was ist denn mit den 68ern los?
Konkret Heft 5/99
Logical, radical, criminal
Klaus Theweleit
Der Krieg als letztes Mittel, erwachsen zu werden, oder: Warum die Alt-68er
in der neuen Regierung ohne Zögern bereit waren, Völkerrecht
und Grundgesetz zu brechen
Ja, natürlich hätte es sein können, theoretisch wunschgemäß,
Mr. Milosevic hätte das Handtuch geworfen nach drei Tagen, die grüne
Friedensstifterwelt wäre glänzend bestätigt worden, die
alliierte West-Welt hätte das glatte 3:0 der Human-Konföderation
mit deutschen Flügelstürmern über Jugoslawien enthusiastisch
bejubelt, die Friedenskommissare wären einmarschiert, Frau Beer, der
gequälte Engel, hätte wieder schlafen können, und auch ich
wäre, mit weichgeklopfter Birne, übergetreten in den Günter-Grass-Fischer-Chor
der »Leicht fällt es mir nicht, aber nötig war es«-Sänger
- der Troubadore der Marktneuheit Humanes Bomben. Die Verfallsdaten von
Reden zu Kriegen sind äußerst kurz. Was weiß ich, wo das
Rad stehen wird bei Erscheinen dieses Artikels. Dennoch gebe ich folgende
Antworten ohne Vorbehalt.
Auf die Frage: Warum sind bei Beginn der Nato-Bombardierung »Serbiens«
Ende März 99 so viele Alt-68er und Ex-Pazifisten für Krieg?,
fällt mir als erstes ein: »Das ist möglicherweise ihre
Art, sich endlich erwachsen zu fühlen.« Als zweite Antwort:
»Für Krieg war ein Teil von 68 immer, wenn ein gerechter Krieg
zur Hand war, Vietnam, Angola, Startbahn West, Black Panthers, RAF, Kuba
usw. Immer wenn die Underdogs der Welt, die sog. ›Verdammten dieser Erde‹,
uns nicht so allein ließen mit unserer ultra-tiefen Deutsch-Pein
der Nazibewältigung, und stellvertretend und uns Mut machend zu- und
zurückschlugen gegen die geballten Imperialismen der Welt.«
Zum Komplex Wachsen ist kurz zu sagen: Der Zustand eines gesellschaftlichen
Erwachsenseins ist »unserer Generation« nie zugestanden worden.
Generallinie: Um unsere Nazigeschichte wirklich verstehen zu können,
seid ihr zu klein (zu übersetzen in: Wir lassen uns nicht von unseren
Kindern richten. Basta) - eine Haltung, die die Jungen mit der bekannten
»Verweigerung« als politischer Grundhaltung konterten (Verweigerung
u. a. auch des Erwachsenwerdens). Der Komplex läßt sich als
anhaltende Dauerentmündigung unter trotziger Zustimmung beschreiben.
Zugestanden wurde ein Verbleib in einer Art avancierter Kluges-Kind-Rolle.
Diese halb verordnete aber auch halb gewollte und gepflegte Kleinbleibrolle
versuchen besonders jene Linke seit Jahren zu überspielen, die Berufspolitiker
geworden sind. Bei ihnen ist eine Art Einfluß-Aufblasballon daraus
geworden. In diesem, fürchte ich, haben sie zum ersten Mal in ihrem
Leben das sichere Gefühl - jetzt durch Kriegführung -, erwachsen
zu sein und als Erwachsene zu handeln.
Antwort 3: Vermutlich und leider spielt es eine Rolle, daß das angegriffene
Land des Nato-Märzkriegs 1999 (das bei CNN und n-tv korrekt Federal
Republic of Yugoslavia heißt), auf deutsch sich schlicht »SERBIEN«
spricht. Ich weiß nicht, warum der/die/das Deutsche, ob links, rechts,
grün, gelb, braun, schwarz, rot, oliv oder tarnfarben seine 20.-Jh.-Notdurft
zielsicher auf dem »Balkan« verrichten muß: Es ist aber
so. Daß ein Teil von Alt-68 keine Ausnahme machen will hiervon, weist
die Leute immerhin als Doch-Irgendwie-Deutsche aus. So wie die Nicht-Anbindung
Rußlands an die Nato kein Kohl-Kabinett besser hätte betreiben
können als Fisherman's Grüne.
Obladi Oblada, war goes on, yeah, lalalalalalala.
Das war für mich immer ein Hauptproblem, daß die Leute, die
für Krieg und Gerechtigkeit sind, die beschissenen Popstücke
unfehlbar immer am besten finden. Cold War goes on: Wenn das alles einen
»ökonomischen Sinn« haben soll, dann den, daß der
Westen, Frankreich, GB, BRD, Italia usw. ein zerstörtes »Serbien«
bräuchten, um an den Großen Wiederaufbau, Titel: »Neues
Wirtschaftswunder Balkan«, ganz in eigener Humanitär-Regie gehen
zu können.
Antwort 4: Mit Karl Kraus' »Mir fällt zu Hitler nichts«
konnten die Linken noch nie was anfangen. Sie sehen Hitler an jeder Ecke,
und Einfälle haben sie auch. Sie fallen auch militärisch ein,
wenn ihnen Flugzeuge zur Verfügung stehn und ein »Balkan«,
auf dem die sog. Menschenrechte anders buchstabiert werden. Diesmal ist
es Milosevic, der in den Denk-Einfällen des Links-wie-Rechts-Westens
den Hitler-Saddam-Part abgeben muß, so wie die Albaner aus dem Kosovo
den Körperstoff für die zugehörige Rolle der Opfer eines
Genozids. Für diese militärisch Partei zu ergreifen, ist automatisch
ein Akt nachträglichen Hitler-Tötens. Einen Hitler töten
- ein alter linker Wunschtraum sowie pazifistisches Trauma: Diesmal sind
wir die Alliierten, die das Hitler-Monster wegbomben, die Inkarnation neuer
Humanität.
Antwort 5: Im Mittelpunkt aller Strategien steht die Beseitigung von Diktatoren
und steht außerdem der Mensch (im Frieden im Mittelpunkt ausbleibender
Lohnerhöhungen, im Krieg im Mittelpunkt von Bombenfeuer und Humanitär-Strategien).
Unter den verschärften Bedingungen einer Neuen Mitte ergibt sich zwingend
der Primat des Strategischen über alle anderen Wirklichkeitssorten;
d. i. im Mitte-Links-Klartext die Verwechslung des Lebens mit einem Gesellschaftsspiel
oder Videogame. Nicht die geschmähte nachwachsende Schülergeneration
macht sich dieser Verwechslung schuldig, sondern ihre Eltern: die natürlich-genuinen
Kritiker der elektronischen Kinderverderbnis. Die Grünen sind nicht
die Typen, »vor denen unsere Eltern uns immer warnten«, sie
sind selber das Unglück, vor dem sie unentwegt warnen: dehumanisierte
Regierungs-Technokraten mit Humanitär-Sticker am Polit-Revers. Das
Feld »humanitärer Katastrophen« ist eins der wenigen,
auf dem alt-linkes »strategisches Welt-Spiel-Denken« noch erfolgreiche
Anwendung verspricht. Anders: Die Zauberlehrlinge absolvieren ein Praktikum
beim Meister Kapital.
Antwort 6: Die Rückkehr der vertriebenen Kosovo-Albaner in ihre Wohngebiete
setzt die vollständige Niederlage von Milosevic' Jugoslawien voraus.
Wie diese in entsprechend kurzer Zeit zu bewerkstelligen sei, weiß
niemand, d. h.: wissen erfahrungsgemäß nur geübte Alternativ-Strategen.
Als ihr größter zeigt sich J. Außen-Fischer abends im
Fernsehn. Er stellt fest, mit Autoritätsblick über Hängebrille,
daß das, was Milosevic heute wieder gemacht habe, »nicht hinnehmbar
sei«. Unwiederbringliche Gelegenheiten, sich als Erich-Böhme-Darsteller
zu beweisen (der bekam Preise.) Inhaltlich wird dabei die Verkehrung antiautoritärer
Politik in das Abspulen professioneller Autoritätsgestik besiegelt.
Der Krieg verleiht das fehlende Autoritätssiegel, das Schröderfischers
Gebaren - bar aller diplomatischen Fähigkeiten - so bitter nötig
hat. Die Karikatur jeder üblen Geste des Erwachsenseins als Zugehörigkeitsausweis
zur Welt des Seriösen ist dabei notwendig und gewollt. Diese Feststellung
gilt auch für den Fall, daß Fischer den Krieg morgen »gewonnen«
haben sollte.
Antwort 7: Immer allein und un-alliiert, das war Scheiße. Und immer
verlieren auch. Das hält der humanste Linke nicht aus. Deshalb Koalitionen,
deshalb Umarmungen, Mehrheitsbildungen, Siegerpodeste: Kann ich die Unteren
nicht bewegen, muß ich es von oben versuchen. Können wir die
Nato nicht abschaffen, müssen wir sie wenigstens selber kommandieren:
also Bomben ins Herz der Finsternis. Der Tag wird kommen, da wird Spielberg
es verfilmt haben. Dem Mann entgeht keine gerechte Tat der Geschichte.
Antwort 8 (heimlich, beiseite): »Und wenn es schon keine gerechten
Gesellschaften gibt, brauchen wir wenigstens ne ordentliche Polizei.«
Antwort 9: In diesem Fake von Erwachsen-Sein, Mode-Anzügen und ausgesuchtem
Sortiment aufgesetzter Profi-Gesten führen die Protagonisten dieser
Entwicklung genau den Quark, den sie bei anderen Erwachsenen gesehen haben,
als eine Art Identitätsstiftung für durchhängende Alt-Linke
vor: Verantwortung tragen, Konsequenzen demonstrieren, durchgreifen, Standhaftigkeit
zeigen, sich nicht verarschen lassen, usw.: Größe, mit einem
Wort.
Antwort 10: Zum Erwachsensein gehört das Recht auf »Unmoral«.
Von politischer Ehrenhaftigkeit allein kann sich auf Dauer kein erwachsenes
Denken ernähren. Eine gut berechnete Dosis Schwein-Sein-Dürfens
ist unverbrüchliches westliches Menschenrecht. Immer honest sein ist
furchtbar.
Die Rocker durften böse werden und hatten ihren Punk und ihr Techtelmechtel
mit den Nazisymbolen, die Feministinnen durften gleichberechtigt normal,
d. h. normal fies sein, sie nahmen sich dies Recht; die Jugendlichen kriegten
Horrorglatzen, Baseball- und Stiefel-Techno-Freiheit eingeräumt, jeder
Arsch, der mit Sorge um die Erde das Gift der Welt entschlossen bekämpfte,
bekam seinen ökologischen Priesterorden mit angeschlossenen Trennschärfe-Horden
- waren jetzt nicht endlich wir dran? Wir haben am längsten durchgehalten
mit Peace & Love im Fußballpark; wer nimmt uns noch ernst, wenn
wir nicht nachziehn. Bestes Mittel dazu ist, wie überall, die geteilte
Transgression ins erlaubte Kriminelle. Was könnte unverdächtiger
sein dafür als der gerechte Krieg.
Grün grün grün sind alle meine Kleider
Grün grün grün ist alles was ich hab
Darum lieb ich alles was so grün ist
Weil mein Schatz ein Jäger ist.
Ja, in einer F 117 Stealth - schöner Name für diese grüne
(Un)-Heimlichkeit.
Antwort 11: Wo es keine »Alternativen« mehr gibt im Politischen,
muß reingehauen werden. Zu übersetzen als: Wo es keine Alternativen
mehr gibt im erlahmten Leben - wenn man nicht mehr weiß, wie man
das eigene Leben organisieren soll und welche Lüste noch Lust haben,
auf einen zu warten -, ist auch der Tod (der der andern vor allem) ein
gern gesehener Gast am Gabentisch des unerfüllten Lebens. Erwachsenwerden
will nur der, der selbst nicht mehr wächst. Jeder dieser Bon-Vivanten
führt seine dritte bis sechste Frau im Geschirr; wir sollen das nehmen
als genuinen Ausdruck elementarster Steigerungsprozesse im Elan vital dieser
Herrn, denen das vorhandene feminine Material einfach nicht standhält
oder genügt, jedenfalls nicht in einem einzelnen seiner Exemplare.
Sehen Sie sich das jetzige Exemplar an der Seite der jeweiligen Herrn an,
und entscheiden Sie selbst über seine historische Notwendigkeit: Die
einzige Alternative lautet da wohl Krieg.
Insgesamt eine Spät-Variante zu Stanley Kubricks Dr. Strangelove,
die Kubrick nicht mehr sehen wollte. Er starb pünktlich zum Einsatz
des Nato-Balkan-Kriegs, entnervt. Kubricks Film endet mit dem Abwurf einer
Atombombe, auf der ein Nato-Krieger herunterreitet zur Konfliktbereinigung
ins Irdische; man hört dazu den Song einer Countrysängerin (Vera
Lynn) mit dem globalen Versprechen We'll meet again.
Antwort 12: Machs noch mal, Sam, aber diesmal mit uns als Bogey oder Bombenreiter.
Schröder & Fischer mit Paul Breitners Havanna im Verantwortungs-Maul
schließen gewisse 68er-Regelkreise: Der Primat des Politischen vor
dem Militärischen ist zu beweisen; 1999 leider mit dem Mittel des
Krieges.
Antwort 13: Wo wirklich verantwortet wird, fallen Späne. Hauptsache:
humanitär. Hauptsache: durchgerungen. Hauptsache: ganze Nacht nicht
geschlafen. Hauptsache: gordischer Knoten. Hauptsache: aufs Haupt des Diktators.
Doppel-Hauptsache: Die Null muß stehn, d. h. die Verantwortung verdient
kein Gegentor. »Wir stehen randvoll in der Verantwortung, ohne Wenn
und Abel«, sagt Frau Beer, mit der man nicht anders kann als das
vollste Mitleid haben, weil sie die ganze Nacht (zum wiederholten Mal)
nicht geschlafen hat. Vor lauter Verantwortungs-Wörtern kriegt sie
den Mund nicht zu; das hat zur Folge, daß einige Leute im sog. Serbien
den Mund nie mehr aufkriegen. Aber wir verantworten das. Zwar weiß
jeder, daß niemand von ihnen sich wird verantworten müssen,
für das, was sie da tun (vor welchem Gericht denn?), aber das ist
ja das Schöne: Wer die volle Verantwortung trägt, darf sich schon
einiges rausnehmen im Leben (s. Clinton, dem wir hier auch gern die abhanden
gekommene Frau Lewinsky ersetzen).
Antwort 14: »Wir hassen den Krieg, deshalb Bomben.« Fragen
Sie dazu Cohn-Bendit; der erklärt Ihnen jeden Widerspruch. Wie man
das macht, ist ein Alt-68er- Berufsgeheimnis. Was Recht ist, muß
Recht bleiben, die Gerechtigkeit ist unteilbar, obwohl auch die Antagonismen
zu berücksichtigen sind, aber: »Ich habe das Gebiet bereist,
persönlich, und das Elend gesehen. Dort wird gelitten! Haben Sie schon
mal Menschen weinen sehen? Da wird Ihnen ganz anders! Und halten Sie dies
aus? Doch wohl nicht!« Die Bomben ergeben sich so aus der Macht des
Mitleidens. Man hat so wenig Gelegenheit sonst, sein Mitleiden (vor allem
das mit sich selbst: Wie kann es uns so gut gehen, wo es anderen so schlecht
geht!) wirklich wirksam zu gestalten. Got it? Der Pimpf, der aus meinem
und deinem Kragen rausschaut, muß auch zu seinem Recht kommen - bevor
es hundert schlägt im Endlos-Jugend-Leben. Und Recht bekommt der Pimpf
nirgendwo (zu Hause), nur auf dem Balkan, in Polen, in der Ukraine. Im
Fernsehn heißt der Pimpf Fischer und spricht: Nie wieder Krieg! Wir
haben aber auch gesagt: Nie wieder Auschwitz. Wir sind die Generation,
die die Eltern gefragt hat, wieso habt ihr das zugelassen - Worte, zu denen
er mit erhobenem Schreibstift sechs, sieben Mal die umgebende Luft durchstochert.
Got it? Wenn wir Bomben werfen, ist es Auschwitz-Verhinderung.
Antwort 15: Ein Krieg ist immer auch ein Betätigungsfeld für
allerlei analytischen Scharfsinn. Als neo-linker Nato-Sympathisant durchschaut
man z. B. exakt, wie von hiesigen Medien die serbische Frau gezielt als
Hexe ideologisch in den Milosevic'schen Schuld-Zusammenhang involviert
wird. In Bildern des jugoslawischen Staatsfernsehns sieht man die serbische
Staatshexe z. B. herumtanzen auf runtergefallenen Flugzeugflügeln;
sie hat den Nato-Piloten gegessen vorher. Sowas glaubt der nicht mehr rotierende
grüne Vollzeitabgeordnete aber nicht; seinem zwar nicht mehr pazifistischen,
aber immer noch super-frauenfreundlichen Scharfblick entgeht nicht, daß
er hier reingelegt werden soll. Er schützt entschlossen die serbische
Frau vor ihrem drohenden Mißbrauch durch den Propaganda-Macho Milosevic.
Nato-Bomben auf serbische Paläste zum Schutz der serbischen Frauen
sind ein linkes Minimal-Erfordernis zur Durchsetzung der Parole Make love
not war auch in der momentan entmenschten Balkan-Region.
Antwort 16: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehn. Die Geltungsdauer
dieses Satzes entscheidend begrenzt zu haben, sichert dem neo-humanitären
Alt-68er mit Sicherheit den Platz in den Geschichtsbüchern, den ihm
sonst vielleicht ein putschender Bundeswehrgeneral streitig gemacht hätte.
Ich hab gesehn, wie sich bei Ludger Volmer, dem Ex-Ober-Pazifisten-Generallissimo
der Basilikums-Fraktion die Brillengläser biegen bei seinen Kriegsbegründungen.
Antwort 17 dahinter könnte lauten: Nur Bomben auf Serbien halten uns
länger als ein Jahr in diesem Schröder-Schrott-Kabinett. Carpe
diem! Es gibt nicht mehr viele (Tage) in der Staatssekretär- und Ministerposition.
Antwort 18: In all ihren langen Kämpferjahren ist es allen Altlinken
ganz selbstverständlich geworden, ihr eigenes Tun und Blasen automatisch
als die Durchsetzung einer ›höheren Gerechtigkeit‹ aufzufassen. Ihre
unfehlbar treffenden Polit-Analysen, ihre unschuldsvolle mörderische
Selbstgerechtigkeit, immer dem Wahren, Guten und Schönen auf der Pelle
und nie ganz faktenlos, garantieren den Output des eigenen Denkens auf
der Seite der fundierten Humanitaria. Dem Schönen dabei vielleicht
weniger verpflichtet, da tut es auch die »Lindenstraße«;
die ästhetische Liga, in der Schröder spielt, heißt Dieter
Bohlen, merkt W. Droste an. Auf einer Tanzfläche sah ich neulich,
daß die ästhetische Liga von Links-Alternativen so um die fünfzig
zu einem guten Teil Boney M. heißt, »Bridges of Babylon«,
- was soll man da erwarten. Man lernt, dies Wort als Baby-lon zu schreiben,
und registriert, wie die Baby-Loners endlich und erfolgreich dabei sind,
neben dem ästhetischen Unheil, das sie schon immer über die Welt
ausstreuten, einem nun auch noch das Rest-Hirn wegzubomben. Die Ultima
ratio des selbstgewissen Entsorgungsdenkens heißt u. U. auch Krieg.
Solange es sie gibt, haben dominante Teile der Grünen kritische Grundeinsichten
oppositioneller Kräfte der BRD bekämpft, z. B. die, daß
sich durch Wahlen allein nicht viel Wesentliches ändern lassen werde
an Zustand und Lage des Lands. Mit den Grünen an der Schwelle zum
Regierungseintritt sind solche Einsichten immer stärker marginalisiert
worden; die Grüne Partei hat das - nach dem Kippen der Magdeburger
Beschlüsse durch Fischer und die Fraktion - mit ihrer kompletten Entmachtung
bezahlt. Das letzte vernünftige Wort aus den Reihen der Grünen
war die 5-Mark-Forderung für den Liter Benzin. Ihre Zurücknahme
war der Beginn des Nato-Angriffs auf Jugoslawien. Lachen Sie nur.
Es gab aber immer mehrere Sorten Grüne (und 68er-Alt-Linke). Bei den
einen war 1998 deutlich sichtbar, daß sie schon mit der Option auf
die Bombardierung Jugoslawiens in die Wahl gegangen sind. Von Fischer und
Cohn-Bendit kann kein Wähler sagen, er sei getäuscht worden (wie
es Walter Boehlich voll Wut im Hessischen Rundfunk vortrug): Die waren
schon vor der Wahl für den Krieg. Weshalb ich sie auch nicht mehr
gewählt habe.
Ob man, um das Leben in einem Land zu verändern, in der Regierung
sitzen muß, ist ein alter Streitpunkt. Eine Linie der Grünen
hat immer die institutionellen Machtpositionen im Visier gehabt.
Andere Richtungen haben eher befürchtet, daß unter Regierungssachzwängen
alle Bewegungsfreiheit schnell dahin ist. Beim Atomausstieg konnte man
sehen, wie die Grünen jeden Tag einen Kosten-Zwang mehr zur Kenntnis
nehmen mußten, bis von den Ausstiegsplänen fast nichts übrig
blieb; wie es jetzt aussieht, ist die Sache in jeder Hinsicht völlig
unentschieden. Die Grünenspitze ist blind, aber gläubig in die
Fallen der Machtausübung gelaufen. Glaubend, in Griffweite der Hebel
hätte man auch die Freiheit, sie zu bedienen. Sie kriegen aber bloß
ein Trugbild davon zu sehen, den Joystick für Zauberlehrlingspraktikanten.
Während die wesentlichen Veränderungen im Zivilverhalten dieser
Gesellschaft nicht von Regierungen ausgegangen sind, sondern von allen
möglichen Kleinformen des Politischen. Die Kriegsbetreiber jetzt unterliegen
eher politischen Allmachtsphantasien als strategischen Kalkülen; dieser
alten linken Meise, die aus Fernanalysen die richtige Politik für
alle Weltteile ableiten zu können glaubt, ein purer Wahnsinn, den
sie aber, die Fingerspitzen am Trugbild des Machthebels, für Rationalität
halten. So hat mich die Zeitungsmeldung von der Absicht Joschka Fischers,
den alten Einschätzungsstrategen Joscha Schmierer in seinen außenpolitischen
Beraterstab zu beordern, nicht überrascht. Schmierer, dem es in den
letzten Jahren mit glücklicher Hand gelungen ist, in Fragen der Europapolitik
die Positionen Helmut Kohls mit den Erleuchtungen Mao Tse Tungs einleuchtend
zu kombinieren; solche Talente vom Strategenflügel des Linksregenbogens
können nicht ohne Arbeit bleiben in Zeiten linker Machthebelnähe.
Wenn es in den hyperrationalen Spielszenarien dieser Gilde stocknüchterner
Süchtiger nicht weitergeht, wird logisch die Wahl der Mittel verschärft,
wird eine Stufe höher geschaltet, das walte sowohl Lenin wie die Kommandozentrale
des Raumschiffs Enterprise. Manchmal kommt da ganz zwingend Krieg raus
aus den Schaltungen. Ihre Betreiber erstrahlen dann im Charme jenes ausgewachsenen
Infantilismus, mit dem man 100 wird, wenn man Jüngers Spiele betreibt.
Joshua fit the battle of Kosovo / And the walls came tumbling down.
Das Argument mit Hitler und den Alliierten stößt Alt-68er Peter
Schneider gerade wieder aus, Talkshow Buchmesse Leipzig. Er sitzt dort
und fährt Nenad Popovic über den Mund. Popovic hat in Leipzig
einen Preis bekommen für kluge Verlagspolitik eines nicht-rechten
Kleinverlegers in Tudjmans Zagreb, kein leichter Job. Ich kenne Nenad Popovic.
Er war der Verleger der Männerphantasien in serbokroatischer Übersetzung,
Anfang der 80er. Ein taktierender Redner von grimmigem Witz, der irgendwie
schon sagt, was er denkt, aber es ist nicht immer ganz leicht, das genau
mitzubekommen. Hier sagt er, nach einigem Hin und Her, jetzt, nach den
Bomben, seien 90 Prozent der Serben für Milosevic.
Peter Schneider fährt hoch aus seinem Sitzgerät: »Da bin
ich aber anderer Meinung!« Sein berüchtigter Denkschwengel schwillt
gefährlich an auf der Ballonstirn. »Wenn die Alliierten früher
vorgegangen wären gegen die Nazis, wäre alles ganz anders gekommen
mit der Hitlerei.« Ah - »die Hitlerei« heißt das
heute bei talkshowenden deutschen Intellektualoffizieren. Es hat tatsächlich
Schneid, wie er dem Popovic die knappe Redezeit wegnimmt, er selber war
schon vorher dran. Aber die Alliierten-Maulbombe muß noch abgeworfen
werden auf den vorsichtigen Popovic (und auf uns), Nato-Schneider, schneidig.
Ich kenne auch den, netter Mensch, wenn er nicht schreibt oder spricht,
spielt Gitarre, wenn man ihn läßt, oder allein zu Haus. Mit
Kollegen Biermann und Cohn-Bendit teilt er das Alliierten-Trauma. Sie können
es irgendwie nicht verknusen, daß die Alliierten sie vor Hitler gerettet
haben in der Kindheit, und sie sich nie richtig dafür persönlich
haben bedanken können. Das ist sehr wichtig für sie. Diese Geschichte
der unabgestatteten Dankesschuld zerfrißt ihnen die ganze Psyche.
Natürlich ist auch jemand wie ich von den Alliierten gerettet worden,
aber nicht so persönlich, sondern eher unabsichtlich, nebenbei, deshalb
trage ich nicht ganz so schwer an dieser Bürde. Ich muß z. B.
keine Bomben werfen auf Feinde Amerikas und der Menschheit, um mich endlich
frei zu fühlen von dieser Abstattungslast.
Dabei ist das gar kein so gutes Beispiel für sicheres angewandtes
Menschenrechtlertum. Hätten die Amerikaner z. B. etwas früher
eingegriffen in den Weltkrieg, Hitler hätte den Angriff auf die SU
womöglich vorverlegt. Zwei Monate früher und die deutsche Wehrmacht
wäre nicht in den russischen Winter geraten, Hitler hätte seinen
Ostkrieg gewonnen und die USA hätten Frieden geschlossen mit dem großen
Besieger des Bolschewismus. Dann hätten die deutschen Umsiedlungspläne
gegriffen. Hunderte solcher Szenarien sind ausdenkbar, reines Hazard, heiße
Luft aus halbgewitzten akademischen Hirnen.
Politik ist mit sowas nicht zu machen. Es gibt keine vernünftig politisch
umsetzbaren Hitler-Milosevic-Vergleiche. Ob jemand Saddam Hussein oder
Milosevic für mehr oder weniger Hitler hält, ist strukturell
keine andere Betrachtung als die, ob ein Bundestrainer Rehhagel ein ebensolcher
Esel wäre wie Berti oder Sir Erich oder auch nicht; kein halbwegs
vernünftiger Mensch stellt nach so etwas Mannschaften oder Heere auf.
Befund auch hier: Ein hochinfantilisierter Erwachsenendarsteller bietet
sich an als Offizierskandidatfürs strategische Deutsch-Südost-Korps,
ein humanitärer 68er-Veteran, der sich, endlich ausgewachsen, als
entschlossener Slawenbändiger profiliert.
Das Osterradio spielt The Logical Song von Supertramp und Good Vibrations
von den Beach Boys, dazwischen Kriegsmeldungen: 25 amerikanische Apache-Hubschrauber
sollen aus dem Hessischen her die Ost-Comanchen im Kosovo zivilisatorisches
Verhalten lehren. Der Logical Song hat im Text genau die Wortfolge, um
die es im Verhalten der alten Pazifisten geht: radical - liberal - cynical.
Then they taught me how to be acceptable, respectable ...
... die Lehre, die der Rocksong unausgesprochen enthält: Akzeptiert
und respektiert in dieser Gesellschaft ist, wer letztlich den Krieg annimmt
und sich vor den Kriegsherrn beugt, bzw. ihr Agent wird: akzeptiert, respektiert.
Das Stück beginnt When I was young und handelt von den Qualen des
Erwachsenwerdens: dem Einstieg des Kinds in die Begriffswelt. Wörter
wie »sensible« und »natural« werden überdeckt
von langen Wörterketten der Reihe logical, practical, philosophical,
cynical, radical, criminal, fanatical, das Altsaxophon spielt die Rolle
der Stimme des Kindes, es geht am Ende in Schreie und Stöhnen über,
bedrängt von der Gewalt der Begriffssysteme.
Kann es einem entgehen, daß Peter Handkes »Mars attacks«
kein Begriff, sondern ein Entsetzensruf ist, der bewußt aus einer
Kindheits-, Phantasie- und Kunstwelt kommt, Orson Welles Krieg der Welten-Hörspiel
von 1938 zitierend, vor dessen inszeniertem Marsangriff Teile der Bevölkerung
New Yorks zu flüchten begannen: Der Planet Erde reagierte (bald darauf
mit WW II), »Berlin wird der Planet sein«, Paris, London, New
York, Rom werden der Planet sein, schreibt Handke, natürlich ist es
das Militär, das uns im Nacken sitzt wie der Mars der Kindheitsschrecken
und Science-Fiction-Visionen. Handke ist »still young«, seine
Nachrichten kommen, wenigstens teilweise, aus dem Kinderzimmer des Logical
Song, während die Neo-Erwachsenen um Bomben-Fischer und Strategy-Dany
und Nato-Schneider und Bloody Schmierer, uns die Begriffswelt »des
Mars« unter den Erhabenheitswörtern Humanität und Verantwortung
in den Körper zu brennen suchen, assistiert von einem Scharping-Samurai,
der aussieht und spricht wie unter einer Total-Dosis Valium: Sedativ-Rudi,
umquirlt von Ecstasy-Schröder, dem chief in residence der Designer-Drogisten.
Der ganze Club ist voll bedröhnt in seinem geballten Infantil-Wahn
der Kontrolle des Weltgeschehens, nur Frau Beer kann noch nicht schlafen,
der Engel, sie sieht sich all night long auf Tarnkappenflügeln über
Höllenschlünde reiten: »Ist es denn alles richtig, was
wir da machen? Im Schlepptau dieser anti-diplomatischen Lall-Bande bemühter
männlicher Großen-Darsteller?« Nicht daß die Bande
um Kohl was anderes gewesen wäre: Aber sie wußte um ihr Theater,
wie die Äußerungen von Volker Rühe bestens belegen.
Ich stelle oft in den letzten Jahren mit Erstaunen fest, wie viele der
politisch nicht ganz unbeleckten Leute, die man kennt (und die man liest),
die klarsten Evidenzen nicht wahrnehmen können (oder wollen) und sich
in die merkwürdigsten Konstellationen verhaken. Peter Handkes Anfang
der 90er Jahre in Das Neunte Land eher melancholisch vorgetragenes Plädoyer
für den Verbleib Sloweniens in der jugoslawischen Konföderation
fand ich dagegen nicht nur nachvollziehbar, sondern politisch richtig.
Nur der Erhalt des Bundesstaates Jugoslawien erschien mir als eine Barriere
gegen sonst drohende Balkan-Kriege. Fast niemand um mich herum, fast niemand
in den Zeitungen war der gleichen Ansicht. Ich weiß bis heute nicht,
warum. Und frage mich natürlich, ob nicht ich es bin, der spinnt.
Mir liegt sehr wenig am Rechthaben in diesen Dingen, und ich befasse mich
mit ihnen prinzipiell unfreiwillig, unterm Druck der Ereignisse. Viel lieber
hätte ich mich geirrt, Jugoslawien wäre auseinandergefallen in
10 bis 15 Einzelstaaten, sie wären an einen friedlichen Neuaufbau
ihrer Beziehungen gegangen, unter weitgehendem Abbau ihrer Militärapparate;
das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« hätte glücklich
gegriffen und damit WW II endlich beendet auch in dieser europäischen
Geographie, und man hätte sich nie mehr befassen müssen mit dem
»Balkan als Pulverfaß«, außer mit der Umgebung
des heutigen Belgrad als Ort der alten Vinca-Kultur (Schriftentstehung!
Große Göttin!).
Wo stand denn eigentlich geschrieben, daß jede sog. »Ethnie«
oder auch sog. »Religionsgemeinschaft« ihren eigenen politischen
Staat haben muß? Haben die Bayern doch auch nicht. War das nicht
ein Gedanke, den das vernünftigere Europa grade zu den Akten zu legen
im Begriff war nach dem Ende von WW II? Und jetzt sollte diese Ethno-Zerschnipselung
Jugoslawiens der Weisheit letzter Schuß sein? Wollte mir nicht in
den Kopf, wollte nie und will noch nicht.
Handke lag ganz richtig 1991 - heute kommt dieselbe Argumentation aus der
SPD-Spitze: Hermann Scheer, Mitglied des Bundesvorstands der SPD seit 1993,
erscheint in der »Taz« vom 30.3.99 mit der Feststellung, daß
die westliche Politik der Zerstückelung Jugoslawiens total gescheitert
sei. Er stellt fest, »daß nie ernsthaft versucht wurde, die
Aufsplitterung des von Tito geschaffenen jugoslawischen Bundes zu verhindern.
Die Bedenkenlosigkeit, mit der dessen Zerschlagung unterstützt wurde,
ist nur erklärbar mit der außenpolitischen Wendeatmosphäre
der frühen 90er. Alles hätte versucht werden müssen, Jugoslawien
zusammenzuhalten ... in einer Konföderation, die den auseinanderstrebenden
Bundesstaaten mehr Kompetenz gegeben hätte ... Niemals hätte
man dem sich radikalisierenden ethnischen Geist in Jugoslawien international
anerkannte eigene Staatsräume geben dürfen - doch davon wollten
unsere historisch unkundigen Anerkennungspolitiker nichts wissen. Man dürfe,
so hieß es, den jugoslawischen Teilstaaten nicht das Selbstbestimmungsrecht
verweigern ... Dabei wurde übersehen, daß es einen fundamentalen
Gegensatz gibt zwischen einer nur ethnisch begründeten Selbstbestimmung
und jenem Selbstbestimmungsprinzip, das Demokratie für die in einem
Staatsgebiet lebenden Menschen vor ethnische Autonomie stellt ... Kroatien
wurde sogar auf der Basis einer Verfassung anerkannt, die den serbischen
Minderheiten das volle Bürgerrecht verweigerte.«
Sieh an, und warum erst jetzt diese Einsicht, wo die Bomben fliegen, SPD-gelenkt,
wo das Kind wirklich im sprichwörtlichen Brunnen liegt und ersäuft?
Handke war nicht verrückt Anfang der 90er; wenn er es jetzt sein sollte,
ist er verrückt gemacht worden durch eine westliche Idiotenpolitik
und zugehörige Presse. Auch liegt seine momentane »Verrücktheit«
für mich nicht darin, daß er für Serbien spricht - warum
soll unter 10.000 deutschen Schreibern nicht einer für die Serben
reden dürfen; wie totalitär muß es denn sein im Meinungskrieg
der Pen-Soldaten? -, sie liegt für mich darin, daß er sich für
einen regierenden Staatschef ausspricht, für den Kopf einer Militärmaschine.
Die militärischen Hantierer sind aber sämtlich Gangster, ob Milosevic
ein größerer als Schröder, Clinton, Blair & Fischer,
wäre eine andere Diskussion. Die Zahl der von der jugoslawischen Armee
und von Milizen im Kosovo ermordeten Albaner ist hier noch nicht bekannt.
Die hohe Zahl der Vertriebenen legt aber andere Wörter nahe als Genozid.
Die Vertreibung einiger hunderttausend nominell jugoslawischer Staatsbürger
- Menschen aus dem Staatsteil Kosovo, die erklärterweise keine Jugoslawen
mehr sein und sich abtrennen wollen - kann man nicht so nennen. Auch wenn
Fischer acht Mal stochert und dabei »Auschwitz« aus dem Ärmel
pokert. Liegt nicht vielmehr der ziemlich geniale Coup der jugolawischen
Regierung vor, der Nato als Ergebnis ihrer Angriffe die genaue Erfüllung
von Milosevic' Wunschpolitik zu präsentieren, die Entleerung des Kosovo
von albanisch-separatistischer Bevölkerung, und dem Westen das zu
bescheren, was er am allerwenigsten mag: Flüchtlingsströme? Ein
Genozid könnte draus werden, wenn die Nato-Länder, die den Willen
dieser Menschen nach anderem Staat tatkräftig mit Bomben gegen Jugoslawien
unterstützen, sich standhaft weigern, diejenigen, die zu vertreiben
sie so erfolgreich mitgeholfen haben, auch aufzunehmen, sie zu verpflegen
und ihnen Unterkunft und Arbeit zu geben. Ich mache das Fernsehn an und
höre Otto Schily: Wenn wir die Flüchtlinge aufnehmen, gestehen
wir ein, daß wir nicht mit ihrer Rückkehr in den Kosovo rechnen,
das nützt nur Milosevic. Humanitäre Hilfe, die eine wäre,
ist nicht angesagt, ist unerwachsen. Also: Grenzen dicht.
Am schlimmsten bei diesem eröffneten Krieg ist es aber, daß
die Grünen den Hemmpunkt beseitigt haben, der Militärmächte
in Europa daran hinderte, sich gegen andere Länder in Bewegung zu
setzen unter Berufung auf »humanitäre Absichten«. Die
Nato ist als militärische Eingriffskraft damit freigesetzt, und die
Bundeswehr aus ihrer bisherigen Verfassungsfessel befreit. Das haben die
Grünen gemacht. Deshalb sind sie auch in die Regierung gelassen worden.
Weil man genau das von ihnen wollte. Man läßt das die alten
Pazifisten machen. Und wenn die ein paar Dinge gelockert haben, dann fliegen
sie wieder raus, dann braucht man sie nicht mehr. Ob sie den Dank für
den kriminellen Akt, die Fessel von Nato und Bundeswehr sehenden Auges
heruntergenommen zu haben, je einheimsen können, ist dabei zweifelhaft.
Nicht wissend, ob sie in einem Jahr überhaupt noch in der Regierung
sind und wer von dem Mittel Bundeswehr und Eingriffskraft Gebrauch machen
wird oder kann oder will. Eine Umfrage unter Parteimitgliedern aller Parteien
Ende März 99 ergibt, daß die Grünen bei der Befürwortung
des Militärschlags mit 73 Prozent die höchste Zustimmung ihrer
Mitglieder haben. Das ist wirklich irrsinnig.
Aber welch Selbstvertrauen in den Kabinen! Lautete nicht dagegen ein Mao-Satz,
daß man den Gegner nicht unterschätzen dürfe? Schon zum
Doppel-Paß-Gesetzentwurf konnte Norbert Seitz anmerken, Schilys Kasten
sei offen gewesen »wie ein Scheunentor«. Man hatte, allmachts-phantastisch,
die CDU für tot erklärt, aber Rollstuhl-Schäuble und Bierhumpen-Stoiber
knallten ihnen die Dinger rein, daß es nur so schepperte, und 6:1
geschlagen schlich die Koalition aus dem Waldstadion. Daß Milosevic
sich rühren könnte und mitspielen, hatte offenbar keiner auf
der Rechnung hier, außer kritischen Kommentatoren, die es ja durchaus
gab und gibt. Wir erleben den seltenen Fall, daß die sog. schreibende
Zunft die regierende nicht automatisch an geballtem Einsatz erhabener Infantilismen
übertrifft. Was angesichts des Dauer-Gekichers der Polit-Backfische
Röstel & Radtke vor den Kameras des Landes, das diese Ereignisse
präludierte, auch nicht ganz leicht gewesen wäre, wenn nicht
unmöglich. Gickelnder Unernst ist das Herz der grünen Idiotie;
bei Männern äußert der sich in Posen des Seriösen.
Dessen non plus ultra hieß aber immer schon Krieg.
Droste, »Taz«, 31.3.99: »Wenn man vor einem Jahr erklärte:
"Wer Schröder wählt, wählt Krieg‹, galt man als Alarmist
oder direkt als Verrückter.« Damit habe ich einige Erfahrungen.
Seit der übers Knie gebrochenen deutschen Einigung und verstärkt
nach der Selbstauflösung der Sowjetunion habe ich nicht aufgehört
zu behaupten, mündlich wie schriftlich, das bedeute in absehbarer
Zeit Krieg »im Osten«. Zu Genschers Husarenritt mit der Anerkennung
Sloweniens fiel mir nichts anderes ein als: »Das bedeutet Krieg auf
dem Balkan, und zwar richtigen Krieg. Warum seht ihr das nicht, ihr Idioten!«
Ich gelte seither nicht mehr viel als »Mann für Politprognosen«,
obwohl die Trefferquote meiner Befürchtungen nicht die schlechteste
ist. Auch darin, was die letzte deutsche Wahl angeht. Da fielen mir immer
die letzten Jahre der Regierung Schmidt ein. Jeden Tag eine »Bild«-Schlagzeile,
»FAZ« usw. mit dem »neuesten geplanten Juso-Unfug«,
mit der »Unfähigkeit der SPD, mit Geld umzugehn«, mit
der »Unfähigkeit der SPD, dem Terrorismus zu begegnen«,
der Unfähigkeit, »die Wirtschaft anzukurbeln«, die Banken
jagten die Zinssätze hoch auf über zehn Prozent, die »Seriosität«
der SPD als Regierungspartei kriegte jeden Tag in die Fresse, bis der ganze
Laden so weich geschossen war, daß Genscher ohne Gesichtsverlust
»die Seiten wechseln konnte« und so »das Land retten«
vor den sicheren Abgründen von Sozi-Unfähigkeiten. Und was hatte
die SPD faktisch dabei getan: eine Innen- und Außenpolitik betrieben,
die immer ein wenig rechts von der Linie lag, die die CDU einklagte. Um
dem Vorwurf, man sei nicht staats-, man sei nicht regierungsfähig,
zu begegnen, wurde die SPD in der Regierung unter Schmidt die rechtere
CDU. Was ihr nicht half. Die Partei mußte die Sessel dennoch räumen.
Das ist das Schicksal sozialdemokratischer Bundesregierungen in der BRD.
Sie machen das Land insgesamt rechter als eine CDU-Bundesregierung das
kann.
Die CDU an der Bundes-Macht hat ein potentielles Korrektiv in einer sozialdemokratischen
wie auch grünen wie auch PDS-Opposition, es gibt gewissen Widerstand
der Gewerkschaften, die nicht aus Parteiloyalität zur SPD stillhalten
müssen, etc. Bei einer SPD-Bundesregierung, zumal bei Rot-Grün,
fallen diese Reste »linker« Opposition weitgehend unter den
Tisch. Das war absehbar vor der Wahl. Aus der ganzen Latte der bestehenden
»Sachzwänge« würde Rot-Grün die meisten Züge
der CDU-Politik weiter betreiben, nun aber mit ständigem oppositionellem
Druck von rechts. Was bedeutet: Die gesamte öffentliche Sphäre
macht notwendig einen massiven Rechtsruck, auch wenn das in der ersten
Euphorie von Wahlsiegs-Nächten ganz anders aussieht. Man sieht in
so einem Moment wieder genau, wem die (meisten) Zeitungen gehören
im Land: Unternehmern bzw. Leuten, die dem Verband dt. Unternehmer nahestehen.
Die Hetze setzt fast augenblicklich ein: Das erste Opfer wurde Lafontaine;
er konterte persönlich mit einem eher großartigen Rücktritt.
(Fischer grinste cool, wies überlegen alle Vorwürfe ungenügenden
Mannschaftsspiels zurück und ging zur Tagesordnung über). Der
nächste an der Reihe ist Trittin; der hat jetzt Schonfrist wegen Nato-Bombern,
kann sich freuen.
Vernünftigerweise muß man sagen, es ist besser für das
zivile Leben der BRD, eine CDU-Regierung zu haben in Bonn, bundesratsmäßig
in Schach gehalten von rot-grünen, rot-roten oder auch rot-gelben
Länderregierungen. So etwa habe ich geredet vor der Wahl; und fühle
die schrägen Blicke noch auf mir liegen, mit der abtastenden Frage,
ob ich denn - obwohl ja einiges für meine Argumente spräche -
nicht doch im Grunde verrückt geworden sei. Meinetwegen. Verrückt
genug, die Konsequenz daraus zu ziehen und die blubbernde Kohl-Visage wirklich
zu wählen, war ich dann wieder nicht. Aber ich habe jedenfalls nicht
Rot-Grün in den Kriegssattel geholfen. - Die ganze »oppositionelle
Politik« in der BRD muß wohl neu überdacht werden.
»Joseph, laß das, dafür bist du noch zu klein«,
sagte die Mama. - »Bin ich gar nicht«, sagte Joseph. »Das
verstehst du noch nicht. Warte, bis du groß bist«, sagte der
Lehrer. »Ich will aber nicht warten«, sagte Joseph. »Außerdem
bin ich groß. Größer als ihr denkt. Groß genug,
Großes zu tun. Aber es läßt mich ja niemand ...«
- »Halt den Mund, Joseph«, sagte der Chef. »So kannst
du reden, wenn du mal erwachsen bist und selbständig.« Und so
ging es weiter. Und da man in diesem Land erwiesenermaßen nichts
machen kann, und zwar überhaupt nichts, ehe man nicht Außenminister
ist, und zwar selber, mit der eigenen Haut und den eigenen Haaren und ganz
und gar, beschloß Joseph, der es leid hatte, immer der Lehrling Joseph
zu sein und den sie daher nur Joschka nannten... na, den Rest kennen Sie.
»Fischer hält die EU zusammen«, schreibt heute das Käsblatt.
Und Fischer sagt im Fernsehn: »Wir dürfen uns nicht wegdrehen.«
Nein, dürfen wir nicht. Fischer: »Die Verantwortung liegt allein
bei Milosevic.«
P.S.: Die Formel von der »humanitären Katastrophe«, die
im Kosovo zu verhindern sei, macht semantisch keinen Sinn. Humanitäre
Katastrophen gibt es nicht, humanitär kann eine Hilfe sein, nicht
eine Katastrophe. Die ist immer anti-human bzw. nicht-humanitär. Eine
»Katastrophe des Humanitären zu vermeiden«, wäre
die Formel gewesen; aber da die handelnden Herrn genau das nicht vorhaben,
ist ihnen auch die Sprache nicht gefügig und spricht (wahr) gegen
sie.
Der Begründungsgestus dieser Haltung - »humanitäre Notwendigkeit«
- ist dabei aus der Nato-Zentrale selber sogleich dementiert worden: »Der
Erfolg der Luftangriffe ist vor allem in humanitärer Hinsicht umstritten.
... Nato-Generalsekretär Javier Solana betont unablässig, die
serbischen Vertreibungen der Kosovo-Albaner hätten schon vor langem
begonnen. Ein Nato-Diplomat räumte gestern gegenüber FAP ein,
es sei ein "großes Kommunikationsproblem", daß die Nato als
Ziel ihrer Angriffe die Verhinderung einer ›humanitären Katastrophe‹
genannt habe. Die deprimierende Entwicklung im Kosovo offenbare die ›Lächerlichkeit‹
dieser Darstellung. Eine menschliche Tragödie konnte nicht nur nicht
verhindert werden, im Gegenteil: Seit die Beobachter der OSZE und die westlichen
Diplomaten aus dem Kosovo abgezogen wurden, können die jugoslawischen
Sicherheitskräfte praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit
brandschatzen, vertreiben und morden« (»Taz«, 31.3.99).
Bei Bomben-Fischer kommt mir langsam auch die Idee, man sollte doch mal
kucken, ob da nicht eine Dose Bastian-Kompatibles in einer vorvergangenen
Gegenwart liegt - angeklopft hat der Verfassungsschutz bei jeder/jedem,
soviel weiß ich. Und politisch traue ich keinem über zehn.
»Keine Alternative zum Bombardement«: Die zivilen Folgen dieser
Erklärung sind unabsehbar. Wenn die politisch, wirtschaftlich und
militärisch stärkste Koalition der Welt, die USA und die Nato-Staaten,
angesichts des im Weltmaßstab relativ geringfügigen Kosovo-Problems
erklären, es gäbe keine Alternative zum gröbsten aller Mittel:
dem kriegerischen Überfall auf ein anderes Land unter Bruch geltender
Gesetze, dann ist jeder Schlag in die Fresse bei einem Kneipenstreit, in
der Ehe, zwischen Fan-Gruppen, zwischen politischen Meinungsgegnern, unter
Schülern und wo immer man will das erlaubte Mittel, zu dem es »keine
Alternative« gibt, wenn der Verhandlungswille, wenn der Redewille
bei einer der beteiligten Parteien versiegt. Wo jemand vom Tisch aufsteht
und die Rede einstellt, kann künftig von dem, der sich »verletzt
fühlt« oder der weitere Verletzungen fürchtet, nach Nato-Logik
zugeschlagen werden. Wenn Rambouillet-Rambo Fischer uns weismachen will,
daß damit das Repertoire aller diplomatischen Mittel erschöpft
war, dann Gnade uns Gott vor den weiteren Zügen dieses Ober-Diplomaten.
Die Zeitungen vermelden, die führenden Militärs der beteiligten
Nato-Länder hätten die Politiker vor der eingeschlagenen Strategie
gewarnt: Luftkrieg reiche nicht, wenn man hier gewinnen wolle. Wehe uns,
wenn am »Gewinnen« festgehalten wird.
Klaus Theweleit
antwortete in KONKRET 10/97 auf die Frage »Was ist heute noch links?«
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