abc berlin - archiv rh - rote hilfe - newsletter / 20.11.2003 Prozeßbeobachtung - §129a Verfahren gegen die Linke
Prozessbeobachtung 7. Prozesstag ein Zeuge erhielt vorerst 1 Woche Beugehaft wegen Aussageverweigerung Der 7. Prozesstag war ein sehr langer und schwieriger Tag, der allen ZeugInnen, BesucherInnen und auch den drei Gefangenen ziemlich 'an die Nieren ging'. Diesmal waren viele ZeugInnen aus der Szene und Bekannte von Daniel, Marco oder Carsten vorgeladen, die sich nicht auf Paragraphen beziehen konnten, um die Aussage zu verweigern. Die ZeugInnenvernehmungen füllten im Prinzip den ganzen Verhandlungstag. Hauptsächlich stellte der Richter Hennig jeder/jedem ungefähr 7 Grundfragen, die relativ harmlos schienen: Zu den Grundfragen kamen vereinzelt bei der einen oder dem anderen noch spezifische Fragen zu abgehörten Telefonaten hinzu. Oft fiel der Satz "das wolle man jetzt nicht am Telefon bereden", wozu der Richter dann noch fragte, worum es da ging (aber die Befragten konnten sich daran nicht erinnern). Sehr mysteriös war, dass der Staatsanwalt wiederum sehr zurückhaltend blieb und insgesamt nur 2 oder 3 Nachfragen hatte. Alle ZeugInnen wurden unvereidigt entlassen. Einer der Zeugen gab lediglich seine persönlichen Daten zu Protokoll und verweigerte anschließend die Aussage. Richter Hennig sprach ihm ins Gewissen, dass er damit nur seinen Freunden (den Angeklagten) schaden und den ganzen Prozess aufschieben würde und klärte ihn über die Möglichkeit von Zwangsmitteln auf. Er solle sich dies noch mal gründlich mit seinem Zeugenbeistand/Rechtsanwalt überlegen und schickte ihn vor die Tür. Kurze Zeit später kam er wieder mit seinem Anwalt rein und blieb konsequent bei seiner Aussageverweigerung. Daraufhin verkündete Richter Hennig, dass er auch ´gerne` 1 Woche Beugehaft verhängen könnte, was er dann auch tat. Der Zeuge wurde in Handschellen abgeführt, wobei die Hälfte des Saals, ihn unterstützend, klatschte. Nun platzte Richter Hennig wieder der Kragen, er wollte den ganzen Saal räumen lassen, worauf heftige Proteste von den BesucherInnen kamen, schließlich hätten auch gar nicht alle geklatscht. Außerdem kündigte der Richter an, dass diejenigen welche zum zweiten Mal rausgeschmissen wurden, ein gesamtes Verfahrensverbot bekommen würden. Es gab eine längere Unterbrechung. Viele BesucherInnen fertigten eine eidesstattliche Erklärung an, dass sie nicht geklatscht haben und kamen später wieder in den Gerichtssaal. Es wurde eine weitere Zeugin vernommen und danach war eine längere Mittagspause angesetzt, in der schließlich für die Gefangenen Pizzen geholt wurden. Beim Warten auf den weiteren Verhandlungsverlauf lagen die Nerven aller BesucherInnen und noch anstehenden ZeugInnen blank. Leute, die zuvor draußen gewartet hatten, weil sie nicht mehr in den Saal gepasst hatten, kamen nach der Pause 14 Uhr noch zu den ZuschauerInnenbänken und diese waren dann zu dreivierteln wieder besetzt. Gleich wurde wieder die nächste Zeugin aufgerufen. Sie gab lediglich ihre persönlichen Daten zu Protokoll und wollte sich im weiteren zu keinen Fragen äußern und bezog sich dabei auf den §55 (wonach ZeugInnen die Aussage verweigern können, wenn sie sich dabei selbst belasten würden). Ihr Zeugenbeistand/ Rechtsanwalt erläuterte, dass dies schließlich ein §129a-Verfahren sei und es um Organisationszusammenhänge gehe. Seine Mandantin war selbst von einer Hausdurchsuchung betroffen gewesen (ihr Mitbewohner ist einer der weiteren Beschuldigten) und es seien auch Sachen von ihr beschlagnahmt worden. Richter Hennig sah mehr oder weniger den §55 an, drängte jedoch darauf, dass sie ihm wenigstens die Frage beantworte, ob sie von den Brandanschlägen gelesen hätte. Da die Zeugin sich auch weigerte diese Frage zu beantworten, verhängte er ein Ordnungsgeld von 50 Euro. Nach ihr wurde der Nächste in den ZeugInnenstand berufen. Auch er bezog sich auf den §55 bei seiner Aussageverweigerung - er war Mitbewohner von Carsten und auch von den Hausdurchsuchungen betroffen gewesen. Der Richter erkannte dies nun ohne Umschweife an und entließ ihn aus dem ZeugInnenstand. Unter den folgenden ZeugInnen war auch eine dabei, die aussagte, dass sie Daniel bis spät in die Nacht vom 17. März 2001 zum 18. März gesehen hätte (was einen entlastenden Tatbestand darstellte, da ihm ja insbesondere die direkte Beteiligung an dem Brandanschlag in der selben Nacht auf einen BGS-Transporter in Magdeburg vorgeworfen wurde). Daniel hätte von seiner Mutter aus angerufen und gemeint, dass er unbedingt von der dortigen Familienfeier weg müsse, er hielte es dort nicht mehr aus. Da sie auch in Quedlinburg wohnte, kam er bei ihr spätabends vorbei und trank mit ihr und einem weiteren Kumpel ein paar Bier. Sie blieb bis ca. 2 oder 2.30 Uhr auf und ging dann ins Bett, da sie am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Die anderen 2 blieben noch in der Küche, Daniel sei auch ziemlich angetrunken gewesen. Sie wisse nicht mehr, wann er dann gegangen sei, jedenfalls war er dann am nächsten Morgen nicht mehr da. Auf die Frage wie er denn zu ihr gekommen sei, meinte sie, dass sie es nicht genau wüßte, aber sie denkt er war entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Ihr sei nicht bekannt, dass er ein Auto besaß. Auch hier zeigte Bundesstaatsanwalt Dr. Hornick keinerlei Ambitionen und hatte keine Fragen an die Zeugin. Nachfragen gab es ebenso von Richter Hennig nicht und er entließ die Zeugin unvereidigt. Gegen 15.30 Uhr waren dann schließlich noch 2 Beamtinnen des BKA aus Meckenheim und ein Beamter des LKA-Magdeburg vorgeladen, die zu den Hausdurchsuchungen befragt wurden. Dies war der Part der Anwälte, die die BKA-Beamtinnen ausgiebig (jede ungefähr 45 Minuten) zu ihrem Einsatz verhörten. Besonders interessiert waren sie daran, wann genau denn die Beamtinnen den Einsatzbefehl erhalten haben, durch wen und wo sie eingewiesen wurden usw. Schließlich suchten sie nach Anhaltspunkten, die belegen würden, dass keine Gefahr im Verzuge bei den Verhaftungen und Durchsuchungen damals bestand. Aber die beiden jungen Frauen konnten sich nicht erinnern, wann sie in Magdeburg angekommen sind und wann sie in den Fall eingewiesen wurden. Eine der Beiden war für die Anwälte außerdem interessant, weil sie das Personalblatt bei dem Verhör des weiteren Beschuldigten B. ausgefüllt hat, auf dem auch eine schriftlich Belehrung steht. Sie wollte dazu zunächst nichts sagen und musste extra telefonisch eine Vollmacht von ihrer Dienststelle einholen. Später sagte sie aus, dass sie nur das Blatt mit den persönlichen Daten ausgefüllt hatte und das erst nach dem das Verhör schon eine ganze Weile lief. [top]
Prozessbeobachtung 8. Prozesstag Ordnungsgemäße Lesezeichen, die nicht machen können was sie wollen Abschließende Beweisführung und immer noch Haft für Nichts ! Beugehäftling abends wieder entlassen! Richter Hennig begann nicht mit Verwarnungen, Bestrafungen weil wieder irgendwer ungebührlich war. Nein, ZeugInnen wurden vernommen und den Auftakt machten die Mitbewohner von Daniel die die Fragen des Fragenkataloges vom Vortag beantworten sollten und taten; Brandanschläge nur aus der Presse bekannt, Bekennerschreiben kennen sie nicht, nicht mal aus der Presse, über Militanz haben sie sich nie unterhalten und das AZ (Autonomer Zusammenschlusz) ist eine linke Gruppierung in Magdeburg. Das wußten wir ja auch alles schon. Der dritte Zeuge berief sich auf §55 StPO (bei möglicher Selbstbelastung darf geschwiegen werden), was das Gericht umstandslos akzeptierte. Ein weiterer Bekannter Daniels konnte auch nur wie die anderen auf die Standardfragen antworten. Frau Moll vom BKA bekam einen zweiten Versuch, diesmal mit Genehmigung der entsprechenden Dienststelle. Sie hatte die Hausdurchsuchung bei Carsten am 01.04.03 geleitet und war auf "versteckte" handgeschriebene Zettel in Carstens Bücher gestoßen. Als Lesezeichen benutzt, hätten die Zettel "ordnungsgemäß aus den Büchern herausragen" müssen! Sie ließ einen ganzen Beutel voll mit Zetteln und die schon mal erwähnte Funkliste zum eventuellen Einsatz des Abhörens ihrer Kollegen in den Streifenwagen beschlagnahmen und asservieren Was bewies...? Der Polizist Damm vom BKA der ebenfalls an der Hausdurchsuchung bei Carsten beteiligt war und schon vorher an der am 27.11.02 in Quedlinburg, wo Daniel nach wie vor ein Zimmer in der Wohnung seiner Mutter hat, teilnahm, brachte uns auch nicht weiter in der Beweislage für eine terroristische Vereinigung und die vorgeworfenen Anschläge. Vom LKA Magdeburg kam zum zweiten mal Herr Schulze, der sich freiwillig noch mal zu Wort melden wollte, da er bei der ersten Aussage etwas verwirrt war, bezüglich der Autokennzeichen eines Wagens der am Tag nach dem Brandanschlag auf das LKA vorfuhr und aus dem eine Person ausstieg die den Tatort fotografierte. Er hatte die Nichtweiterverfolgung dieser Spur bei der ersten Zeugenvernehmung damit begründet, daß dieses Fahrzeug bereits bei Demos aufgefallen war. Zwar korrigierte er diesmal das Kennzeichen, doch der Fakt, daß diese Spur nicht weiter verfolgt wurde, blieb derselbe. Auf die Frage nach dem "Warum" sagte Herr Schulze, daß der Leiter der Abteilung, Herr Hörnlein, das nicht veranlaßt hatte und bei ihnen in der Dienststelle "kann ja nicht jeder machen, was er will". Hätte das BKA, an die der Fall übergeben wurden an dieser Stelle weiterermittelt, hätte er als Ansprechpartner für Herrn Brockmüller (BKA)davon Kenntnis erhalten. Mit Herrn Schulze wurde dann die (erdrückende) Beweisaufnahme geschlossen. Der Richter fragte Staatsanwaltschaft und Verteidigung ob Herr H. noch als Zeuge gebraucht werden würde. Es wurde verneint, wobei die Verteidigung darauf hinwies, daß sie ohnehin den Herrn H. nicht gebraucht hätten. Richter Hennig hob damit die Beugehaft auf und verordnete 3 Tage Ordnungshaft. Somit ist die Aussageverweigerung von H. als "ungebührliches Verhalten" zu werten. Inzwischen ist H. tatsächlich wieder auf freiem Fuß. Er wurde noch am Abend des 19.11. aus der Beugehaft entlassen. Ob er dennoch die 3 Tage Ordnungshaft später noch absitzen muss, bleibt abzuwarten. Der Staatsanwalt Dr. Hornick kündigte an, keine Beweisanträge stellen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders, was er etwa eineinhalb Stunden später bekannt gab. Und zwar wollte er nun doch das beschlagnahmte Gedächtnisprotokoll des Beschuldigten B. zu seinem Verhör mit in das Verfahren einbringen - wobei der Richter zuvor noch verkündet hatte, es nicht mehr verlesen zu lassen. Vorher verlas der Richter die Eintragungen im Zentralregister von Daniel, Carsten und Marco. Bei Daniel und Carsten war nichts zu finden, ein wenig anders bei Marco, allerdings jeweils eingestellte Verfahren gegen geringfügige Arbeitsstunden. Da das Gericht nach wie vor keine Entscheidung zu dem Antrag von Carstens Verteidigung , den Haftbefehl gegen Carsten außer Kraft zu setzen, gefunden hatte, stellte die Verteidigung aller drei Angeklagten Beweisanträge, u.a.: Womit bewiesen werden soll, daß ein so intensiver Kontakt zwischen Carsten und Daniel und Marco, wie die Bundesanwaltschaft (BAW) es darstellt nicht existiert hat. Desweiteren sollen alle Observationsprotokolle des LKA in die Beweisaufnahme und die Beamten die observierten in den Zeugenstand, um eine Anwesenheit der Angeklagten an den jeweiligen Tatorten auszuschließen. Die Präsidenten des LfV´s Sachsen-Anhalt und des BfV´s sowie die dazugehörigen Leiter der Abteilung "Linksextremismus" sollen vernommen werden, da laut ihrer Erkenntnis der Analyse der Bekennerschreiben nicht davon auszugehen sei, daß es sich bei den verschiedenen Anschlägen um denselben Täterkreis handelt. Der Staatsanwalt lehnte die Anträge ab. Das Gericht wird darüber erst noch entscheiden. Nach den Beweisanträgen bekam die Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe, die rausfinden sollte, ob Daniel noch nach Jugendstrafrecht zu behandeln sei das Wort. Sie beschrieb eine enge Beziehung zwischen Daniel und seiner Mutter, einen normalen Werdegang von Daniel und erkannte gar "einen gewissen Grad an Intelligenz". Nach ihrer Einschätzung ist Daniel noch nicht so reif, wie es vielleicht den Anschein hat und würde für ihn das Jugendstrafrecht empfehlen. Die Sozialprognose, sagte sie, wäre positiv. Dann ging es in die Mittagspause für eine Stunde. Die Verteidigung von Carsten hatte erwartet, daß sich der Senat während der Pause zu einer Entscheidung zu Carstens Haft durchringen konnte, aber dem war nicht so und erbat deshalb eine weitere Unterbrechung um endlich einen Beschluß dazu zu hören. Die Unterbrechung gab es für ca. 45 Minuten, nur den Beschluß gab es nicht. Da die Verteidigung kein Verständnis aufbringen konnte, meinte Richter Hennig er lasse sich nicht unter Druck setzen. (Der Druck von 15 Tagen seit Antragstellung!!!). Bis spätestens nächsten Dienstag (26.11.03) würden sie es schaffen. Da die Beweisaufnahme seitens des Gerichts abgeschlossen war und sie schlicht nichts gebracht hatte gegen die Angeklagten, stellte auch die Verteidigung von Marco und Daniel den Antrag auf Aufhebung der Haftbefehle gegen ihre Mandanten und "äußerst Hilfsweise" wenigstens Haftverschonung bis zum Ende des Verfahrens. Was der Staatsanwalt ablehnte, denn er sieht die Beweislage "dezidiert" anders. (Wir warten auf die Joker die er aus dem Ärmel zaubert.) Auch darüber soll am 26.11.03 dem nächsten Verhandlungstag entschieden werden. die Prozessgruppe [top]
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