Was macht eigentlich...
...JUTTA DITFURTH? Die streitbare Pazifistin und Radikal-Ökologin
war Mitbegründerin der Grünen. 1991 verließ sie aus Protest
gegen den "Realo"-Flügel um Joschka Fischer die Partei
Jutta Ditfurth im Günthersburg-Park im Frankfurter
Nordend und 1987 auf dem Bundesparteitag der Grünen in Oldenburg.
1991 gründete sie mit politischen Freunden die "Ökologische Linke".
Die 46jährige lebt in Frankfurt, dort arbeitet sie als freie Journalistin
und Buchautorin. Anfang September erschien ihr erster Roman "Die Himmelsstürmerin"
STERN: Sie haben gerade Ihren ersten Roman veröffentlicht. Wird aus
der Polit-Aktivistin jetzt eine Literatin?
DITFURTH: Warum kann ein Mensch nicht vielseitig sein? Ich habe auch früher
schon geschrieben und gemalt, lange bevor ich politisch aktiv wurde. Für
mein Buch habe ich in Archiven in Paris, Weimar und anderswo recherchiert.
Dazwischen habe ich mich an stille Orte verzogen. Das war eine wunderschöne
Arbeit.
STERN: Die Hauptfigur in Ihrem Roman ist Ihre Urgroßmutter Gertrud
von Beust, deren Weltbild in den Wirren des Pariser Kommune-Aufstandes
von 1871 ins Wanken gerät. Hat das was mit Ihrem Lebensweg zu tun?
DITFURTH: Nein. Die "Himmelsstürmerin" ist eine stockkonservative,
gebildete Adelige, die von den revolutionären Verhältnissen in
Paris mitgerissen wird. Ich habe das "von" vor meinem Nachnamen vor mehr
als 20 Jahren abgelegt und mit 18 Jahren die Aufnahme in den Adelsverband
abgelehnt. Elitäres Denken ekelt mich an.
STERN: Können Sie vom Schreiben leben?
DITFURTH: An diesem Buch habe ich zweieinhalb Jahre geschrieben. Eins davon
war bezahlt, der Rest sind Schulden. Das heißt jetzt Mehrarbeit,
zum Beispiel als freie Autorin. STERN: Was denken Sie, wenn Sie die Wahlplakate
Ihrer einstigen Parteifreunde mit dem grünen "Ü" sehen?
DITFURTH: "Ü" wie Übel.
STERN: Wieso?
DITFURTH: Die Grünen sind grausam verlogen. Sie behaupten, sie wollen
sofort aus der Atomenergie raus. Intern verhandeln die führenden Figuren
über Ausstiegszeiten von 14 Jahren und länger. Sie wollen atomare
Zwischenlager, lehnen Castortransporte und Atomfusion nicht mehr vollständig
ab. Sie mutieren zur "alternativen" Pro-Atom-Partei.
STERN: Aber ein Benzinpreis von fünf Mark müßte Ihnen als
Radikal-Ökologin doch gefallen.
DITFURTH: Keine ökologische Verkehrspolitik, aber fünf Mark?
Das ist unsozial. Die Grünen kneifen vor dem Konflikt mit den Autokonzernen.
STERN: Aber die Grünen haben auch einiges erreicht. Ohne sie gäbe
es heute ...
DITFURTH: ... keine Tempo-30-Zonen, keine Mülltrennung, ich weiß.
Dafür drücken sie sich vor allen brenzligen Themen: Kapitalismus,
Rassismus, Abschiebung von Ausländern, Militäreinsätze,
Armut. Die Grünen haben ihren Frieden mit den herrschenden Verhältnissen
gemacht. Sie entpolitisieren alle halbwegs kritischen Leute. Ihr Motto:
"Wählt uns, dann könnt ihr ein gutes Gewissen haben".
STERN: Sie scheinen immer noch verbittert darüber zu sein, daß
Sie den Machtkampf gegen Joschka Fischers Realo-Flügel verloren haben.
DITFURTH: Nicht verbittert, zornig. Eine emanzipatorisch-linke Partei wäre
heute nützlich. Ich war Anfang der 80er Jahre so naiv zu glauben,
man könne Karrieristen wie Fischer und seine Gang in die Grünen
aufnehmen und überzeugen. Aus der Anti-AKW-Bewegung kommend, konnte
ich mir soviel Skrupellosigkeit und Brutalität nicht vorstellen. Fischer
hat nie eine inhaltliche Position gehalten, wenn sie seinem Aufstieg im
Wege stand.
STERN: Nach Ihrem Parteiaustritt haben Sie in Frankfurt die "Ökologische
Linke" gegründet. Warum kandidieren Sie nicht für den Bundestag?
DITFURTH: Wir streiten bundesweit für eine emanzipatorische, linke,
ökologische, antifaschistische Gegenmacht. Da sind Parlamentssitze
nicht entscheidend. Mein Traum ist eine neue Apo.
STERN: Welches Ergebnis wünschen Sie den Grünen für die
Bundestagswahl?
DITFURTH: 4,9 Prozent.
Mit Jutta Ditfurth sprach STERN-Redakteur Tilman Gerwien.
http://www.stern.de/
|