Berliner Zeitung - 23.05.1996

Das Gerücht
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Ein ganz normaler Dienstag in Kreuzberg. Die rote Fahne hängt schlaff vom Dach der neuen Parteizentrale, die Wilhelmstraße ist menschenleer. Und im Tommy-Weissbecker-Haus soll eine Band spielen. Im Innenhof des Kulturzentrums, an den Bier- und Bratwurstständen, hat sich die Kreuzberger Lederjacken-Fraktion eingefunden und kultiviert, wofür sie einen internationalen Ruf besitzt: diesen unnachahmlichen Blick zwischen notorisch gelangweilt und "was willst du denn?". Doch am Dienstag vermischt sich noch eine etwas andere Stimmung mit den Dunstwolken des Grills. Konspirativ ist vielleicht zuviel gesagt, aber jeder wußte was und keiner wollte es sich anmerken lassen. Es hätte sich ja doch noch als Ente herausstellen können, das Gerücht von der angeblichen Superband, die hier spielen sollte. Viertel vor zehn wurden die letzten Zweifel von den ersten brettharten Gitarrenakkorden weggefegt. Kein Zweifel, auf der Bühne des 250-Zuschauer-Clubs standen Rage Against The Machine. Das Quartett aus Los Angeles, das offiziell nur bei den Open Airs "Rock am Ring/Rock im Park" vor erwarteten 100 000 Menschen spielen sollte. Doch die Band war mal wieder dorthin zurückgekehrt, woher sie stammt - zur Untergrundkultur. Kleine Clubs, keine Werbung, 10 Mark Eintritt. Wie gut ihnen das tat, stellten sie in anderthalb energiegeladenen Stunden unter Beweis. Und auch den coolsten Kreuzbergern floß der Schweiß literweise. Nachahmung ist erwünscht. Dafür steht Berlin immer offen. +++
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