Warum ich Anarchistin wurde Anarchistin wurde ich während der Deportationsfahrt nach Neukaledonien. Im Laufe der vier Monate sahen wir nichts als Himmel und Wasser, nur manchmal erschien am Horizont das weiße Segel eines Schiffes. Unser Schiff, vom leichten Rhythmus der Wellen gewiegt so, als ob zwei riesige Arme es greifen, ächzte, wenn es in die tiefen Wellentäler sackte; und der Wind tönte in den Segeln. – Ich hatte Zeit, viel Zeit zum Nachdenken. – Die Kommune. Ich sah unsere Genossen am Werk, und nach und nach kam ich zu der Überzeugung, daß selbst die Redlichsten, könnten sie Macht ausüben, den Schurken ähnlich würden, die sie einst bekämpften. Ich sah die Unmöglichkeit, daß sich die Freiheit mit einer wie auch immer gearteten Macht vereinbaren läßt. Ich fühlte, wenn die Revolution irgendeine Regierungsform annimmt, ist es um sie geschehen; und wenn Institutionen der Vergangenheit, die schon zu verschwinden schienen, doch bestehen bleiben – dann tragen sie nur ein anderes Etikett. Für jeden Menschen, der zur Macht gelangt, ist der Staat letztendlich Spiegelung seiner selbst, er betrachtet ihn wie der Hund den Knochen, den er zernagt, und nur zu seinem eigenem Vorteil verteidigt er ihn. So wie die Macht hart, egoistisch und grausam macht, so erniedrigt Sklaverei, und nur die Anarchie kann es vollbringen, daß der Mensch frei und glücklich lebt. Wissen wir denn, ob das, was uns heute utopisch erscheint, in der nächsten Epoche nicht schon Realität sein kann? Damit das entrechtete Volk nicht länger mit seinem eigenem Blut die trügerischen Schimären – Parteien und Staaten – am Leben erhält, müssen wir für die Verwirklichung der Anarchie kämpfen, und weil ich Zwang und Unterdrückung ablehne, bin ich Anarchistin. Louise Michel (zitiert nach: Bernd Kramer (Hrsg.): Leben Ideen Kampf Louise Michel, Berlin 2001)