Störer standen auf der Gästeliste

Im Bundeswehrbus von der Kaserne zum Appellplatz chauffiert: Die meisten Demonstranten bekamen ihre Eintrittskarten von Rekruten

VON JÖRN HASSELMANN

Die meisten der 18 Gelöbnis-Gegner haben ihre Einladungskarten von Rekruten bekommen. Wie ein Offizier berichtete, hat ein junger Wehrpflichtiger gerufen, "Olaf, das hätt' ich nicht von Dir gedacht", als im feierlichsten Moment plötzlich Störer über den Rasen neben dem Bendlerblock stürmten. Nach Informationen des Tagesspiegels hatte ein Demonstrant mit der persönlichen Einladung einer grünen Abgeordneten Einlaß auf den abgeriegelten Appellplatz erhalten.

Dieser Mann - ein Aktivist der "Kampagne gegen Wehrpflicht" - sei schon vor Beginn der Zeremonie von einem Offizier erkannt worden und daraufhin von Feldjägern überprüft worden. Er durfte auf dem Platz verbleiben. Ob noch andere Kriegsgegner mit VIP-Karten einsickerten, wird jetzt intern bei der Bundeswehr geprüft, offiziell ermittelt die Polizei.

"Es ist die Frage, ob derjenige der die Einladung mitbringt, auch der Eingeladene ist", hieß es gestern bei der Protokoll-Abteilung des Verteidigungsministeriums. Nur zwei der Störer haben eine Presseakkreditierung besessen, hieß es gestern. In allen Dienststellen der Bundeswehr war gestern dieser Satz zu hören: "Wir wollen keinen Polizeistaat" - sprich, lieber einen nackten Protestler auf dem Platz als zu scharfe Kontrollen - gerade an einem Tag wie dem 20. Juli.

Dabei bedurfte es nicht viel Phantasie bei der Bundeswehr, um sich mögliche Störungen auszumalen; die "Kampagne" hatte schließlich vorher gelobt und versprochen, das Gelöbnis "phantasievoll zu stören".

"Wir waren darauf vorbereitet", räumte ein Oberstleutnant im Verteidigungsministerium ein, "es ist leicht an Karten zu kommen, wenn man will". Aktivisten zweier unterschiedlicher Gruppen haben dies am Dienstag abend bewiesen. Neben den Jungdemokraten, die namentlich zu ihrem Protest standen, fiel der Trupp Frauen auf, die sich blitzschnell entblättert hatten und dann mit bemalten Brüsten derart flink zwischen den Rekruten über den Appell-Platz fegten, daß sie von den Feldjägern kaum gefaßt werden konnten.

In diesem Ausmaß ist nach einhelligen Aussagen mehrerer Offiziere noch kein Gelöbnis beeinträchtigt worden. "Ein Schauspiel dieser Güte hatten wir noch nicht", meinte ein Soldat - und grinste. Überhaupt nahm die Truppe die Aktionen lockerer als die Politik. Während Eberhard Diepgen auf der anschließenden Pressekonferenz wortreich mit den Chaoten haderte, hatte der höchste deutsche Soldat, Vier-Sterne-General Hans Peter von Kirchbach, lediglich ein "So what ?" übrig. Ein Offizier verhehlte nicht, daß die Aktionen "militärisch straff" vorbereitet waren: "Hut ab."

Gefeit ist die Truppe nicht gegen ungebetene Gäste - auch nicht, wenn das Treuebekenntnis innerhalb von Kasernenmauern veranstaltet wird. Geholfen hätten Gitter vor den Tribünen, damit kein Zuschauer einfach so auf den Rasen hätte laufen können. "Aber dann hätte es geheißen, wir barrikadieren uns ein", sagte ein Soldat. Auch das Gros der 2600 Gelöbnis-Gäste nahm den nicht ganz nach Protokoll verlaufenenen Abend nicht mit Verbitterung. Geradezu frenetischer Applaus brandetete auf, als der letzte Störer vom Platz geschleift wurde: an jedem Arm und an jedem Bein ein Feldjäger. Später am Abend, auf dem Sommerfest für die Rekruten und Angehörigen, waren die Polit-Einlagen natürlich Hauptgespräch, die meisten hätten die Veranstaltung gelobt, berichtete ein Soldat gestern vom "Biwak" in der Julius-Leber-Kaserne.

Genau dort, in der Weddinger Kaserne, war für das Gros der Störer der Ausgangspunkt. Denn nahezu alle der insgesamt gut 1800 Angehörigen der 432 Rekruten wurden von dort in Bussen zum Bendlerblock gefahren, und dort dann nicht mehr kontrolliert. Nur Journalisten und Ehrengäste konnten direkt auf den Appellplatz gelangen. Eine "Mengenbegrenzung", wieviele Gäste jeder Rekrut einladen durfte, gab es nicht - die Spitze war 16. Nur zehn der Rekruten hätten keine Angehörigen - namentlich - angemeldet. Rein rechnerisch hat also jeder der Grundwehrdienstleistenden, die an diesem 20.Juli ihre Treue gelobten, etwa fünf Gäste mitgebracht. Die Bundeswehr hatte 400 Ehrengäste eingeladen - der übliche Querschnitt aus Politik und Prominenz. Dazu waren 450 Journalisten akkreditiert, die vorher einen gültigen Presseausweis vorweisen mußten. Seine Akkreditierung, ein Plastikkärtchen, mußte jeder Journalist persönlich bei der Bundeswehr abholen.

Für "echte" Demonstranten waren die Sperren um den Bendler-Block unüberwindlich. 1500 Polizisten hatten einen Kordon gezogen, Räumpanzer und Wasserwerfer standen bereit. Von den 24 auf der Demonstration Festgenommenen waren gestern noch vier hinter Gittern. Bei dem Quartett überlegte der Staatsschutz am Nachmittag noch, sie dem Haftrichter wegen Landfriedensbruch vorzuführen. Sie hatten Sirenengeheul vom Tonband abgespielt. Die Tiergartener Grünen protestierten gestern dagegen, daß Polizisten in einer Wohnung an der Sigismundstraße ein Transparent "Soldaten sind Mörder" beschlagnahmten.

Die Kriegsgegner wollen heute vor der Presse ihre Sicht schildern.

http://www.tagesspiegel.de/archiv/1999/07/21/ak-be-17119.html


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