Für Antikapitalismus statt Menschenrechtsrhetorik

Der Bundestag genehmigt den Ost-Timor-Einsatz deutscher Soldaten. Die linke Debatte darum zeigt das Dilemma, in dem man landet, wenn man sich auf den herrschenden Menschen- und Völkerrechtsdiskurs einlässt.

von gaston kirsche
 

[wir sind wieder wer ...]Hurra, Deutschland zieht wieder in den Krieg. Diesmal ans andere Ende der Welt, nach Ost-Timor. Zunächst beschloss das rot-grüne Kabinett am Mittwoch vergangener Woche die Entsendung von rund 100 Soldaten-Sanitätern nach Ost-Timor, tags darauf stimmte der Bundestag dem Einsatz zu. Großer Konsens im Bundestag zwischen Roten, Grünen, Schwarzen, Gelben, die PDS quengelte ein wenig herum, ohne grundsätzliche Kritik zu äußern: Der Einsatz der Soldatensanitäter sei weder "zielgenau" noch "bedarfsgerecht". Und öffentliche Proteste - Fehlanzeige.

Dabei zeigte sich zunächst sogar die Süddeutsche Zeitung unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss ein wenig befremdet: "Noch empört sich aber niemand, und fast scheint es, als gehöre die Entsendung von Soldaten zum routinemäßigen Instrument deutscher Außenpolitik", kommentierte die SZ vergangenen Mittwoch.

Allein, das Blatt bemängelte in erster Linie, dass Außenminister Joseph Fischer die Strukturdebatte der Bundeswehr vorwegnehme und bislang kein politischer Konsens über deutsche Militäreinsätze als Mittel der Außenpolitik bestehe. Dann der versöhnliche Schluss: "Im Sinne der politischen Symbolik und der Normalisierung deutscher Außenpolitik" sei die Entsendung zweifellos "hilfreich".

Und für diese "Normalisierung" deutscher Außenpolitik mit kriegerischen Mitteln findet sich immer ein Schurkenstaat, gegen den ins Felde gezogen werden kann - mit den Menschenrechten auf den Lippen und den "Lehren" aus der deutschen Geschichte im Tornister, die automatisch zum Krieg zu drängen scheinen.

Die Diskussion um die Entsendung einer UN-Militärexpedition nach Ost-Timor hat erneut das Dilemma aufgezeigt, in das sich Linke begeben, wenn sie sich auf den herrschenden Menschen- und Völkerrechtsdiskurs einlassen. Dann wird gerade nicht über den kapitalistischen Weltmarkt gesprochen, für dessen Gewinner das Suharto-Regime in Indonesien jahrzehntelang beste Verwertungs- und Ausbeutungsverhältnisse garantierte. Da interessierte es die "westliche Wertegemeinschaft" auch nicht, dass zu Beginn der Suharto-Diktatur 1965 Hunderttausende in ganz Indonesien abgeschlachtet wurden, um den Einfluss der größten maoistischen KP außerhalb Chinas zu brechen - was nachhaltig gelang. Die westlichen Regierungen, nicht nur Bonn, waren anschließend immer an engen diplomatischen Beziehungen interessiert, viele westdeutsche Konzerne ließen in Indonesien produzieren.
 
[Scharpeng ...]Als Legitimation diente Suhartos dabei vor allem der indonesischen Nationalismus; die Besetzung Ost-Timors 1975 war ihm dabei ein willkommener Anlass zum Machtausbau. Im Rahmen der Umstrukturierung Indonesiens von einer staatsdirigistischen Ökonomie hin zu einem postfordistischen Wettbewerbsstaat geht es nun um die "Verschlankung des Staates", eine Reduzierung der Ausgaben. Deshalb der Vorschlag aus einem Teil des indonesischen Establishments, mit einem Referendum den möglichen Rückzug aus Ost-Timor einzuleiten, um Besatzungskosten zu sparen. Demgegenüber standen und stehen ebenfalls mächtige Interessen, sich die Geschäfte in Ost-Timor nicht beeinträchtigen zu lassen und potenziell abtrünnigen indonesischen Provinzen wie beispielsweise Aceh klar zu machen, was ihnen blüht, sollten sie einen separatistischen Kurs verfolgen.

Als am 16. September im Bundestag über die Zustimmung zu einer UN-Militärexpedition nach Ost-Timor abgestimmt wurde, ließ sich auch die Mehrheit der PDS-Fraktion von der Menschenrechtsrhetorik einlullen und stimmte zu. Immerhin hielt eine Minderheit dagegen. So auch Heidi Lippmann-Kasten, die erklärte: "Wir haben den Vorwurf der Heuchelei erhoben, denn die alte Bundesregierung, aber auch die jetzige Bundesregierung haben auf wirtschaftlicher Ebene massiv mit dem Suharto-Regime zusammengearbeitet. Selbst der jetzige Kanzler Schröder hatte Suharto zur Hannover-Messe eingeladen und ausschließlich immer auf die guten wirtschaftlichen Interessen gesetzt und in keinem Fall die massiven Menschenrechtsverletzungen oder auch die Besetzung Ost-Timors überhaupt in Frage gestellt."

Darüber hinaus kritisierte die Minderheit der PDS-Abgeordneten auch die militärische Zusammenarbeit der BRD mit Indonesien. Genau diese militärische Unterstützung war mehrmals Anlass zu Protestaktionen. So wurden Schiffe der NVA-Volksmarine besetzt, als diese von der BRD in den neunziger Jahren an Jakarta verschenkt werden sollten. Die Militärschiffe nutzt mittlerweile die indonesische Marine.

So richtig die Ablehnung einer UN-Militärexpedition nach Ost-Timor ist, so bedauerlich ist es, dass auch die PDS-Linken einen konstruktiven Vorschlag machten: Sie plädierten für "eine UN-Polizeiaktion unter maßgeblicher Beteiligung z.B. indischer Militärs". Damit schaffen sie es nicht, sich der falschen Diskussion zu entziehen, wie die UN dort alles befrieden könnte.
 
Denn diese Diskussion lenkt ab von der Kritik an den "westlichen" Regierungen und Unternehmern: Geschäfte mit Indonesien werden weiterhin gemacht. Der massive Terror von indonesischem Militär und Polizei gegen die "Reformasi"-Bewegung, die Proteste für demokratische Rechte, hielt etwa die letzte BRD-Regierung unter Helmut Kohl nicht davon ab, die indonesische Polizei durch deutsche Experten in Aufstandsbekämpfung auszubilden.

Diese Ausbildung läuft bis heute weiter. Bisher ging es ja auch nur um die blutige Unterdrückung der Opposition in Indonesien - durch eine Regierung, mit der man im Geschäft bleiben will. Die gegenwärtige Repressionswelle in Ost-Timor wird in bürgerlichen Medien unter "Völkermord" abgebucht. Wenn Menschen in anderen Ländern unterdrückt werden, können sie in der BRD nur als "unterdrücktes Volk" auf Aufmerksamkeit hoffen. Ist dieses Raster nicht anwendbar, sieht es schlecht aus mit Öffentlichkeit hierzulande. Aber auch Medienberichte im Völkermord-Raster haben nur dann Einfluss auf politische Entscheidungen, wenn das für die BRD-Interessen funktional ist - im Sinne der kriegerischen "Normalisierung" deutscher Außenpolitik.

"Völkermord" reicht allemal aus, um Soldaten loszuschicken, keineswegs bedeutet dies aber das Ende gut gehender Geschäfte: Während die indonesischen Milizen in Ost-Timor Flüchtlinge massakrierten, war in der Frankfurter Rundschau vom 11. September zu lesen: "Wirtschaftsförderung: Hamburg besiegelt Kontakte mit Jakarta".

Die FR weiter: "Die indonesische Handelskammer (Kadin) mache sich keine Sorgen wegen möglicher Wirtschaftssanktionen etwa durch Australien, berichtet die indonesische Tageszeitung Pikiran Rakyat: Schließlich habe ein Pakt mit der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF) gezeigt, wie gut die Beziehungen zu Deutschland seien." Dieser Pakt, das so genannte Memory of Understanding, wurde in dieser Septemberwoche abgeschlossen - zwischen der HWF, an der das rot-grüne Hamburg mit 30 Prozent beteiligt ist, und der indonesischen Handelskammer.

Besser lässt sich kaum demonstrieren, was wichtiger ist: die langfristige Garantie von günstiger Kapitalverwertung oder Menschenleben.

Besonders interessant ist, wie eng sich hier die Wirtschaftsbehörde und damit der rot-grüne Senat mit Kapital-Verbänden verquickt hat. Die Krokodilstränen des sozialdemokratischen Wirtschaftssenators Thomas Mirow, das alles sei ein "sensibles Thema", gehören natürlich mit zum Geschäft. Aber nur als kurzweilige Begleitmusik.

(humanitäre Kriegstreiberei ...)Wer sich dafür engagieren will, dass das Morden der vom indonesischen Militär gesponserten Milizen aufhört, sollte nicht zur UN schielen, sondern beispielsweise zur Handels- und Handwerkskammer, den Hamburger Banken oder der Hamburger Wirtschaftsbehörde - jenen Institutionen, die im Rahmen der HWF die Geschäfte mit indonesischen Unternehmern maßgeblich in die Wege leiten. Und für eine Kritik an der "Normalisierung" der deutschen Außenpolitik bieten sich die einschlägigen militärischen Institutionen an. Für Linke gibt es also mehr als genug Auswahlmöglichkeiten für Protestaktionen.

Der Autor ist Mitglied der gruppe demontage.

<http://www.jungle-world.com/_99/42/05a.htm>

Abteilung Wut & Trauer

Mit seinem Kosovo-Tagebuch will Rudolf Scharping sich selbst und allen
anderen beweisen, dass er alles richtig gemacht hat.
 
<http://www.jungle-world.com/_99/42/30a.htm>
Gegen-Informations-Büro
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