Heft 4/99 |
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Andreas Spannbauer |
Es ist kein Jahr her, da wollten sie noch die Bundeswehr auflösen - heute sind die Grünen für jeden Krieg zu haben »War is peace, freedom is slavery, ignorance is strength.«
»Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.«
Grüne Außenpolitik will Völkermorde künftig mit deutschen Kampftruppen auch völkerrechtswidrig verhindern. Die Vermutung, die grüne Zustimmung zum Kampfeinsatz im Kosovo habe ihre Ursache in der Teilhabe an der Macht, ist indes ein Trugschluß: Das militaristische Hurrageschrei war die Conditio sine qua non des rot-grünen Wahlsiegs. Von allen Versprechen, die Joseph Fischer je gegeben hat, dürfte er nur selten eines so ernst gemeint haben wie dasjenige, das als Leitmotiv über seinem Amtsantritt schwebt: »Kontinuität in der Außenpolitik« hat der ehemals militante Linke angekündigt, und auf den ersten Blick scheint es, als würde sich Fischer von Kinkel nur durch die Frisur unterscheiden. Tatsächlich aber ist das Gerede von einer Kontinuität der deutschen Außenpolitik ein Euphemismus: Der erste Außenminister, der den sozialen Protestbewegungen entstammt, hat in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit all diejenigen Maßnahmen zuverlässig durchgesetzt, die sein Vorgänger stets als heiße Eisen behandelte. Nato-Bomben auf den Irak ohne Mandat der Vereinten Nationen? Beteiligung der Bundeswehr an sogenannten »friedenserzwingenden Maßnahmen«, die einen klaren Bruch des Völkerrechts darstellen? Wo Kinkel noch betroffen die Brille gerunzelt hätte, da tut Fischer, was getan werden muß. Kontinuität der deutschen Außenpolitik bedeutet den steten Bruch mit früheren Grundsätzen der Partei. Noch vor neun Jahren glaubten die Grünen - mit Blick auf das Ende der »Blockkonfrontation« - ein »günstiges Friedensklima« zu erkennen, auch wenn, so konnte man im Programm zur Bundestagswahl 1990 erfahren, die »Anliegen der Friedensbewegung, denen die Grünen sich seit ihrer Gründung verpflichtet fühlen«, noch nicht durchgesetzt waren. Damals hatte die Partei noch Träume: von einer »Welt ohne Militärblöcke« und einer »Gesellschaft ohne Waffen und Armeen«. Den Sieg der marktwirtschaftlichen Weltordnung, die mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes global geworden, aber nicht etwa neu war, sondern aus dem letzten Jahrhundert stammt, priesen die Grünen als Chance für die »Verwirklichung einer neuen Friedensordnung«. Man sei, so gaben sie sich kämpferisch, »zum Bruch mit der Nato bereit«. Erstaunlich einsichtig erklärten sie: »Friedenspolitik kann nicht auf der Basis von Militärblöcken betrieben werden.« Sämtliche Rüstungsausgaben streichen, die Bundeswehr auflösen, einen Verzicht auf Atomwaffen im Grundgesetz verankern, ein totales Manöververbot durchsetzen, die Wehrpflicht abschaffen - so lauteten die grünen Forderungen zu Beginn des Jahrzehntes. »Wir stehen für das Prinzip der Gewaltfreiheit bei der Bewältigung jeglicher Konflikte, also auch in der Politik.« Eine Ausnahme machte das 1990er Wahlprogramm lediglich für den »aktionsreichen Widerstand gegen staatliche Maßnahmen«. Auch was die Rolle der Nato angeht, herrschte vor neun Jahren noch einige Klarheit: »Die Nato betreibt mehr und mehr auch die Absicherung ökonomischer Interessen der EG und der USA, um deren ›vitale‹ Ausbeutungsinteressen in Ländern der ›Dritten Welt‹ durchzusetzen.« Klarheit, die mit dazu beigetragen haben mag, daß die Grünen mit ihrer Bewerbung um die Verwaltung der Staatsgeschäfte 1990 durchfielen - der Einzug in den ersten gesamtdeutschen Bundestag scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Wenn man wissen wolle, wie die Kommunisten denken, soll Lenin einmal gesagt haben, müsse man auf ihre Hände und nicht auf ihren Mund schauen. Die Grünen scheuen wohl keinen Vorwurf mehr als den, Kommunisten zu sein. Dennoch ist man auch bei ihnen gut beraten, nicht auf den Mund, sondern auf die Finger zu sehen. »In unserem Programm«, so schrieben die Grünen vor der Bundestagswahl 1998, »sagen wir, was wir tun wollen. Wenn wir von den Wählerinnen und Wählern den Auftrag bekommen, werden wir tun, was wir gesagt haben.« Drei Jahre, nachdem grüne Abgeordnete 1995 erstmals für einen Auslands-Einsatz der Bundeswehr votiert hatten, war die Rhetorik noch immer die gleiche: Unter dem Stichwort »Außenpolitischer Aufbruch ins 21. Jahrhundert« hieß es nun im Wahlprogamm: »Bündnis 90/Die Grünen wenden sich ... gegen die Außenpolitik der konservativ-liberalen Regierung, in der Deutschland die traditionelle Rolle einer Großmacht in der internationalen Politik spielen soll.« Man trete, ließen die Grünen das Publikum wissen, für »machtpolitische Selbstbeschränkung« und »internationale Einbindung, für zivile Formen des internationalen Interessenausgleichs und der Streitbeilegung, für einen aktiven Einsatz für die Menschenrechte« ein. »Wir wollen mit der Entmilitarisierung der internationalen Politik bei uns anfangen.« Ein »peace enforcement« durch Kampfeinsätze komme nicht in Frage. Nur das Zusammenwirken von wirtschaftlicher und politischer Integration, so war zu erfahren, könne eine dauerhafte Friedens-Perspektive schaffen. Und: »Bündnis 90/Die Grünen sind nicht bereit, militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen.« Bezüglich der Frage, ob denn die Nato das zentrale Organ beim Friedenschaffen mit Angriffswaffen sein dürfe, versprachen die Grünen noch vor knapp einem Jahr, der Welt ein Beispiel geben zu wollen: Die OSZE müsse gestärkt, die Nato zurückdrängt werden, war fettgedruckt zu lesen. »Für eine Politik der Friedenssicherung (›peace-keeping‹) sind multinationale Einheiten zu schaffen, die der direkten Verfügungsgewalt der Vereinten Nationen und der OSZE unterstellt werden. ... Nur durch Entmilitarisierung und das Primat der Politik ist erreichbar, daß zivile Konfliktbearbeitung nicht mehr dem alten militärischen Denken untergeordnet wird.« Friedenspolitik könne sich dabei »nicht hinter Bündniszwängen oder vermeintlichen internationalen Notwendigkeiten verstecken«. Das Ziel bleibe, so versprachen die Grünen, die »Entmilitarisierung der Politik - bis hin zur Abschaffung der Armeen und zur Auflösung der Nato«. Die neue Bundesregierung war noch nicht im Amt, da war jede einzelne dieser Aussagen bereits obsolet geworden. Der Drohung der Nato, Serbien zu bombardieren, stimmten auch die Grünen im Oktober 1998 im Bundestag zu. Selbst die Tatsache, daß ein Mandat der Vereinten Nationen nicht existierte und bis heute nicht existiert, konnte die ehemaligen Pazifisten nicht davon abhalten, mit Volker Rühe und Klaus Kinkel ein Friendly takeover zu praktizieren: Joschka Fischer rechtfertigte damals die Unterstützung der noch amtierenden Kohl-Regierung lapidar: »Weil es in dieser Situation nicht anders ging.« Man habe »eine humanitäre Katastrophe und Bedrohungen des Friedens in der Region abzuwenden« gehabt. Von einer »direkten Verfügungsgewalt der Vereinten Nationen und der OSZE« (Wahlprogramm) war wenige Wochen nach der Bundestagswahl keine Rede mehr. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß die UN-Charta militärische Gewalt grundsätzlich verbietet und lediglich im Fall der Selbstverteidigung oder der Wiederherstellung des Friedens durch die UN zuläßt. Den Terminus »humanitäre Intervention« kennt das Völkerrecht nicht. Der Friedensforscher Reinhard Mutz bilanzierte: »Weder eine gültige Rechtsquelle noch ein Präzedenzfall bieten die rechtliche Grundlage für ein militärisches Vorgehen im Kosovo.« US-Verteidigungsminister William Cohen sprach im Gegensatz zu den Grünen denn auch offenherzig von einem »Angriff gegen Jugoslawien«. Ein Angriffskrieg aber, das weiß das Grundgesetz im Gegensatz zu Außenminister Fischer, ist, weil verfassungswidrig, verboten. Nicht minder verständnisvoll zeigten sich die grünen Machthaber, als Ende des Jahres 1998 die USA Bagdad bombardierte: Die »friedens«politische Sprecherin der Partei, Angelika Beer, nannte den Militärschlag »riskant, aber verständlich«. Antje Radcke, dem linken Parteiflügel zugerechnete Vorstandssprecherin, sekundierte, der Angriff sei zwar »völkerrechtlich bedenklich«, aber »Saddam Hussein hat eine Reaktion provoziert«. Und der zuständige Minister selbst dekretierte: »Saddam Hussein trägt die Verantwortung für den Angriff.« Einen Golfkrieg vorher, im Jahr 1991, hatte Fischer Helmut Kohl noch dazu aufgefordert, den USA die Gefolgschaft zu verweigern. Heute aber regiert der »Pazifismus unter den aktuellen Bedingungen« (Fischer) bzw.: »Zu sagen: Militär ist blöd, damit will ich nichts zu tun haben« (Angelika Beer). Ende Februar stimmten 556 Abgeordnete aller Fraktionen dem Antrag der Bundesregierung zu, 6.000 Soldaten samt Leopard-II-Panzern ins Kosovo zu schicken - die PDS-Fraktion stimmte als einzige geschlossen dagegen. Zuvor hatte Außenminister Fischer seine Bereitschaft erklärt, zur Not auch ohne Mandat der vereinten Nationen zuzuschlagen - man dürfe »Bedenken nicht erst nach einer humanitären Katastrophe hintanstellen«. Daß auch die Grünen nun keine innerparteilichen Strömungen mehr, sondern nur noch einen Marschbefehl für die Bundeswehr kennen, verwundert nur auf den ersten Blick. Die ideologische Grundlage dafür, daß deutsches Militär jetzt Kampfeinsätze im Ausland absolvieren soll, haben die Grünen bereits vor vier Jahren erarbeitet. Damals, im Juni 1995, stimmte der Bundestag einer Beteiligung deutscher Truppen am »Friedenseinsatz« in Bosnien zu. Nur vier Vertreter der grünen Fraktion (Gerd Poppe, Marieluise Beck, Helmut Lippelt und Waltraud Schoppe) gaben der Intervention ihr Placet. Joschka Fischer dagegen äußerte damals noch die Befürchtung, »daß es weitergehen wird und die Selbstbeschränkung deutscher Außenpolitik ad acta gelegt wird«. Erst nach dem Fall von Srebrenica und den Berichten über Massaker serbischer Truppen im August 95 ergriff er die Gelegenheit und redete in einem Offenen Brief an die Partei ihrer noch immer zögerlichen Mehrheit ins Gewissen: »Können wir Prinzipien höher stellen als Menschenleben, und was wird aus unserem Prinzip der Gewaltfreiheit, wenn es sich vor der menschenverachtenden Gewalt beugt? Wie muß sich eine gewaltfreie Partei, die sich in ihrem Gründungsprogramm zum Notwehrrecht klar und eindeutig bekennt, in diesem Konflikt zwischen Notwehrrecht und Gewaltfreiheit verhalten?« Daß auch die Sorge des Außenministers in spe um das Notwehrrecht der Bundesrepublik Deutschland gegen bosnische Kriegsflüchtlinge schon 1995 eine Rolle gespielt hat, darauf weist Fischers Argument, Europa könne sich gegenüber Bosnien nicht so verhalten »wie zum Beispiel (gegenüber) dem Sudan oder Afghanistan«. Aus der Nähe ergebe sich »ein wesentlich anderes Gefährdungspotential für die näheren und ferneren Nachbarn«. Fischers erste Intervention zugunsten »friedensichernder« Einsätze einer Armee, die noch 1999 37 ihrer Kasernen nach ehemaligen Hitlergenerälen benannt hat, schien ein öffentliches Bewerbungsschreiben an das Auswärtige Amt zu sein. Was folgte, war ein innerparteilicher Blitzkrieg der Bellizisten. Daniel Cohn-Bendit, grüner Europaabgeordneter und Frankfurter Multikulturdezernent, kritisierte im August 1995 im »Taz«-Interview die »Halbherzigkeiten« der Grünen gegenüber den bosnischen Serben und nannte die Motivation für den außen- und militärpolitischen Paragdigmenwechsel der Grünen: »Eine Partei, die auf Bundesebene regierungsfähig werden will, muß in der Außenpolitik zu einer Linie finden, die von den Bündnispartnern der Bundesrepublik akzeptiert wird.« Zu Fischers damaliger Ansicht, deutsche Soldaten sollten sich jedenfalls an »friedenerzwingenden« Einsätzen auf dem Balkan nicht beteiligen, meinte Cohn-Bendit: »Wenn Fischer einmal Außenminister ist, wird er diese Haltung nicht beibehalten können.« Auch die Parteilinke knickte nur acht Wochen später, im Oktober 1995, ein. Ludger Volmer forderte auf dem Strategiekongreß der Grünen in Bonn/Bad Godesberg eine deutsche Beteiligung an bewaffneten internationalen Einheiten: »Nicht jede Gewalt ist militärische Gewalt«, räsonnierte Volmer über den Einsatz sogenannter »Konfliktschlichter-Einheiten«, die der OSZE unterstellt sein sollten. Fischer warf den Gegnern deutscher Militäreinsätze vor, seine Karriere zu gefährden: »Falls die Partei die fundamentale Absage an militärische Gewalt ernst meint und für eine Abschaffung der Bundeswehr und den Austritt aus der Nato Planungen vorlegt, wird sie für eine Regierungsbeteiligung im Bund weder einen Partner noch eine Mehrheit finden. Alle wissen es, aber keiner und keine sagt es.« Es dauerte keine zwei Monate, da sprachen sich die Grünen im Dezember auf ihrem Parteitag in Bremen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aus und befürworteten im gleichen Atemzug den Einsatz leicht bewaffneter deutscher »ziviler Kontingente« im Rahmen von UN oder OSZE. Die Forderung, im Falle von »Völkermord« auch Kampfeinsätze zuzulassen, erhielt schon damals 37 Prozent der Stimmen. Werner Schulz, Parlamentarischer Geschäftsführer, erklärte, warum er trotz eines entgegengesetzten Beschlusses des Parteitages für einen Einsatz der Bundeswehr in Bosnien stimmen werde: »Ich finde gegen den Antrag der Bundesregierung einfach keine überzeugenden Argumente.« Dem haben sich seine Fraktionskollegen in der Folgezeit mehr oder weniger angeschlossen. Seit Oktober vergangenen Jahres sind die Grünen nun selbst Teil der Regierung, was die Radikalisierung der deutschen Außenpolitik beschleunigte. 1999 ist Fischer offenbar schon in Deutsch-Südwest angekommen: Ende Februar erklärte er seinen grünen Parteifreunden aus ganz Europa mit Blick auf das Kosovo in klassischem Neusprech: »Es geht hier nicht um traditionelle nationale Politik, die auf Armeen und militärischer Stärke beruht; wir reden hier darüber, wie man einen Genozid vermeidet, nicht nur in Europa, es ist sehr wichtig, nach Afrika zu sehen.« Am grünen Wesen soll die Welt genesen; und was ein Genozid ist, das bestimmt immer noch der deutsche Außenminister. Der »Woche« sagte der Außenminister Anfang des Jahres: »Die Regierungsbeteiligung hat uns alle verändert - alle, nicht nur mich. Wir haben andere Rollen übernommen, und das ist gut so« - allerdings ist es auch nur zum Teil richtig. Fischer und Volmer, Beer und Trittin sind in Regierungsamt und -würden, weil sie sich längst verändert hatten. Nicht 1998, sondern im Juni 1995, als der deutsche Bundestag den Kriegseintritt in Bosnien beschloß, entdeckten die Grünen den diskreten Charme der Regierungsverantwortung und richteten Theorie und Praxis von diesem Moment an darauf aus. Die »FAZ« lobte schon damals Fischers Realitätssinn: »Wer Außenminister werden will, der muß auch Gewalt als politische Option anerkennen.« Das ist beinahe schon Brecht, der in der »Maßnahme« verkündete, es sei »diese tötende Welt / Nur mit Gewalt zu verändern / Wie jeder Lebende weiß«. Was der Dichter als Lehrstück für Kommunisten formuliert hatte, macht der Außenminister heute, fast siebzig Jahre später, zum Credo seiner Amtsführung - aus dem »Revolutionären Kampf« des Joseph Fischer ist ein deutscher Kampfeinsatz geworden.
Andreas Spannbauer schrieb in KONKRET 9/98 über das Bekenntnis der PDS zur Marktwirtschaft |
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