Deutschland, Euro Gnaden
Hermann L. Gremliza
Warum das übrige Europa der deutschen Politik gegen Jugoslawien
gefolgt sei, könne »der Stammtisch mit dem Wimpel `Nie wieder
Deutschland´« doch nur erklären, indem er die eigene Weltsicht
mit der Behauptung immunisiere, Deutschland habe die anderen schon so unterjocht,
daß sie alles machen müssen, was es will. Das hat Georg Fülberth
in der zweiten Kriegsausgabe dieser Zeitschrift behauptet. Der Stammtisch
schuldet eine Antwort:
Sie beginnt mit der Erinnerung, daß die anderen, Frankreich und Großbritannien
allen voran, dem deutschen Vorsatz, Jugoslawien zu zerstückeln, mit
etwa dem gleichen Enthusiasmus begegnet waren wie der Vereinigung Deutschlands
kurz zuvor, und der daran geknüpften Frage, wie die bereitwillige
Begeisterung gerade der Franzosen und der Briten, zu dem einst gehaßten
Zweck und ohne Rücksicht auf die einst gemeinsam gegen Deutschland
formulierte Uno-Charta sogar einen Angriffskrieg zu führen, entstanden
sein mag. Sind die beiden in sich gegangen? Sind sie schlauer geworden?
Es haben die Regierenden gewechselt, in Frankreich vom Sozialisten Mitterrand
zum Sozialisten Jospin, in Großbritannien von der Konservativen Thatcher
erst zum Konservativen Major, dann zum Sozialdemokraten Blair. War das
der Grund? Aber in Frankreich war es Mitterrand selber, der die französische
Politik auf deutschen Kurs brachte, weil er von dem mächtigen Nachbarn
nicht noch einmal so schmählich vorgeführt werden wollte wie
mit seinem zaghaften Widerstand gegen die Wiedervereinigung. Jospin weiß,
daß er sich eine Revision dieser Entscheidung nicht leisten könnte.
Margret Thatcher hatten die britischen Unternehmer gestürzt, weil
die Premierministerin (ihr Motto: »Die Deutschen sollen merken, daß
sie den Zweiten Weltkrieg verloren haben«) sich geweigert hatte,
Großbritannien als Juniorpartner Deutschlands in Europa zu etablieren.
Ihr Nachfolger Major war wohl willens, aber zu unbeweglich, der gewünschten
Politik eine Mehrheit zu schaffen, so daß die britische Bourgeoisie
(wie kurz darauf die deutsche) einen Mann der anderen Partei erkor, der
(wie jener) die Gewähr bot, allzeit zu allem bereit zu sein, was man
ihm sagt, der aber zugleich ein beträchtliches Geschick bewies, Unterwerfungen
als Triumphe zu feiern und seine Arbeit als Butler in der Uniform Lord
Nelsons anzutreten: Wenn England schon mußte, was es nicht gewollt
hatte, dann in vorderster Front, noch vor den Deutschen. Schön, wenn
man dann noch Atommacht ist, wie die USA, und an deren Seite jeden Tag
beim Bombenschmeißen auf den Irak ein bißchen Weltmacht spielen
darf, um zu überspielen, was jeden Tag in der Zeitung steht:
Daß Brüssel Sitz der Europäischen Zentralbank werden soll,
und Frankfurt es wird; daß ein Franzose ihr Chef werden soll, und
Wim Duisenberg, der Kandidat der Deutschen, es wird; daß der deutsche
Kanzler die Entscheidung, Bodo Hombach zum Vizekönig des Generalgouvernements
Balkan zu ernennen, ganz alleine trifft und verkündet; daß alle
andern Europäer murren, und alle andern Europäer ja sagen; daß
alle Verlage, auch die deutschen, erwarten, der zuständige Kommissar
Karel Van Miert werde sich mit der Forderung, die Buchpreisbindung aufzuheben,
durchsetzen, er es nicht kann und der deutsche Kulturminister Naumann mitteilt,
warum: »Die Europäische Kommission unter Jacques Santer hat
damit Augenmaß bewiesen«, und das sei auch auf die Initiativen
aus Deutschland zurückzuführen. Zuletzt habe Bundeskanzler Schröder
in einem Schreiben an Santer darum gebeten ...
Die Europäische Union einigt sich darauf, die Autohersteller an den
Kosten für die Entsorgung ihrer Rostlauben zu beteiligen. Deutschlands
grüner Umweltminister kippt die Vorlage. Warum er das kann, erklärt
die »Frankfurter Allgemeine«: »Zugleich verdichteten
sich die Anzeichen dafür, daß sich nach der erfolgreichen Intervention
von Volkswagen-Chef Ferdinand Piëch bei Bundeskanzler Schröder
auch die Regierungen Spaniens und Großbritanniens anschickten, der
Regelung die Zustimmung zu verweigern. Der spanische Autohersteller Seat
ist eine VW-Tochtergesellschaft, der britische Hersteller Rover gehört
zu BMW.«
Die EU-Kommission entscheidet, daß die Westdeutsche Landesbank 1,6
Milliarden Mark unerlaubter Beihilfe zurückzahlen muß. Sie muß
nicht - dank einer höheren Gewalt, wie das Deutschland-Magazin »Spiegel«
(»Mit dem neuen Selbstbewußtsein der 68er, die der Gnade der
späten Regierung teilhaftig wurden, tritt Rot-Grün nun in Europa
auf«) voller Nationalstolz meldet: »Noch während der Verhandlungen
über die Atomkraftwerke in Kiew entschied Gerhard Schröder: Den
Brüsseler Anordnungen sei nicht zu folgen, nichts werde gezahlt ...«
Von der Bitte des ebenfalls vom deutschen Kanzler ausgesuchten Präsidenten
der EU-Kommission, Romano Prodi, ihm andere deutsche Kommissionskandidaten
vorzuschlagen als annonciert, nimmt Schröder nicht einmal Notiz. Prodi
muß das rot-grüne Gespann Verheugen/Schreyer nehmen wie nicht
bestellt. Die Finnen, Nachfolger der Deutschen in der EU-Präsidenschaft,
weigern sich, Deutsch von einer der offiziellen EU-Sprachen, die es ist,
zur dritten Amtssprache zu erheben? Der deutsche Kanzler ordnet an, Sitzungen
des Ministerrats in Helsinki zu boykottieren. »Berlin«, schreibt
die französische Tageszeitung »Libération«, »hat
die große Artillerie herausgeholt, um die deutsche Sprache zu verteidigen.«
Wovon die kuschenden Regierungen voll sind, des geht ihr intellektueller
Troß über. De la prochaine guerre avec L'Allemagne heißt
der Titel eines kürzlich erschienenen Buchs von Philippe Delmas, Vorstandsmitglied
des von Deutschland dominierten Airbus-Konzerns. Springers »Hamburger
Abendblatt« ist konsterniert: »Krieg mit Deutschland? In Frankreich
ist das - man mag es glauben oder nicht - ein Buchthema. Und obwohl vorausgesetzt
werden kann, daß der Autor bewußt übertreibt, sollte diese
Absicht allein zu denken geben.« Zur selben Zeit schlägt in
der »Sunday Times« (Auflage 1,34 Millionen) deren Starautor
AA Gill vor, am Brandenburger Tor ein großes Schild aufzustellen:
»Amnesie macht frei«. In Buchenwald habe er, Gill, verstanden,
»warum wir die Deutschen hassen«. Ihr Verbrechen stehe »jenseits
der Vergebung«. Zu dieser Nachricht stößt ihr Hamburger
Bote nur noch den wehleidigen Seufzer aus: »Die Briten können
es nicht lassen.« Wie sollten sie es können, wenn sie in der
»Bildzeitung« lesen müssen, unter wessen Befehl ihre Streitkräfte
gestellt werden und in welchem Ton: »Ein deutscher General sorgt
künftig für Ordnung im Kosovo! General Klaus Reinhardt soll noch
in dieser Woche offiziell zum Oberbefehlshaber der Kfor-Friedenstruppen
(45.000 Mann) berufen werden.«
Aber natürlich ist es nicht, noch nicht, die Bundeswehrmacht, bei
deren Anblick die Nachbarn sich verkriechen. Den Briten hat es der scheidende
EU-Kommissar für Währungsfragen, Yves-Thibault de Silguy, schriftlich
gegeben: Wenn Großbritannien sich den Luxus erlaube, das Pfund als
»kleine Satelliten-Währung des Euro« beizubehalten, werde
es dafür sowohl wirtschaftlich wie politisch einen hohen Preis bezahlen.
Wer ihn kassieren wird, ist nach einem Blick auf eine einzige Seite des
Wirtschaftsteils der »Frankfurter Allgemeinen« an einem einzigen
Tag (26. Juli) unzweifelhaft:
Über den Zusammenschluß der Deutschen Telekom mit der spanischen
Telefónica heißt es da: »Der Verzicht der Telekom, Telefónica
zu übernehmen, klingt nicht nur im Hinblick auf deren hohen Börsenwert
intelligent. Mit der internationalen Allianz umgehen beide Partner geschickt
spanische Widerstände, die bei einem Verkauf des national führenden
Unternehmens zu erwarten gewesen wären ... Immerhin handelt es sich
um das größte Unternehmen des Landes mit einem Jahresumsatz
von zuletzt 34 Milliarden DM und einem Börsenwert von rund 90 Milliaden
DM.« Das ist jetzt, wie Chrysler nach der Fusion mit Daimler, unser.
»Im vergangenen Jahr verbesserte sich die Weltmarktposition Deutschlands
nach Angaben des DIHT spürbar. Der Weltmarktanteil stieg von 10,1
auf 10,6 Prozent.« Zusammen mit nur zwei Staaten seines europäischen
Commonwealth, Frankreich (6,0) und Italien (4,5), bringt es Euro-Deutschland
auf bereits fünf Prozentpunkte mehr als die USA mit ihren 16,5 Prozent.
»Europäische Luftfahrtindustrie vor einer Neuordnung - Aus einer
Fusion von Aerospatiale-Matra und Dasa entstünde nach Boeing der zweitgrößte
Luftfahrt- und Rüstungskonzern der Welt mit einem Umsatz von rund
46 Milliarden DM.« Zur gleichen Zeit wird gemeldet, daß Airbus
seinen US-Konkurrenten Boeing bei Bestellungen im ersten Halbjahr 1999
mit 242 zu 104 hinter sich gelassen und bei der Gesamtzahl aller Aufträge
mit 1.413 zu 1.577 fast mit ihm gleichgezogen hat.
Ob wir es nun Unterjochung, Dominanz oder bloß Hegemonie nennen,
was die andern Deutschland gefügig macht: Einen Anlaß, seinen
Wimpel »Nie wieder Deutschland« auf Halbmast zu setzen, hat
unser Stammtisch nicht.
http://www.infolinks.de/konkret/1999/09/greml.htm
Tod durch Erfindung
Hermann L. Gremliza
Jeder Tote ist einer zuviel. Ein Satz wie ein Grabstein. Er erheischt
Ehrfurcht, gebietet Schweigen. Es gibt keinen erhabeneren. Und keinen dümmeren.
Keinen perfideren. Einen lebensgefährlicheren auch nicht.
Jeder Tote ist einer zuviel. Das ist die finale Antwort auf die Frage,
wieviele Menschen ihr Leben verloren haben und wodurch. Sie macht im Namen
der Menschlichkeit die Wahrheit zum Verbrechen. Wer Leichen zählt,
nach der Ursache des Todes forscht, entlastet den Mörder, ist Komplize.
»Srebrenica war die Wende«, hat Außenminister Fischer
jedem gesagt, der ihn fragte, was ihn zum militärischen Überfall
auf Jugoslawien bekehrt habe. Mit dem Ruf, in Srebrenica seien »30.000
Muslime« ermordet worden, hat Kriegsminister Scharping seinen Piloten
Feuer frei gegeben. »An der Rampe von Srebrenica« hat der Kulturpolitiker
Duve sein Auschwitz entdeckt. Der Literat P. Schneider hat von Zweiflern
verlangt, sie sollen erst mal beweisen, daß 7.000 Männer nicht
ermordet worden seien. Mit ihnen allen sind alle guten Menschen.
»Nie wieder Auschwitz« und darum »Nie wieder Srebrenica«
hieß die Parole, unter der das Versprechen »Nie wieder Krieg«
gebrochen wurde. Seit dem Ende des Bürgerkriegs in Bosnien steht das
Land unter Kontrolle ausländischer, auch deutscher Truppen. Sie haben
Zugang zu jedem Fleck, jeder Akte und können ihn ihren Kriminalisten
verschaffen. Sie haben in der Gegend um Srebrenica 480 Leichen gefunden.
Die Suche nach weiteren ist längst eingestellt. Aber nicht Scharping,
der 29.520 Tote erfunden hat, um ein paar tausend Lebenden die reale
Existenz nehmen zu dürfen, ist der Lump, auch nicht Fischer, Duve
oder Schneider. Ein minderwertiges Subjekt ist, wer die Leichen zählt,
ein übleres, wer dabei auf eine Menge kommt, die in einem plausiblen
Verhältnis zu den wochenlangen Scharmützeln in jener Gegend steht
und eine Erklärung mit dem Einsatz serbischer Himmlers erübrigt.
der ganze Artikel:
http://www.infolinks.de/konkret/1999/08/greml.htm
desweiteren:
Albanische Wirtschaft
Jürgen Elsässer über die Wiederaufbauhilfe
für einen Brückenkopf des organisierten Verbrechens
http://www.infolinks.de/konkret/1999/09/els.htm
Die Greuel
Jürgen Elsässer über die ethnische Säuberung
des Nato-Protektorats - und die täglich neu entdeckten Massengräber
im Kosovo
http://www.infolinks.de/konkret/1999/08/els.htm
http://www.infolinks.de/konkret/ |