1. Mai dieses Jahres in Kraft ist, formuliert. Mehr Ausgrenzung, mehr Kontrolle, mehr Abschiebungen: so lauten die tatsächlichen Folgen der gegenwärtigen europäischer Vereinheitlichung. Antirassistische Gruppen aus mehreren Ländern haben den EU-Migrationsgipfel in Tampere zum Anlaß genommen, dezentral aber koordiniert in verschiedenen Städten gegen ein neues Kapitel der europäischen Abschottungspolitik zu protestieren.

Am 15. und 16. Oktober sind in Frankreich, Belgien, Italien, Dänemark, Niederlande, Polen, Schweiz, Deutschland und natürlich Finnland zahlreiche kleinere und größere, spektakuläre Aktionen geplant. Aktivisten aus Finnland hatten schon vor Wochen eine spezielle Mailinglist eröffnet, die schon im Vorfeld von Tampere laufende Aktionen in verschiedenen Ländern zusammengefaßt hat und zur Gegendemonstration und Gegen-Konferenz nach Tampere am 16. und 17.10. einlud.

Direkter Austausch, Knüpfen von internationalen Kontakten und die Koordination der Aktionen in den Tagen des EU-Gipfels ist seit dem 9.10.99 Aufgabe eines temporären Medienlabors von "cross the border". Im Rahmen des Projektes TEMP in Kiasma, Helsinkis Mueseum für zeitgenössische Kunst, sollen die Medien-Aktivitäten von "cross the border" die verschiedenen Aktionen in Tampere und überall in Europa katalysieren und verstärken.

Keine Freiheit sondern Ausgrenzung, keine Sicherheit sondern schärfere Kontrolle und Angst vor Abschiebung, keine Rechte sondern immer weitere Entrechtung - so stellt sich die Entwicklung für viele Flüchtlinge und MigrantInnen quer durch Europa dar. Sie sind mit einem rapiden Ausbau der Festung Europa konfrontiert, wenn jetzt die Vereinheitlichung vorangetrieben wird. Bislang war die diesbezügliche Zusammenarbeit zwischenstaatlich strukturiert, es gab also nicht bindende Entschließungen und Vereinbarungen. Jetzt soll, letztlich bis in alle Einzelfragen hinein, sogenanntes Gemeinschaftsrecht entstehen. Damit soll vor allem ausgeschlossen werden, dass Regierungen, wie zuletzt in Italien, z.B. eigene Legalisierungsprogramme verabschieden.

1. Die Außengrenzkontrollen

Mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages wurde auch beschlossen, das Schengener Abkommen in die EU-Strukturen zu überführen. Dabei soll sichergestellt sein, dass die strengen Schengenrichtlinien in der gesamten EU übernommen werden müssen. Dies gilt insbesondere für die Außengrenzkontrollen. Das beinhaltet grenzpolizeiliche Aufrüstung, eine abgestimmte Visapolitik und eine Angleichung der Carrier Sanctions, also von Strafgeldern für die Transportunternehmen, die Menschen ohne oder mit falschen Dokumenten befördern. Im Januar 1999 hatte Schily das Schengener Handbuch zur Außengrenzkontrolle an die Botschafter von Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland und Zypern übergeben. Diese sechs Beitrittskandidaten für die EU sind nämlich verpflichtet, die migrationspolitischen Vorgaben der Schengen-EU-Staaten zu übernehmen, wenn sie die Mitgliedschaft anstreben. Diese Einbindung zielt auf eine Vorverlagerung der Abschottung, die genannten Länder sollen ihre Rolle als Pufferstaaten erfüllen und die Migrationsbewegungen schon weiter im Osten abblocken.

2. Verschärfung der internen Kontrollen

Seit 1. Mai hat die EU-Kommission ein Initiativrecht; und keine vier Wochen später hat sie diese neue Kompetenz sofort an einem entscheidenden Punkt wahrgenommen: Sie legte eine Verordnung für eine Euro-Dac-Verordnung vor. EuroDac, ein europäisiertes Fingerabdrucksystem, soll alle Asylsuchenden in allen EU-Staaten erfassen, und auf deutsche Initiative hin sollen auch alle Menschen registriert werden, die ohne Aufenthaltspapiere aufgegriffen werden. EuroDac soll ermöglichen, Flüchtlinge und illegalisierte MigrantInnen jederzeit an jedem Ort der EU zu identifizieren, gegebenfalls in den Staat zurückzuschicken, der als Erstaufnahmeland als zuständig gilt und die Abschiebung dann durchzusetzen hat. EuroDac ist eindeutig ein Kampfprogramm gegen Illegalisierte, ganz gezielt soll MigrantInnen die Möglichkeit der Weiterflucht in andere Länder genommen werden, wenn sie sich der drohenden Abschiebung entziehen müssen.

3. Aktionspläne zu bestimmten Herkunftsländern

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsschiffe, die an italienischen Küsten anlandeten, wurde schon 1998 ein erster "Aktionsplan Irak" gestartet. Zielfrage war, wie einerseits die Migrationsketten irakischer KurdInnen gekappt, wie die Fluchtwege zerschlagen werden können, und andererseits wie Abschiebungen durch die Türkei in den Nordirak durchgesetzt werden können. Entsprechend dieser Zielsetzungen wurden in den letzten Monaten weitere Aktionspläne zu Afghanistan, Somalia, Sri Lanka und Marokko konzipiert. Sie folgen dem Strickmuster des Irak-Aktionsplans und konzentrieren sich auf Fluchtverhinderung und die Suche nach besseren Abschiebemöglichkeiten. Alle diese Aktionspläne werden in Tampere auf den Tischen liegen und verabschiedet werden.

Siehe auch den Artikel Grenzbegriffe <http://www.heise.de/tpdeutsch/inhalt/co/5129/1.html> von Florian Schneider.

http://www.heise.de/tp/

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