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Spiegel des 21. Jahrhunderts: Die Zukunft des Krieges

Der Kalte Krieg ist Geschichte, die Globalisierung soll die Erde dem Frieden näher bringen. Doch die Nato übt für den Krieg der Zukunft, im Rest der Welt rüsten Übervölkerungskrieger zum Kampf. Kommt Frieden aus der Mode?

Von Uwe Buse

Der Mann, der auf Bestellung Kriege führt, sitzt in einem Korbsessel und blättert in einer Zeitschrift für besseres Wohnen. Links von ihm steht ein rotes Sofa, mit Kissen für den Mittagsschlaf, unter ihm ein weißer Teppich, fleckenlos.

Im Angebot sind Spezialisten. Sie fallen nachts aus dem Himmel, haben Gewehre, Granatwerfer, Sprengstoff im Gepäck und erledigen ihre Arbeit bis zum Morgen. Wird etwas Größeres gewünscht, empfiehlt der Mann im Sessel Kampfhubschrauber, den Mi-17 oder den Mi-24, robust, verlässlich, aus russischer Produktion. Wenn das nicht reicht, gibt es die Armee komplett, zum Preis von über 30 Millionen Dollar. Die Regierung von Papua-Neuguinea bestellte diese Variante. Bedauerlicherweise wollte das Militär des Landes die besetzten Kupferminen dann doch selbst zurückerobern. Der Auftrag wurde storniert. Man einigte sich auf eine Aufwandsentschädigung von 13,3 Millionen Dollar.

Der Mann im Sessel war Mitglied der britischen Eliteeinheiten, bevor er begann, mit Armeen zu handeln. Auf den Falklandinseln kämpfte Tim Spicer gegen Argentinien, im Golfkrieg gegen Saddam Hussein. Heute kämpft er gegen eine Welt, die ihn, den Verteidiger der Demokratie, wie einen Aussätzigen behandelt. Spicer ist Geschäftsführer der Söldnerfirma Sandline International, eingetragen auf den Bahamas, mit Büros in London und Washington. Sein Motto: Wir kämpfen dort, wo Europas Demokratien nicht kämpfen können. Oder wollen. Spicer sieht sich als entfernten Vetter von Roland Berger, dem Unternehmensberater. Berger hilft Firmen, die in Not sind. Spicer hilft Staaten, die Probleme haben. Seine Kunden sind Regierungen, deren eigene Armee zu klein, zu undiszipliniert, zu schlecht ausgerüstet ist, um mit dem Feind fertig zu werden. Oder es ist eine Regierung, deren Armee plötzlich der Feind ist. Wird Spicer gerufen, sammelt er seine Männer, kauft ein paar Tonnen Waffen, chartert ein Flugzeug und fliegt los.

"Ein Spezialistenteam schaffe ich in 36 Stunden in jeden Winkel der Erde. 2000 Mann inklusive Ausrüstung sind in einem Monat an der Front", sagt er. Jeder dritte Soldat in Spicers Armee ist ein Sanitäter, jeder zwölfte ein Arzt. Geschossen und getötet wird nur für international anerkannte Regierungen, nicht für Rebellen, nicht für geächtete Regime wie das von Saddam Hussein. Sagt Spicer. Viel mehr sagt er nicht. Spicer hat das Schweigen über die Einsätze wie fast alle Söldner-Bosse zum Geschäftsprinzip erhoben. Eine Ausnahme war Eeben Barlow, Chef der südafrikanischen Firma Executive-Outcomes. Executive-Outcomes wurde Ende vergangenen Jahres aufgelöst.

Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob ein Politiker noch ein Regierungschef ist oder schon ein Rebell. Als Spicer 30 Tonnen Kalaschnikows an Ahmed Tejan Kabbah schickte, war Kabbah nicht mehr Präsident von Sierra Leone, sondern nur noch Ex-Präsident des westafrikanischen Staates. Das Militär hatte geputscht und stellte jetzt die Regierung. Spicer lieferte trotzdem an Kabbah und sorgte für eine innenpolitische Krise der Regierung Blair.

Vor dem Kosovo-Krieg fragten Vertreter der kosovarischen Exilregierung, ob Sandline der UÇK helfen könne im Kampf gegen die Serben. Der britischen Regierung gefiel die Vorstellung nicht, dass der Einsatz einer Söldnerfirma die Krise im Süden Jugoslawiens in einen Krieg verwandelt. Sie verbat Spicer den Auftrag. Spicer gehorchte.

Sandline braucht das Vertrauen der Regierenden, wenn die Firma den Ruf loswerden will, bezahlte Killer zu beschäftigen, wenn sie das Führen von Kriegen in eine ganz normale Dienstleistung verwandeln und wenn sie an das große Geld will. Sandline hofft auf Aufträge der Vereinten Nationen. Wenn in Ruanda wieder 800000 Menschen massakriert werden, wenn die Nato keine Lust hat, einen Krieg zu beginnen, dann soll bei Spicer das Handy klingeln.

Spicer hofft, dass dieser Moment nicht mehr lange auf sich warten lässt. Zwar nennt Enrique Ballesteros, der Söldner-Beauftragte der Uno, alle Söldner "Kriminelle", aber US-Präsident Bill Clinton teilt diese Meinung offenbar nicht. Im vergangenen Jahr schickte er 150 Söldner der US-Firma DynCorp ins Kosovo, um den Abzug der serbischen Truppen zu beobachten. Das ist ermutigend, findet Spicer und glaubt in eine glänzende Zukunft zu blicken.

Als George Bush und Michail Gorbatschow vor neun Jahren vereinbarten, große Teile ihrer Interkontinentalraketen abzurüsten, schien die Erde dem Frieden ein Stück näher zu kommen. Der amerikanische Politologe Michael Mandelbaum schwärmte "von der besten aller Welten", jemand hatte das Wort "Friedensdividende" erfunden, und die Welt wartete auf die große Ausschüttung. Die gewalttätigsten Auseinandersetzungen der Zukunft sollten Handelskriege sein, in denen Staaten mit Strafzöllen um den Preis von Zündkerzen oder Rindfleisch kämpfen. Krieg wäre so etwas wie Rülpsen nach fettem Essen, eine anrüchige Angewohnheit, der kultivierte Menschen nicht mehr nachgeben. Und sollte es doch einmal so weit kommen, würde die Uno es schon richten.

Spicer glaubt nicht an die Macht einer Organisation, die ihre Schulden von fast 3 Milliarden Dollar nicht eintreiben kann und jährlich über 20 Millionen Dollar verschlampt. Spicer glaubt auch nicht an die Weltfriedensordnung, er glaubt an das Comeback des Krieges. Spicer weiß, wie der Krieg der Zukunft aussehen wird. Er hat ihn schon erlebt, und er hat mit dem zukünftigen Feind an einem Tisch gesessen.

Der Krieg der Zukunft wird in Sierra Leone geprobt, er dauert bereits acht Jahre, und er ist ein Bürgerkrieg. Vier Fraktionen bekämpfen einander. Die Hälfte der Bevölkerung wurde vertrieben, zehntausende verstümmelt und massakriert.

Der Krieg der Zukunft ist ein totaler Krieg. Er unterscheidet nicht zwischen Soldaten und Zivilisten. Und er ist eine Zeitmaschine. Er katapultierte Sierra Leone von der Schwelle der Neuzeit zurück ins Mittelalter. Die ehemalige Vorzeigekolonie der Briten wird heute von Feudalherren beherrscht. Die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, sagt über den Krieg in Sierra Leone: Es ist "schlimmer als im Kosovo".

Den Gegner der Zukunft traf Spicer in der jugoslawischen Stadt Pale. Die Uno verhandelte dort 1994 mit den militärischen Führern der Serben über den Frieden.

Spicer war Mitglied der Unprofor, als er im Hauptquartier der Serben General Ratko Mladi´c traf. Mladi´c saß auf einem Stuhl, erzählte dreckige Witze, spendierte Drinks und versuchte die Briten auf der anderen Seite des Tisches zu überzeugen, dass er eigentlich ein netter Kerl sei, ein bisschen grob vielleicht, aber sympathisch.

Mladi´c war im Bosnienkrieg der Kommandeur der serbischen Truppen. Er führte seine Soldaten 1995 in die bosnische Stadt Srebrenica, ließ mehr als 5000 Menschen ermorden und in Massengräbern verscharren. Er eröffnete die Großoffensive auf die muslimische Enklave Gorazde und kommandierte von den Berghügeln um die Uno-Schutzzone den Dauerbeschuss. Das Haager Uno-Tribunal nennt Mladi´c einen Kriegsverbrecher. Spicer nennt Mladi´c "einen sehr gefährlichen Mann, der keine Regeln gelten lässt". Mladi´c selbst sieht sich als "serbischer Napoleon".

Mladi´c und seine Blutsbrüder werden Karriere machen in den Kriegen der Zukunft. Der amerikanische Militäranalyst Ralph Peters ist überzeugt, dass sich die Welt in zwei Lager spaltet. In einem steht die Nato, im anderen der Rest, den Männer beherrschen, "denen es nur um Geld, Gold und Frauen geht". Der Soziologe Hartmut Dießenbacher hat in Afrika, in Südamerika, in Asien den "Übervölkerungskrieger" entdeckt, der Frieden für einen unangenehmen Ausnahmezustand hält. Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld glaubt, dass sich die Welt von der Idee des Territorialkrieges verabschiedet, in dem Regeln wie die Genfer Konvention existierten und manchmal auch beachtet wurden. Vom Optimismus am Ende des Kalten Krieges ist nichts mehr zu spüren. Vor den Menschen scheint eine Epoche zu liegen, die nicht friedlicher, sondern gewalttätiger und chaotischer ist als der Kalte Krieg, die nicht nur viele Menschen das Leben kosten wird, sondern viele Staaten die Existenz.

Allein in diesem Jahr kapitulierte Ahmed Tejan Kabbah, jetzt wieder Präsident Sierra Leones, vor einer Rebellenarmee und ernannte mutmaßliche Mörder zu Ministern. In Kolumbien resignierte Finanzminister Juan Camilo Restrepo vor Drogenbaronen und gab bekannt, das Land werde künftig Heroin und Kokain in das Bruttoinlandsprodukt einrechnen. In Tschetschenien kontrolliert Präsident Aslan Maschadow mit Mühe und Not die Hauptstadt Grosny, während 150 kriegerische Clanchefs das Land unter sich aufteilen. In Indonesien erreichte der Konflikt auf Osttimor einen neuen Höhepunkt. Und im Kosovo hat die Nato zur Kenntnis zu nehmen, dass sie sich die Macht mit der albanischen Mafia teilen muss.

Während des Kosovo-Krieges wurde in Deutschland gestritten, ob der postnationale Krieg, der ethische, der humane, der bessere Krieg, in Mode kommt. Peters, Dießenbacher und van Creveld glauben nicht daran. Es ist der pränationale Krieg, der vor einer großen Karriere steht. Viele Kriege der Zukunft werden an das Chaos in Sierra Leone erinnern, kaum einer an die relative Ordnung des Kampfes um das Kosovo.

Der Kosovo-Krieg war ein Luxus, den sich selbst das mächtigste Militärbündnis der Erde nicht oft leisten wird. 35 Milliarden Dollar sind eine Menge Geld. Und Mitleid allein reicht nicht aus, um neue Kriege zu führen. US-Außenministerin Madeleine Albright in einem SPIEGEL-Gespräch: "Wie müssen auch in unsere Entscheidungen einbeziehen, wie strategisch wichtig die entsprechende Region ist."

Friedensforscher beklagen, dass die Zahl der Kriege steigt, dass neue Kriege meist Bürgerkriege sind, dass sie länger dauern als die alten und dass Siegen selten bedeutet, den Gegner zu schlagen. Immer häufiger soll ein Volk vernichtet werden. Heute kommen mehr Menschen bei Völkermorden ums Leben als in erklärten oder nichterklärten Kriegen. Forscher wie Dießenbacher prognostizieren, dass die Zahl der Bürgerkriege steigen wird, solange die Weltbevölkerung wächst.

Die neue Unordnung ist so verwirrend, dass es schwer ist, die Übersicht zu behalten, wer Freund ist und wer Feind. Im Kampf um die pakistanische Hafenstadt Karatschi wurden 18 rivalisierende Gruppen gezählt, dazu schwer bewaffnete Killerbanden, Milizen und Geheimdienste. In Indien kämpfen private Kastenarmeen und Kriminelle gegen oder für Politiker. In Kolumbien stehen sich Guerrilleros, paramilitärische Einheiten, die Rauschgiftmafia und staatliche Sicherheitskräfte gegenüber, und im Sudan musste der deutsche Bischof Klaus Engelhard erleben, dass der Krieg "das Land ins totale Chaos gestürzt hat".

Sicher scheint der Frieden nur noch in Teilen Westeuropas zu sein. In den USA attackieren immer wieder einzelne Bürger ihren Staat. Der bislang verheerendste Angriff gelang dem Rechtsradikalen Timothy McVeigh. Er sprengte 1995 ein Bundesgebäude in Oklahoma City. 168 Menschen starben. Vor zwei Jahren warnte der US-Verteidigungsminister William Cohen eindringlich vor dieser "Achillesferse" des Staates. Bill Clinton gründete im Weißen Haus ein "Büro für Terrorismusabwehr", das die Aktionen von Pentagon und FBI im In- und Ausland koordinieren soll.

In den Verteidigungsministerien der Nato macht sich seit einiger Zeit die Einsicht breit, dass der Dritte Weltkrieg bereits begonnen hat, dass man ihm nicht entgehen kann und dass es nicht der Krieg ist, den die USA und Westeuropa 50 Jahre lang gefürchtet hatten. Die große Schlacht fällt aus.

Der Golfkrieg war möglicherweise der letzte Krieg, in dem riesige Armeen aufeinander trafen und in dem die Übermacht des Westens so erdrückend war, dass selbst der ehemalige US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger von "einem seltsamen Krieg" sprach. Der Krieg der Zukunft findet nicht in der Wüste statt, sondern in Städten, in verwirrenden Orten wie Mogadischu, wo es kaum Straßennamen gibt, noch Schilder.

Wie schlecht Amerika auf diese Art des Krieges vorbereitet ist, erfuhr die letzte Supermacht der Erde während ihres Somalia-Einsatzes. Beim Versuch, den Rebellenführer Aidid festzunehmen, starben proportional zur Truppenstärke mehr Soldaten als im gesamten Golfkrieg. Boris Jelzin machte die gleiche Erfahrung in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Die mächtige russische Armee wurde von Rebellen vertrieben.

Die amerikanischen Militärplaner wussten um die strategische Schwäche ihrer Armee und schrieben in ihre Militärdoktrin, dass Konflikte in Großstädten vermieden werden sollten. Die Politik hielt sich nicht an die Doktrin. Das US-Marinecorps kämpfte in den vergangenen zehn Jahren bei 237 von 250 Einsätzen in Städten. Experten glauben, in naher Zukunft wird der Einsatz kleiner Einheiten nicht mehr ausreichen. Das US-Militär geht in einer internen Studie davon aus, dass im Jahr 2015 etwa 85 Prozent der Menschen in Städten leben.

Spätestens seit dem Sieg über Saddam stecken die Regierenden der Nato-Staaten in einem dreifachen Dilemma. Sie dürfen während eines Krieges keine Zivilisten töten. Sie dürfen nicht zulassen, dass im Kampf eigene Soldaten sterben. Sie dürfen keinen Krieg verlieren. Was im Golfkrieg scheinbar glückte, muss jetzt in jedem anderen Krieg gelingen, wenn die Nato-Regierenden nicht politischen Selbstmord begehen wollen.

Zu Beginn des Kosovo-Krieges war die Furcht vor Wahlniederlagen so groß, dass die späteren Sieger eine Todsünde begingen. Sie offenbarten ihre Strategie und sagten Milosevic, sie würden keine Bodentruppen einsetzen. Im Krieg der Zukunft wird die Nato den Bodenkrieg wieder führen müssen. Der Kampf in den Städten ist nicht anders zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, warfen die amerikanischen Stabschefs ein langgedientes Dogma auf den Müll. Es hieß: Feuerkraft ist Macht. Im Strategiepapier "Joint Vision 2010" steht nun "Wissen ist Macht". Mehr Kommunikation zwischen Befehlshaber und Truppe soll die Gefahr für die Soldaten mindern.

Die Waffen, die den Sieg sichern sollen, präsentierte 1998 Jason Petree, Soldat der US-Armee, während der jährlichen Konferenz der Association of the U. S. Army. In seinen Händen hielt Petree einen M-4- Karabiner, ausgestattet mit einer Videokamera, einer Infrarotkamera, einem Laser-Entfernungsmesser und einem digitalen Kompass. Auf seinem Kopf trug er einen Helm, ausgestattet mit einem Nachtsichtgerät, einem Alarmgerät, das meldet, wenn er von einem feindlichen Laserstrahl erfasst wird, und einem Mini-Bildschirm, auf den Karten, Befehle und Bilder der Videokamera des Karabiners übertragen werden. Sollte Jason Petree mit dieser Ausrüstung auf einen Feind treffen, könnte er ihn bekämpfen, ohne seine Deckung zu verlassen. Petree würde das Gewehr in Richtung des Gegners halten, die Videokamera würde das Bild auf seinen Helm-Bildschirm senden, der Laser würde die Entfernung zum Ziel messen und eine Granate programmieren. Versteckt sich ein Feind in einem Haus, fliegt durchs Fenster und explodiert über ihm. Oder Petree setzt ameisengroße Roboter in Marsch, programmiert mit den Koordinaten des Feindes. Die Roboter sind laufende Mini-Bomben, die auf Körperwärme reagieren und explodieren.

Trifft Petree auf einen Freund, der ihn für den Feind hält, sendet Petrees Computer einen Code, der ihn identifiziert. Sollte Petree sich verirren, würde ihm sein Satelliten-Kompass sagen, wo er ist. Ohne Computerhilfe funktioniert der Abzug, noch. Im Dezember 2001 werden die ersten 1800 Ausrüstungen ausgeliefert. 2020 sollen 425000 US-Soldaten vernetzt sein.

Läuft alles nach Plan, werden sie dann aus der Luft unterstützt, zum Beispiel von der Schwarzen Witwe, einer fliegenden Untertasse aus Plastik, die 15 Zentimeter misst und mit einer Kamera bestückt ist. Ferngesteuert soll sie in Gebäude fliegen, den Gegner finden und seine Position übermitteln. Den gleichen Zweck erfüllt Cypher, ein unbemannter Hubschrauber, der aussieht wie ein umgekippter Ventilator. Am Boden kundschaftet Sarge für die Soldaten. Der unbemannte Wagen ist 50 Stundenkilometer schnell und vollgestopft mit Tag- und Nachtsensoren, mit einem lasergesteuerten Entfernungsmesser und einer Hochleistungs-Überwachungskamera, die Livebilder an die Kommandozentrale sendet. Am Ende der Modernisierung lockt das transparente Schlachtfeld, auf dem jeder Gegner entdeckt wird und jede Gefahr kalkulierbar ist.

Die Bundeswehr trainiert den Krieg der Zukunft auf dem US-Truppenübungsplatz im oberpfälzischen Hohenfels. Auf den Computer-Monitoren des "Combat Maneuver Training Centers" simulieren deutsche Krisenreaktionskräfte künftige Schlachten. Jeder Soldat, jeder Panzer ist mit einem GPS-Satelliten-Sender ausgerüstet, der den Männern an den Monitoren die Position auf einer digitalen Karte zeigt. Bewegt sich ein Soldat oder ein Panzer, kriecht auf der Karte ein Rechteck los. So will die Heeresführung den Überblick über den nächsten Krieg behalten.

Außer den Peilsendern und unbemannten Aufklärungsdrohnen hat die Bundeswehr noch nicht viel zu bieten, um im Krieg der Zukunft zu bestehen. Die deutsche Armee steckt in einer Aufholjagd mit den Amerikanern. Noch gibt es keine Beschaffungspläne, keine Zeitpläne, kaum Geld im Haushalt, nur Prototypen von Prototypen, denen beigebracht wird, miteinander, nicht gegeneinander zu arbeiten. Während einer Nato-Tagung im Jahr 2001 will die Bundeswehr trotzdem ein komplettes System zeigen, das dem amerikanischen ähnelt. Auch die Briten und Franzosen arbeiten an "Mensch-Maschine-Systemen", um die Effektivität und Durchsetzungsfähigkeit des einzelnen Soldaten zu steigern.

Bill Clinton nutzte die Möglichkeiten des modernen Krieges bereits. Auf dem Höhepunkt der Lewinsky-Affäre griff er den Sudan und Afghanistan mit Marschflugkörpern an und zerstörte eine vermeintliche Giftgasfabrik sowie Lager, in denen angeblich Selbstmordattentäter ausgebildet wurden. Im Pentagon freute man sich: "Sogar die Wände der Gebäude fielen wie berechnet nach innen." Edward Herman, emeritierter Professor am Wharton College in Pennsylvania, spottete: "Wenn die USA Terroristen in anderen Ländern angreifen dürfen, dann können die Kubaner Miami bombardieren. Schließlich wurden dort jahrzehntelang Terroranschläge gegen Kuba geplant."

Möglicherweise legen die Politiker zu viele Hoffnungen in den digitalen Krieg. Während eines ersten Tests der U. S.-Army traten Kämpfer mit traditioneller Ausrüstung gegen Soldaten mit Hightech-Waffen an. Die Krieger der Zukunft verloren. Schuld war ihr Übergewicht. Die Ausrüstung wog 40 Kilo. In Test Nummer zwei lösten die Soldaten das Problem. Sie ließen die Waffen auf der Ladefläche eines Trucks zurück.

SPIEGEL Spezial 11/1999

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