OSTTIMOR UND DER WESTEN
Unversöhnliche Erinnerung
Am
30. August 1999 stimmten 78,5 Prozent der Osttimoresen für die Unabhängigkeit.
Seit der Annexion ihres Landes durch Indonesien im Dezember 1975 haben
200.000 Menschen ihre "Integration" in das Suharto-Imperium mit dem Leben
bezahlt. Die internationale Gemeinschaft pflegte wegzusehen, bis Suharto
im Gefolge der Wirtschaftskrise abtreten musste. Dann ließ sich Djakarta
zwar auf ein Referendum ein, doch die Armee plante zugleich ein hartes
Durchgreifen, falls Osttimor für die Unabhängigkeit stimmen sollte.
Nach langem Zögern erreichten die Vereinten Nationen Indonesiens Zustimmung
zur Entsendung einer UN-Truppe. Die australisch geführte Interfet
traf am 20. September in Osttimor ein. Doch das Schicksal der 300.000 nach
Westtimor geflohenen Menschen bleibt ebenso offen wie die Frage, ob es
zu einem internationalen Tribunal gegen Indonesien kommen wird. Und es
besteht weiterhin die Gefahr, dass die von Westtimor aus operierenden Milizen
die Lage erneut zu destabilisieren versuchen.
Von NOAM CHOMSKY *
* Professor für Linguistik am Massachusetts Institute
of Technology, beschäftigt sich seit "Amerika und die Mandarine" (1969)
mit Südostasien. Zuletzt ist sein Buch "Wirtschaft und Gewalt" (1993)
auf Deutsch erschienen
ES
fällt nicht leicht, mit gespielter Ruhe und Abgeklärtheit über
die Entwicklung in Osttimor zu schreiben. Unser Empfinden von Schrecken
und Scham wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass die dort stattfindenden
Verbrechen nichts Neues sind und dass sie so leicht zu stoppen gewesen
wären. Das galt schon seit dem Dezember 1975, seit der Invasion Indonesiens,
das auf die diplomatische Unterstützung und die Waffenlieferungen
der USA setzen konnte: Unter dem Deckmantel eines offiziellen "Embargos"
wurden sogar neue Waffen geliefert, deren Einsatz zwar illegal war, aber
insgeheim gebilligt wurde. Die Androhung von Bombenangriffen oder auch
nur Sanktionen wäre gar nicht nötig gewesen. Die USA und ihre
Verbündeten hätten lediglich ihre aktive Beteiligung einstellen
und ihren Vertrauten in der indonesischen Militärführung mitteilen
müssen, dass die Gräuel zu beenden seien und dem Territorium
Osttimor ebenjenes Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren sei, das
die Vereinten Nationen und der Internationale Gerichtshof ihm zugesprochen
hatten.
Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir sollten
immerhin eingestehen, was wir getan haben. Und der moralischen Verantwortung
nachkommen, zu retten, was noch zu retten ist, und im Übrigen umfassende
Reparationen zu leisten - als höchst bescheidene Geste der Entschädigung
für scheußliche Verbrechen.
Das
neueste Kapitel dieser peinlichen Geschichte des Verrats und des Mitschuldigwerdens
begann unmittelbar nach dem Referendum des 30. August 1999, in dem die
Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit
stimmte. Sogleich ging die Zahl der Gräueltaten, organisiert und angeleitet
vom indonesischen Militär (TNI), drastisch in
die Höhe. Die UN-Mission (Unamet) gab in ihrem
Bericht vom 11. September folgende Einschätzung der Lage: "Die unmittelbare
Verbindung zwischen Milizen und Militär steht außer jedem Zweifel
und wurde von Unamet während der letzten vier Monate in erdrückender
Deutlichkeit dokumentiert. Doch Ausmaß und Intensität der Verheerungen,
die Osttimor während der vergangenen Woche erlebt hat, demonstrierten
ein neues Niveau der offenen Beteiligung des Militärs an Operationen,
die vormals eher verdeckt durchgeführt wurden."
Die Unamet warnte, "das Schlimmste dürfte erst noch bevorstehen. Es
ist nicht auszuschließen, dass hier die ersten Phasen eine Völkermordaktion
ablaufen, mit der das Problem Osttimor gewaltsam aus der Welt geschafft
werden soll."(1)
Der
indonesische Historiker John Roosa gab in der New York Times folgende nüchterne
Einschätzung der Lage: "Da das Pogrom vorauszusehen war, hätte
man es leicht verhindern können. Aber in den Wochen vor der Abstimmung
weigerte sich die Clinton-Regierung, mit Australien und anderen Ländern
über eine internationale Truppe zu diskutieren. Selbst nach dem Ausbruch
der Gewalt zögerte die Regierung noch mehrere Tage lang"(2),
bis sie sich unter internationalem (vor allem australischem)
und innenpolitischem Druck zu ein paar zaghaften Gesten aufraffte. Schon
das reichte aus, um die indonesischen Generäle zu veranlassen, die
internationale Friedenstruppe zu akzeptieren. Ein anschaulicher Beleg für
die latente Macht, die schon immer einsetzbar gewesen wäre. Und für
die Tatsache, dass die Vereinten Nationen ohne die Zustimmung und Initiative
Washingtons nichts unternehmen können.
Während Clinton "zauderte", wurden nach UN-Schätzungen fast fünfzig
Prozent der Bevölkerung aus ihren Wohnungen vertrieben und tausende
ermordet.(3) Die US-Luftwaffe, die in Jugoslawien
zivile Ziele punktgenau vernichten konnte, sah sich außerstande,
Nahrungsmittel für hungernde Menschen abzuwerfen, die vom Terror der
indonesischen Streitkräfte in die Berge getrieben wurden - von Truppen
also, die von den USA und ihren Verbündeten ausgerüstet und ausgebildet
werden.
Das
alles löst bittere Erinnerungen an die Ereignisse von vor 20 Jahren
aus. Nach dem unfasslichen Gemetzel von 1977/78 - unter entscheidender
Beihilfe der Carter-Regierung - glaubte Indonesien, einigen Diplomaten,
darunter US-Botschafter Edward Masters, einen kurzen Besuch in Ost-timor
gestatten zu können. Die Delegation erkannte sofort die ungeheure
Dimension der humanitären Katastrophe. Was folgte, schilderte Benedict
Anderson, renommierter akademischer Indonesien-Experte, vor einem UN-Ausschuss:
Neun lange Monate von Hunger und Terror sah Botschafter Masters bewusst
davon ab, "selbst innerhalb des Außenministeriums auf humanitäre
Hilfe für Osttimor dringen". Er wartete vielmehr ab, "bis ihm die
Generäle in Djakarta grünes Licht gaben", sich also "sicher genug
fühlten, ausländische Besucher zuzulassen", wie es ein interner
Bericht des US-Außenministeriums formulierte.(4)
Erst dann begann man in Washington zu überlegen, welche Konsequenzen
sich aus dem eigenen Handeln ergeben.
In Osttimor läuft stets dasselbe Geschehen ab. Eine schauerliches
Beispiel war bereits der Staatsstreich, der 1965 General Suharto an die
Macht brachte. Den Massakern der Armee, die binnen weniger Monate hunderttausende
abschlachtete, fielen in erster Linie landlose Bauern zum Opfer.
Die
politische Massenpartei der Linken, die PKI, war damit vernichtet. Der
Westen reagierte mit ungehemmter Begeisterung und einhelligem Lob für
die "gemäßigten Kräfte" Indonesiens - also für Suharto
und seine Komplizen in der Armee, die ihre Gesellschaft gesäubert
und der Ausplünderung durch das Ausland Tür und Tor geöffnet
hatten. Verteidigungsminister Robert McNamara eröffnete dem Kongress,
die militärische Hilfe und Ausbildung durch die USA habe "sich ausgezahlt";
in einem Kongressbericht war die Rede von "enormen Dividenden". McNamara
teilte Präsident Johnson mit, die US-Militärhilfe habe die indonesische
Armee "ermutigt, gegen die PKI vorzugehen, sobald sich die Gelegenheit
bot". Die Programme für indonesische Offiziere hätten dazu beigetragen,
"die neue politische Elite Indonesiens (der Armee)
in ihrer wohlwollenden Haltung zu bestärken".(5)Und
so ging es 35 Jahre weiter, mit Rüstungslieferungen, Ausbildungshilfe
und Informationsaustausch - bis zu den "humanitären Manövern"
im August 1999.
Während die indonesischen Streitkräfte und ihre paramilitärischen
Helfer im September 1999 mordend und plündernd die Hauptstadt Dili
niederbrannten, verlautbarte das Pentagon, "ein US-indonesisches Manöver
mit dem Schwerpunkt auf humanitärer und Katastrophenhilfe"( )sei am
25. August zu Ende gegangen(6), also fünf Tage
vor dem Referendum.
Einige Monate zuvor - kurz zuvor waren in Liquica Dutzende von Flüchtlingen
in einer Kirche massakriert worden - sagte Admiral Dennis Blair, der US-Oberbefehlshaber
für die pazifische Region, dem indonesischen Oberkommandierenden General
Wiranto die Unterstützung der USA zu und schlug ein neues US-Ausbildungsprojekt
vor.(7)
Seit 1975 hat Washington an Indonesien Waffen im Wert von über
einer Milliarde Dollar geliefert (weitere Details in dem
Beitrag von Romain Bertrand). Und die US-Regierung rühmt auch
heute wieder "den Wert jahrelanger Ausbildung für Indonesiens künftige
Militärführung in den USA und die Millionen Dollar an Militärhilfe
für Indonesien" und dringt auf die Weiterführung solcher Programme
in Indonesien und in aller Welt.(8)
Die Gründe für diese schändliche Bilanz werden manchmal
sogar ehrlich ausgesprochen. Während der jüngsten Gräueltaten
hat ein Diplomat in Djakarta "das Dilemma" der Großmächte auf
die Formel gebracht: "Indonesien ist wichtig und Ost-timor nicht."(9)
Das erklärt, warum Washington stets dieselben folgenlosen Missbilligungsgesten
macht und zugleich betont, die innere Sicherheit Osttimors liege "in der
Verantwortung der Regierung Indonesiens, und wir wollen ihr diese Verantwortung
nicht abnehmen". So lautete die offizielle Stellungnahme nur wenige Tage
vor dem August-Referendum - in voller Kenntnis der Methoden, mit denen
Indonesien diese "Verantwortung" wahrgenommen hatte.(10)
Das
Kalkül des zitierten Diplomaten wurde unlängst in der New
York Times von zwei Asien-Experten noch klarer formuliert: Die Kalkulation
der Clinton-Regierung beruhe darauf, "dass die Vereinigten Staaten ihre
Beziehungen zu Indonesien, einer rohstoffreichen Nation von über 200
Millionen Einwohnern, höher bewerten müssen als die Sorge um
das politische Schicksal Osttimors, eines winzigen, verarmten, nach Unabhängigkeit
strebenden Territoriums von 800 000 Einwohnern". In dem Artikel wird auch
Douglas Paal zitiert, der Präsident des Asia Pacific Policy Center:
"Timor ist ein Verkehrshindernis auf der Straße, die zu Verhandlungen
mit Djakarta führt, und das müssen wir unbeschädigt überwinden.
Indonesien ist ein großes, für die Stabilität der ganzen
Region entscheidendes Land."(11) "Stabilität"
ist seit langem das Schlüsselwort, und es steht eigentlich für
"wohlwollende Orientierung der politischen Elite" - und zwar wohlwollend
gegenüber ausländischen Investoren und globalen Managern.
Das offizielle Washington bekennt, man sei "an Osttimor absolut nicht interessiert".
Neuerdings hat allerdings der intensive Druck der Australier dieses Kalkül
revidiert: "Wir haben dort einen sehr großen Hund namens Australien
im Rennen, und den müssen wir unterstützen", bilanzierte ein
höherer Regierungsvertreter.(12)
Die Verantwortlichen für die indonesische Invasion von 1975
hatten die US-amerikanischen Leitlinien sehr wohl verstanden. Die formulierte
im Nachhinein der UN-Botschafter Daniel Patrick Moynihan; und jeder, der
sich ernsthaft für internationale Politik, für Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit interessiert, sollte sich diese Sätze tief
in sein Gedächtnis einschreiben. Der Sicherheitsrat verurteilte damals
die Invasion und forderte Indonesien zum Rückzug auf. Warum das folgenlos
blieb, hat Moynihan in seinen 1978 erschienenen Memoiren erläutert:
"Die Vereinigten Staaten wollten die Entwicklung der Dinge genau so, wie
sie dann eingetreten ist, und sie arbeiteten gezielt darauf hin. Das Außenministerium
wünschte, dass sich alle Maßnahmen der Vereinten Nationen als
völlig ineffektiv erwiesen. Die Aufgabe wurde mir übertragen,
und ich habe sie mit nicht unbeträchtlichem Erfolg bewältigt."
(13)
Der Erfolg war fürwahr beträchtlich. Moynihan zitiert
Berichte, wonach innerhalb zweier Monate etwa sechzigtausend Menschen ums
Leben kamen, also "zehn Prozent der Bevölkerung, ein fast ebenso hoher
Prozentsatz wie in der Sowjetunion während des zweiten Weltkriegs"(14.)
Erfolgreich war Moynihan auch insofern, als binnen eines Jahres
"das Thema aus der Presse verschwand".
Während
Moynihan 1977/78 an seinen Memoiren schrieb, erreichten die Gräueltaten
ihren Höhepunkt. Gestützt auf neue, modernste Waffensysteme,
die ihnen die "Regierung der Menschenrechte" liefert, begannen die indonesischen
Militärs eine vernichtende Offensive gegen hunderttausende Osttimoresen,
die in die Berge geflohen waren. Damals versuchten glaubwürdige Kirchenvertreter
in Osttimor, die geschätzte Zahl von 200 000 Toten zu verbreiten,
die jahrelang geleugnet wurde und erst Jahre später als realistisch
anerkannt wurde. Als das Gemetzel die Dimension eines Völkermords
anzunehmen drohte, leisteten auch Großbritannien und Frankreich -
und andere Mächte - ihren Beitrag, mit Waffenlieferungen und diplomatischer
Unterstützung.
DAS Jahr 1999 brachte zunächst einen Moment der Hoffnung. Der
indonesische Interimspräsident Habibie forderte ein Referendum, bei
dem es die Wahl zwischen einer Angliederung an Indonesien ("Autonomie")
und derUnabhängigkeit geben sollte. Die Armee griff sofort ein, um
mittels Terror und Einschüchterung eine Option für die Unabhängigkeit
zu verhindern. In den Monaten vor dem August-Referendum wurden nach glaubwürdigen
Kirchenquellen 3 000 bis 5 000 Menschen umgebracht(15.)Das
wären doppelt so viele Tote wie im Kosovo in der Periode vor den Nato-Bombenangriffen
und sogar viermal so viel, wenn man es in Relation zur Gesamtbevölkerung
setzt. Der Terror war umfassend und sadistisch und sollte warnend darauf
hinweisen, was jeden erwartete, der den Befehlen der Besatzungsarmee zu
trotzen wagte.
Dennoch ging fast die gesamte Bevölkerung zu den Urnen, viele verließen
deswegen sogar ihre Verstecke. Nahezu achtzig Prozent stimmten für
die Unabhängigkeit. Das provozierte die letzte Phase der Gräueltaten:
Die indonesische Armee versuchte mit Massakern und Vertreibungen das Ergebnis
umzukehren, dabei wurde ein großer Teil des Landes verwüstet.
Innerhalb von zwei Wochen dürften über 10 000 Menschen umgebracht
worden sein, schätzt Bischof Carlos Filipe Belo, der Nobelpreisträger,
der vor Gewehrsalven aus seinem Lande flüchten musste und erst unter
dem Schutz der UN-Truppe am 5. Oktober wieder zurückkehren konnte.(16)
Schon vor Habibies überraschender Referendumsidee hatte die
indonesische Armee sich auf den Fall vorbereitet, dass ihre Herrschaft
- einschließlich ihrer Kontrolle über die Ressourcen Osttimors
- bedroht sein könnte. Sie hatte Pläne vorbereitet, die darauf
zielten,"schlicht und einfach eine Nation zu vernichten". Von diesen Plänen
hatten westliche Nachrichtendiensten von Anfang an Kenntnis. Die TNI rekrutierte
tausende Westtimoresen und ließ Truppen aus Java heranführen.
Noch bedrohlicher wirkte die Ankunft der gefürchteten, in den USA
ausgebildeten Kopassus-Spezialeinheiten des General Makarim, eines von
der CIA ausgebildeten Geheimdienstspezialisten, der sich bei früheren
Einsätzen in Osttimor den "Ruf fühlloser Gewalttätigkeit"
erworben hatte.(17)
Für
den Terror und die Zerstörung, die alsbald begannen, waren TNI-Truppen
verantwortlich, die man im Westen mit der fragwürdigen Bezeichnung
"vagabundierende Elemente" belegte. Es gibt gute Gründe, wie Bischof
Belo die direkte Verantwortung für diese Milizen beim kommandierenden
General Wiranto in Djakarta zu sehen.(18) Sie unterstanden
offenbar der Aufsicht von Kopassus-Einheiten, jener "Elitetruppen", von
denen der erfahrene Asien-Korrespondent David Jenkins berichtet, sie hätten
"regelmäßig Übungen mit US- und australischen Streitkräften
abgehalten, bis ihr Auftreten ihren ausländischen Freunden zu peinlich
wurde". Benedict Anderson berichtet, die "wegen ihrer Grausamkeit berüchtigten"
Kopassus-Einheiten hätten gerade in Osttimor " vielfältige Gräueltaten"
begangen, darunter systematische Vergewaltigungen, Folterungen und Hinrichtungen.
Jenkins schreibt, die Kopassus operierten nach der Taktik des US-amerikanischen
Phoenix-Programms (nach dem in Südvietnam zehntausende
Bauern und ein Großteil der einheimischen südvietnamesischen
Führung umgebracht worden waren). Laut Jenkins orientierten
sie sich auch an den "von den Contras in Nicaragua geübten Methoden",
die diese von ihren CIA-Mentoren gelernt hatten. Diese staatlichen Terroristen
jagten nicht etwa nur die "radikalsten Verfechter der Unabhängigkeit",
sondern mehr noch die "gemäßigten Kräfte, Leute, die in
ihren Gemeinden Einfluss haben". Eine gut informierte Quelle in Djakarta
behauptet: "Das sieht ganz nach Methode Phoenix aus [...] alle und jeden
zu terrorisieren" - die Nichtregierungsorganisationen, das Rote Kreuz,
die UN, die Journalisten".(19)
Schon einige Zeit vor dem Referendum hatte der Kommandeur der indonesischen
Truppen in Dili, Oberst Tono Suratman, vor den Folgen gewarnt: "Sagen wir
es ganz deutlich: Wenn die Pro-Unabhängigkeitskräfte siegen,
wird alles zerstört werden. Das wird schlimmer als vor 23 Jahren."(20)
Ein ( ) Dokument der Armee von Anfang Mai, als man gerade ein internationales
Abkommen über das Referendum erzielt hatte, enthält die Anordnung
"nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses in allen Dörfern Massaker
anzurichten, falls die Verfechter der Unabhängigkeit siegen". Die
Unabhängigkeitsbewegung sei "von der Führung bis zur Basis auszuschalten".(21)
Unter Berufung auf diplomatische, kirchliche und Milizquellen berichteten
australische Zeitungen, "dass hunderte moderne Sturmgewehre, Granaten und
Granatwerfer in Magazinen lagern, um eingesetzt zu werden, falls die Option
der Autonomie an den Wahlurnen abgelehnt wird".(22)
All dies war den "ausländischen Freunden" klar. Die wussten
auch, wie man den Terror beenden konnte, zogen es aber vor, so ausweichend
und zwiespältig zu reagieren, dass die indonesischen Generäle
annehmen durften, sie hätten "grünes Licht" bekommen .
Die
ganze schmutzige Geschichte ist vor dem Hintergrund der US-indonesischen
Beziehungen seit 1945 zu betrachten.(23) Die gewaltigen
Ressourcen der Inselwelt und ihre entscheidende strategische Bedeutung
sichern Indonesien eine zentrale Rolle in den globalen Plänen der
Vereinigten Staaten. Diese Faktoren erklären die Bemühungen der
Vereinigten Staaten, Indonesien zu schwächen, als sich das Land vor
vierzig Jahren als zu unabhängig und demokratisch erwies und sogar
die linke KPI mit ihrer bäuerlichen Massenbasis am politischen Leben
teilhaben ließ. Dieselben Faktoren liegen der westlichen Unterstützung
für das Regime der Mörder und Folterer zugrunde, die 1965 eine
"günstige Richtung" herbeiführten. Die Errungenschaften dieses
Regimes wurden zudem als Rechtfertigung der amerikanischen Kriege in Indochina
wahrgenommen, der ja weitgehend der Besorgnis entsprang, der "Virus" des
unabhängigen Nationalismus könnte auch Indonesien "infizieren"
(um es in der Sprache Kissingers auszudrücken)
Die Unterstützung für die Invasion Osttimors und die darauffolgenden
Gräuel waren also eine bloß reaktive Politik. Eine globaler
angelegte Analyse müsste jedoch auch das Beispiel Afrika berücksichtigen,
wo der Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches weitgehend die
gleichen Konsequenzen hatte, wobei in diesem Fall Südafrika zum Agenten
des vom Westen unterstützten Terrors wurde. In all diesen Fällen
verwies man routinemäßig auf den Kalten Krieg, um alle möglichen
hässlichen Motive und Aktionen, vor allem die in Südostasien,
zu rechtfertigen.
Doch mittlerweile sollten wir bereit sein, die Mythologie zu verwerfen
und den Gründen und Konsequenzen unserer Handlungen ins Auge zu blicken.
Das gilt nicht nur für Osttimor. Doch in dieser gequälten Ecke
der Welt haben wir immerhin noch die Chance - wenn auch nicht mehr sehr
lange -, eine der erschreckendsten Tragödien dieses schrecklichen
Jahrhunderts zu stoppen.
dt. Meino Büning
(1) Bericht an den UN-Sicherheitsrat über
die Mission nach Djakarta und Dili, 8. bis 12.September 1999.
(2)New York Times, 15. September 1999.
(3)Boston Globe, 15. September 1999.
(4) Benedict Anderson, Erklärung vor dem vierten
Ausschuss der UN-Generalversammlung, 20. Oktober 1980. Vollständigere
Zitate und Hintergründe finden sich bei Chomsky, "Towards a New Cold
War", New York (Pantheon) 1982. Zur früheren Vorgeschichte siehe Chomsky
und Edward Herman, "The Political Economy of Human Rights", Boston (South
End) 1979, Bd. 1.
(5)Für eine Übersicht und Quellen siehe
Chomsky, "Year 501" Boston (South End) 1993.
(6) AP Online, 8. September 1999.
(7) Alain Nairn, TheNation, 27. September 1999.
(8)The New York Times, 14. September 1999.
Die von der Regierung gebilligten Waffenlieferungen belaufen sich seit
der Invasion von 1975 auf über einer Mrd. Dollar. Die Militärhilfe
während der Clinton-Jahre betrug etwa 150 Mill. Dollar, während
die von der US-Regierung genehmigten Waffenverkäufe von 3,3 Mill.
Dollar im Fiskaljahr 1997 auf über 16,3 Mill. Dollar während
des letzten Fiskaljahres anstiegen. 1997 bildete das Pentagon noch immer
Kopassus-Einheiten aus, entgegen der erklärten Absicht der Gesetzgeber
im Kongress. Vgl. William Hartung, Rüstungsexperte des World Policy
Institute, KRT News Service, 16. September 1999.
(9) Sander Thoenes, Financial Times, 8. September
1999; Christian Science Monitor, 14. September 1999.
(10) Gay Alcorn zitiert im Sydney Morning Herald,
25. August 1999, den Sprecher des Außenministeriums James Foley.
Verteidigungsminister William Cohen, Pressekonferenz, 8. September 1999.
(11) Elizabeth Becker und Philip Shenon, "With Other
Goals in Indonesia, U.S. Moves Gently on East Timor", New York Times,
9. September 1999; s.a4 Steven Mufson, Washington Post, 9. September 1999.
(12) Peter Hartcher, "The ABC of winning US support",
Australian Financial Review, 13. September 1999.
(13) Daniel Patrick Moynihan (mit Suzanne Weaver),
"A Dangerous Place", Boston (Little, Brown) 1978. Moynihan schreibt, "seit
dem Ausbruch des Bürgerkrieges" sei von 60 000 Toten berichtet worden.
(14) Über die US-Politik gegenüber Indonesion
am Ende des Zweiten Weltkrieges siehe Roger Louis, "Imperialism at Bay:
The United States and the Decolonization of the British Empire, 1941 -
1945", New York (Oxford University Press) 1978, S. 237.
(15)Washington Post, 5. September 1999. Eine
Übersicht über den ersten Teil des Jahres, vor allem aus der
australischen Presse, findet sich bei Chomsky, "The New Military Humanism:
Lessons of Kosovo", Monroe (Common Courage), 1999.
(16)New York Times, 13. September 1999.
(17)TheObserver,13. September 1999.
(18) Shenon, a.a.O.
(19)Sydney Morning Herald, 8. Juli 1999; Benedict
Anderson, "The Promise of Nationalism", New Left Review 235, Mai/Juni 1999.
(20)Australian Financial Review, 14. August 1999, unter Bezug auf ein Radio-Interview.
(21) The Observer, 13. September 1999
(22) Mark Dodd, "Fears of Bloodbath Grow as Militias Stockpile Arms", Sydney Morning Herald, 26. Juli 1999.
(23 )Für eine Übersicht siehe Chomsky, "Indonesien
nach Suharto", Le Monde diplomatique, Juni 1998
http://monde-diplomatique.de/ |