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rh - rote hilfe - newsletter / 22.10.2003
Prozeßübersicht
Zum 129a-Prozess gegen Marco, Daniel und Carsten
Prozessbeobachtung - 129a Verfahren gegen 3 Magdeburger Linke
21.10. - Bericht vom 1. Prozesstag
Der erste Prozesstag im §129a-Verfahren gegen drei Magdeburger Linke war bereits
schon nach wenigen Stunden, gegen 12.00Uhr beendet.
Ab 8.30 Uhr versammelten sich ca. 60 Menschen vor dem Justizzentrum in Halle, um
gegen diesen politischen Prozess zu protestieren. Ein Transparent mit der
Aufschrift: "Gegen die Kriminalisierung linker Strukturen - Freiheit für Marco,
Daniel und Carsten!" wurde am Eingang hochgehalten. Über Megaphon wurden
Redebeiträge gehalten und während der Prozess lief, gab es mehrere kleine
Interviews mit VertreterInnen von Presse und Radio.
Vor dem Gerichtssaal hatten sich dann ungefähr 40 Leute eingefunden, welche den
Prozess besuchen wollten. Jedoch erhielten sie vorerst keinen Zugang, dieser war
nur den verschiedenen MedienvertreterInnen vorbehalten, um Aufnahmen von den
Angeklagten und ihren AnwältInnen machen zu können.
10 der BesucherInnen zogen sich vorher T-Shirts über, die zusammen die Parole:
"Leben, Lieben, Kämpfen!" ergaben. Kurze Zeit später kündigten Beamte des LKA
an, jene aus der Verhandlung auszuschließen.
Gegen 9.05 Uhr wurde den Verlobten der drei Angeklagten mitgeteilt, dass sie
nicht den Prozess besuchen können, da sie als ZeugInnen geladen werden und ihr
Verlöbnis erst noch nachweisen müssten. Die Frustration auf Seiten der Verlobten
war dementsprechend groß. Bei den direkten Verwandten reichte die Erklärung aus,
von dem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen zu wollen, um dem Prozess
beiwohnen zu können. Ab 9.10 Uhr erfolgte schleppend der Einlass, wobei alle
BesucherInnen durchsucht worden und ihren Personalausweis, sowie Handys am
Einlass hinterlegen mussten.
Der Gerichtssaal wies ca. 50 Plätze für BesucherInnen auf. Die ersten 2 Reihen
waren für die MedienvertreterInnen vorgesehen. Eine befürchtete Trennscheibe
zwischen Gerichtssaal und Publikum war nicht vorgezogen, jedoch gab es eine
Kamera an der Decke des Saales. Gegen 9.20 Uhr waren ca. noch 13 Plätze
unbesetzt, obwohl sich noch einige Wartende vor dem Gerichtssaal befanden, wurde
die Verhandlung vom vorsitzenden Richter Hennig eröffnet. Einer der Anwälte wies
das Gericht daraufhin, dass noch Plätze unbesetzt sind und sich draußen noch
Personen befinden, die dem Prozess ebenfalls beiwohnen wollten. Der Richter
ordnete daraufhin an, die restlichen Plätze noch besetzen zu lassen
Thomas Herzog, ein Anwalt von Daniel, machte darauf aufmerksam, dass die
vorgenommenen Personenkontrollen im Eingangsbereich nicht von gewöhnlichen
Justizbeamten vorgenommen wurden, sondern von Beamten des Landeskriminalamtes
des Landes Sachsen - Anhalt. Da in Vergangenheit bei Berliner Verfahren die
einkassierten Personalausweise doppelt kopiert und neben der Polizei auch dem
Verfassungsschutz "zur Verfügung gestellt" wurden, verlangte er sicherzustellen,
dass dies hier nicht geschehe. Richter Hennig gab den LKA Beamten Anweisungen
dafür Sorge zu tragen.
Szenenwechsel zum Eingangsbereich, den gerade zwei weitere BesucherInnen
passierten als die Anweisung des Richters weitergegeben wurde: "Die hinterlegten
Ausweise dürfen diesen Platz hier nicht verlassen." Erwiderung der Beamten:
"Jeden Tag etwas Neues!"
Wieder im Gerichtssaal: Kurzes Personalienprozedere... Marco, Daniel und Carsten
nahmen vorerst von ihrem Aussageverweigerungsrecht gebrauch und übergaben an
ihre AnwältInnen.
Da bekannt ist, dass es neben den Dreien noch weitere Mitbeschuldigte gibt,
wurde dahingehend von den Anwälten eine Anfrage auf nähere Informationen zwecks
prozesstechnischen Angelegenheiten an die Staatsanwälte gestellt. Demnach gibt
es nun doch "nur" 4 weitere Beschuldigte, gegen die ein Ermittlungsverfahren
angeblich erst seit dem 02. Oktober 2002 geführt wird.
Der Staatsanwalt Dr. Hornick begann dann das Konstrukt der Tatvorwürfe
wiederzugeben.
Einer der Anwälte forderte wenig später mehr Plätze für ZuschauerInnen, da sich
noch viele vor dem Eingangsbereich befanden. Nach einer zwanzigminütigen
Prozeßpause gab es dann drei zusätzliche Stühle, die jedoch von Zivibullen
okkupiert wurden.
Marco, Daniel und Carsten verlasen nun jeweils ihre Prozesserklärungen, die sich
aufeinander bezogen.( wird demnächst veröffentlicht! ) Nach dem Carsten den
ersten Teil vorgelesen hatte gab es Standing Ovations in den
BesucherInnenreihen, welche eine Drohung des Richters zur Folge hatten. Als
Daniel seine Rede beendet hatte, schwung dennoch ein solidarischer Besucher ein
Transparent mit der Aufschrift: "Wir grüßen euch. Viel Liebe und viel Kraft!
Reißen wir die Mauern ein, die uns trennen!", welcher dann aus der Verhandlung
verbannt wurde.
Nach den Prozesserklärungen der Drei, folgte eine Erklärung einer Anwältin von
Carsten, in der sie unter anderem die Dürftigkeit der Beweise hervorhob und
feststellte, dass es sich hier um eine reine von Behauptungen geprägte
Anklageschrift handelt. Es werde noch nicht einmal der Versuch gemacht, die
Vorwürfe auch zu beweisen. Jedes Observationsergebnis sei in "ein enges Korsett"
gedrückt worden, ganz nach dem Belieben der Ankläger, welche die eigentlichen
Urheber terroristischer Vereinigung seien.
So trug sie u.a. einen amüsanten, von mehreren BKA-Beamten vorgenommenen
Auswertungsvermerk einer beschlagnahmten handschriftlichen Skizze vor:
"Die terroristische Einstellung des Marco H. wird u.a. anhand einer kleinen
Strichzeichnung belegt.
Diese ist in zwei Teile gegliedert; der erste Teil stellt offensichtlich den
Zustand einer Person, eines Gebäudes sowie eines Baumes bei Tag (= vorher) dar,
wohingegen es sich bei dem zweiten Teil (= nachher) um die Beschreibung des
Zustandes abends / nachts nach einem - wie auch immer gearteten - Eingriff -
vermutlich einem Anschlag - handelt, da augenscheinlich die Person, das Gebäude
und der Baum umgefallen bzw. zerstört sind."
Der zweite Anwalt von Daniel beantragte hiernach daraufhinzuwirken, den
Staatsanwalt Dr. Hornick aus verschiedenen Gründen als Sitzungsvertreter der BAW
abzulösen und ihn nicht mehr an den Verhandlungen teilnehmen zu lassen. Die
Verteidigung wolle ihn in den Zeugenstand rufen. Er hatte beispielsweise als
ermittelnder Staatsanwalt der BAW am 26.11.2002 die anstehenden Verhaftungen und
Durchsuchungen in Magdeburg bei der dortigen PD und dem BKA bekannt gegeben.
Dabei hätte er den Ermittlungsrichter des BGH übergangen, den er nicht einmal
versuchte telefonisch davon in Kenntnis zu setzen. Gefahr im Verzuge hätte eben
am 27.11.2002 nicht vorgelegen. Desweiteren solle er als Zeuge Auskunft darüber
geben, ob er wärend der Ermittlungen durch Drohungen und Einschüchterungen
Aussagen erpreßt habe und diese, vorschriftswidrig, nur stichpunktartig
protokolliert lassen habe (diese Aussagen tauchen jetzt - teilweise stark
verändert - ausformuliert in den Akten auf).
Staatsanwalt Dr. Hornick selbst wirkte ziemlich angespannt und nahm still und
leise den Antrag der Verteidigung entgegen. Auf sein Kontra müssen wir uns dann
bis zum nächsten Dienstag, den 28.10. gedulden.
Der letzte Tagesordnungspunkt blieb dann somit der jeweilige persönliche
Werdegang von Marco, Daniel und Carsten.
Tabellarische Lebensläufe wurden vorgelesen. Zu Daniel verlas der Richter die
Kriegsdienstverweigerungserklärung, bei der einige PressevertreterInnen
hellhörig wurden, als dort neben seiner pazifistischen Haltung unter anderem auf
sein Engagement bei den Jusos und der SPD hingewiesen wurde.
Über 'Sieben' Brücken musst Du gehen:
Um den schulischen und beruflichen Werdegang von Marco zu erhellen, wurde eigens
der BKA-Beamte Sieben aus Meckenheim beordert, der nichts anderes tat, als einen
tabellarischen Lebenslauf vorzutragen. Wir können sehen, es werden keine Kosten
und Mühen für die Aufdeckung von längst bekannten Tatsachen gescheut.
Der nächste Verhandlungstag am 22.10.03 wurde gecancelt, damit dem Dr. Hornick
genug Zeit bleibt, auf den Antrag der Verteidigung zu reagieren.
Fortsetzung folgt.......am 28.10.03
Presserklärung der Soligruppe
Kundgebung zum Prozessauftakt im §129a-StGB-Verfahren gegen drei Magdeburger
Linke
Am 21.10.03 startet der Prozess gegen drei Magdeburger Linke
wegen"Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung" im Justizzentrum Halle. Dabei handelt es sich um einen klaren Fall
politischer Repression, denn alle drei Angeklagten gehörten einer offen
arbeitenden linken Gruppe, dem "Autonomen Zusammenschlusz" (AZ) an, welche nun
als "Keimzelle" einer vermeintlichen terroristischen Vereinigung kriminalisiert
wird. Um dies deutlich zu machen findet anlässlich des Prozessauftakts am 21.10.
ab 8.30 Uhr vor dem Justizgebäude eine Kundgebung statt.
Unseren drei Freunden Marco, Daniel und Carsten wird vorgeworfen, unteranderem
versucht zu haben, Anschläge gegen das Gebäude des Landeskriminalamt und einen
abgestellten Bus des Bundesgrenzschutz in Magdeburg durchzuführen. Nachdem zwei
der Beschuldigten schon fast 1 Jahr lang in Untersuchungshaft sitzen, soll nun
am 21.10.03 im Justizzentrum Halle der Prozess gegen sie eröffnet werden. Nach
der Anklageerhebung durch die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte jedoch selbst das
zuständige Oberlandesgericht (Naumburg) Zweifel an der Berechtigung des
Anklagepunktes nach §129a (Bildung einer terrorist. Vereinigung). Das OLG
Naumburg hatte in einem Schreiben vom Mai 2002, indem sich die fragliche
militante Gruppe selbst auflöste, einen Strafaufhebungsgrund gesehen, mit der
Folge, dass der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung und damit der Haftgrund entfällt. Gegen diesen
Beschluss hatte daraufhin die BAW sofort beim Bundesgerichtshof eine Beschwerde
eingelegt, der auch stattgegeben wurde.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs bezweifelte, entgegen dem OLG Naumburg,
dass das aufgefundene Auflösungsschreiben einen realen Hintergrund hat. Obwohl
die BAW zuvor noch selbst davon ausgegangen war, soll dies in der
Hauptverhandlung geprüft werden. Fraglich ist, ob diese Entscheidung des BGH
eine reine juristische war oder ob der BGH sich aus politischen Gründen vor
einer klaren Wertung des Auflösungsschreibens nur drücken wollte. Immerhin würde
eine klarere Entscheidung weitreichendere Folgen für zukünftige Verfahren, oder
gerade laufende Prozesse, wie dem seit zwei Jahren laufenden RZ- Prozeß in
Berlin, haben. Bei einer klareren Entscheidung des BGH wären nämlich plötzlich
einige noch ausstehende Verfahren vom Tisch und dies liegt durchaus nicht im
Interesse politischer Entscheidungsträger. Denn aufgrund seiner weitreichenden
Ermittlungsbefugnisse wurde der §129a in der Vergangenheit vor allen Dingen
gegen die linke emanzipatorische Bewegung eingesetzt, deren Strukturen so
genauestens überwacht und auch kriminalisiert werden konnten. Wir als
Solidaritätsgruppe wollen diesem Prozess vor allen Dingen politisch entgegen
treten. Deshalb rufen wir zu einer Kundgebung am 21.10., ab 8.30 Uhr vor dem
Justizzentrum Halle auf. Der erneute Versuch hier eine offen arbeitende linke
Gruppe zu kriminalisieren ist für uns offensichtlich. Zuvor wurden auch schon
gegen andere linke Gruppen Ermittlungsverfahren nach §129a angestrengt, wie z.B.
gegen die Autonome Antifa (M) Göttingen und Passauer AntifaschistInnen. Wir
lassen uns nicht kriminalisieren!
Für die Einstellung des politischen Verfahrens gegen unsere drei Freunde.
Freiheit für Marco, Daniel und Carsten!
Gemeinsame Presseerklärung der Verteidigung in dem Strafverfahren gegen Marco
Heinrichs, Daniel Winter und Carsten Schulze
Die Bundesanwaltschaft wirft unseren Mandanten vor, als Mitglieder einer
terroristischen Vereinigung im Zeitraum zwischen August 2001 und März 2002 an
verschiedenen Brandanschlägen beteiligt gewesen zu sein.
Für die Verteidigung stellt sich diese Anklage als Versuch dar, eine völlig
legal arbeitende autonome Gruppierung in Magdeburg aus politischen Gründen zu
kriminalisieren. Der "Autonome Zusammenschlusz Magdeburg", in dem unsere
Mandanten bis zu ihrer Festnahme gearbeitet haben, war ein Versuch, der starken
rechtsradikalen Szene in Magdeburg und der Politik der sozialen Ungerechtigkeit
etwas entgegenzusetzen und Freiräume für organisierte linke Politik zu schaffen.
Wir stellen fest:
1. Die Bundesanwaltschaft ist nicht in der Lage, konkrete Beweise dafür zu
benennen, dass in Magdeburg überhaupt eine terroristische Vereinigung existiert
hat bzw. wer Mitglied in einer derartigen Vereinigung gewesen ist.
2. Sämtliche diesbezügliche Versuche der Bundesanwälte basieren auf
Unterstellungen, Mutmaßungen und stellenweise haarsträubenden Schlußfolgerungen
die letztlich darauf hinauslaufen, von politischen überzeugungen und einer
linken Rhetorik auf die Begehung bestimmter Straftaten zu schließen.
3. Der Einsatz aufwendigster Ermittlungsmethoden, wie wochenlanger Observationen
und Telefonüberwachungen, hat letztendlich nicht mehr ergeben, als das
allgemeine Erkenntnisse über private und politische Beziehungen der Angeklagten
und einer Vielzahl weiterer Menschen in Magdeburg . Erkenntnisse über das
Bestehen und die Struktur einer terroristischen Vereinigung wurden dabei nicht
gewonnen.
4. Die Ermittlungen gegen unsere Mandanten sind von Beginn an mit äußerster
Einseitigkeit geführt worden. Jede noch so banale Information wurde trotz
jeweils sehr unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten immer zu Lasten
unserer Mandanten ausgelegt. Dem Willen, das Konstrukt einer terroristischen
Vereinigung aufzubauen, wurde alles andere untergeordnet.
Wir stellen weiter fest:
* Das Ermittlungsverfahren ist von massiven Verletzungen gegen
rechtsstaatliche und strafprozessuale Grundsätze geprägt.
* Gespräche zwischen den Angeklagten und ihren Verteidigern wurden abgehört
und die entsprechenden Protokolle mit in die Ermittlungsakte aufgenommen.
* Wohnungsdurchsuchungen wurden rechtswidrig ohne entsprechenden
richterlichen Beschluß vorgenommen, obwohl diese bereits längere Zeit geplant
waren und genügend Zeit zur Einholung einer richterlichen Entscheidung bestanden
hätte.
* die Aussage eines weiteren Beschuldigten wurde unter Umgehung der
Grundsätze über verbotenen Vernehmungsmethoden u.a. dadurch erpresst, dass man
diesem ankündigte, im Falle seiner Aussageverweigerung nahe Angehörige über
seine sexuelle Orientierung informieren zu wollen.
Die Verteidigung geht davon aus, dass die Bundesanwaltschaft mit ihrem
Anklagevorwurf scheitern wird, da die vorgelegten Beweise nicht ausreichen.
Thomas Herzog - Martin Henselmann - Ulrich von Klinggräff - Sven Lindemann -
Martin Poell - Gesa Schulz - Conrad Zimmer
Prozesserklärung von Carstens Anwältin
In der Strafsache ./. Carsten Schulze u.a. 2 StE 8/03-2 (1/03) gebe ich zu der
Anklage folgende Erklärung ab:
Ich bin erst zu einem Zeitpunkt im hiesigen Verfahren mandatiert worden, zu dem
die Ermittlungen längst abgeschlossen waren. Im Gegensatz zu meinen
Mitverteidigern konnte ich somit von Beginn an sämtliches Belastungsmaterial zur
Kenntnis nehmen. Im hiesigen Verfahren bin ich bei der Einarbeitung in die
Verfahrensakte auf besondere Schwierigkeiten gestoßen:
Bereits das Durcharbeiten der Anklageschrift und der dort aufgeführten
Beweismittel war zurückhaltend formuliert "ungewöhnlich". Formal sehr schön und
übersichtlich wird mit Fußnoten gearbeitet, um die für die einzelnen
Behauptungen vorliegenden Beweismittel einzubringen.
In drei Komplexen werden die den Angeklagten zur Last gelegten Brandanschläge
dargestellt und eben mit jenen Fußnoten belegt. Die angeführten Beweismittel
beziehen sich dabei ausschließlich darauf, dass es die in Rede stehenden
Brandanschläge gegeben hat, wie hoch der jeweilige Schaden im Einzelfall ist
etc. An der Stelle, an der es für die Verteidigung interessant wird, nämlich der
Benennung von Beweismitteln hinsichtlich des eigenen Mandanten, findet man
hingegen nichts. über Carsten Schulze wird jeweils formularartig behauptet: "Der
Angeschuldigte Carsten Schulze hatte wegen seiner im einzelnen noch
darzulegenden engen Einbindung in die Gruppe und der kollektiven Struktur der
Vereinigung wesentlichen Anteil zumindest an der Planung und Vorbereitung des
Brandanschlages". Fußnoten über etwaige, diese Behauptung stützende
Beweismittel, sucht man vergeblich.
Auch der jeweilige Verweis auf den Abschnitt der Anklageschrift, der sich ganz
direkt mit meinem Mandanten befaßt, erwies sich nicht als erhellend. Auch in
diesem Teil der Anklageschrift findet sich kein einziger konkreter Hinweis
darauf, dass es Beweismittel dafür gibt, dass Carsten Schulze in irgendeiner Art
mit der Planung und / oder Vorbereitung der verschiedenen Brandanschläge befasst
war. Mehr noch: es findet sich nicht einmal ein Hinweis darauf, dass mein
Mandant von diesen Anschlägen überhaupt wußte. Eine Darlegung der konkreten
Beteiligung oder auch nur Kenntnis meines Mandanten von den Straftaten wurde im
Rahmen der Anklage offensichtlich als nicht notwendig erachtet. Nur an einer
Stelle erinnerte sich die BAW daran, dass Kenntnis bestimmter tatsächlicher
Vorgänge und auch eigenhändige Beteiligung im Strafrecht doch nicht ganz
unerheblich sind:
Das OLG hatte die Angeklagten von der Untersuchungshaft verschont und dies damit
begründet, dass sich die terroristische Vereinigung im Mai 2002 aufgelöst habe.
So war es auch in der Anklageschrift formuliert. Gegen die Haftverschonung legt
die BAW Beschwerde ein und trug vor:
"Die Erklärung vom Mai 2002 läßt nicht erkennen, dass einer der Angeschuldigten
für die Beendigung des Fortbestandes der terroristischen Vereinigung eingetreten
ist. Es wird lediglich mitgeteilt, dass nicht alle Vereinsmitglieder für ihre
"Auflösung" gestimmt haben: (...)."
Das heißt, der behauptete einheitliche Gruppenwille ist für die BAW nur solange
von Bedeutung, wie er die Angeklagten belasten kann. In dem Augenblick, in dem
jedoch eine Entlastung möglich erscheint, zählt nicht mehr der Gruppenwille.
Hier ist dann doch ein Handeln jedes Einzelnen gefragt.
Da die Anklage mithin gar keinen Anhaltspunkt dafür lieferte, welche
Beweismittel vorliegen könnte, ging ich davon aus, dass sich diese Beweise aus
dem Akteninhalt ergeben müßten. Bei einem Aktenumfang von 38 Leitzordnern ist
klar, dass man zunächst querliest und versucht, sich zunächst an den
relevantesten Beweisen zu orientieren ( z.B. Zeugen, Fingerabdrücke etc.).
Nachdem ich mehrere Ordner so gelesen hatte, ohne auch nur ein einziges
handfestes Beweismittel gefunden zu haben, legte ich eine kurze
Orientierungspause ein. Schließlich kam mir die Idee, dass dieses Verfahren
möglicherweise anders gestrickt sein könnte, als "normale" Strafverfahren und
dass es vorliegend nicht um Beweismittel im klassischen Sinne geht, sondern sich
das Anklagekonstrukt nur dadurch erhellen läßt, dass man die zahlreichen
Vermerke von BAW und BKA akribisch studiert.
Mithin begann die Sichtung der Akten unter diesen Vorzeichen von vorne, was
bestenfalls als belustigend, im Grunde genommen aber überwiegend als äußerst
ermüdend empfunden wurde. Sämtliche Versuche der Bundesanwälte, eine
Beweiskonstruktion gegen meinen Mandanten aufzubauen, basieren auf Mutmaßungen
und teilweise haarsträubenden Schlußfolgerungen. Statt harte Fakten zu benennen
wird versucht, aus der Rhetorik einer linksradikalen völlig legalen Gruppe, dem
"Autonomen Zusammenschlusz Magdeburg", Anhaltspunkte dafür zu finden, dass mein
Mandant Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei und an Brandanschlägen
mitgewirkt habe. Seitenlang muss man sich Vermerke von BAW und BKA durchlesen,
in denen banalste Erkenntnismittel zwanghaft in ein Korsett gepreßt werden,
damit sie die schon zu Ermittlungsbeginn unumstößlich feststehende These der
terroristischen Vereinigung zu stützen vermögen.
Hierfür nur einige, zufällig ausgewählte Beispiele:
Immer wieder erheiternd war der von mehreren BKA-Beamten vorgenommene
Auswertungsvermerk einer beschlagnahmten handschriftlichen Skizze, der sich wie
folgt liest:
"Die terroristische Einstellung des Marco Heinrichs wird u.a. anhand einer
kleinen Strichzeichnung belegt. Diese ist in zwei Teile gegliedert; der erste
Teil stellt offensichtlich den Zustand einer Person, eines Gebäudes sowie eines
Baumes bei Tag (= vorher) dar, wohingegen es sich bei dem zweiten Teil (=
nachher) um die Beschreibung des Zustandes abends / nachts nach einem - wie auch
immer gearteten "Eingriff" vermutlich einem Anschlag - handelt, da
augenscheinlich die Person, das Gebäude und der Baum umgefallen bzw. zerstört
sind."
Es handelt sich hierbei auch keineswegs um eine Entgleisung eines einzelnen
Beamten, vielmehr gibt es drei von unterschiedlichen Verfassern stammende BKA
Vermerke, die die Skizze jeweils gleich interpretieren.
Ebenso fernliegend dürfte die Interpretation des Bundesanwalts Griesbaum zu
einem Papier über die Arbeitsweise des AZ sein. In diesem Papier heißt es u.a.
wie folgt:
"um die handlungsfähigkeit des az zu gewährleisten sind wir auf die
verbindlichkeit jedes/jeder einzelnen angewiesen...wenn die verbindlichkeit
einzelner az-lerInnen nicht mehr gegeben ist musz diese/r im az-plenum darauf
angesprochen werden. sollten sich keine besserungen einstellen müssen mit der
betreffenden person einzelgespräche geführt werden. die letzte konsequenz ist
dann der zeitweilige ausschluß aus der gruppe"
Bei dieser Forderung nach Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit handelt es sich um
vollkommen normale Prinzipien, die in jedem Zusammenschluss von Personen, der
gemeinsam Aufgaben erledigen möchte, Anwendung finden. In der
Lebensmittel-Kooperative, in der ich Mitglied bin, gilt z.B.: "Wer dreimal
unentschuldigt beim Plenum gefehlt hat, wird ausgeschlossen."
Völlig anders hingegen die Interpretation des Bundesanwalts. Die liest sich
folgendermaßen:
"...ergibt sich ein strenges Gruppenreglement. Jeder einzelne hat sich den
Zielen der Gemeinschaft strikt zu unterwerfen, andernfalls muss er mit einem
Ausschluss aus der Gruppe rechnen."
Diese Beispiele sind Ausdruck eines verallgemeinerungsfähigen Phänomens: banalen
Erkenntnissen wird brachial ein Interpretationsmuster übergestülpt, dass allein
von dem Ziel geprägt ist, diese in einen Tatbestandszusammenhang zum § 129a StGB
zu pressen.
Weitere dutzende Seiten beziehen sich auf beschlagnahmte Schreiben, in denen das
Wort Repression verwendet wird. Auch dies soll die terroristische Grundhaltung
der Angeklagten belegen. Selbstredend gilt gleiches für die Verwendung von
Begriffen wie "Militanz", "Aktion", oder "Sicherheitsvorkehrungen". Keinerlei
Hinweis findet sich hingegen darauf, dass sämtliche dieser Begriffe im Rahmen
legaler linker / autonomer Politik stets und ständig benutzt werden, was den
ermittelnden Beamten eigentlich nicht hätte verborgen bleiben dürfen.
Diese Liste ließe sich über etliche Seite fortsetzen, was zwecks Beschleunigung
des Verfahrens an dieser Stelle unterbleibt. Sinn dieser Erklärung ist lediglich
zweierlei: Zum einen meinem Erschrecken über die Dürftigkeit der Beweislage
Ausdruck zu vermitteln. Dies hätte eigentlich dazu führen müssen, einen Antrag
auf Nicht-Zulassung der Anklage zu formulieren. Einzig wegen des BGH-Beschlusses
vom 23. September 2003 und dem Umstand, dass eine Verzögerung des Verfahrens
meinem in Untersuchungshaft befindlichen Mandanten nicht zumutbar ist, hat dies
verhindert.
Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass das Aktenstudium bei mir die Erkenntnis
hinterlassen hat, dass die Bundesanwaltschaft als eigentlicher Urheber
terroristischer Vereinigungen anzusehen ist. Urheber im folgenden Sinne: Auch
die Auseinandersetzung der Angeklagten mit dem Straftatbestand des § 129 a StGB
wird in der Verfahrensakte immer wieder als Beleg für die terroristische
Grundeinstellung, bzw. als Beleg der Existenz einer terroristischen Vereinigung
bemüht. Läßt man einmal die Wertungen und Interpretationen der
Ermittlungsbehörden außer acht, beinhaltet die gesamte Akte meinen Mandanten
betreffend lediglich, dass er ein "Linker" und dem Autonomen Spektrum
zuzurechnen ist. Wenn das ausreicht, um monatelang in Untersuchungshaft zu
sitzen und als Mitglied einer terroristischen Vereinigung angeklagt zu werden,
bleibt all jenen, die wie mein Mandant politisch aktiv sind, nichts anderes
übrig, als sich mit einer Strafbarkeit nach § 129 a StGB auseinander zu setzen,
wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, völlig unvermittelt von einem derartigen
Vorwurf überrollt zu werden. Und da genau diese Auseinandersetzung laut BAW und
BKA ein Beweis für die terroristischen Aktivitäten ist, dürfen sich die
Ermittlungsbehörden als Urheber der terroristischen Vereinigungen begreifen.
Gesa Schulz
Rechtsanwältin
rh (rote hilfe) - aktuelle informationen der roten hilfe sowie allgemeine infos zu politischer verfolgung, überwachung und antirepressionsarbeit im oktober 2003
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