die Welt, 21.06.99
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Das große Gelöbnis wurde zur großen Groteske - 60 Festnahmen bei Demonstration

Halbnackte Demonstranten stören die Bundeswehrfeier im Bendler-Block ­ Generalinspekteur prüft Vorfälle 

Von Hans-Jürgen Leersch

geloebnixGerade wollen acht ausgewählte Soldaten ihre Hände auf die Deutschlandfahne legen und das feierliche Gelöbnis sprechen, da wird es lebhaft auf dem großen Platz vor dem Bendler-Block. Demonstranten laufen über das Gelände, darunter mehrere halbnackte junge Frauen. Die eingeladenen Zuschauer werden unruhig, Feldjäger hetzen hinter den Protestlern her, nur die angetretenen 430 Rekruten verziehen keine Miene.

Die von der Bundeswehr sorgfältig vorbereitete Gelöbnisfeier am Dienstagabend wurde damit trotz strengster Einlaßkontrollen zur Groteske. Der Ablauf des Programms wird kurz gestoppt, damit Feldjäger und Offiziere die Nackten und andere Demon- stranten, die kreuz und quer über den Platz laufen, wieder einfangen können. Die gute Ausbildung der Soldaten zahlt sich aus: Schnell haben sie die Demonstranten eingeholt und führen sie ab.

Kanzler Gerhard Schröder und sein Verteidigungsminister Rudolf Scharping schauen sich betroffen an. Schröder will retten, was nicht mehr zu retten ist, und holt noch einen Regenschirm, den Demonstranten verloren haben, vom Platz. Die Zuschauer spenden dem Kanzler dafür Beifall. „Tucholsky hat recht", steht auf dem Schirm, der angesichts des Gewitterwetters offenbar problemlos durch die Zugangskontrollen geschmuggelt werden konnte.

Dabei hatte das dritte öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr ohne Störungen begonnen. Die Masse der Demonstranten wird wegen großräumiger Absperrungen des Geländes rund um die Stauffenbergstraße ferngehalten. Nur gedämpft sind Trillerpfeifen und Sprechchöre („Mörder, Mörder") zu hören.

muhahahahaSchröder schreitet die Reihen der Rekruten aus dem Jägerbataillon Berlin und dem Bonner/Berliner Wachbataillon ab. Vor der Deutschlandfahne verneigt sich der Kanzler. Neben Schröder und Scharping nimmt auch Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen teil. Marschmusik spielt, und trotz der Trillerpfeifen im Hintergrund wird es feierlich.

Schröder lobt die Bundeswehr, die er als „Friedens-Streitmacht" bezeichnet. Sie sei „keine Erorberungsarmee". Noch ahnt niemand, was passieren wird, auch wenn der erste Demonstrant mit Trillerpfeife bereits von Feldjägern aus der Menge geholt und abgeführt wird. Der Ort des Gelöbnisses, der Bendler-Block, ist für Schröder richtig ausgewählt. Hier habe Hitler 1944 „aufrechte Patrioten" des deutschen Widerstands erschießen lassen. Und hier könne man der Widerstandskämpfer gedenken. Doch wenig später rennen Nackte über den Platz.

Einige Teilnehmer nehmen die Störungen mit Humor: „Mein Gelöbnis war langweiliger. Es hatte nicht diesen Unterhaltungswert", sagt ein Soldat am Rande des Platzes.

geloebnixDer Unterhaltungswert hält sich jedoch in Grenzen. Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach erklärt: „Wie das passieren konnte, werden wir prüfen." Trotz der Panne ringt sich von Kirchbach noch zu dem Satz durch, die Bundeswehr fühle sich wohl in Berlin. Der General selbst scheint sich in diesem Moment weniger wohl zu fühlen. Nur Scharping findet alles „nicht so beschämend", während Diepgen „die Grenzen des guten Geschmacks überschritten" sieht. Diepgen will auch in Zukunft öffentliche Gelöbnisse in Berlin. Nach ein oder zwei weiteren Veranstaltungen „werden sich die Leute daran gewöhnt haben". Das glaubt jedenfalls Diepgen.

Zu Beginn der Kundgebung haben sich am Nachmittag nur rund 400 Personen am Ausgangspunkt Kurfürstenstraße eingefunden. Weitaus weniger als vom Veranstalter, einem Bündnis von über 20 Friedensinitiativen, erwartet. Schon hier nimmt die Polizei fünf Personen mit Reizgas im Gepäck wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot fest.

Auch während der Gegendemonstration kommt es zu Zwischenfällen. Nach vorläufigen Angaben der Polizei werden bis zum späten Abend 60 Personen festgenommen, vier Polizisten und sieben Protestler verletzt. Nach Schätzungen des Polizei-Lagedienstes nehmen rund 900 Personen an der Demonstration teil. Ihnen stehen insgesamt über 1000 Einsatzkräfte der Polizei gegenüber, die das Gelände am Bendler-Block weiträumig abgesperrt haben.
 

Auf den mitgeführten Plakaten wird „Geld für Bildung statt für Eurofighter" und „Kampf der Aufrüstung" gefordert. Auch T-Shirts mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder" sind weitverbreitet.

geloebnix gestoertAm Lützowplatz kommt es zu einer Rangelei zwischen Demonstranten und Polizei. Einer der Veranstalter, Ralf Siemens, wird wegen Körperverletzung festgenommen: Er soll einen Polizisten gewürgt haben. Als der Protestzug an der Stauffenbergstraße vorbeimarschiert, dröhnen „Mörder, Mörder"-Rufe lautstark durch die Straße. Ohrenbetäubend schrillt es hundertfach aus Trillerpfeifen. Am Kundgebungsort vor dem Bendler-Block gesellt sich dann zum alten Feindbild der Demonstranten ein neues: Die Grünen, insbesondere Jürgen Trittin. Noch im Vorjahr hatte sich der heutige Bundesumweltminister am Protestzug beteiligt. Heute ist er für die meisten hier „Mitglied einer Kriegspartei". Gegen Ende kommt es zu weiteren Festnahmen, als Polizisten einen Wagen mit Lautsprechern, aus denen Sirenengeheul ertönen, beschlagnahmen. So wollten die Demonstranten das Gelöbnis übertönen.

Win


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