Ausgabe 04 - 1998geliehen bei berliner stadtzeitung
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titelbild >scheinschlag 04/1998<

"Wenn Du Dich fügst, wirst Du fertiggemacht"

25 Jahre Tommy-Weißbecker-Haus

Nur einen Steinwurf von der neuen SPD-Zentrale in der Berliner Wilhelmstraße entfernt, fällt das Thomas-Weißbecker-Haus (TWH) schon optisch mit seiner bunten Fassade aus dem Straßenbild. Vor 25 Jahren wurde es besetzt, zum Jubiläum Anfang März soll an den fast vergessenen Teil des linken Aufbruchs Ende der 60er Jahre erinnert werden, der verkürzt immer nur als Studentenbewegung durch die Medien geistert. Doch es waren nicht nur junge Akademiker, die sich mit der Obrigkeit anlegten.

Mindestens genauso aktiv waren Arbeiterjugendliche sowie aus dem Elternhaus und den Heimen Entflohene, auch Treber genannt. Es kam zu regelrechten Aufständen und Massenfluchten aus den Heimen. Der Höhepunkt waren tagelange Kämpfe zwischen Jugendlichen und Angestellten im Berliner Hauptkinderheim 1974. Anfang der 70er Jahre dokumentiert die damals als sozialkritische Journalistin bekannte Ulrike Meinhof in dem Film ´Bambule´ einen Aufstand in einem Berliner Mädchenheim. "Heime sind Gefängnisse. Wenn Du Dich fügst, wirst Du fertiggemacht": diese Äußerung einer Jugendlichen in dem Film war für viele eine Motivation ihrer Rebellion. Wegen des starken Widerstands können die Jugendlichen nicht mehr in die Heime zurückgebracht werden. Sie gründen die ´Trebebambule´, stellen sich Treberausweise aus, die wegen ihrer täuschenden Echtheit von der Polizei oft anerkannt wurden, und schaffen sich eigene Freiräume.

1971 besetzten jugendliche Trebegänger das ehemalige Schwesternheim Bethanien in Kreuzberg und benennen es nach dem zuvor in Schöneberg von der Polizei erschossenen Berliner Kommunarden Georg von Rauch. 1972 werden in Schöneberg ehemalige, vom Senat aufgegebene städtische Jugendzentren besetzt und als ´sozialistische Jugend- und Schülerzentren´ in Selbstverwaltung weitergeführt. Dazu gehört das zur Zeit akut räumungsbedrohte ´Drugstore´ in der Potsdamer Straße. 1973 werden in einem besetzten Haus im Wedding das Jugendzentrum Putte und in Kreuzberg das Wohnkollektiv Thomas-Weißbecker-Haus gegründet. Auch hier war der Namensgeber ein im Zuge der Fahndung nach RAF-Mitgliedern von der Polizei erschossener Kommunarde. Das Haus war von Anfang an ein Anlaufpunkt für Treber. Für die offizielle Presse und Politik war es ein ´Terroristennest´, das immer wieder von der Polizei heimgesucht wurde. Nach der Lorenz-Entführung 1975 nahm die Polizei Rache und machte bei einer Razzia mehrere Wohnungen im Haus unbewohnbar.

Doch die anhaltenden Treberproteste setzten den Berliner Senat auch unter Druck. Es kam zu Liberalisierungen in den Heimen und zur Akzeptanz betreuter Wohngemeinschaften. Anfang der 80er Jahre - mittlerweile sorgte eine neue Welle von Instandbesetzungen für Druck - wurden das Georg-von-Rauch-Haus und das Thomas-Weißbecker-Haus als Jugendwohngemeinschaften anerkannt. Die in den Projekten lebenden Treber konnten sich dort legal anmelden. Der Räumungsdruck war zwar weg, doch der alltägliche Kleinkrieg mit den Behörden geht bis heute weiter.

Niemand kennt die genaue Zahl der auf der Straße lebenden Kinder und Jugendlichen. Allein für Berlin schwanken die Schätzungen zwischen 3000 und 5000. Doch sicher ist, die Zahl der Straßenkinder ist heute höher denn je. Besonders hoch ist der Anteil von Jugendlichen aus der ehemaligen DDR. Längst ist das gesellschaftliche Rollback auch auf diesem Gebiet spürbar. Bettina vom TWH: "Häuser und Zentren, die Anlaufstellen für die Jugendlichen waren, werden geschlossen, so daß die Jugendlichen auf der Straße stehen. Doch an zentralen Orten der Stadt wie dem Alexanderplatz und dem Breitscheidplatz werden sie als Störfaktor angesehen und vertrieben. Da bleibt in letzter Konsequenz der Ruf nach geschlossenen Heimen für Jugendliche." Damit haben sich in den letzten Monaten Politiker der CDU und der SPD zu profilieren versucht. Jugendkulturen wie die Sprayer werden kriminalisiert, das Vorbild ist die USA, wo in einigen Bundesländern Ausgangssperren für Jugendliche ab 22 Uhr verhängt werden.

Anders als Anfang der 70er Jahre ist heute keine Jugendbewegung vorhanden, die diesen Angriffen Paroli bieten könnte. Auch in ehemals besetzten Häusern hätten es Trebekids eher schwer, entsprechen sie doch selten den Vorstellungen einer neuen Mittelklasse, der es eher um politisch korrektes Verhalten als um Gesellschaftsveränderung geht. 25 Jahre TWH zeigen, daß es auch anders geht.

Peter Nowak

In der Jubiläumswoche vom 1.3.98 bis 6.3.98 werden folgende Veranstaltungen im TWH, in der Wilhelmstr. 6, angeboten: 1.3.98, 16 Uhr: Tag der Offenen Tür und Ausstellungseröffnung mit Kaffee, Kuchen und Überraschungen
2. und 3.3.98, 19.30 Uhr: Ton-Dia-Show über das TWH als Teil der linken Bewegung
4.3.98, 19.30 Uhr: Vorführung des Films Bambule von Ulrike Meinhof
5.3.98, 19.30 Uhr: Veranstaltung über die Treberbewegung und Straßenkids heute
7.3.98, 21.00 Uhr: Abschlußparty,
25 Jahre TWH mit No Exit, Tot und Mordschlag, Blues Power etc.

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