"Es wird nie soviel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd" (Bismarck)
der Reader zur Verantaltung
GIB-Veranstaltungshinweis:
"Der Informationskrieg - Krieg und Medien"
19. März 2000; 19:00 Uhr
Ort: Kato; U-Bahnhof Schlesisches Tor, Berlin X-Berg
Der Krieg gegen Jugoslawien begann mit einer Lüge: "Wir führen keinen
Krieg" ließ Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März 1999 in seiner
Regierungserklärung die Nation wissen, vielmehr handele es sich um
eine "Militäraktion" oder nach NATO-Jargon um eine "Luftkampagne". Die
von Regierungsvertretern, PR-Agenturen und Pressestellen der
kriegführenden NATO-Verbündeten zum Zweck der Kriegslegitimierung
kreierten und über die Massenmedien gestreuten Begriffe wie den der
"humanitären Intervention" gaben ganz nach dem Motto "wenn sie von
Frieden reden, meinen sie Krieg" den deutlichen Hinweis: Es wird Krieg
geführt - in diesem Falle gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.
Zugleich handelte es sich um einen "(Des)Informationskrieg" an der
"Heimatfront". Diese Seite des Krieges haben wir als
Nachrichtenkonsumenten und Konsumentinnen eindrucksvoll erfahren
müssen. Auf nahezu allen Fernsehkanälen die gleichen Bilder, im Radio
die gleichen Stimmen und in den Kommentaren der Tagespresse sich
wiederholendes Vokabular und auffallend ähnliche Meinungen zur
Notwendigkeit der Bombardierungen. Eine Verschwörung? Gleichschaltung?
Staatliche Zensur? Oder einfach nur die bekannte Ignoranz und
Oberflächlichkeit der meinungsbildenden Medienindustrie?
Das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit, heißt es immer wieder,
wobei der Ausspruch nicht einmal die halbe Wahrheit wiedergibt. Die
ersten Opfer sind zweifelsohne die betroffenen Menschen. Außerdem
suggeriert der Spruch, daß vor dem Krieg nicht gelogen wurde. Bismarck
wußte das schon besser und war sich der strategischen Bedeutung von
Information und Desinformation sicherlich bewußter als der Großteil
der heute aktiven JournalistInnenzunft. Ohne die massive Verbreitung
von Lügen hätte es den Angriffskrieg gegen Jugoslawien in dieser Form
und mit diesem gesellschaftlichen Rückhalt nicht geben können. Die
Bevölkerung der BRD (wie auch der anderen beteiligten NATO Staaten)
mußte den Krieg zunächst als unumgänglich akzeptieren oder sogar
nachdrücklich fordern, um für den dritten deutschen Waffengang gegen
Jugoslawien ein ruhiges Hinterland zu gewährleisten.
"Dazu war es aber notwendig, nicht etwa um die Gewalt als solche zu
propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte
außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß im Gehirn der breiten
Masse des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst
wurde: wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muß es
mit Gewalt abgestellt werden; so kann es aber auf keinen Fall
weitergehen. Diese Arbeit hat Monate erfordert, sie wurde planmäßig
begonnen, planmäßig fortgeführt, verstärkt." Mit diesen Worten
erläuterte Adolf Hitler am 10. November 1938 vor der deutschen Presse
seine zielstrebigen Bemühungen die Kriegsbereitschaft der Deutschen
herzustellen. In einem Spiegel-Interview vom 20.7.92 erklärte der
damalige Verteidigungsminister Volker Rühe die planmäßige Weise, mit
der die wiedervereinigte Bevölkerung Deutschlands auf kommende Kriege
eingestimmt werden sollte - den Deutschen wurde seinerzeit von der FAZ
ein "tiefverwurzeltes Friedensbewußtsein" attestiert: "Deswegen müssen
wir Schritt für Schritt vorgehen. Es geht auch nicht darum, die
Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf die neuen Aufgaben
vorzubereiten. Bei Blauhelm-Einsätzen ist das schon gelungen: Zwei
Drittel der Bevölkerung stimmen zu."(1)
Die Brutkastenlüge
Wie die Schaffung eines gesellschaftlichen Konsenses ohne
Propagandaministerium und ohne repressive Zensurmaßnahmen exemplarisch
funktionieren kann, belegen die Hintergründe zur "Brutkastenstory",
die zum Sinnbild moderner psychologischer Massenmanipulation und
Kriegsvorbereitung wurde.
Eine der Lehren des Vietnamkriegs war für die US-Administration und
Militärs, daß der freien journalistischen Interpretation von Bildern
aus Kriegsgebieten, entgegengewirkt werden muß, da die
Kriegsbereitschaft der heimischen Bevölkerung dadurch unterwandert
wurde. Neben umfassenden Kontroll- und Zensurmaßnahmen schlug der
Public Relations-Spezialist der US-Marine Arthur A. Humphries 1983
vor, die Medien gezielter in der Kriegsführung einzuplanen: " Die
Nachrichtenmedien können in der psychologischen Kriegsführung ein
nützliches Werkzeug, ja sogar eine Waffe sein, die den Soldaten den
Einsatz ihrer schweren Waffen erspart."(2)
Waren es bei der Destabilisierung von mißliebigen Regierungen und der
Aufstandsbekämpfung in Lateinamerika überwiegend CIA-Agenten, die
durch gezielte Falschmeldungen, US-Interventionen legitimieren
sollten, wurde zur Vorbereitung des Kriegs gegen Irak die größte
PR-Agentur der USA unter Vertrag genommen. Ausgestattet mit einem
Budget von 10,7 Mio. $ startete die PR-Agentur Hill & Knowlton 1990
einen Propagandafeldzug für die "Befreiung" Kuwaits, deren Höhepunkt
die "vielleicht übelste Propagandalüge der Bush-Administration und der
kuwaitischen Regierung"(3) war. Im Oktober 1990 schilderte vor dem
Menschenrechtsausschuß des US-Kongresses ein 15-jähriges Mädchen unter
Tränen von Greueltaten irakischer Soldaten. Diese hätten in einem
kuwaitischen Krankenhaus 15 Babys aus Brutkästen gerissen, auf den
Boden geworfen und dort sterben lassen. Die Brutkästen wären entwendet
worden. Aus anderen Krankenhäusern wurden ähnliche Vorfälle
geschildert, so dass u.a. Amnesty International 312 auf diese Weise
getötete Babys und gestohlene Brutkästen zählte - ai dementierte diese
Angabe später. Präsident Bush griff die Greuelgeschichte in seiner
Kriegskampagne immer wieder auf, so dass der zunächst kriegskritische
US-Senat der Intervention zustimmte und durch die mediale Aufbereitung
der Geschichte auch innerhalb der US-Gesellschaft ein
Meinungsumschwung zu verzeichnen war.
Im Januar 1992 wurde die Identität der jungen Zeugin enthüllt - es
handelte sich um die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA,
die von Hill & Knowlton als Zeugin aufgebaut worden war. Präsident der
PR-Agentur war Craig Fuller, Bush-Anhänger und dessen ehemaliger
Stabschef. Weitere Untersuchungen ergaben, daß kuwaitische Ärzte
offensichtlich gelogen hatten, Brutkästen an ihren Plätzen standen und
Hill & Knowlton Umfragen durchgeführt hatte, um herauszufinden, was
Menschen besonders erregt. Ergebnis war, dass die befragte
Bevölkerungsgruppe sehr heftig auf Baby-Greuel reagiert hatte (vgl.
Chomsky). Die Propagandalüge war 1992 widerlegt, der Krieg aber
bereits Vergangenheit. Weitere Kunden von H & K sind u.a. die
Regierungen Chinas, Indonesiens und der Türkei.
Serbien muß sterbien
Zu dem Zeitpunkt als die Brutkastenlüge publik wurde und mensch hätte
denken mögen "gebranntes Kind, (d.h. in diesem Fall JournalistInnen)
scheut das Feuer", war eine andere PR-Agentur bereits damit betraut,
dass Image Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas und der kosovarischen
Opposition zu fördern und die serbische Position in Mißkredit zu
bringen. Um diese Aufgabe effizient auszuführen sind lediglich ein
Computer, ein Faxgerät und eine Kartei notwendig. "Die Kartei enthält
die Namen von einigen Hundert Journalisten, Politikern, Repräsentanten
humanitärer Organisationen und Universitätsangehörigen", erklärt der
Direktor von Ruder Finn Global Public Affairs, James Harff. Als
größten Erfolg beschreibt er: "Dass es uns gelungen ist, die Juden auf
unsere Seite zu ziehen." Antisemitismus ist in Kroatien und Bosnien
nicht nur ein historisches Phänomen, sondern vertreten durch die
Präsidenten Tudjman und Izetbegovic auch im heutigen politischen
Diskurs prägend. "Die jüdischen Intellektuellen und Organisationen
hatten daher allen Grund, den Kroaten und Bosniern feindlich gesinnt
zu sein. Diese Tatsachenlage umzukehren, das war für uns eine
Herausforderung. Wir haben das meisterhaft geschafft, und zwar
zwischen dem 2. und 5. August 1992, als die New Yorker 'Newsday' die
Sache mit den Lagern herausbrachte. (...) Wir sind sofort auf den Zug
aufgesprungen. Im Handumdrehen konnten wir die Serben in der
Öffentlichen Meinung mit den Nazis gleichsetzen". Und James Harff
führt fort, dass die Medien von nun an ihren Sprachgebrauch wandelten
und emotional stark aufgeladene Begriffe benutzten wie "ethnische
Säuberung", Konzentrationslager usw., bei denen man an
Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz denkt."(4) Damit war das
Feld auch in Deutschland bereitet nach Saddam Hussein nun Slobodan
Milosevic mit Hitler gleichzusetzen und dem "Bösen" damit einen Namen
zu geben, der die Emotionen gerade in Deutschland bewegte. "Irrer
Serbe", "Schlächter", "serbischer Hitler" waren vor dem Krieg gängiges
Vokabular in den deutschen Massenmedien. Neben der Personifizierung
wurde die Kriegspropaganda von dem ständigen Bezug auf den
Nationalsozialismus begleitet. Die Lehren aus dem NS "Nie wieder
Krieg" und "Nie wieder Auschwitz" wurden von der rot-grünen Regierung
kaltschnäuzig verdreht und mißbraucht. Aus militärischer
Selbstbeschränkung wegen Auschwitz wurde mit der beschworenen
deutschen moralischen Verantwortung der Kriegseinsatz legitimiert. Mit
den Worten Schröders vom 16.10.1998: "Ich denke, die Tatsache, daß
Deutschland unter einer verbrecherischen Führung auf dem Balkan
schuldig geworden ist, erlaubt es dem demokratischen Deutschland von
heute nicht, in diesem Teil Europas Verbrechen geschehen zu lassen -
eher umgekehrt." (5) In diesem Klima wurden kritische Fragen nach
Quellen und Belegen für Massengräber, Massaker,
Massenvergewaltigungen, Deportationen und Konzentrationslagern "mit
der Rechtfertigung des Kriegsgegners gleichgesetzt (...) die
vielleicht gefährlichste Entwicklung für den Journalismus, die aus
diesem Krieg auf dem Balkan resultiert", wie Albrecht Reinhardt,
Leiter der Programmgruppe Ausland des WDR, resümiert.(6)
Dass diese Entwicklung von Kriegstreibern durchaus gewollt ist,
erklärte NATO-Sprecher Shea in einem Fernsehinterview: "Kosovo war der
erste Medienkrieg. (...) Die Journalisten waren gleichsam Soldaten in
dem Sinne, dass sie der Öffentlichkeit erklären mußten, warum dieser
Krieg wichtig war."(7)
Gefüttert mit Desinformationen der PR-Agenturen, der NATO und der
Regierungsvertreter und wenig Möglichkeiten der
Informationsbeschaffung von anderer Seite, waren selbst kritische
Journalisten dem Mainstream ausgeliefert. Sie fungierten dabei primär
nicht als die "Fälscher" von Nachrichten, sondern vielmehr als die
Verbreiter derselben. Die Verifikation von Meldungen, ein im
Pressekodex von 1996 verankerter Grundsatz, wurde regelmäßig
unterlassen zu Gunsten eines diskursiven Opportunismus. Das
vermeintliche Massaker von Racak am 15. Januar 1999 ist nur ein
Beispiel dafür, dass unhinterfragt veröffentlicht wurde, was in das
geschaffene Bild der "serbischen Schlächter-Banden" paßte. Er hätte
sich schon in vielen Kriegsgebieten aufgehalten und viel gesehen, aber
Racak sei "das Schrecklichste, was er in seinem Leben gesehen habe",
erklärte William Graham Walker, ehemaliger Chef der OSZE-Mission im
Kosovo, vor laufenden Kameras. Auf einen schlüssigen Bericht der
Untersuchungskommission zu Racak wartet die kritische Öffentlichkeit
bis heute, währenddessen Walker Ende letzten Jahres vom UCK-Chef
Hashim Thaqi eine goldene Schüssel und unter begeisterten "Walker,
Walker"-Rufen die kosovarische Ehrenbürgerschaft empfängt.(8) William
Walker ist dabei kein unbeschriebenes Blatt. Sein Einsatzfeld seit
Mitte der 70er und in den 80er Jahren war Zentralamerika, wo er im
Contra-Krieg gegen die sandinistische Regierung in Nicaragua
involviert war und als US-Botschafter in El Salvador der dortigen
Reaktion zur Seite stand.
Psychologische Kriegführung
"Die scheinbare publizistische Vielfalt bekräftigt die Wirkung der
täglichen Desinformation", wie Professor Heinz Odermann im ND die
Folgen der psychologischen Kriegsführung beschreibt. Der nicht
erklärte und nicht durch repressive Zensurmaßnahmen durchgesetzte
einseitig geführte Informationskrieg konnte somit ohne nennenswerte
Gegenwehr gewonnen werden. Kriegsminister Scharping war einer der
großen Gewinner auf diesem Feld. Er behandelte JournalistInnen ganz im
Sinne des NATO-Sprechers Shea wie Soldaten und forderte sie auf
Pressekonferenzen auf, zu gezeigten Fotos, "genau das zu beschreiben,
was auch er daraus erkenne." Zwischenfragen wurden nicht geduldet. "In
dieser Situation erreicht der Propaganda-Apparat der Regierung eine
neue Qualität".
Diese von Albrecht Reinhardt attestierte neue Qualität ist integraler
Bestandteil der psychologischen Kriegsführung. In der US-Armee heißt
die zuständige Einheit Psychological Operations (PSYOPS), in der
Bundeswehr "Truppe für Operative Information" (OpInfo). Scharping als
Kriegsminister und damit oberster Chef der Truppe handelte ganz nach
deren Maxime, die in der Konzeption über die Aufgaben der OpInfo
dargestellt ist: "Massenkommunikationsmittel können Verlauf und
Ausgang von Konflikten entscheidend beeinflussen. Wer über solche
Mittel verfügt, wird sie zu seinem Nutzen und zum Schaden des Gegners
einsetzen. Propaganda, Desinformation und Manipulation von Meinungen
sind Teil des Kampfes um und mit Information. In einem Klima
einseitiger Information und eingeschränkter Informationsmöglichkeit
kann politische, ethnische, religiöse und anders geartete
Ideologisierung bis hin zur Gewaltbereitschaft gedeihen"(9).
Das Verfügen über die Medien, als Ort des gesellschaftlichen
Konsenses, war das Ziel und Resultat der von NATO, Regierungen und
PR-Agenturen gelieferten Desinformationen. Zu einem politisch derart
brisanten Thema einen medialen und aufgrund mangelnder
Gegeninformation auch gesellschaftlichen Konsens dieser Ausprägung zu
erreichen, bedeutete die Absicherung des Krieges nach innen.
Veranstaltungshinweis:
Informationsveranstaltung des Gegeninformationsbüros/ Berlin
"Der Informationskrieg - Krieg und Medien"
19. März 2000; 19:00 Uhr
Ort: Kato; U-Bahnhof Schlesisches Tor, Berlin X-Berg
Hermann Werle
(2) Claßen, Elvi: In ami Nr. 10, 1998
(3) Chomsky, Noam: Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung;
Trotzdem Verlag 1996, S. 76
(4) Merlino, Jacques: Da haben wir voll ins Schwarze getroffen.
In: Bittermann, Klaus: Serbien muß sterbien,
Edition Tiamat 1994, S. 153 ff
(5) zit. nach Schwab-Trapp, Michael:
Der deutsche Diskurs über den Jugoslawienkrieg.
In: Medien in Konflikten; Duisburger Institut für Sprach- und
Sozialforschung, 2000, S. 106
(6) Aus: Menschen machen Medien, Zeitschrift der IG Medien;
Nr. 7 Juli '99.
(7) "Der Krieg und ein fauler Frieden"; ARD-Dokumentation 29.10.99.
(8) Jungle World Nr. 46, 10. November 1999
(9) Europäische Sicherheit; Juli '99
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