Bündnis 90 / Die Grünen Spezial

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21. April 1999 Jungle World

Unbehagen vor Hagen

Wenige Wochen vor dem Sonderparteitag spitzen sich die Widersprüche bei den Grünen zu: Die Fraktion der Kriegsgegner wird stärker

Aufregung bei den Berliner Grünen: Nachdem eine Gruppe von linksradikalen Besetzern von der Polizei aus der Landesgeschäftsstelle geräumt wird, steht die Partei Kopf. Die "militärische Lösung" sei "nicht akzeptabel", schimpfen Basisvertreter aus Hohenschönhausen. Die Kreuzberger Bezirksgruppe will sogar Geld für den Fall sammeln, daß sich die Aktivisten vom autonomen "Gegen-Informations-Büro" nun vor Gericht verantworten müssen. Drei Grüne geben als Reaktion auf die vom Vorstand beschlossenen Räumung ad hoc ihr Parteibuch ab - unter ihnen Judith Demba. Die Senatsabgeordnete ist sich sicher: "Mir werden noch viele folgen."

Tatsächlich? Bislang kommt immer die Zahl 200 ins Spiel, wenn von Grünenmitgliedern gesprochen wird, die ihrer Partei wegen des Kriegskurses den Rücken kehren. Wieviele es wirklich sind, vermag noch niemand genau zu sagen. Nach Informationen der Berliner Geschäftsstelle steht der Hauptstadt-Landesverband derzeit mit 25 Austritten hinter Nordrhein-Westfalen mit 50 und Bayern mit 30 auf Platz drei. Bei rund 51 000 Mitgliedern nicht gerade viel für eine Organisation, zu deren Basics einst ein idealistisch begründeter Pazifismus gehörte.

Dennoch: Was sich vergangene Woche in der grünen Geschäftsstelle in der Kreuzberger Oranienstraße 25 abspielte, könnte so in zahlreichen grünen Parteibüros stattfinden. Antimilitaristen und Adjudanten des Kriegskurses von Frontmann Joseph Fischer geben sich gegenseitig die Klinke in die Hand, ohne auch nur ansatzweise über gemeinsame Positionen zum Kosovo-Konflikt zu verfügen. "Die Bandbreite der Positionen", sagt die niedersächsische Landesvorsitzende Renée Krebs, "geht von 'Bodentruppen jetzt' bis 'Lösung ohne Waffengewalt'." Wobei das Gewicht eindeutig verteilt ist: Während es an der Basis rumort, ist man sich nach Einschätzung von Reinhard Bütikofer in den Führungsgremien einig. Dort gebe es, beteuert der Bundesgeschäftsführer, eine breite Übereinstimmung für den Kurs der Regierung.

Bisher zumindest. Spätestens nachdem bekannt wurde, daß wohl Nato-Bomber einen kosovo-albanischen Flüchtlingstreck angegriffen und dadurch mindestens 70 Menschen ermordet haben, gewinnen die Kriegsgegner publizistisches Oberwasser. Und das bekommen auch die Bonner Grünen zu spüren. Neben den sieben bisherigen Bundestagsabgeordneten um Christian Ströbele sind nun weitere wie etwa Winfried Nachtwei auf Distanz zum Kurs der Regierung gegangen. Auch der parteilinke Babelsberger Kreis lehnte den Nato-Angriff auf ihrem Treffen am vergangenen Sonntag in Kassel rundweg ab - die beiden Kriegsbefürworter Angelika Beer und Ludger Volmer hatten sich wohlweislich gar nicht erst in dem Gremium blicken lassen. Zudem wurde am Wochenende bekannt, daß sich mit der Umwelt-Staatssekretärin Gila Altmann erstmals ein Regierungsmitglied offen gegen den Nato-Angriffskrieg stellte. Schon vorher befürchtete Parteisprecherin Antje Radcke öffentlich eine Spaltung der Partei, wenn sich nicht bald ein diplomatischer Durchbruch abzeichne.

Daß der nun ausgerechnet mit Initiativen wie etwa Außenminister Fischers Friedensplan zustandekommt, damit rechnet im Lager der Kriegsgegner kaum jemand. Im Gegenteil: Uli Cremer, Mitautor des von knapp 1 000 Parteigängern unterzeichneten innergrünen Anti-Kriegs-Appells, befürchtet, daß "die Initiative am Ende dazu dient, die Akzeptanz für den Einsatz von Bodentruppen zu erhöhen". Daß am Wochenende selbst die Verteidigungspolitische Sprecherin Beer ihre Zustimmung zu solchen Einsätzen eingeräumt hat, spricht für die Einschätzung Cremers. Der Friedensplan ist für den Hamburger Pazifisten nichts als "alter Wein in neuen Schläuchen", mit dem der Minister später vorgeben könne, den diplomatischen Weg vollkommen ausgeschöpft zu haben. "Fischers Vorschlag enthält, verglichen mit dem Entwurf von Rambouillet, im Grunde nichts Neues."

Im Gegensatz zum grünen Außenminister kann sich Cremer auf die Beschlußlage in seiner Partei berufen. Noch am 7. März, zwei Wochen, bevor die ersten Nato-Bomben auf Jugoslawien niederfielen, bestätigte die Bundesdelegiertenkonferenz in Erfurt ihre Haltung zur Rolle der Vereinten Nationen im Kriegsfall: "Bündnis 90/Die Grünen wenden sich grundsätzlich gegen eine Nato-Selbstmandatierung für Militäreinsätze, damit das Gewaltmonopol der Uno nicht außer Kraft gesetzt wird."

An solche Vorgaben fühlte man sich freilich in Fischers Umfeld nicht gebunden. Außenamt-Staatsminister Ludger Volmer lamentierte gar von einer "grünen Karte", die Slobodan Milosevic im vergangenen Jahr gezogen habe, "um das westliche Bündnis über die Grünen zu spalten". Soll heißen: Der serbische Regierungschef hatte die Beschlußlage der Partei beim Wort genommen und via Unterhändler von Volmer den Ausstieg aus der Bonner Koalition gefordert. Daß sich ein Grüner von einem Balkan-Hitler seinen Pazifismus vorhalten lassen mußte, veranlaßte wohl selbst einen ehemals Parteilinken wie Volmer zum politischen Wandel. Früher war es vor allem ihm vorbehalten, bei den Grünen die besondere Rolle der Uno hochzuhalten.

Bei dem jetzt im Hause Fischer entworfenen Friedensplan, so kritisiert Kriegsgegner Cremer, soll die Uno "lediglich das Legitimationsmäntelchen für ohnehin von der Nato vorgesehene Schritte und Aktivitäten liefern". In der Substanz bleibe die vom deutschen Außenministerium geplante Überwachungstruppe in Jugoslawien eine "Nato-Besatzungstruppe". An der Überwachung eines Friedensabkommens könnten zudem von den G 8-Staaten, wie von Fischer vorgeschlagen, "nur Rußland, Kanada, Japan und vielleicht noch Italien teilnehmen". Alle anderen seien eindeutig Kriegspartei und damit nicht neutral.

Eine deutliche Absage also an die Pläne der rot-grünen Koalition. Nun blickt man von Flensburg bis Konstanz auf den Sonderparteitag am 13. Mai in Hagen. Der grüne Kreisverband Hamburg-Bergedorf kündigt bereits jetzt an: "Sollte eine Bundesdelegiertenkonferenz den Kurs der Bundesregierung legitimieren und womöglich fördern, wird umgehend eine Mitgliederversammlung des Kreisverbandes einberufen, auf der wir uns gemeinsam eine neue politische Heimat suchen oder geben werden." Auch in der Lübeck Ortsgruppe spekuliert man darüber, die Gesamtpartei zu verlassen. "Solange Fischer Außenminister ist", läßt der grüne Jurist Wolfgang Neskovic vom Kreisverband der Stadt wissen, werde er "bei Bundestagswahlen die Grünen nicht wählen." In Bielefeld konnten sich die Kriegsgegner am Wochenende knapp mit 44 gegen 42 Stimmen für einen sofortigen Stopp der Bombardierungen durchsetzen.

Etwa ähnlich, so schätzt der zum linken Flügel zählende Bundestagsabgeordnete Christian Simmert, dürfte das Verhältnis auch beim Sonderparteitag am 13. Mai in Hagen ausfallen. Simmert ist angesichts der makabren Situation optimistisch: "Wenn der Krieg weitergeht und sogenannte Erfolge ausbleiben, werden noch mehr von der Ausweglosigkeit der Bombardierungen überzeugt sein." Der Hamburger Cremer beziffert das Kräfteverhältnis derzeit ebenso auf "ungefähr fifty-fifty".

Dieses Gleichgewicht zugunsten der Kriegsgegner zu kippen, haben sich nun auch Autonome vorgenommen. "Ganz realpolitisch" und "völlig illusionslos" rufen sie in einem Flugblatt dazu auf, in Hagen "eine Mehrheit dafür zu gewinnen, der grünen Regierungsfraktion das Vertrauen zu entziehen". Ob die Entscheidung zum Bruch der Bonner Koalition an jenem 13. Mai, dem Himmelsfahrtstag, tatsächlich anstehen könnte? Für Simmert ist es noch zu früh für solche "Planspiele". Sollten sich jedoch Fischers Vorstellungen einer grünen Außenpolitik durchsetzen, steht der Partei möglicherweise ein schwerer Schlag bevor. Kriegsgegner Cremer: "Dann rechne ich mit Austritten in vierstelliger Zahl."

Wolf-Dieter Vogel

Oliv-Gruene Kriegstreiberei

Gegen-Informations-Büro
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