Die Westmächte und Osttimor
eine Geschichte der Manöver und Intrigen
Von Nick Beams (wsws.org)
9. Oktober 1999
aus dem Englischen (1. Oktober 1999)
Die Behauptung, die UNO-Intervention in Osttimor unter Führung
Australiens sei durch humanitäre Motive bestimmt, wird durch die historische
Erfahrung widerlegt. Die Tragödie des osttimoresischen Volkes ist
das Ergebnis der jahrzehntelangen Intrigen und Manöver derselben imperialistischen
Mächte, die jetzt zu seiner "Rettung" angetreten sind.
Die indonesische Invasion von 1975 und die anschließende "Befriedung",
die von der osttimoresischen Bevölkerung 200.000 Todesopfer forderte,
wurde von den USA unterstützt, die nach ihrer Niederlage in Vietnam
die repressiven Regime in der Region stabilisieren wollten.
Ein Teil der herrschenden Elite Indonesiens war nicht gegen eine Unabhängigkeit
Osttimors. Sie hatten gegenüber den Beteuerungen des Fretelin-Führers
Jose Ramos-Horta ein offenes Ohr und glaubten, Osttimor werde unter der
Kontrolle der Fretilin freundschaftliche Beziehungen zu Indonesien unterhalten.
Aber für die indonesischen Militärs, die das Sagen hatten, war
die Aussicht auf ein unabhängiges Osttimor ein Alptraum. Sie beharrten
darauf, dass die "kommunistische" Fretelin vernichtet werden und Osttimor
Teil Indonesiens bleiben müsse; andernfalls drohten die Kämpfe
gegen das Militär wieder aufzuleben, oder separatistische Bewegungen
in anderen Teilen des Archipels würden ermutigt.
Diese Sicht wurde von Washington unterstützt. Präsident Ford
und Außenminister Kissinger gaben am 6. Dezember 1975 bei einem Besuch
in Jakarta der Invasion ihre Zustimmung, die dann am nächsten Tag
stattfand. Der Inhalt der Gespräche von Kissinger und Ford wurde nie
bekanntgegeben, aber es besteht kein Zweifel, dass die USA die Durchführung
der Invasion befürworteten.
Nach dem Bericht des australischen Journalisten John Pilger kommentierte
der damalige CIA-Agent Philip Liechty ihm gegenüber die Ereignisse
so: "[Ford und Kissinger] waren da und gaben Suharto grünes Licht.
Die Invasion wurde um zwei Tage verschoben, um den beiden Zeit zum Verschwinden
zu geben. Wir erhielten den Befehl, den Indonesiern alles zu geben, was
sie wünschten, und amerikanische Waffen wurden ohne Wissen des Kongresses
direkt nach Osttimor geschickt. Ich habe es selbst gesehen; man gab ‚Feuer
frei‘ für das Gebiet ... Und das alles, weil ein kleines Land in der
UNO vielleicht neutral oder links abgestimmt hätte."
Später enthüllten Beweise vor dem US Kongress, dass 90 Prozent
der Waffen, die das indonesische Militär bei der Invasion einsetzte,
von den USA zur Verfügung gestellt worden waren.
Im Januar 1976 erklärte ein Vertreter des amerikanischen Außenministeriums
der australischen Zeitung The Australian, dass "wir aufgrund der
guten amerikanisch-indonesischen Beziehungen den Übergriff gegen Osttimor
mehr oder weniger billigen... Die USA wollen mit Indonesien enge und freundschaftliche
Beziehungen pflegen. Wir betrachten Indonesien als ein freundlich gesonnenes
neutrales Land - ein Land, mit dem wir gute Geschäfte machen."
Die australische Labor Regierung teilte die Sorge der Vereinigten Staaten
über die regionale "Stabilität" nach dem Vietnam-Debakel. Bei
Treffen mit Suharto in den Jahren 1974 und 1975 bot Premierminister Gough
Whitlam die Unterstützung Australiens bei der Einverleibung Osttimors
an.
Neben weitergehenden geopolitischen Interessen ging es der australischen
Regierung auch um unmittelbare ökonomische Interessen. An erster Stelle
stand die Entdeckung und Ausbeutung von Rohölvorkommen - eine Frage,
die nach der Vervierfachung der Ölpreise durch die OPEC 1973-74 entscheidende
Bedeutung erlangte.
1972 war Australien mit Indonesien zu einer Übereinkunft über
die Erforschung des Meeresbodens nach Ölvorkommen gekommen. Aber wegen
der Rechtshoheit Portugals über Osttimor gab es eine "Lücke"
in dem Geltungsbereich. Verhandlungen mit Portugal über die Schließung
dieser "Timor-Lücke" scheiterten 1974.
Anfang 1975 war klar, dass Indonesien sich auf eine Invasion Osttimors
vorbereitete; ein Annektionsplan war im Oktober des Vorjahres angenommen
worden. Im Februar übte das indonesische Militär die Invasion
Osttimors bei einem Manöver in Lampung, im Süden Sumatras.
Die australische Regierung war sich über die Vorteile bewußt,
die eine Vereinnahmung Osttimors durch Indonesien mit sich brächte.
Diese wurden in einer Depesche des australischen Botschafters in Indonesien,
Richard Woolcott, an seine Regierung formuliert.
Der Botschafter schrieb: "Wir sind uns durchaus der australischen Verteidigungsinteressen
in der Portugiesisch-Timor Frage bewußt, aber ich frage mich, ob
man sich mit dem Ministerium für Rohstoffe und Energie über dessen
Interessen abgestimmt hat. Es scheint mir, dass dieses Ministerium möglicherweise
sehr daran interessiert sein könnte, die Lücke in der vereinbarten
Seegrenze zu schließen, und dass die Verhandlungen darüber wesentlich
leichter mit Indonesien als mit Portugal oder einem unabhängigen Portugiesisch-Timor
zum Erfolg führen könnten. Ich weiß, dass ich einen eher
pragmatischen als prinzipiellen Standpunkt vertrete, aber genau darum geht
es ja bei der Vertretung des nationalen Interesses und bei der Außenpolitik."
1976 bot Premierminister Malcolm Fraser, Whitlams Nachfolger, entsprechend
dieser Maxime die de facto Anerkennung der indonesischen Eroberung
Osttimors an, obwohl für die Unabhängigkeit kämpfende Einheiten
etwa 75 Prozent des Gebietes kontrollierten. Im Januar 1978 anerkannte
Australien die Rechtmäßigkeit der Eingliederung Osttimors als
27. Provinz in den indonesischen Staatsverband, um die Vorbedingung Indonesiens
für Verhandlungen über die Schließung der Timor-Lücke
bei der Erforschung der Ölvorkommen zu erfüllen.
Öl in der Timor-See
Die frühere Kolonialmacht Portugal, die sich 1975 aus dem Gebiet zurückzog,
nahm die Aggression Indonesiens hin. Aber sie hielt sich ihre Optionen
in der Region offen, indem sie in der UNO in den achtziger Jahren eine
Reihe Resolutionen durchsetzte, die die Annexion durch Indonesien verurteilten
und Osttimor als ein "sich nicht selbst verwaltendes Territorium" bezeichneten,
in dem Portugal die "Verwaltungshoheit" besitze.
Im Rahmen des Kalten Kriegs, in dem das Militärregime Suhartos als
Bastion gegen den "Kommunismus" und die indonesischen Massen unterstützt
wurde, blieben diese Resolutionen im Großen und Ganzen tote Buchstaben.
Ein Vertrag über die Timor-Lücke wurde schließlich im Dezember
1989 an Bord einer VIP-Maschine der Royal Australian Air Force über
der Timor-See von den Außenministern Australiens und Indonesiens
unterzeichnet. Aber ehe die Tinte unter dem Vertrag trocken war, begannen
sich die ökonomischen und politischen Bedingungen zu ändern.
Zu Beginn der neunziger Jahre lebten die portugiesischen Interessen in
der Region wieder auf, als Ölreserven im Wert von 11-19 Mrd. Dollar
entdeckt wurden. Portugal war als Mitglied der Europäischen Union
seit 1986 jetzt in einer stärkeren Position, um seine Ziele zu verfolgen.
1991 steckte es seine Ansprüche mit einer Klage vor dem Internationalen
Gerichtshof gegen Australien ab. Portugal begründete die Klage damit,
dass der Vertrag über die Timor-Lücke illegal sei, die materiellen
Interessen Portugals und des Volkes von Osttimor verletze und das Recht
des Volkes von Osttimor auf Selbstbestimmung außer Kraft setze.
In einer Erklärung verurteilte Portugal Australiens Rolle: "Seine
Gier nach dem Öl Osttimors war ihm wichtiger als alles andere....
nur diese Gier kann die de jure Anerkennung einer gewaltsamen Annexion
erklären, die mehr als 100.000 Menschenleben gekostet hat."
Unnötig zu erwähnen, dass auch das plötzlich wiedererwachte
Interesse Portugals an Osttimor von der gleichen Gier getrieben ist. Um
das Territorium der Kontrolle Indonesiens zu entreißen, wandelte
es sich zu einem Befürworter der Selbstbestimmung Osttimors, die es
selbst in vierhundert Jahren Kolonialherrschaft unterdrückt hatte.
Im Juni 1995 verkündete der Internationale Gerichtshof seinen Spruch
in der Klage Portugals: Er könne über die Legalität der
indonesischen Annexion keine Entscheidung fällen, da Indonesien seine
Autorität nicht anerkenne. Der damalige australische Außenminister
Gareth Evans bezeichnete den Spruch als einen Sieg, der es Australien ermögliche,
das Öl in der Timor-See ohne portugiesische Störmanöver
auszubeuten.
In dem Urteil stellte das Gericht jedoch auch fest, die Behauptung Portugals,
das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, wie es sich unter der Charta
und in der Praxis der Vereinten Nationen entwickelt habe, sei ein erga
omnes Recht [ein Recht, das gegen jede Macht beansprucht werden kann],
es sei unbestreitbar, und "das Prinzip der Selbstbestimmung [sei] eines
der zentralen Prinzipien der heutigen internationalen Rechtsordnung". Nach
diesem Spruch war Osttimor weiterhin ein nicht selbstverwaltetes Territorium
mit einem Volk, dass das Recht auf Selbstbestimmung besitzt.
Mit der Wiederbelebung portugiesischer Ansprüche hatten Indonesien
und Australien das gemeinsame Interesse, enger zusammenzurücken. Die
Ölreserven unter der Timor-See waren nicht der einzige Grund. Australien
schätzte auch Suhartos Unterstützung als Gegengewicht gegen die
Versuche des malaysischen Premierministers Mahathir, es aus den Angelegenheiten
Ostasiens herauszuhalten. Australien ist daran interessiert, Zugang zu
den schnell wachsenden Märkten dieser Region zu erlangen.
Im November 1994 erklärte Außenminister Evans auf einer Konferenz
über Indonesien, dass die Beziehungen Australiens zu Indonesien nicht
von Menschenrechtsfragen bestimmt sein sollten. "Es ist klar, dass wir
auf ökonomischem Gebiet schon eine feste Grundlage haben, auf der
wir die Beziehungen weiter entwickeln können. Unsere Handelsbeziehungen
wachsen schnell - der bilaterale Handel betrug letztes Jahr drei Milliarden
australische Dollar, das ist dreimal soviel wie vor fünf Jahren."
Australische Firmen tätigten lukrative Investitionen in Indonesien,
besonders im Bergbau (im Wert von schätzungsweise zehn Mrd. Dollar
Anfang der 90er Jahre). Oft arbeiteten sie dabei mit engen Vertrauten des
Suharto-Regimes zusammen.
Der Gipfel der Zusammenarbeit der Labor Regierung mit Indonesien war der
im Dezember 1995 unterzeichnete Verteidigungspakt. Während der Verhandlungen
wurden das Parlament und die Öffentlichkeit im Dunkeln gelassen und
nicht einmal die US-Regierung war informiert worden. Bei seiner Würdigung
des Vertrags lobte Premierminister Keating Suhartos 1965 installierte "Neue
Ordnung" - die zwischen 500.000 und einer Million Arbeitern, Bauern und
Mitgliedern der Kommunistischen Partei das Leben gekostet hatte - als "eines
der wichtigsten und günstigsten Ereignisse in der Geschichte der strategischen
Interessen Australiens", weil sie für "regionale Stabilität"
gesorgt habe.
Neue internationale Lage
Aber wieder änderte sich die internationale Lage. Mit dem Ende des
Kalten Kriegs stellten die USA fest, dass das Suharto-Regime ihren Interessen
nicht mehr im gleichen Maße dienlich war wie in der Vergangenheit.
Vor allem die beherrschende Rolle der Suharto Familie und dem Militär
nahestehender Kreise in der indonesischen Wirtschaft - der sogenannte Günstlings-Kapitalismus
- entwickelte sich zunehmend zu einem Hindernis für die Aktivitäten
der US-Konzerne.
Die asiatische Wirtschaftskrise von 1997 bot die Gelegenheit einzugreifen.
Unter der Anleitung des amerikanischen Finanzmisters Robert Rubin diktierte
der Internationale Währungsfond (IWF) eine Reihe von Maßnahmen,
die auf die "Öffnung" der indonesischen Wirtschaft abzielten. Im Wesentlichen
ging es darum, die Vorherrschaft von Suharto und der Militärclique
über die indonesische Wirtschaft zu brechen und die Vorherrschaft
des Weltmarkts und die Interessen der globalen US-Konzerne durchzusetzen.
Ein früherer hoher Diplomat erklärte gegenüber der Australian
Financial Review: "Was zu dieser Lage geführt hat, ist die Entscheidung
der USA, der Politik ihres Finanzministers Robert Rubin Folge zu leisten
und den Indonesiern den Hahn abzudrehen. Die USA entschieden, dass Indonesien
strategisch nicht mehr so wichtig sei wie vorher, dass Suharto nicht mehr
unterstützt werden müsse und dass es besser sei, für politische
Veränderungen in Indonesien zu sorgen. Als die Asienkrise ausbrach,
gestalteten sie die Bedingungen des IWF derart, dass Suharto zum Rücktritt
gezwungen wurde."
Die Schwächung des Suharto-Regimes eröffnete der portugiesischen
Regierung neue Möglichkeiten. Ab 1997 führte sie in Zusammenarbeit
mit der Führung der osttimoresischen Unabhägigkeitsbewegung eine
intensive Kampagne in der UNO, um die Osttimorfrage wieder auf die Tagesordnung
zu bekommen.
Unter dem Druck Portugals und Europas ernannte die UNO Jamsheed Marker
zum Sondergesandten für Osttimor, der Gespräche zwischen Portugal
und Indonesien organisieren sollte. Im April 1998, als das Suharto-Regime
schon stark erschüttert war, wurde auf einem Kongreß in Portugal
der Nationale Widerstandsrat von Timor (CRNT) gegründet, der die rivalisierenden
Fraktionen Fretilin und UDT zusammenbrachte und Xanana Gusmao zum "lider
maximo" (obersten Führer) ausrief.
Das indonesische Regime fürchtete, die UNO-Resolutionen in Verbindung
mit dem Spruch des Internationalen Gerichtshofs von 1995 könnte die
Grundlage für einen "Akt der Selbstbestimmung" abgeben, möglicherweise
in der Form einer Volksabstimmung, um über den zukünftigen Status
des Territoriums zu entscheiden. Um diesen Druck aufzufangen, stimmte die
neue Regierung Habibie im Juni 1998 einem Sonderstatus für Osttimor
mit weitreichender Autonomie zu und unterzeichnete im September 1998 eine
Vereinbarung mit Portugal über die Aufnahme von Verhandlungen über
diesen Vorschlag. Beide Seiten vereinbarten die Wiederaufnahme von diplomatischen
Beziehungen, die es Vertretern Portugals ermöglichte, wieder offiziell
nach Indonesien zu reisen.
Die Schritte Portugals ließen in Canberra die Alarmglocken schrillen.
In der australischen Regierung nahm die Besorgnis zu, dass sie von einer
von der UNO vermittelten Entscheidung über die Zukunft Osttimors ausgeschlossen
sein könnte, und dass ihr wichtigster Rivale bei der Kontrolle über
die Ölvorräte die Führung übernehmen könnte. Während
man portugiesische Initiativen in der UNO in den achtziger Jahren getrost
ignorieren konnte, war das nach Ende des Kalten Kriegs und nach dem Sturz
des langjährigen Verbündeten Suharto eine ganz andere Sache.
Folglich entschloss sich die australische Regierung einzugreifen. Premierminister
John Howard schickte am 23. Dezember 1998 einen Brief an den indonesischen
Präsidenten Habibie mit dem Vorschlag, Indonesien solle Osttimor Autonomie
gewähren und die Möglichkeit einer Abstimmung über Unabhängigkeit
in einigen Jahren einräumen. Ziel der Howard-Initiative war es, die
Schritte Portugals ins Leere laufen zu lassen: einerseits durch den Vorschlag
einer längeren, bis zu zehnjährigen Autonomieperiode, andererseits
durch die Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit zwischen Australien und
Indonesien in der Osttimorfrage.
In seinem Brief merkte Howard an, es sei seit langem die Position Australiens
gewesen, dass den Interessen Australiens, Indonesiens und Osttimors am
besten durch einen Verbleib Osttimors bei Indonesien gedient sei. Dementsprechend
schlug er eine Regelung vor, die man dem Matignon-Abkommen der Franzosen
mit Neu-Kaledonien vergleichen könnte, das "eine politische Kompromisslösung
ermöglichte und ein Referendum über den endgültigen Status
Neu-Kaledoniens auf lange Jahre hinausschob."
"Die erfolgreiche Umsetzung eines Autonomiepakets mit eingebautem Überprüfungsmechanismus,"
schrieb Howard, "würde es ermöglichen, das osttimoresische Volk
von den Vorteilen eines Verbleibens in der indonesischen Republik zu überzeugen."
Das Ultimatum Indonesiens
Aber für das indonesische Regime war die Schlüsselfrage in Howards
Brief die Feststellung, dass irgendwann doch eine Abstimmung über
Selbstbestimmung stattfinden würde. Es befürchtete, dass jede
Abstimmung, gleichgültig wie lang die Autonomieperiode wäre,
zur Abspaltung von Indonesien führen werde. Verärgert über
diese veränderte Haltung seines engsten Spießgesellen bei der
25jährigen Unterdrückung des Volks von Osttimor wies das Habibie-Regime
Howards Vorschlag zurück. Habibie erhöhte darauf seinen Einsatz
und erklärte im Januar 1999, falls Indonesiens Angebot für eine
Sonderautonomie zurückgewiesen werde, werde er der beratenden Volksversammlung
vorschlagen, Osttimor die Loslösung zu erlauben.
Habibies scheinbare 180-Grad-Wende war in Wirklichkeit ein Ultimatum: Wenn
die westlichen Regierungen die Löslösung durchdrücken wollen,
dann werden wir die Abstimmung sofort unter Bedingungen durchführen,
da das indonesische Militär noch die Kontrolle hat und Gewehr bei
Fuß steht, um eine Politik der "verbrannten Erde" zu verfolgen, falls
der Autonomieplan nicht durchkommen sollte.
Nach Habibies Ankündigung setzte Indonesien die Verhandlungen mit
Portugal über UNO-Vermittlung fort, was am 5. Mai zu einer Vereinbarung
führte. Eine "Volksbefragung" sollte durchgeführt werden, um
festzustellen, ob das osttimoresische Volk den Autonomieplan Indonesiens
akzeptiere.
Das indonesische Regime rechnete sich aus, dass unter Kontrolle des Militärs
die Abstimmung zu Gunsten der Autonomie ausgehen werde, woraufhin gemäß
den Abkommensbestimmungen "die Regierung Portugals die notwendigen Maßnahmen
innerhalb der UNO in Gang setzen wird, um Osttimor von der Liste der sich
nicht selbst verwaltenden Gebiete der Generalversammlung zu entfernen und
die Osttimorfrage von der Tagesordnung des Sicherheitsrats und der Generalversammlung
zu streichen." Mit anderen Worten, die Einverleibung Osttimors durch Indonesien
würde die offizielle Billigung der UNO erhalten.
Es ist bezeichnend, dass das osttimoresische Volk an der Vereinbarung,
auf deren Grundlage das Referendum vom 30. August schließlich stattfand,
nicht beteiligt war. Die UNO legte die Form der "Volksbefragung" aufgrund
der Vereinbarung fest, die zwischen Indonesien und Portugal getroffen worden
war.
Alle Teilnehmer waren sich darüber im Klaren, dass im Falle einer
Ablehnung der Autonomie das indonesische Militär und seine Milizen
heftige Attacken gegen das osttimoresische Volk entfesseln würden.
Auf die Frage, ob ein Referendum Bürgerkrieg bedeuten würde,
antwortete der australische Außenminister Alexander Downer im Januar
1999: "Nun, das wäre bestimmt das Ergebnis, wenn heute ein Plebiszit
abgehalten würde; das ist ja das Problem... Wenn jemand glaubt, die
Lösung der Osttimorfrage bestehe darin, morgen ein Referendum abzuhalten,
dann kann ich nur sagen, es wird mehr Blutvergießen als Lösungen
hervorbringen."
Im März informierten australische Geheimdienstberichte die Regierung,
dass die indonesische Armee die Milizen organisiere und eine Einschüchterungskampagne
durchführe; zur gleichen Zeit leugnete Downer diese Fakten in der
Öffentlichkeit. Im Juli verkündete der Kommandeur der indonesischen
Armee in Dili in der Sendung Sunday des australischen Fernsehens:
"Ich möchte folgendes klarstellen: Wenn die Unabhängigkeitsbefürworter
[das Referendum] gewinnen... wird alles zerstört. Und Osttimor wird
nicht mehr das sein, was es heute ist. Es wird schlimmer sein als vor 23
Jahren."
Trotz dieser Warnungen bestanden die Vereinten Nationen, die australische
und die portugiesische Regierung auf der Durchführung des Referendums.
Eine Niederlage für den indonesischen Autonomievorschlag - und die
dann einsetzende Gewalt des Militärs und der Milizen - würde
ihnen einen politischen Vorwand zum Eingreifen bieten. Howard hat öffentlich
zugegeben, dass die Entscheidung der australischen Regierung vom März,
die militärische Alarmbereitschaft auf die höchste Stufe seit
dem Vietnamkrieg zu erhöhen, der entscheidende Faktor dafür war,
dass die UNO Australien aufgefordert hat, die "friedenserhaltende" Operation
anzuführen.
Die Rolle des CRNT
Die Linie der kleinbürgerlich nationalistischen Führer des CRNT
[Nationaler Widerstandsrat von Timor] wurde von der UNO und den imperialistischen
Mächten diktiert. Nachdem sie ursprünglich gegen ein Referendum
gewesen waren, weil sie wussten, was ihnen bevorstand, solange das indonesische
Militär noch die Kontrolle hatte, stimmte der CRNT dann doch dem UNO-Plan
zu. Das werde die besten Bedingungen für eine militärische Intervention
schaffen, so dachten sie, und dadurch würden sie an die Regierung
kommen.
Die Rolle der CRNT Führer, besonders die von Xanana Gusmao, war wichtig.
Sie wandten sich gegen alle Versuche des osttimoresischen Volkes, seine
eigene Verteidigung gegen die Angriffe der Milizen zu organisieren.
Nach der Vereinbarung vom 5. Mai forderte Gusmao Jugendliche in Dili, die
sich gegen die Schlägerbanden der Milizen wehren wollten, auf, sich
ruhig zu verhalten. Er verurteilte Straßendemonstrationen als ein
Zeichen von Mangel an "politischer Vision und einem falschen Verständnis
der gegenwärtigen Situation". In einer Erklärung des CRNT vom
10. Mai schrieb er: "Ich weiß, dass die Jugendlichen die Bevölkerung
von Dili zu einer massiven Demonstration mobilisieren wollen. Das zeigt
nur ihre völlige Verantwortungslosigkeit ...
Ich möchte jeden daran erinnern, dass die Anwesenheit der UNO in Osttimor
noch nicht unsern Sieg bedeutet. Die Aufgabe der UNO ist es, die Volksbefragung
vom 8. August [dem ursprünglichen Termin des Referendums] zu organisieren.
Wir alle müssen diesen Prozess unterstützen, folgt also den Anweisungen
des UN-Teams. Deswegen wiederhole ich meinen Appell an alle, Ruhe zu bewahren.
Ich wiederhole meinen Appell an die Jugend von Dili, den Anweisungen zu
folgen, und fordere sie auf, verantwortlich und diszipliniert zu handeln.
Ohne Disziplin sind wir schwach, und wenn wir nicht Disziplin von uns selbst
verlangen, dann können wir sie nicht von anderen fordern. Daran müssen
wir immer denken."
Selbst als die Angriffe der Milizen begannen, nachdem das Resultat des
Referendums bekannt war, forderte eine Erklärung des CRNT die Guerillaeinheiten
des Falintil auf, "nichts zu unternehmen, was als Beginn eines Bürgerkriegs
interpretiert werden könnte."
Gusmao und der CRNT befürchteten, dass Widerstand von den westlichen
Medien als Bürgerkrieg interpretiert werden könnte und die führenden
Mächte sich dann gegen eine Intervention entscheiden könnten.
Weil sie die Wirkung des "CNN-Faktors" im Krieg gegen Serbien gesehen hatten,
dachten sie: je mehr Massaker, desto besser. Das schuf die besten Bedingungen
für die Mobilisierung der "öffentlichen Meinung" im Westen für
eine Entsendung von Truppen.
Die tragischen Situation, in der sich das Volk von Osttimor heute befindet,
ist das Ergebnis der kombinierten Aktionen der imperialistischen Mächte
- Australien, der USA und Portugal - sowie der Vereinten Nationen und der
Führung des CRNT.
Die "Lösung", die sie jetzt vorschlagen - die Errichtung eines militärischen
UNO-Protektorats - wird nur eine Neuauflage der Katastrophen der Vergangenheit
in veränderter Form bringen. Nur ein unabhängiges Programm, das
von einem gemeinsamen Kampf der Arbeiter in dieser Region mit der internationalen
Arbeiterklasse ausgeht, kann den Teufelskreis imperialistischer Herrschaft
durchbrechen.
Siehe auch:
Kosovo und Osttimor
(12. Oktober 1999)
die Scheinheiligkeit der USA gegenüber den Menschenrechten
(21. September 1999)
Ost-Timor und die Protestler
(18. September 1999)
Kohl zollt Suharto "großen Respekt und Zustimmung"
(27. Mai 1998)
Weitere Artikel zu Osttimor und Indonesien
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