Kommentar zum Grünen Sonderparteitag
Von der Systemopposition zur Staatspartei
Micha Brumlik
Mit
der Entscheidung von Bielefeld - unabhängig davon, ob man die dort
verabschiedete Resolution für angemessen hält oder nicht - sind
die Grünen endgültig und unwiderruflich zu einem Teil des Status
quo geworden. Sie haben auch die letzten, vielleicht nur noch ideologischen
Reste von Systemopposition preisgegeben und sich etabliert. In Bielefeld
ist in einem ebenso schrillen wie mitreißenden Ritual lediglich besiegelt
worden, was sich seit mehr als zehn Jahren abzeichnete. Zugleich haben
die Grünen damit ihre Rolle, einen doch noch privilegierten Ort für
eine wie auch immer definierte "Linke" darzustellen, verloren. So "links",
wie die Grünen fortan sein werden, kann man sich in CDU, SPD und PDS
allemal gerieren.
Mit der Aufgabe der pazifistischen Grundüberzeugungen ist der
letzte Wertbezug, der die einstige grüne Partei auszeichnete, getilgt
worden. Zugleich treten die Grünen von jetzt ab als zweite liberale
Partei mit der FDP in Konkurrenz. Daß in Deutschland zwei liberale
Parteien, zwei liberale Strömungen miteinander konkurrieren, ist historisch
gesehen nichts Neues. Die Weimarer Republik kannte die nationalliberale
DVP Gustav Stresemanns und die eher linksbürgerliche DDP. Auch der
Blick zurück ins Revolutionsjahr 1848 verweist auf die spannungsreiche
Koexistenz von eher konservativ gestimmten Nationalliberalen und sozialpolitisch
aufgeschlossenem Freisinn. Auch bei den europäischen Nachbarn spielen
ehemals linksliberale Parteien keine ganz unwichtige Rolle: Man denke nur
an die linksbürgerliche D66 in den Niederlanden sowie die Republikanische
Partei oder den Partito Radicale in Italien.
Gleichwohl stellen sich für die Grünen, als integraler Bestandteil
und Konkurrent im bürgerlichen Lager, eine Reihe von Fragen, die alsbald
zu beantworten sind: Was soll - nachdem der Traum von der kleinsten Volkspartei
ausgeträumt und der Osten endgültig verloren ist - die soziale
Basis der Partei sein? Wie läßt sich diese soziale Basis programmatisch
ansprechen, wenn schon nicht binden? Demoskopische Untersuchungen lassen
derzeit keinen anderen Schluß zu, als daß es sich bei der Wählerbasis
der Grünen um eine Jahrgangskohorte mehrheitlich vierzig- bis fünfzigjähriger
Angestellter, Beamter und Selbständiger mit überdurchschnittlichem
Bildungsgrad und vergleichsweise gesicherter sozialer Lage handelt. Es
ist daher kaum verfehlt, von einer Partei des - durch die Reform der sechziger
Jahre begünstigten - neuen Bildungsbürgertums zu sprechen. Diese
Gruppe zeigt sich, insofern sie bildungsbürgerlich ist, universalistischen,
postmaterialistischen Werten gegenüber durchaus aufgeschlossen, weiß
aber als bildungsbürgerliche Schicht den Besitz von symbolischem,
sozialem und finanziellem Kapital durchaus zu schätzen. Damit, auch
darüber sind sich die Demoskopen einig, scheiden die Grünen als
Partei der sozialen, der umverteilenden Gerechtigkeit aus. Dieser Umstand
bewirkt zugleich eine strukturelle Schwäche am Wählermarkt: Nach
wie vor verdienen die meisten Menschen in diesem Lande ihr Geld - sofern
sie keine staatlichen Transferabkommen beziehen - als Arbeitnehmer. Für
die Sorgen und Bedürfnisse dieser Gruppe haben die Grünen, deren
Wirtschaftspolitik vor allem auf den Mittelstand zielt, kein Sensorium.
Kann eine Partei, die weder - wie die FDP - die Interessen der wirtschaftlich
Mächtigen artikuliert noch - wie SPD und CDU/CSU - Arbeitnehmerinteressen
verschiedenster Milieus und Segmente bündelt, langfristig bei Wahlen
bestehen? Diese Sorgen - die relative Überalterung - macht sich die
Partei selbst, sitzt dabei aber nur ihrem eigenen Jugendlichkeitswahn auf.
An und für sich müßte eine Verankerung bei älteren
Jahrgängen in einer ohnehin alternden Gesellschaft kein Nachteil sein.
Die langfristigen Probleme liegen daher nicht bei einer altersmäßigen
Verengung, sondern im zu schmalen bildungsbürgerlichen Sockel. Die
bisher gehandelten Vorschläge, die Grünen zu einer die Probleme
der Lebensformen aufgreifenden "liberalen Familienpartei" umzumodeln, könnten
- sofern die Blindheit auf dem Arbeitnehmerauge weichen würde - diese
Basis verbreitern.
Wirklich durchschlagend und erfolgversprechend aber wäre diese Strategie
nur, wenn sie mit einer aggressiven Umwandlung der sozialpolitisch geordneten
Generationenverhältnisse verbunden wäre. Das aber hieße
wiederum nichts anderes, als eine der FDP nahe, sozialstaatskritische Lösung
der Altersversorgungsfrage zu propagieren - eine Lösung, die nicht
nur einer überzeugenderen Konkurrenz konfrontiert wäre, sondern
auch den postmaterialistischen Gerechtigkeitsvorstellungen der älteren
Parteibasis widersprechen dürfte. Ob der demnächst anstehende
Versuch, unter dem im Feld der Ressourcenwirtschaft sinnvollen Begriff
der "Nachhaltigkeit" neben "Freiheit", "Gleichheit" und "Solidarität"
einen weiteren Grundwert in der politischen Arena zu etablieren, gelingt,
darf bezweifelt werden. Vielmehr ist zu argwöhnen, daß dieser
Begriff einer konservativen Naturalisierung des politischen Diskurses und
damit der Ideologiebildung Vorschub leisten würde.
Als wahrscheinlichster, allemal riskanter Ausweg bleibt daher eine faktische
Umgründung der ehemals systemoppositionellen Partei zu einer Staatspartei.
Anders als die totalitären Organisationen in Staaten mit bürokratischer
Herrschaft verkörpern Staatsparteien in demokratischen Systemen so
etwas wie das "Interesse des Staates an sich selbst" (Claus Offe). Für
Staatsparteien dieser Art ist es typisch, daß sich ein überproportional
hoher Anteil ihrer Mitglieder in Regierungs-, Parlaments-, Verwaltungs-
und Parteifunktionen befindet und dort bei Strafe des ökonomischen
Existenzverlusts ihr Leben fristet. Die immer wieder beklagte, zu dünne
Personaldecke belegt das deutlich. Die Ideologie von Staatsparteien, deren
Mitglieder zwar durchaus in der Gesellschaft, aber eben nicht in gesellschaftlich
gewichtigen Großgruppen, verankert sind, wird zwingend das vermeintliche
Allgemeine - etwa die "Nachhaltigkeit" - zum Mittelpunkt ihrer Programmatik
erheben. Das prädestiniert die Grünen von ihrer realen Existenz
her dazu, jene Rolle zu übernehmen, die ihnen die interessierte Öffentliche
Meinung zuweist: die einer posttraditionalen Modernisierungspartei, die
kaum Rücksichten zu nehmen hat. Da es jedoch im gesellschaftlichen
Konfliktfeld keine wert- und interessenfreie "Modernisierung", die zu aller
Vorteil wirkt, geben kann, droht hier neben der "Nachhaltigkeitsfalle"
ein zweiter Fall von Ideologisierung.
auf zum kriegsparteitag der grünen in bielefeld
junge Welt Kommentar 06.05.1999
Keine Alternative
Vor dem Sonderparteitag der Bündnisgrünen
Kommentar
Bundesaußenminister
Joseph Fischer hat seine Partei eindringlich davor gewarnt, auf dem Sonderparteitag
in der nächsten Woche den NATO-Militäreinsatz im Kosovo abzulehnen
und die Bonner Regierungskoalition aufs Spiel zu setzen. Eine Abkehr von
der bisherigen Linie würde »eine andere Koalition mit sich bringen,
aber keine andere Politik der Bundesrepublik Deutschland.« Mit anderen
Worten: Es gibt zur derzeitigen Kriegspolitik keine Alternative. Warum?
»Bündnisräson ist Staatsräson« (Bundeskanzler
Gerhard Schröder).
Schon länger zeichnet sich ab, daß Fischer sich, wenn ihm die
Diskussionen bei den Grünen lästig werden, für sein Amt
und gegen die Partei, der er seinen persönlichen Aufstieg verdankt,
entscheidet. Das ist konsequent: Einmal da angekommen, was der Kleinbürger
für den Olymp der Macht hält, ist Fischer auf das grüne
Milieu nicht länger angewiesen. (Daß Fischer vor Jahren als
»revolutionärer Kämpfer« in die grüne Partei
eingetreten ist, um sie von innen zu zersetzen, sei nur als Fußnote
vermerkt.) Einiges spricht dafür, daß Fischer kurz davor steht,
sein selbstgestecktes Ziel - das Ende der grünen Partei - zu erreichen,
denn der Parteitag der Grünen kann nur mit einer Spaltung enden. Dafür
gibt es mehrere Gründe: Es ist für sich genommen schon eine Ungeheuerlichkeit,
diesen Parteitag erst sieben Wochen nach Beginn der Bombardierungen jugoslawischer
Städte einzuberufen - immerhin verstößt die Führung
eines Angriffskrieges nicht nur gegen Völkerrecht, Grundgesetz und
den Zwei-plus-vier-Vertrag, sondern auch gegen die noch gültige grüne
Programmatik. Viel angestaute Wut wird sich innerhalb und außerhalb
des Versammlungsortes entladen.
Wenn sich der Parteitag mehrheitlich für die Bestätigung der
Fischer-Linie entscheidet - natürlich wird eine derartige Entschließung
»friedenspolitische Initiative« oder so ähnlich heißen,
um das schlechte Gewissen und die Öffentlichkeit zu täuschen
-, werden Tausende Mitglieder der Grünen, die erst noch das Ergebnis
des Parteitages abwarten wollten, der Partei den Rücken kehren. Sie
werden es satt haben, weiterhin mit der Person des Außenministers
identifiziert zu werden, dem das »Verdienst« zuzuschreiben
ist, die üble Erpressung von Rambouillet an seinen Mitarbeitern und
an seiner Partei vorbei »durchgefingert« zu haben.
Sollte das grüne Establishment jedoch vom Parteitag aufgefordert werden,
sich aus einer verbrecherischen Regierung zurückzuziehen, wird dies
nicht oder nur teilweise geschehen. Fischer hatte schon im April erklärt,
sich durch einen Beschluß der Delegierten nicht von seiner Kriegspolitik
abbringen zu lassen. Als Außenminister sei er schließlich nicht
von der Partei abhängig. Und von wem dann?
Uwe Soukup
http://www.jungewelt.de/1999/05-06/004.shtml
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Für die Endlagerung der Grünen und die Neuformulierung einer
kämpferischen linksradikalen Bewegung!
Am 13. Mai 1999 findet der Kriegsparteitag der Grünen in Bielefeld
statt. Ursprünglich sollte Hagen der Ort dieses vielleich historisch
werdenden Ereignisses werden. Doch auf Grund des "öffentlichen Interesses"
ist der Parteitag der Grünen nach Bielefeld verlegt worden. Die 'Initiative
Kein Frieden mit der NATO' beteiligt sich an der auf dem bundesweiten autonomen
Antikriegsplenum beschlossenen Mobilisierung nach Bielefeld und stellt
sich in den politischen Kontext des Aufrufes, der auf dem bundesweiten
Treffen verabschiedet wurde.
Mit der rot-grünen Kriegskoalition ist das politische Projekt Die
Grünen zur Kenntlichkeit gekommen. Jegliche Vorstellung von dieser
Partei als ein emanzipatorisches Projekt hat keinen Gegenstand mehr: die
Grünen sind nicht links, sondern grün und in Kriegszeiten zuerst
oliv-grün. Die Grünen haben die historische Leistung vollbracht,
die Reste der Friedensbewegung unter Verwendung humanistischer Phrasen
mit der militaristischen Außenpolitik zu versöhnen, während
die Partei selbst mit Forderungen bis hin zu Bodentruppen eine treibende
Kraft eben jener deutschen Außenpolitik ist.
Die ideologische Herstellung der Kriegsfähigkeit war die Aufgabe der
Grünen in der Vorbereitung des imperialistischen Krieges. Das Pazifismusverständnis
der Grünen wandelte sich mit der fortschreitenden Teilhabe an der
Macht, welche von Beginn an die zentrale Orientierung war. In der Zeit
kämpferischer Bewegung kam dem ausgrenzenden Pazifismusverständnis
der Grünen die Aufgabe zu, die Militanten zu isolieren und damit das
staatliche Gewaltmonopol zu verteidigen. Mit der Teilhabe der Grünen
am staatlichen Gewaltmonopol geht ganz selbstverständlich dessen Anwendung
nach Innen und Außen einher. Dies drückt sich aus in dem Ausbau
polizeistaatlicher Herrschaftstechniken, der polizeilichen Absicherung
von Herrschaftsprojekten, wie die Organisierung von Atomtransporten und
eben auch in der militärischen Absicherung deutscher Interessen in
aller Welt, wie sie in den verteidigungspolitischen Richtlinien vorgesehen
sind. Wir respektieren die Grünen als Kriegstreiber und werden entsprechend
unserer Möglichkeiten den politischen Konflikt mit ihnen organisieren.
Vom Protest zum Widerstand?
In Deutschland gibt es weit verbreitete Vorbehalte und Proteste auf der
Straße gegen die Neuorganisierung des bewaffneten deutschen Imperialismus,
der maßgeblich diesen Krieg durch großraummachtpolitisch motivierte
und völkisch unterlegte Außenpolitik angezettelt hat. Vom Protest
zur Entwicklung von Widerstand ist es offensichtlich kein kurzer Weg. Widerstandsfähigkeit
stellt sich nicht über zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungsformen
der pluralistischen Dissenzvielfalt her, sondern über die militante
Positionierung dagegen.
Grüne Kriegs- und Friedenspolitik bekämpfen
In Hagen bemühen sich Parteielite und Fußvolk, einen Klärungs-
und Rechtfertigungsversuch zu unternehmen. Rezzo Schlauch auf der einen
Seite wird versuchen der Basis seinen "erweiterten Pazifismusbegriff" nahezubringen,
der orwellscher Frieden ist und manchmal eben auch Krieg heißt. Andere
werden versuchen an die Grundsätze der 80er Jahre-Grünen zu appellieren
und darüber möglichst viel von ihrer moralischen Glaubwürdigkeit
zu retten. Die pure Fratze der Macht ist ihnen noch zu häßlich.
Der Klärungsprozeß soll in Form einer Abstimmung zu einem politikfähigen
Kompromiß führen: Friedenspolitik ist Kriegspolitik; Kriegspolitik
ist Friedenspolitik.
Die Hamburger Grünen mobilisieren symptomatischerweise diese Tage
zu einer Veranstaltung mit dem Titel "Wie können wir Ex-Jugoslawien
jetzt helfen?". Zynischer kann es nicht formuliert werden: Erst wird militärisch
ein ganzes Land in Schutt und Asche gelegt, die ökonomischen Grundlagen
komplett vernichtet und Armut auf jahre Hinweg zementiert und dann über
eine rot-grüne "Friedenspolitik" debattiert, die konsequenterweise
die Möglichkeiten auslotet, sich in der Region als zukünftige
Ordnungs- und Witschaftsmacht zu installieren. Dies ist unter der grünen
Forderung nach Rückkehr an den Verhandlunstisch zu verstehen.
Vom Protest zum Widerstand - die Parole der antimilitaristischen Bewegung
zu ihrer Aufgabe machen
Wir wollen eine Antikriegskonferenz abhalten, für den Fall, daß
uns die Besetzung der Stadthalle in Hagen gelingt. Diese Konferenz kann
politisch nur gelingen auf der Grundlage eines antinationalen Verständisses
von Antiimperialismus und Antimilitarismus. Die Schwäche der linksradikalen
Bewegungen in der BRD ist die ideologische Nähe zum Herrschaftsdiskurs.
Dies ist unter anderem an den materiellen Verflechtungen mit grünene
Parteistrukturen abzulesen. Von diesem Ausgangspunkt betrachtet kann Widerstand
zur Zeit nur heißen, soviel Herrschaftswahrheiten wie möglich
zu zerstören und Anbindungsprozesse zu kappen. Die Mähr von der
basisdemokratischen Verankerung und Verortung der Grünen in der Linken
ist mit dem politischen und praktischen Angriff auf den Parteitag für
uns endgültig beendet. Wir wollen in Hagen zum Ausdruck bringen, daß
jede Diskussion über die Beziehung zu den Grünen beendet ist
und nicht mehr geführt wird. "Massenwiderstand", der versucht, materiell
anzugreifen, ohne vorher die notwendigen Brüche in der gesellschaftlichen
Formierung zu entwickeln und zu vertiefen, steht in der Gefahr, komplett
isoliert und ohne größeren Widerspruch zerschlagen zu werden.
Opposition, die keinen Widerstand organisiert, rekonstruiert die demokratische
Fassade des Kriegsregimes.
Wir fordern nicht die Rückkehr an den Verhandlungstisch, sondern das
Ende des imperialistischen Krieges, der völkisch arbeitenden rassistisch
und nationalistisch aufhetzenden Geheimdiplomatie, Grenzen auf für
alle Flüchtlinge und Deserteure und 200 Milliarden Reparationszahlungen
durch die Konzernzentralen!
Initiative Kein Frieden mit der NATO
Kontakt: Schweffelstraße 6 - 24118 Kiel - Fax: 0431-57 70 56-
mail to: no_nato@gaarden.net - www.gaarden.net/no_nato/
Vorbereitungstreffen in Kiel: Montag, den 10.Mai um 20.00 Uhr Pumpe/Galerie Haßstraße
Abfahrt nach Bielefeld: Donnerstag, 13.5.1999 1.30 Uhr Treffpunkt: Wilhelmplatz
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